Von Sarah Murer
Die protestantische Reformation brachte wichtige Neuerungen bezüglich des Glaubens und der damit verbundenen Praktiken der Gläubigen mit sich. In diesem Blogbeitrag werden die Ansichten der reformierten Kirche bezüglich Besessenheit und Exorzismus anhand der Texte von Heinrich Bullinger und Bartholomäus Anhorn von Hartwiss aufgearbeitet, und durch Forschungsliteratur kontextualisiert. In einem wichtigen ersten Schritt werden die Begriffe Besessenheit und Exorzismus definiert, wonach der vorhergehende Glaube der katholischen Kirche aufgezeigt wird. Die zwei Schweizer Geistlichen erklären, dass der Teufel, von Gott angeordnet, von einer Person Besitz ergreifen könne, dass der Exorzismus aber verboten sei. Stattdessen werden Gebete und Arzneien verordnet, und der Besessene soll auf Gottes Gnade warten, während sichergestellt wird, dass er weder sich selbst noch anderen schaden könne.
Nachfolgend soll eruiert werden, was die reformierte Sicht auf Besessenheit und Exorzismus in der Frühen Neuzeit war. Zur Beantwortung werden ausgewählte Schriften zweier reformierter Geistlichen – Heinrich Bullinger (1504 -1575) und Bartholomäus Anhorn von Hartwiss (1616 – 1700) – mit der Forschungsliteratur abgeglichen. Als Besessenheit wird im Folgenden die Inbesitznahme eines Menschen durch eine übernatürliche Kraft bezeichnet, und der Exorzismus als deren Austreibung.
Wichtig ist zu wissen, dass die Quellen aus den Jahren 1571 und 1665 stammen und in reformierten Gebieten gedruckt wurden. Vorstellungen von Besessenheit und des Exorzismus waren aber nicht neu, sondern gehen auf das Mittelalter zurück. Auch von katholischer Seite befasste man sich noch im 17. Jahrhundert mit dem Thema. 1614 wurde das Rituale Romanum veröffentlicht, welches unter anderem die Praxis des Exorzismus regelte, und die in einer erneuerten Fassung bis heute gültig ist. Eine besessene Person musste danach mehrere Wörter aus einer fremden Sprache sprechen oder verstehen, Wissen über Entferntes oder Verborgenes haben, und über sein bzw. ihr Alter oder physische Verfassung hinaus Kräfte zeigen. Der Exorzismus ist im katholischen Glauben die Austreibung böser Geister und wird von einem Exorzisten, meist einem Priester, im Namen Jesu Christi durchgeführt; der Exorzist ringt meistens mit den Dämonen, doch schlussendlich ist es Jesus selbst, der sie vertreibt. Dazu betonen katholische Gelehrte die Namen und die Vollmacht Marias und des Erzengels Michaels, die in diesem Ritual wichtig sind. Die Besessenheit muss eindeutig festgestellt werden, wozu ein Probeexorzismus gebraucht werden kann: In Gedanken – unbemerkt vom Besessenen – wird eine Aufforderung zum Ausfahren gesprochen, und wenn sich darauf Trancezustände, Unruhe, Aggressivität und Blasphemie zeigen, wird das als eindeutiges Zeichen für Besessenheit gesehen.1
Die Herbeiführung von automatischer Seligkeit durch ritualisierte Praktiken wurde mit der Reformation für unmöglich befunden.2 Allein der Glaube an Gott hatte Auswirkungen auf das Seelenheil einer Person, der Glaube wurde verinnerlicht. Das altgläubige bzw. katholische Ritual konnte aufgrund dessen nicht mehr durchgeführt werden, womit die Antwort auf Besessenheit angepasst werden musste: Laut einem 1569 verfassten Traktat von Ludwig Lavater war die richtige Reaktion sowohl auf Besessenheit als auch Gespensterplagen das Beten und Fasten.3 Bullingers im Jahr 1571 verfasste Schrift Wider die Schwarzen Künste, war mit diesem Hintergrund nicht originell, sondern gefüllt mit bekannten Argumenten der reformierten Zürcher Theologen und Gelehrten aus anderen Orten, was auch den repräsentativen Aspekt der Zürcher Theologie widerspiegelt.4 Dabei ist gemäss Bullinger wichtig, dass Gott die sogenannten schwarzen Künste als Gegenmittel verboten und stattdessen Arzneien verschrieben hatte. In den schwarzen Künsten wurde eine sofortige, aber verbotene Lösung gesehen. Bullinger schreibt, dass der Exorzismus machtlos sei. Er argumentiert, dass der Teufel dem Exorzisten durch den rituellen Charakter die Illusion von Macht verleihe, in Wahrheit jedoch die Exorzisten äffe und glaubensschwache Personen verführe. Die Besessenheit sei als göttliche Strafe für die Sünden der Menschen, die sie befällt, zu verstehen und gleichzeitig eine Versuchung ihres Glaubens.5
Bullinger schreibt in Wider die Schwarzen Künste unter Punkt II. über den Exorzismus. Darin erwähnt er, dass «gnad und gab in der alten kilchen xin, dz die bösen fyend uss den besässnen ussgetriben worden sind»,6 dass aber Jesus und seine Apostel den Exorzismus weder selbst gebraucht haben noch die Nachwelt instruierten, ihn zu verwenden. Deshalb gehört der Exorzismus laut Bullinger zu den Superstitionen und den verbotenen Künsten. Den besessenen Personen könne aber dennoch geholfen werden: Es soll für sie in der Kirchengemeinde gebetet werden, sie benötigen Arzneien, und sollen verwahrt werden, damit sie weder anderen noch sich selbst schaden können. Letztendlich unterstünden sie der Gnade Gottes.7
Auch im 17. Jahrhundert stellte die Besessenheit ein Thema für reformierte Geistliche dar. Anhorn schreibt in seiner Schrift über die Zorn-Zeichen Gottes ebenfallsüber die Besessenheit. Laut ihm würden sich viele Beweise für die Realität von Besessenheit finden, unter anderem in «[der] heilige[n] Evangelische[n] Histori»,8 die geistliche sowie die weltliche Geschichte, wie auch gegenwärtige Exempel.9 Er definiert sie so, dass «der lebendig Teuffel […] leibhafftig in den lebendigen Leib eines Menschen einfähret / denselbigen würklich besizet / kläglich plaget /erbärmlich marteret / grewlich reisset / auch etwann taub / stumm vnd blind machet / zu Boden wirffet / vnd in andere Weg mißhandlet […].»10 Wichtig ist dabei, dass der Teufel nur Macht über den Körper hat, nicht aber über die Seele, weil ihm Gott diese Macht nicht zulässt.11 Die Ursache für eine Besessenheit lässt sich laut Anhorn in zwei Kategorien unterteilen: In die allgemeine Ursache – die Sünde – und sonderbare Ursache, zu der Unglauben, Verachtung und Missbrauch der Heiligen Sakramente durch Zauberei, und Verfluchung durch sich selbst oder andere zählt.12
Zusammenfassend kann also Folgendes über die reformierte Sicht auf Besessenheit festgehalten werden: Der Teufel ergreift laut Anhorn Besitz über die Körper der Menschen, die ihm von Gott erlaubt wurden, und straft sie physisch für ihren Unglauben und ihre Sünden. Die reformierte Antwort war nach Bullinger nicht mehr der Exorzismus, also das rituelle Austreiben des Teufels durch einen Priester, sondern das Gebet, Arzneien, und Verwahrung. Die magischen Praktiken von den Menschen zu Gott war zwecklos, allein der richtige Glaube führte zur Seligkeit, weshalb Rituale wie der Exorzismus keine Kommunikation mit Gott, sondern Irreführung durch den Teufel waren.
- Vgl. Székely, Dénes: Theologie und Praxis des Exorzismus in der römisch-katholischen Tradition, in: Studia Universitatis Babes-Bolyai – Theologia Catholica Latina 2 (2007), S. 121-131, hier S. 129f. [↩]
- Vgl. Scribner, Robert W.: The Reformation, Popular Magic, and the „Disenchantment of the World“, in: The Journal of Interdisciplinary History 3 (1993), S. 475-494, hier S. 482. [↩]
- Vgl. Szarka, Eveline: Von Toten und Teufeln. Reformation und Geisterglaube, in: Peter Niederhäuser (Hg.): Verfolgt, verdrängt, vergessen? Schatten der Reformation, Zürich 2018, S. 148-157, hier S. 151-154. [↩]
- Vgl. Gordon, Bruce: God Killed Saul. Heinrich Bullinger and Jacob Ruef on the Power of the Devil, in: Kathryn A. Edwards (Hg.): Werewolves, Witches, and Wandering Spirits. Traditional Belief and Folklore in Early Modern Europe (Sixteenth Century Essays & Studies), Kirksville 2002, S. 155-179, hier S. 157. [↩]
- Vgl. ebd., S.169-173. [↩]
- Bullinger, Heinrich: Wider die schwarzen Künste, 1571. Bearbeitet durch Rainer Henrich, 2002, online unter: <http://www.rainer-henrich.ch/schwarzkunst.html> [Stand: 23.04.2020]. [↩]
- Vgl. ebd. [↩]
- Anhorn von Hartwiss, Bartholomäus: Christliche Betrachtung der vielfältigen, sich dieser Zeit erzeigenden Zorn-Zeichen Gottes, und Vorbotten seiner gerechten Straffen, Basel 1665, hier S. 351. [↩]
- Vgl. ebd., S. 353. [↩]
- Ebd., S. 355f. [↩]
- Vgl. ebd., S. 356. [↩]
- Vgl. ebd., S. 361ff. [↩]