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Sarah Huggler

Entwicklungsnarrative im Kontext des Kleinbasler Rotlichtmilieus – Einblicke in subjektive Raumkonstitutionen der Sexarbeit


Ausgangslage

Sexarbeit ist in der Schweiz seit 1942 eine legale Tätigkeit. Kantonal können Bestimmungen unterschiedlich ausfallen.[1]

Der Fokus meiner Arbeit liegt auf dem Zusammenhang von Sexarbeit und Raum resp. der Konstituierung von Räumen der Sexarbeit im städtischen Gefüge. In diesem Kontext habe ich den Fokus auf das Kleinbasler Rotlichtmilieu gelegt. Die als Rotlichtmilieu bekannte Zone in Basel befindet sich in der Kleinbasler Innenstadt, in der auch eine der beiden „Toleranzzonen“ angesiedelt ist, sprich jene Zonen, in denen Sexarbeiter:innen ihre Kundschaft im öffentlichen Raum ansprechen dürfen. Das Rotlichtmilieu liegt inmitten der pulsierenden Innenstadt, die sich stetig weiterentwickelt.

Dieses Gebiet unterliegt einer Transformation. Wo einst noch vermehrt Räume der Sexarbeit anzutreffen waren, ziehen nach und nach Gourmet-Tempel und urbane Bars ein. Auch im medialen Diskurs werden die Entwicklungen auf verschiedene Weise thematisiert, sowohl in Bezug auf die Raumnutzung und Raumaneignung als auch im Hinblick auf europapolitische Entwicklungen sowie Verdrängung/Gentrifizierung. Das Kleinbasler Rotlichtmilieu ist zudem umgeben von der kantonalen Entwicklungszone Innenstadt.[2]

Das Kerninteresse meiner Arbeit richtet sich auf die Wahrnehmung der Raumentwicklung und den damit einhergehenden kontextuellen Narrativen des Rotlichtmilieus. Wie wird der Raum der Sexarbeit durch die subjektiven Perspektiven der Befragten besetzt und welche (Entwicklungs-)Narrative gehen damit einher? Hierzu wurden drei Interviews mit Akteur:innen geführt, die im Rotlichtmilieu wohnen, die in der Gastronomie oder in der Beratung von Sexarbeiter:innen tätig sind und waren. Zusätzlich wurden mediale Beiträge sowie eine Petitionen der Bevölkerung in der Analyse berücksichtigt.

Mit dem relationalen Raumbegriff nach Martina Löw habe ich versucht, die verschiedenen Perspektiven und Narrative zur Raumentwicklung zu verorten. Löw versteht Raum als ein soziales Phänomen, das sich durch die Anordnung von sozialen Gütern und Menschen/Lebewesen an Orten konstituiert und relational betrachtet wird.[3]


Einblicke in einen Teil des Erkenntnisgewinns

So bunt, wie sich der mediale Diskurs äussert, so vielfältig sind auch die Erzählungen und Wahrnehmungen hinsichtlich der Raumentwicklung im Kontext des Kleinbasler Rotlichtmilieus, die in den geführten Gesprächen und Analysen zum Ausdruck kommen. Raumaneignungsprozesse, unterschiedliche Nutzungsformen und Lebensstile [4] innerhalb des Rotlichtmilieus werden im zeitlichen Verlauf verschieden wahrgenommen und skizziert. Entsprechend verlaufen die Narrationen in und über das Rotlichtmilieu so auf mannigfache Weise.

Das Hervorheben zeitlicher Bruchlinien ermöglicht den Erzählenden, ihre jeweils eigene Kontrastfolie hinter die Raumentwicklung zu legen und wahrgenommene Veränderungen und Differenzen zu markieren (früher versus heute, positive sowie negative Konnotation der Interaktionen unter Agierenden innerhalb des Rotlichtviertels). Die Raumnutzung, kulturelle Praktiken und Lebensstile erscheinen als mehrdimensionale Geflechte, die Flächen für Kollisionen und Zwiespälte offenbaren können. Dabei referieren die Befragten auf eine jeweils spezifische Raumordnung, die sich durch einen subjektiv wahrgenommenen Wandel verändert hat.

Die Ausführungen werden teils durch bürgerliche Geschlechtervorstellungen [5] (weiblich = häuslich-privat, männlich = öffentlich) sowie durch ein Othering [6] der Umgebung der Sexarbeit und der Sexarbeiter:innen selbst begleitet, was zu unterschiedlichen Konstruktionen der Subjektpositionen von Sexarbeiter:innen, aber auch Betreibenden von Etablissements führen kann. Mit der Raumerzeugung können Bilder von postkolonialem Nachgang einhergehen, die durch ein rassismusaffines Sprechen [7] erzeugt werden.

Insgesamt wird der Raumwandel durch (europa-)politische und ökonomische Modifikationen sowie durch eine Veränderung der Konsumpraktiken resp. Geschmacksmuster beschrieben. So konstituiert sich der Raum nicht nur unterschiedlich, sondern es sind auch die darin Agierenden, die mit unterschiedlichen Subjektpositionen, Zuschreibungen und Attributen behaftet sind. Auch werden Mechanismen der Verdrängung in den einzelnen Gesprächen beschrieben, die in der Literatur mitunter als Gentrifizierungsprozesse aufgefasst werden.

Die jeweilige Positionierung der Befragten zum und im Raum der Sexarbeit erzeugt so unterschiedliche Raumbilder und zeigt in diesem Sinne nach Löw auf, dass Raum ein soziales Phänomen darstellt, das sich auf unterschiedliche Weise konstituiert und aus jeweiliger Perspektive erzeugt wird. Die Wandlungszuschreibungen und Narrative fallen in diesem Kontext divergent aus. Obwohl durch die Erzählungen unterschiedliche Bilder entstehen, wird der Raum der Sexarbeit insgesamt als inhärenter Bestandteil der Innenstadt betrachtet.

Offen bleibt die Frage, wie sich das Rotlichtmilieu räumlich entwickeln und inwiefern dieser Raum der Sexarbeit künftig anderen Nutzungsformen weichen wird. Obwohl narrativ auf Verdrängungsmechanismen rekurriert wird, mag die Arbeit nicht einen fundierten Einblick in städtische Entwicklungen und Gentrifizierungsprozesse leisten.


[1] Wüest, Aline (Hg.): Piff, Paff, Puff. Prostitution in der Schweiz. Basel: Echtzeit Verlag, (2020) 2021; Hürlimann, Brigitte: Im Würgegriff der Paragrafen – und der Vorurteile. In: Gregories Naomi, Miriam Suter, Noëmi Landolt, u. a.: Ich bin Sexarbeiterin. Porträts und Texte. Zürich: Limmat, 2020, 55-65.

[2] Vgl. Beiträge in der Regionalpresse von 2013 bis 2022.

[3] Löw, Martina (Hg.): Raumsoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2019 (2001).

[4] Bourdieu, Pierre: Der Habitus und der Raum der Lebensstile. In: ders: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2018 (1987), 277-331.

[5] Ruhne, Renate: Der öffentliche Raum als Untersuchungsgegenstand und seine Verwobenheit in der Dichotomie von ,Öffentlichkeit‘ und ,Privatheit‘ In: dies. Raum Macht Geschlecht Zur Soziologie eines Wirkungsgefüges am Beispiel von (Un)Sicherheiten im öffentlichen Raum. Wiesbaden: VS, 2011, 93-108.

[6] Hubbard, Phil: Sexuality, Immorality and the City: Red-light districts and the marginalisation of female street prostitutes. In: A Journal of Feminist Geography (5) 1, 1998, 55-76; Weischer, Christoph, Rüdiger Lautmann: Othering. In: dies., Klimke, Daniela, Urs Stäheli u.a. (Hrsg.): Handbuch zur Soziologie. 6. Aufl. Wiesbaden: Springer, 2020 (1973), 562.

[7] Do Mar Castro Varela, Marìa, Paul Mecheril: Die Dämonisierung des Anderen. Einleitende Bemerkungen. In: dies. (Hg.): Die Dämonisierung des Anderen. Rassismuskritik der Gegenwart. Bielefeld: transcript Verlag, 2016, 7-20.