Ethnografische Vignette

Die Schweiz, das sind das Matterhorn, Schokolade und Schweizerdeutsch. Zumindest sind dies die ersten drei Worte, die meiner Interviewpartnerin einfallen, wenn sie an die Schweiz denkt. Dabei gibt sie selbst als „lebenslange Schweizerin“ zu, dass es sich eigentlich um relativ klischeemäßige Antworten handelt, die auch „Nicht-Schweizer“ geben könnten. Doch warum verbindet sie genau diese Wörter mit der Schweiz?

„Das Matterhorn ist ja schon irgendwie ein Wahrzeichen, das sehe ich ständig auf Postkarten, Schokolade ist unser Produkt und Schweizerdeutsch spreche ich schon immer.“

Als ich meine Interviewpartnerin nach ihrer eigenen Idee der Schweizer Identität frage, bezieht sie sich überraschenderweise direkt auf das Seminarthema ‚La Suisse n’existe pas‘. Für sie gibt es keine einzige Schweizer Identität, da das Herausbilden von Identitäten auch mit der Schweizer Geschichte zusammenhänge. Sie als ursprüngliche Freiburgerin, hat auch in ihrer zweisprachigen Heimatstadt öfter mal gemerkt, wie es beispielsweise in der Schule kaum einen Austausch zwischen deutsch- und französischsprachigen Klassen gab. Die Schweizer Identität hängt für sie aber nicht nur von den verschiedenen Sprachen, sondern auch von den Kantonen ab.

 „Weißt du, die Schweiz lässt sich ganz gut beschreiben durch den Kantönligeist.“

Jeder Kanton habe in gewisser Weise ziemlich viel Autonomie und könne vieles selbst entscheiden. Für sie findet das Denken somit eher auf kantonaler als auf nationaler Ebene statt. Dies zeige sich auch durch die vielen „Geistwörter“, wie beispielsweise „Kantönligeist“ oder „Bündli“. Gegenüber dem Ausland werde aber auch eine nationale Identität sichtbar.

„Gegenüber anderen sieht man sich immer als einzelnes Land, aber im Land dominieren dann die Kantönligeister. Ich glaube, auf nationaler Ebene sind wir dann auch Stolz auf die Demokratie und darauf ein so diverses Land zu haben.“

Eine typische Schweizer Gewohnheit ist für sie das Schimpfen auf die SBB.

„Die Schweizer wollen halt immer, dass alles nach Plan läuft. Wenn die SBB einmal Verspätung hat, sind alle direkt das Gegenteil von relaxed. Aber zum Beispiel die Leute in Bern. Denen sagt man nach, dass sie eher langsam sind und chillen. Da gibt es wieder Unterschiede.“

Als ich sie frage, ob sie auch selbst kulturelle Gewohnheiten hat, gibt sie zu, dass sie sich teilweise auch über den Schweizer ÖV aufregt, wenn mal etwas nicht klappt, da man es einfach nicht gewohnt sei. Da jedoch Züge nicht nur in der Schweiz zu spät kommen, kann sie schwer sagen, ob diese Gewohnheit das Schweizer sein widerspiegelt.

Gewohnheiten, die für Ausländer schwierig nachzuvollziehen seien, wären wohl die Tatsache, dass sie in der Schweiz eine andere Sprache sprechen als schreiben, in der Politik direkt abstimmen und an der Fastnacht einige Bräuche haben.

„In Freiburg verbrennen wir den Rababou. Das ist ein riesiger Strohmensch, der schlechte Geister vertreiben soll“

Und was glaubt sie, denken Fremde generell so über die Schweizer?

„Also wir könnten schon als ausländerfeindlich wahrgenommen werden, weil die SVP ziemlich laut gesagt hat, dass sie keine Einwanderer wollen. Aber auf der anderen Seite könnten wir auch offen wirken, weil viele Ausländer in großen Städten leben. Generell wirken wir aber glaube ich ähnlich zu den Nachbarländern, da es Gemeinsamkeiten in den Kulturen gibt.“

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