Zürcher Hexenprozesse: Urteile vs. Kundschaften

von Lea Estermann

Im folgenden Beitrag wird ein Hexenprozess näher in den Blick genommen, der im frühneuzeitlichen Zürich stattgefunden hat. Dabei wird das Ziel verfolgt, die verschiedenen Aspekte des vorherrschenden Hexenbildes in der Obrigkeit und in der Bevölkerung miteinander zu vergleichen, indem ein Urteil eines Hexenprozesses mit den dazugehörigen Kundschaften abgeglichen wird. Dieser Untersuchung liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Vorstellungen vom Übernatürlichen in den verschiedenen Ständen der frühneuzeitlichen Gesellschaft deutlich voneinander unterschieden. Zudem wird gezeigt, dass im endgültigen Urteil die Perspektive der Obrigkeit zu Tage tritt, die mit dem kumulativen Hexenbild der Frühen Neuzeit übereinstimmt.


Am 21. Juli 1603 wird im zürcherischen Küsnacht das Urteil des Hexenprozesses gegen Anna Sydler aus dem Weiler Heslibach verkündet. Das Urteil: Todesstrafe. Sydler ist nicht die Einzige, die ein solches Schicksal ereilt, denn die Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit forderte gemäss der heutigen Forschung zwischen 50’000 bis 60’000 Todesopfer in Europa.1 In dem untersuchten Fall wird Anna Sydler der Leugnung Gottes, des mehrmaligen Beischlafs mit dem Teufel sowie diverser Schadenzauber bezichtigt, sodass die Obrigkeit am Ende die Todesstrafe verhängte.

In diesem Blogbeitrag soll es darum gehen, die oben genannten Punkte, die letzten Endes zum genannten Urteil führten, genauer zu beleuchten und mit den dem Urteil zu Grunde liegenden Kundschaften abzugleichen. Bei der Betrachtung dieses Urteils fällt schnell auf, dass die Aussagen stark formalisiert sind und stets einem bestimmten Muster folgen: Auf die erste Begegnung mit dem Teufel, der in Gestalt eines attraktiven Mannes auf einem Pferd angeritten kommt und die hilflose Frau mit finanziellen Versprechen verführt, folgt die Entsagung Gottes sowie mehrmaliger «schändliche[r] Mutwillen»2 ‒ eine Umschreibung für den Geschlechtsakt mit dem Teufel. Es fragt sich folglich, ob diese Anschuldigungen auch bei den Ankläger*innen vorzufinden sind oder ob es sich bei dieser Darstellung um eine Sichtweise handelt, wie sie die weltliche Obrigkeit vertrat, die das Delikt der Hexerei letztendlich ahndete.

Nach diesen Ausführungen ‒ Verführung durch den Teufel und Abfall von Gott ‒ erwähnt das Urteil konkret die Vorwürfe, die den Kundschaften entstammen; also die Vorwürfe der Schadenszauberei. So wird Anna Sydler vorgeworfen, in den letzten 14 Jahren rund neun verschiedene Schadenzauber verübt zu haben, welche alle unter der Nennung des Namens des Teufels erfolgt oder auf dessen Verlangen hin verübt worden seien.

Hier stellt sich die Frage, wie die in den Zeugenaussagen erwähnten Taten in den Urteilen wiedergegeben, wie sie benannt und bewertet werden und ob sich eine Diskrepanz zwischen Aussagen und Urteil finden lässt. In dem besprochenen Fall fand die Zeugenbefragung durch den Obervogt von Küsnacht am 19. Juli 1603 statt, also zwei Tage vor der endgültigen Urteilsverkündung. In den Kundschaften werden die Aussagen von sieben Personen wiedergegeben, die sich inhaltlich alle sehr ähneln. Am prominentesten erscheint dabei der Vorwurf des Schadenzaubers, der vor allem gegen Nutztiere, teilweise aber auch gegen Menschen gerichtet gewesen sein soll. Interessant ist derweil, dass der Teufel in keiner der Aussagen erwähnt oder der Angeklagten eine Verbindung zu diesem vorgeworfen wird, während alle Anklagepunkte im Urteil in direkter Verbindung zum Teufel stehen. Dieser Befund weist auf eine klare Diskrepanz zwischen der Vorstellung der Bevölkerung und der Obrigkeit in Bezug auf die Hexereivorwürfe hin.

Eine weitere Gemeinsamkeit in den Zeugenaussagen besteht in der beschriebenen sozialen Stellung der Angeklagten Anna Sydler. So beschreibt beispielsweise Hans Hermatschwyler, dass «er und sein Volk sie […] gescheut» hätten; bei einem grösseren Viehsterben «habe man allweg viel auf die Sydlerin geargwohnt, aber ohne Grund».3 Diese Aussagen geben einen Hinweis darauf, dass die Angeklagte in der Dorfgemeinschaft allgemein keine gute Stellung innehatte und von der Bevölkerung gemieden, wenn nicht gar geächtet wurde. Dass vor allem jene Personen der Hexerei bezichtigt wurden, die in der Gemeinschaft ohnehin kein gutes Ansehen genossen, betont auch der Historiker Malcolm Gaskill, wenn er schreibt, dass Vorwürfe meistens Frauen angelastet wurden, die in jene speziellen sozialen Beziehungskonstellationen hineinpassten, die unter Nachbarn konfliktträchtig und angstbesetzt waren.4

Auffällig ist, dass alle Vorwürfe, die seitens der Kundschaft gegen Anna Sydler geäussert wurden, keine explizit übernatürlichen oder teuflischen Erklärungen lieferten, sondern lediglich einen negativen und unerklärbaren Sachverhalt in direkte Verbindung mit Sydler brachten. Den Kundschaften lässt sich zwar entnehmen, dass Anna Sydler als aussenstehende und bösartige Person wahrgenommen wurde, jedoch wird sie nie direkt als Hexe bezeichnet oder mit Aspekten des elaborierten Hexenbildes in Verbindung gebracht.5 Diese Aspekte, wie sie dann letztlich im Urteil auftauchen – die Gottesleugnung, die Buhlschaft mit dem Teufel und Zauberei im Namen des Teufels – sind in keiner der Kundschaften zu finden.

Diese Tatsache lenkt den Blick schliesslich auf die Obrigkeit, die in diesen Hexenprozess involviert war. Neben dem Zürcher Rat, der den Prozess führte, beteiligten sich unter anderem namentlich der Säckelmeister Johann Escher, der Obervogt von Küsnacht und Fähnrich Holtzhalb, welcher die Befragungen der Zeug*innen durchführte, daran. Den zusätzlichen Untersuchungsakten zum Prozess gegen Anna Sydler lässt sich entnehmen, dass der Küsnachter Obervogt die Angeklagte zwei Mal verhörte. Während des ersten Verhörs nimmt Sydler direkten Bezug auf die Vorwürfe, die von den Kundschaften ausgingen, wobei sie diese allesamt bestreitet. In diesem Verhör gibt der Protokollführer die Worte der Angeklagten noch relativ ausführlich in indirekter Rede wieder, weshalb man in diesem Dokument einen Einblick in die Schilderungen und Berichten des Tathergangs der Verdächtigten erhält. Auch in diesen Akten wird der Teufel nicht erwähnt, vielmehr werden die bereits in den Kundschaften geschilderten Konflikte aufgegriffen und aus einer anderen Perspektive wiedergegeben.

Interessant ist schliesslich das Protokoll des zweiten Verhörs, bei dem Anna angeblich ohne Pein und Marter die vermeintlichen Treffen mit dem «bösen Geist» sowie die Schädigungen von Mensch und Vieh gestand. An dieser Stelle muss danach gefragt werden, weshalb bis zu diesem Punkt während des gesamten Prozesses keine teuflischen Motive genannt werden, während beim zweiten Verhör eine ganze Ballung solcher Teufelsvorstellungen zu Tage treten. Auch wenn Anna Sydler keiner tatsächlichen Folter ausgesetzt war, so kann davon ausgegangen werden, dass ihr diese zumindest angedroht wurde, denn meist reichte dies bereits, um ein Geständnis zu erzielen. Die durch die Androhung der Folter in die Enge getriebene Sydler muss auf die Suggestivfragen des Küsnachter Obervogtes geantwortet haben, in denen der Teufel schliesslich eine prominente Rolle einnahm.

Um auf die angesprochene Diskrepanz zwischen den Vorstellungen von Hexerei der Bevölkerung und der Obrigkeit zurückzukommen, kann festgehalten werden, dass die Vorstellungen, wie sie dem Urteil Sydlers zu entnehmen sind, nicht mit jenen der Bevölkerung übereinstimmen. Vielmehr zeigt sich eine starke Tendenz dahingehend, dass es sich bei der Teufelsbuhlschaft und dem Abfall von Gott vornehmlich um eine Vorstellung handelte, die von der Obrigkeit vertreten wurde, während die Bevölkerung in erster Linie eine plausible Erklärung für Schäden an Vieh und Mensch suchte.


  1. Diese Schätzung ist mit grosser Vorsicht zu geniessen, da sich die genaue Zahl nicht rekonstruieren lässt. Vgl. Rummel, Walter/Voltmer, Rita: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2008 (Geschichte Kompakt). []
  2. StAZH B VI 365, Gerichtsurteil Anna Sydler vom 21.07.1603, zit. nach Sigg, Otto (Hg.): Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich. Vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauischen Kelleramt. Dokumentation zu den 79 mit Todesurteil endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich 1487-1701, Frick 2012, hier S. 107f. []
  3. StAZH A 27.161, Aussage Hans Hermatschwyler, 19.07.1603, zit. nach ebd., S. 109. []
  4. Gaskill, Malcolm: Hexen und Hexenverfolgung. Eine kurze Kulturgeschichte, Stuttgart 2013, hier S. 82. []
  5. Zum elaborierten Hexenbild vgl. Bettlé, Nicole: Wenn Saturn seine Kinder frisst. Kinderhexenprozesse und ihre Bedeutung als Krisenindikator, Bern 2013 (Freiburger Studien zur Frühen Neuzeit 15), hier S. 50. []