„Du rotte und blutige Mutter“: Frauensegen und frühneuzeitliche Vorstellungen des weiblichen Körpers

Von Johanna Russ

Der Glaube an Segenssprüche in der Behandlung von „Frauenbeschwerden“ wie Unterleibsschmerzen war in der Frühen Neuzeit ein verbreitetes Phänomen. Eine Betrachtung einiger solcher Segenssprüche, die in einem Arzneibuch aus dem 17. Jhd. überliefert sind, zeigt, dass im Mittelpunkt dieser sogenannten Frauensegen stets eine bestimmte Vorstellung des weiblichen Körpers steht, die vor allem den Uterus als bewegliches und potenziell gefährliches Organ in den Fokus rückt. In dieser Körperkonzeption vereinen sich medizinische und religiöse Diskurse, die bis in die Antike zurückreichen. Die vorliegenden Segenssprüche geben so einen ersten Einblick in das frühneuzeitliche Verständnis des weiblichen Körpers und veranschaulichen die Beständigkeit historischer Praktiken und Vorstellungen.


„Vyl gueti Rothschläg für Mänsche und Vych“ verspricht ein Arzneibuch aus dem 17. Jhd., welches vermutlich ursprünglich aus der Innerschweiz stammte, aber im Berner Gebiet zur Verwendung kam, seinen Leser*innen. Nebst einer Vielzahl anderer Praktiken zur Bewältigung des alltäglichen Lebens finden sich darin auch mehrere sogenannte Frauensegen, die Hilfe bei Geburt oder Menstruationsschmerzen leisten sollten. Hierbei handelte es sich keineswegs um Raritäten: Zaubersprüche und Segen zur Behandlung von „Frauenbeschwerden“ sind bereits für das 10. Jhd. belegt und waren mindestens bis ins 18. Jhd. hinein verbreitet.1 Dementsprechend ergeben sich in den Frauensegen aus dem besagten Arzneibuch sowohl formale als auch inhaltliche Berührungspunkte mit bekannten antiken und mittelalterlichen Praktiken. Im Zentrum steht dabei stets der Körper der Frau, der abwechselnd beschworen und geheilt werden sollte, und sowohl als Ursache wie auch als Opfer von Krankheiten verstanden wurde. So gewähren die Quellen einen faszinierenden Einblick in das frühneuzeitliche Verständnis des weiblichen Körpers – das Ergebnis ist ein komplexes Bild, in dem die Grenzen unseres heutigen Verständnisses von Religion und Medizin verschwimmen.

Formal betrachtet lassen sich zunächst schriftliche und mündliche Segensformen unterscheiden. Erstere bestehen aus Anleitungen, die erfordern, dass bestimmte Worte exakt abgeschrieben und anschliessend am Körper der betroffenen Frau befestigt werden. So rät einer der Texte „wann ein frauw in kinds nöhten liegt, so leg ihr diesen brief under, so wird sie bald gennäsen.“2 Aus dem expliziten Verweis auf einen „brief“ lässt sich schliessen, dass es sich hierbei um einen sogenannten „Geburtsbrief“ handelt – eine populäre Praktik, die sich bereits für das Mittelalter nachweisen lässt. Der eigentliche Brief, der am Körper der Gebärenden angebracht werden sollte, bestand dabei meist aus lateinischen Formeln, mit denen Heilige und Bibelfiguren, die mit Geburt und Fruchtbarkeit assoziiert wurden, um Hilfe angerufen wurden.3 Dementsprechend erwähnt auch der vorliegende Geburtsbrief beispielsweise „Maria“ oder „Elisabeth“, die biblische Mutter von Johannes dem Täufer. Dies zeigt, dass solche Segen nicht nur „die Grenzen zwischen Volksmagie und Gebet“4, sondern auch die zwischen reformiertem und katholischem Glauben verwischen: Die Anrufung von Heiligen wurde im Zuge der Reformation abgelehnt und kann deshalb als katholisches Phänomen gesehen werden.5 Dass das Arzneibuch wohl auch im reformierten Bern konsultiert wurde, könnte als Hinweis darauf gedeutet werden, dass hier der Glaube an Heilige – zumindest im Rahmen von Frauensegen – weiterhin populär war. Grundsätzlich gilt es jedoch anzumerken, dass die Anwendung solcher Segenssprüche ohnehin vom Klerus untersagt wurde: viele Geburtssegen wurden zwar vermutlich ursprünglich von Geistlichen verfasst, von der Kirche aber bereits Ende des 13. Jhds. explizit abgelehnt.6

Auch in mündlichen Segen finden sich zahlreiche Bibelbezüge. Im Gegensatz zu schriftlichen Formeln handelt es sich hier jedoch weniger um Anleitungen als um eine Art von „Zauberformeln“, die gesprochen wurden und so bei der Heilung von Krankheiten behilflich sein sollten. In beiden vorliegenden Exemplaren dieser Art sollten die Segen spezifisch bei Unterleibsschmerzen Linderung verschaffen. Folglich kann dabei von Bannzaubern gesprochen werden, da jeweils eine Krankheit aus dem Körper „ausgetrieben“ werden sollte. Jedoch wird in den erwähnten Beispielen, im Gegensatz zu anderen Bannsegen, nicht die abzuwendende Krankheit an sich adressiert7, sondern stets die Gebärmutter selbst. Dies steht in direktem Zusammenhang mit frühneuzeitlichen Vorstellungen des weiblichen Körpers. Den sogenannten „Gebärmuttersegen“ liegt nämlich die Annahme zugrunde, der Uterus könne sich im Körper frei bewegen und so verschiedene Krankheiten verursachen. Dabei handelt es sich um eine Theorie, die schon von Hippokrates (ca. 460-377 v. Chr.) beschrieben wurde und sich bis in die Frühe Neuzeit hielt. Das Ziel dieser Segen war es dementsprechend, die Gebärmutter mit Hilfe von göttlicher Macht, die sich die Sprecher*innen durch den Segen zu eigen machten, wieder an ihren ursprünglichen Platz zu bewegen.8 Aus diesem Grund beinhaltet einer der vorliegenden Segen beispielsweise die Worte „amen bärmutter, ich beschwere dich an das orth, da dir gott hinbott.“9 Ein anderer beginnt mit den Worten „Ich beschweren dich, du lebendige bärmuter.“10 Das Attribut „lebendig“ unterstreicht hier, wie der Gebärmutter im Kontext dieser Vorstellungen ein gewisses Eigenleben zugeschrieben wurde. Das Organ erhielt so einen speziellen Stellenwert im weiblichen Körper, dem die Macht zugeschrieben wurde, den Körper aus dem Gleichgewicht zu bringen. Den Verweis auf den „orth, da dir gott hinbott“ verstärkt diesen Eindruck, da hier die schmerzhafte vermeintliche Bewegung der Gebärmutter mit der Zerstörung einer Ordnung assoziiert wird, die sowohl physiologischer als auch göttlicher Natur ist. Der weibliche Körper war demnach stets in Gefahr, ausser Ordnung zu geraten und die personifizierte Gebärmutter wurde immer auch als potenziell gefährlich wahrgenommen. Die problematische Stellung des Uterus im weiblichen Körper spiegelt sich auch darin wider, dass sie als Adressatin in solchen Segen geradezu mit der zu behandelnden Krankheit gleichgesetzt wurde. Im Gegensatz zu anderen Bannzaubern, in denen eine Krankheit gebannt, sprich aus dem Körper vertrieben werden soll, wird sie hier als dem weiblichen Körper inhärent gesehen. Dies zeigt sich auch darin, dass das frühneuzeitliche Wort „bärmutter“ sowohl für das Organ selbst als auch synonym für verschiedene Krankheiten wie „Mutterkrankheit“, „Kolik, Bauchweh“ oder „Magenbeschwerden, krampfhaftes Aufstossen“11 verwendet wurde.

Aus den zahlreichen Bibelbezügen in den Segen ergeben sich ebenfalls Implikationen für das weibliche Körperbild. So wird besonders in einem der beiden die „rotte und blutige mutter“ dem „reynen lyb, der jungfrau Maria“12 entgegengesetzt. Der explizit „reyne“ Körper Marias verweist hier auch unweigerlich auf sein Gegenteil, vor allem da die Gebärmutter gleich doppelt („rotte und blutige“) mit Menstruationsblut assoziiert wird. Dieser Vergleich zwischen Menstruationsblut und Unreinheit wird bereits in der Bibel gezogen.13 Trotz gewisser teils ambivalenter Bewertungen war Blut nahe mit Verunreinigung verknüpft – weshalb Maria in Darstellungen stets davon abgegrenzt wurde.14 Dies spiegelt sich auch in der frühneuzeitlichen Vorstellung wider, eine Stauung von Menstruationsblut würde das Wandern der Gebärmutter erst verursachen,15 was den engen Zusammenhang von Blut, Uterus und Krankheit in dieser Quelle erklärt. Die blutige Gebärmutter wird hier nicht nur Maria, sondern in einem weiteren Schritt auch „dem h[eiligen] blut“ und „den h[eiligen] 5 wunden“12 Jesu gegenübergestellt. So entsteht eine Dichotomie zwischen dem Sakralen und dem Profanen, dem Reinen und Unreinen. 

Die Betrachtung der Frauensegen im erwähnten Arzneibuch zeigt, wie sich in solch scheinbar „trivialen“ Segensformeln frühneuzeitliche Konzepte bezüglich des weiblichen Körpers widerspiegeln. Sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene lassen sich die Segenssprüche in eine Reihe bekannter historischer Praktiken und Ideen einordnen. Weit entfernt davon, blosser „Aberglaube“ zu sein, greifen die Segenssprüche bekannte Vorstellungen auf und partizipieren so in Diskursen über Medizin, Weiblichkeit und Religion. Vor dem Hintergrund des Glaubens an einen wandernden Uterus galt es stets, den weiblichen Körper im Gleichgewicht zu halten – ein Gleichgewicht, dass immerzu in Gefahr war, schmerzhaft auseinanderzugeraten.

  1. Vgl. Kruse, Britta-Juliane: Die Arznei ist Goldes wert. Mittelalterliche Frauenrezepte, Berlin, New York 1999, hier S. 42f und S. 54ff. []
  2. StABE, DQ 688, Vyl guethi Rothschläg für Mänsche und Vych, Nr. 17. []
  3. Vgl. Kruse: Die Arznei ist Goldes wert, S. 46 und S. 53f. []
  4. Vgl. ebd., S. 42. []
  5. Vgl. Barth, Hans-Martin: ‘Heilige/Heiligenverehrung: III. Dogmatisch, 3. Evangelisches Verständnis’, in: Religion und Geschichte in Gegenwart, online unter: https://referenceworks.brillonline.com/entries/religion-in-geschichte-und-gegenwart/heiligeheiligenverehrung> [Stand: 09.09.20]. []
  6. Vgl. Kruse: Die Arznei ist Goldes wert, S. 54. []
  7. Vgl. Ohrt, Ferdinand: ‘Verbannung’, in: Hoffmann et al. (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 10 Bde., Bd. 8, Berlin 1974, Sp. 1546-8. []
  8. Vgl. Kruse: Die Arznei ist Goldes wert, S. 44. []
  9. StABE, DQ 688, Vyl guethi Rothschläg für Mänsche und Vych, Nr. 105. []
  10. Ebd., Nr. 24. []
  11. ‘Bärmueter’, in: Ott et al. (Hg.): Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, 17 Bde., Bd. 4, Frauenfeld 1901, Sp. 595. []
  12. StABE, DQ 688, Vyl guethi Rothschläg für Mänsche und Vych, Nr. 24. [] []
  13. Vgl. Kruse, Britta-Juliane: Verborgene Heilkünste. Geschichte der Frauenmedizin im Spätmittelalter, Berlin, New York 1996, hier S. 223. []
  14. Vgl. Rubin, Miri: Blood and the Virgin Mary, in: Santig, Catrien / Touber, Jetzte (Hg.): Blood – symbol – liquid, Leuven 2012 (Groningen studies in cultural change 44), S. 1-15, hier S. 10. []
  15. Vgl. Kruse: Die Arznei ist Goldes wert, S. 3. []