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Anna Elena Marchini Camia

Konsumgeleitete Identitätskonstruktion im Roman Faserland. Am Beispiel der Konsumpräferenzen des Roman-Erzählers 


«Die Ernsthaftigkeit, mit der Kracht Markenprodukte einführte und als Fundament des Lebens Anfang der neunziger Jahre vor Augen führte, wirkte befreiend. Nicht nur ich, so durfte man endlich sagen, finde die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke schwieriger als die zwischen CDU und SPD.»

Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2003 (2000), 2.


Kunsthistoriker und Buchautor Florian Illies beschreibt mit seiner Aussage über den Pop-Roman Faserland (1995) von Christian Kracht die Ausgangslage für diese Bachelorarbeit. Wie können Konsumobjekte wichtiger für die Konstruktion der eigenen Identität sein als beispielsweise die politische Gesinnung? Die beschriebenen Konsumobjekte aus Faserland in Form von Markenkleidung, repräsentativen Getränken und Zigarettenmarken, Autos sowie Alltagsgegenständen wie Medikamenten oder Musik-Kassetten nehmen in Faserland eine unverhältnismässig grosse und zentrale Rolle ein. Dadurch soll sich der Protagonist in seiner Umwelt orientieren und Dinge sowie sein Gegenüber kategorisieren können – in «sexy» oder «schäbig», «brilliant» oder «belanglos», «bösartig» oder «sehr nett». Konsumobjekte konstruieren Faserlands Charakteren und die Milieus, in denen sich der Protagonist bewegt. Sie dienen ihm, sich, auch wenn lediglich kurzzeitig, für Bekanntes oder Unbekanntes zu interessieren oder sich davon abzugrenzen. Ganz im Sinne der Konsumkultur der 1990er Jahre sowie der Haltung des österreichischen Kulturtheoretikers Robert Misik («Güter repräsentieren Identität»), wird untersucht, welche Bedeutung dem Konsum in Faserland zugeschrieben wird. Inwiefern wird die Identität des Faserland-Protagonisten über seine Konsumpräferenzen vermittelt? Welches Konsumverhalten sowie welche Konsumobjekte spielen eine identitätsstiftende Rolle für die authentische Inszenierung seines Charakters?

Analytische Methode
Um den Forschungsgegenstand zu untersuchen, diente das Analysemodell Bedeutung von Konsum für moderne Identitätskonstruktionen von Thomas Kühn und Kay-Volker Koschel sozusagen als Anleitung für die qualitative Inhaltsanalyse von Faserland. Das Modell veranschaulicht, wie Konsum einen erheblichen Einfluss auf die Konstruktion der personalen sowie sozialen Identität haben kann. Dabei wird von drei Identitätsbestrebungen (Kohärenz, Authentizität, Anerkennung) sowie identitätsstiftenden und identitätsgefährdenden Effekten von Konsum ausgegangen. Es hat sich gezeigt, dass die Persönlichkeit des Protagonisten – genauer: sein inszenierter Charakter – ein doppelgesichtiges Verhältnis zu Konsum in Bezug auf seine Identität hat. Für die Literaturanalyse wurde die Beziehung zu fünf für ihn relevanten Konsum-«Objekten» (Hotels, Reisen, Getränke, Musik, Nahrungsmittel) untersucht, die einen negativen oder positiven Effekt auf die Konstruktion seiner Identität haben. 

Ergebnisse
Die Literaturanalyse von Faserland hat gezeigt, dass Konsum fördernde sowie auch gefährdende Effekte auf die Identitätskonstruktion des Protagonisten haben kann, welche sich in seinem von Kracht beschriebenen Umgang mit den unterschiedlichen Konsum-«Objekten» schlüssig manifestieren. 

Konsumobjekt Hotels Identitätsebene Kohärenz / Konsumeffekt Orientierung 
Auf der Identitätsebene der Kohärenz hat sich gezeigt, dass Hotels für ihn als identitätsorientierende Stützpfeiler fungieren. Sie erlauben ihm erstens, sein problematisches Verhalten bedenkenlos auszuleben und zweitens bieten sie ihm einen Referenzrahmen für normale Zeitstrukturen und alltägliche Rituale wie beispielsweise zu frühstücken. Ausserdem erfährt der Erzähler durch das wiederholte Residieren in denselben Hotels ein Gefühl der Kontinuität seiner Lebenswelt. 

Konsumobjekt Reisen Identitätsebene Kohärenz / Konsumeffekt Fragmentierung 
Auf der Kehrseite der Kohärenzbestrebungen hat das Reisen einen identitätsgefährdenden Effekt. Reisen verleiht dem Protagonisten nur eine scheinbare Sinnhaftigkeit seiner Tätigkeiten und bietet ihm maximal eine temporäre Kulisse, um seine Einsamkeit zu kaschieren. Das Gefühl, Teil von etwas zu sein, wird nur simuliert, zumal Transiträume durch ihre Kurzlebigkeit wenig Identifikationsmöglichkeiten bieten. 

Konsumobjekt Getränke Identitätsebene Anerkennung / Konsumeffekt Integration und Untenhaltung
Das Streben nach Anerkennung wird beim Erzähler unteranderem durch den Konsum von Getränken erreicht. Getränkemarken sowie spezifisches Trinkverhalten sind für ihn Mittel, andere in eine soziale Kategorie einzuordnen (Effekt der Untenhaltung) und gleichermassen dienen sie ihm dazu, sich mit exklusiven Gleichgesinnten zu vernetzten (Effekt der Integration).

Konsumobjekt Musik Identitätsebene Authentizität / Konsumeffekt Engagement 
Das Bedürfnis nach Authentizität wird auf einer identitätsstiftenden Ebene durch den Konsum von Musik abgedeckt. Das Hören von Musik ist der einzige Kontext, in dem der Protagonist eine Art Engagement zeigt. Musikstücke, die Situationen melodisch oder thematisch illustrieren, helfen ihm dabei, sich selbst in spezifischen Momenten als authentisch zu begreifen – denn sie verleihen den trivialen Situationen, in denen er sich durchgehend befindet, eine scheinbare Bedeutung. 

Konsumobjekt Nahrungsmittel Identitätsebene Authentizität / Konsumeffekt Entfremdung
Auf der Schattenseite des Konsums in Bezug auf die Identitätsebene der Authentizität beschreiben die Autoren den Effekt der Entfremdung. Dieser wird beim Protagonisten durch sein Verhältnis zu Nahrungsmitteln dargestellt. Zum einen kennt er weder Hunger- noch Sättigungsgefühl, weil seine Beziehung zu alimentären Konsumobjekten eine ambivalente ist. Sie ist von Ekel, Desinteresse und Zwiespalt geprägt und zum anderen wirkt sie unausgereift, was sich in der kindlichen Wahl seines Essens (wie Gummischlangen) zeigt. 


Quartett zu den Konsumobjekten des Faserland-Erzählers
Das gestalterische Produkt dieser Bachelorarbeit ist ein Kartenspiel – ein Quartett, welches mittels vierundzwanzig Spielkarten die relevantesten Konsumobjekte für den Faserland-Erzähler darstellt: Vom Ehrmann Pfirsich-Joghurt, über die Kurkarte von Sylt oder den oft konsumierten Roederer-Champagner, bis hin zu Tonträgern seiner Lieblingssongs. Basierend auf der Analyse zu konsumgeleiteter Identitätskonstruktion im Roman Faserlandbesteht das Quartett aus Konsumobjekten, die jeweils den im theoretischen Teil der Arbeit ausgeführten Identitätsebenen (Kohärenz, Anerkennung, Authentizität) und den dazugehörenden Konsumeffekten zugeordnet werden – je nach Kontext und Funktion des Konsums in Bezug auf das spezifische Objekt. Analog der schriftlichen Analyse werden die Konsum-«Objekt»-Kategorien des Quartetts eingeteilt in Hotels, Reisen, Getränke, Musik und Nahrungsmittel. Das gestalterische Endprodukt soll das kulturwissenschaftliche Thema visuell fassbar machen und somit dieses auch auf einer affektiven Ebene konzeptuell komplettieren. 

Beispiele der Faserland-Quartettkarten