Pornokonsum im Internet – Zwischen Pressefreiheit und Jugendschutz

Pornokonsum im Internet – Zwischen Pressefreiheit und Jugendschutz

Kommt dir dieses Geräusch bekannt vor?

Wenn du es erkennst und bereits nostalgische Bilder aus der Kindheit und Jugend in deinem Kopf erscheinen, dann bist du wie ich in den 90er-Jahren aufgewachsen. Damals waren diese Töne die Pforte in eine neue Welt. Die Welt des ‚World Wide Web‘!

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als 1998 das Internet auch zu mir nach Hause kam. Damals gab es keine bessere Freizeitbeschäftigung, als sich einen Migros-Eistee im Tetrapak mit (ganz wichtig) Strohhalm zu krallen und sich vor den Computer zu setzen, um mit seinen Freund:innen zu chatten, die man gerade eben noch in der Schule gesehen hatte.
Sehr zum Leid meiner Mutter, die damals eine grosse Leidenschaft für das Telefonieren hegte, war der Zugang zum Internet der Telefonanschluss. Die Wahl zwischen Telefon und Internet war für uns Kinder leicht – sie fiel logischerweise aufs Internet. Auch wenn wir keinen Plan hatten, was wir genau darin anstellen sollten.
Wer definitiv einen Plan hat, was er im Internet finden will, ist Truls Krane Mebys Protagonist, der 12-jährige Norweger Mads. In Mebys Kurzfilm Verdensvevde Kropper (Wold Wide Woven Bodies) aus dem Jahr 2015 entdeckt Mads „das wahre Potenzial des Internets – Pornos. Dies verkompliziert die Beziehung zu seinen Eltern, und ihr Haus wird zu einem Minenfeld voller unangenehmer Interaktionen“1.


Verdensvevde Kropper (Wold Wide Woven Bodies) von Truls Krane Meby 2015. Quelle: Vimeo ©Truls Krane Meby, nfi.no

Nicht nur Mads, sondern auch ich und viele andere Jugendliche von damals hatten ihre erste willentliche Begegnung mit Pornografie durch das Internet. Bei mir an der Schule gab es damals eine Mutprobe, bei der eine:r sich getrauen musste, die Webseite www.veronicamoser.com zu besuchen. War ein:e Schüler:in mutig genug, hatte sie/er das zweifelhafte Vergnügen Nacktbilder und Videos von Veronica Moser anzuschauen, die vor allem Menschen mit einem Fäkalien-Fetisch ansprachen.
Etwas erleichtert und ohne wertend gegenüber jeglichen Fetischen zu sein, kann ich sagen, dass die Webseite heute nicht mehr existiert. Jedoch hat sich das Bild der sich lasziv rekelnden, blonden, opulenten Veronica Moser für alle Ewigkeiten in mein Gedächtnis eingebrannt.

In einer Beziehung mit dem Internet

Obwohl Veronica auf Lebzeiten ein Zuhause in meinem Kopf gefunden hat, hatte sie für mein Verständnis von „echtem Sex“ in der Jugend zum Glück nur wenig Einfluss. Dass Pornografie im Internet aber für einige junge Menschen eine einschneidende Erfahrung sein kann, indem sich entgegengesetzte Emotionen wie Erregung, Vergnügen, Ekel und Scham einstellen können und damit ein Gefühlschaos verursachen, zeigt Verdensvevde Kropper. Meby erklärt treffend in seiner Beschreibung zum Film, welche intime, nicht vorhergesehene und teilweise auch unbewusste Bindung wir mit dem Internet einzugehen vermögen:

With World Wide Woven Bodies, I wanted to be back in the 90s, right there at the arrival of the internet, to once again feel how it was when that new frontier opened up, to give a sense of some of the new complications that arose as a part of it. I wanted to show how the internet always has been intimately connected to our intimate parts, given its free-flowing uncensored nature and the relative ease of covering the tracks of one’s hidden passions. As the internet gets more and more incorporated into our lives, and probably, eventually, our flesh, this connection will grow all the more. This can be considered an origin story of this connection.

Krane Meby, Truls. „Wold Wide Woven Bodies (short)”, Vimeo, 2015. 10.02.2022 <https://vimeo.com/96432729?embedded=true&source=vimeo_logo&owner=915624>.

Der Film zeigt eine liebevoll inszenierte Coming-of-Age Story, die sich die Verführungen des Internets in den 90er-Jahren zum Thema macht. Dabei wird unterschwellig vermittelt, welche neuartigen Probleme das World Wide Web durch seine Barrierefreiheit ans Tageslicht bringt.
Der Konsum von Pornos im Internet hat sich seit den 90er-Jahren um ein Vielfaches erhöht. Dies liegt nicht nur an seiner immer einfacher werdenden Zugänglichkeit, sondern auch an einer immer offener werdenden Gesellschaft in Bezug auf sexuelle Praktiken.

Die Legalisierung von Pornografie in Skandinavien

In Norwegen, wo der Film spielt, stiess der Konsum von Pornografie lange Zeit auf grosse Ablehnung. In der Schlussszene ist zu sehen, wie Mads Mutter ihm eine Standpauke hält, weil sie mithilfe des Browserverlaufs herausgefunden hat, dass jemand in ihrem Haus pornografische Bilder im Internet angeschaut hat. Also sie Mads rügt, bezeichnet sie den Konsum von Pornografie als „disgusting“ und sagt ihm zusätzlich, dass sie so etwas nicht in ihrem Haus duldet und sich für ihn schämt. Mads Mutter vertritt hier die allgemeine Einstellung der skandinavischen Gesellschaft (bis auf Dänemark) der 90er-Jahre.

Hervorgehend aus der feministischen Bewegung der 60er und 70er-Jahre gab es in Schweden sowie auch Norwegen und Island eine starke Ablehnung gegenüber Pornografie2. Es wurde die Meinung vertreten, dass Pornografie der Prostitution gleichkäme und dem Bestreben von Gleichstellung der Geschlechter entgegenwirke, da dies die Vorstellung vom Frauenkörper als Konsumgut fördere.3 „Prostitution und Pornografie wurden sowohl als tatsächliche Gewalt gegen Frauen als auch als Reproduktion einer geschlechtsspezifischen Machthierarchie wahrgenommen, in der die männliche Subjektposition Männern die Vorherrschaft über Frauen verschaffte.“4

In Dänemark war die Einstellung zu Pornografie um einiges liberaler. In den 60ern wurde vor allem von den Linken eine Legalisierung von Pornografie befürwortet, weil diese Zensur im Allgemeinen ablehnten.5 „Am 1. Juli 1969 legalisierte Dänemark als erstes Land der Welt die Freigabe von Bild-Pornografie – pornografische Schriften waren schon seit 1967 nicht mehr verboten.“6
Aber auch Schweden hatte in den 60er-Jahren mehrere öffentliche Debatten darüber, ob Pornografie legalisiert werden soll.5
Eines der Argumente war, dass durch die Legalisierung Pornografie nicht mehr so schambehaftet sein würde.7 1971 wurde dann auch in Schweden die Gesetze geändert.8 In feministischen Kreisen wurde der Porno jedoch immer noch als misogyn angesehen, dies änderte sich erst nach der Jahrtausendwende, als Feminist:innen den Porno als Politikum für sich entdeckten und neu mit ,sexual empowerment for women‘ propagierten.9
In Norwegen wurde erst im Jahr 2005 die Vorzensur für Erwachsenenfilme aufgehoben10 und in Island ist die Produktion und Distribution von Pornografie nach wie vor illegal.11

2013 schlug der Innenminister Ögmundur Jónasson ein Verbot von Online-Pornografie in Island vor.12 „Seine Bemühungen lösten eine heftige Online-Debatte aus“13 und Menschen aus aller Welt „schrieben dem Ministerium sowohl gegen das Verbot als auch für seine Unterstützung“14. Stimmen, die das Verbot befürworteten, „betonten die schädlichen Auswirkungen von Pornografie, insbesondere auf Kinder, während die Gegner Fragen der Meinungsfreiheit und die Gefahren der Zensur hervorhoben“13. Bis heute wurde aber kein neues Gesetz verabschiedet.

Aufwachsen in einer sexualisierten Welt

Am Beispiel Islands zeigt sich, dass zufriedenstellende regulatorische Massnahmen in Bezug auf Internet-Pornografie schwierig sind. Allerdings ist es offensichtlich, dass für Kinder und Jugendliche eine Art Schutz eingeführt werden muss.

Ein Report aus dem Jahr 2020 des EUCPN (European Crime Prevention Network) zeigt, dass 39 % aller Kinder und Jugendlichen zwischen 9 und 16 Jahren in Norwegen bereits pornografische Inhalte im Netz sahen.15 Davon sind 42 % Jungen und 36 % Mädchen.16 77 % davon sind im Alter von 15 und 16 Jahren.16 Einige dieser Kinder und Jugendlichen suchen absichtlich nach sexuellen Inhalten im Internet; entweder aus Neugier oder sie versuchen, „Antworten auf Fragen zu finden, die sie zur Pubertät, zum eigenen Körper und zur sexuellen Identität haben.“17.
Diese bewusste Aussetzung muss nicht per se negativ sein, sondern kann auch eine erzieherische Komponente beinhalten und viele der befragten Kinder äusserten sich positiv über ihre Erfahrung.18 Laut dem Report sind es jedoch immer noch 34 %, die durch die Exposition unangenehme Erfahrungen machten.19 Vor allem in Skandinavien gibt es Bestrebungen, Kinder, „die versehentlich auf sexuelle Inhalte zugreifen oder diese von anderen zugesandt bekommen“17, zu schützen, indem viel Energie für Aufklärungsarbeit aufgebracht wird.

Das norwegische Staatsfernsehen (NRK) beispielsweise bietet Programme und Guides für seine jüngeren Zuschauer:innen an, die über Sex und verwandte Themen aufklären. Hier geht’s zur Kort Fortalt eine NRK-produzierte online Serie, die Jugendlichen helfen soll, ihr Leben zu meistern, indem sie über Pornografie, Drogen, Geschlechtskrankheiten aufklärt.
Eine weitere Form der Aufklärung zeigt sich in der Bestrebung Sex zu entfetischieren, etwa indem eine Sendung auf NRK aus dem Jahre 2017 Menschen zeigt, die, anders als in den Pornos, „echten Sex20 (so auch der Titel der Sendung) haben.

Ein weiteres Beispiel für eine Enttabuisierung der Geschlechtlichkeit und insbesondere des Schambereichs, stellt die dänische Kinderserie John Dillermand dar. Diese geht sogar so weit, dass die Superkraft des Superhelden John sein überlanger Penis ist.


Intro der Kinderserie John Dillermand . Quelle: Youtube © dr.dk

Diese Programme zeigen, dass das Internet nicht verdammt werden muss, sondern ein neuer Umgang mit heiklen Themen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gefunden wurde. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass Zensur und Scham keine wirkungsvollen Mittel gegen den Porno sind. Hätte es bereits in den 90er-Jahren eine solche Art von Aufklärung in Bezug auf die „Gefahren des Internets” gegeben, wäre Mads Erinnerung an seine erste sexuelle Erfahrung nicht mit den Vorwürfen seiner Mutter gekoppelt gewesen und Veronica Moser hätte wahrscheinlich nie auch nur einen Fuss in meine Türschwelle setzen können.

Titelbild: „Child and Computer“ von R. Nial Bradshaw. Public Domain.

  1. Lupkin, Chelsea. „Wold Wide Woven Bodies Review.“ Short of the Week. 10.02.2022 <https://www.shortoftheweek.com/2016/12/06/world-wide-woven-bodies-2/>. (Übersetzt aus dem Englischen von mir, Xenia Nguyen.) []
  2. Vgl. Larsson, Mariah. „The Death of Porn? An Autopsy of “Scandinavian Sin” in the Twenty-first Century” A Companion to Nordic Cinema. Ed. Mette Hjort und Ursula Lindqvist. Chichester, West Sussex: John Wiley & Sons, 2016, 567. []
  3. Vgl. Nordic Cinema, 572. []
  4. Nordic Cinema, 572 (Übersetzt aus dem Englischen von mir, Xenia Nguyen.) []
  5. Vgl. Nordic Cinema, 570. [] []
  6. Detlef, Siegfried im Gespräch mit Timo Grampes. „50 Jahre Pornografiefreigabe in Dänemark. Mit Pornografie zur sexuellen Befreiung.” Deutschlandfunk Kultur, 01.07.2019. 10.02.2022  <https://www.deutschlandfunkkultur.de/50-jahre-pornografiefreigabe-in-daenemark-mit-pornografie-100.html>. []
  7. Vgl. Nordic Cinema, 570 []
  8. Vgl. Landes, David. „Swedish national library in child porn.” The Local, 21.01.2009. 10.02.2022 <https://www.thelocal.se/20090121/17058/>. []
  9. Vgl. Nordic Cinema, 582. []
  10. Vgl. Skaar, Kristin Marie. „Fra streng sexsensur til ingen grenser.” Forskning, 21.03.2014. 10.02.2022 <https://forskning.no/kunst-og-litteratur-media-kjonn-og-samfunn/fra-streng-sexsensur-til-ingen-grenser/571442>. []
  11. Vgl. Heiðar- og Ómarsdóttir, Brynhildur. 2015 – Sexual rights and the internet“. Global Information Society Watch. 2015. 10.02.2022 <https://giswatch.org/en/country-report/internet-rights/Iceland>.  []
  12. Vgl. Global Information Society Watch []
  13. Global Information Society Watch (Übersetzt aus dem Englischen von mir, Xenia Nguyen.) [] []
  14. Vgl. Global Information Society Watch []
  15. Vgl. Smahel, David, Machackova, Hana, Mascheroni, Giovanna Dedkova, Lenka, Staksrud, Elisabeth, Ólafsson, Kjartan, Livingstone, Sonia, and Hasebrink, Uwe „EU Kids Online 2020: Survey results from 19 countries.“ EU Kids Online, 2020.  10.02.2022 <Doi: 10.21953/lse.47fdeqj01ofo>, 89. []
  16. Vgl. EU Kids Online, 90. [] []
  17. EU Kids Online, 98. (Übersetzt aus dem Englischen von mir, Xenia Nguyen.) [] []
  18. Vgl. EU Kids Online, 98. []
  19. Vgl. EU Kids Online, 92. []
  20. <https://www.nrk.no/kultur/ny-p3-serie-skal-vise-_ekte-sex_-pa-tv-1.13620869> 10.02.2022. []

2 Kommentare

In meiner Kindheit 9-12 Jahre alt, war es echt schockierend was für Inhalte wir damals zugesicht bekamen gerade Schweden Heftchen und verstörende Video Kassetten, wurden einem meistens von ein zwei Jahren älteren Jugendliche n aufgedräng. Mit allem und vor allem perversem content.Ich erinnere mich mit Grausen zurück!

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