Einleitung: Probleme statt Lösungen
Das Entwicklerstudio FromSoftware unter der Leitung von Hidetaka Miyazaki hat mit seinen Soulslike-Spielen ein Genre geprägt, das zu einer bemerkenswerten Rezeptionshaltung herausfordert: Die visuell und mechanisch komplex gestalteten Gegner wollen nicht einfach überwunden werden; sie laden vielmehr zu einer wiederholten Auseinandersetzung und intensiven Versenkung ein. Die Spiele evozieren damit eine ästhetische Erfahrung, die über schlichte Aneignung und Deutung hinausgeht.[1]
Diese Grunddisposition steht einer Lektürepraxis nahe, die Peter Szondi als ‚perpetuierte Erkenntnis‘ bezeichnet hat. Im Zuge dessen prägte er auch die weniger geläufige (und hier titelgebende) Wendung der ‚intensiven Versenkung‘.[2] Szondi konturiert damit eine rezeptive Haltung, bei der ein literarisches Problem nicht einfach durch seine wissenschaftliche Lösung ersetzt, sondern in seiner spezifischen Problemhaftigkeit wahrgenommen werden soll. Abstrahiertes Wissen weicht so einer anhaltenden Lektüre.
Ich möchte diese Lektürepraxis mit einem Modell perspektivieren, das ich dem mystischen Denkhorizont zwischen Mittelalter und Moderne entnehme; zunächst mit Erich Fromm (1900-1980), dann mit Meister Eckhart (1260-1328). Dabei verfolge ich die Idee, dass sich den mystischen Vorstellungen von ‚Armut‘ und ‚Leiden‘ eine ‚selbstlose Rezeptionshaltung‘ anschliesst, die nicht nur Szondis Idee einer ‚intensiven Versenkung‘ nahekommt, sondern auch der ästhetischen Erfahrung im Soulslike-Genre.[3]
1. Intensive Versenkung: Peter Szondi
In seinem Traktat Über philologische Erkenntnis (1962) konturiert Peter Szondi ‚intensive Versenkung‘ als eine rezeptive Haltung, die der literaturwissenschaftlichen (hier v. a. der literaturgeschichtlichen) Praxis zunehmend fremd geworden sei:
„Denn nicht selten erwecken historische Arbeiten den Anschein, als wolle ihr Verfasser der intensiven Versenkung in das einzelne Kunstwerk aus dem Wege gehen, als scheue er diese Intimität und als wäre der Grund dieser Scheu die Angst, in der Nähe zum künstlerischen Vorgang jene Distanz einzubüssen, die ein Attribut der Wissenschaft sein soll.“[4]
Da Szondi die Literaturwissenschaft jedoch dezidiert als Kunstwissenschaft versteht, ist für ihn ‚Versenkung‘ gegenüber ‚Distanz‘ unerlässlich; denn nur so sei das Kunstwerk als Kunstwerk zu begreifen. Zentral für diese Grundüberlegung ist Szondis Wissensbegriff: Philologisches Wissen könne sich nie verselbstständigen, sondern bleibe als ‚perpetuierte Erkenntnis‘ stets an die fortwährende Konfrontation mit dem Text gebunden. Hierin liegt ein methodologischer Imperativ: „Das philologische Wissen darf also gerade um seines Gegenstands willen nicht zum Wissen gerinnen.“[5] Die drohende Alternative zeigt Szondi am Umgang mit hermetischer Lyrik auf:
„Interpretationen sind hier Schlüssel. Aber es kann nicht ihre Aufgabe sein, dem Gedicht dessen entschlüsseltes Bild an die Seite zu stellen. Denn obwohl auch das hermetische Gedicht verstanden werden will und ohne Schlüssel oft nicht verstanden werden kann, muss es doch in der Entschlüsselung als verschlüsseltes verstanden werden, weil es nur als solches das Gedicht ist, das es ist. Es ist ein Schloss, das immer wieder zuschnappt, die Erläuterung darf es nicht aufbrechen wollen.“[6]
Eine literarische Problemstellung ist demnach nicht einfach aufzulösen, sondern in ihrer je eigenen Dynamik immer wieder von neuem wahrzunehmen. Szondi insistiert auf diesem Punkt: Auch wenn literarische Ambiguität im Fokus der analytischen Auseinandersetzung liegt, „so kann doch die Lösung nicht darin bestehen, dass eine Doppeldeutigkeit, die dem Text selber angehört, aus der Welt geschafft wird. Die philologische Lösung darf sich nicht an die Stelle des Problems setzen […].“[7] Intensive Versenkung erweist sich hingegen als eine rezeptive Haltung, die sich der Eigenlogik ihres Gegenstands verschreibt:
„Die Literaturwissenschaft darf nicht vergessen, dass sie eine Kunstwissenschaft ist; sie sollte ihre Methodik aus einer Analyse des dichterischen Vorgangs gewinnen; sie kann wirkliche Erkenntnis nur von der Versenkung in die Werke, in ‚die Logik ihres Produziertseins‘ erhoffen.“[8]
Perpetuierte Erkenntnis erscheint nicht als Wissensbestand, der – einmal gewonnen – ein sicheres Kapital bildet. Szondis Wissensbegriff zielt auf eine Praxis, die am Text orientiert bleibt. Die Gegenwärtigkeit literarischer Texte liegt in ihnen selbst und kann nur in wiederholter Auseinandersetzung mit ihnen je neu greifbar werden.
2. Wiederholte Auseinandersetzung: Dark Souls, Bloodborne und Elden Ring
Die Dark Souls-Trilogie (2011, 2014, 2016) hat diverse Bosskämpfe hervorgebracht, die für ihre Problemhaftigkeit berüchtigt sind. So gilt etwa in Dark Souls III der Nameless King als heimlicher Endgegner, dessen Attacken gnadenlos ausfallen. Das DLC The Ringed City findet in Slave Knight Gael einen finalen Bosskampf, dessen Anspruch und Intensität herausragend sind. Während Bloodborne (2015) vornehmlich durch seine lovecrafteske Atmosphäre heraussticht, stellen auch seine Bosskämpfe eine bisweilen fast unüberwindliche Herausforderung dar. Den visuellen und mechanischen Höhepunkt markiert hier der Orphan of Kos, dessen Angriffe unberechenbar bleiben und nur kleinste Zeitfenster für eigene Aktionen offenlassen. Diese Konfrontation kann in ihrer Gesamtheit sinnbildlich dafür stehen, wie ein Soulslike-Boss unerbittlich auf den Avatar einschlägt.
Die erste Cutscene zu Malenia, Blade of Miquella/Goddess of Rot macht den Anspruch deutlich, der im schwierigsten Bosskampf von Elden Ring (2022) angelegt ist. Hier wartet eine Herausforderung, die eigentlich nicht zu bewältigen ist, sondern nur wiederholt aufgesucht werden kann. Oder mit anderen Worten: Man soll Malenia nicht besiegen, sondern an ihr scheitern. Ich möchte diesen ‚Encounter‘ hier etwas eingehender besprechen. Der verbreitete Jargon-Begriff ist dabei durchaus sinnfällig, bedeutet engl. encounter doch nicht einfach ‚Gegner‘, sondern vielmehr ‚Begegnung‘ und ‚Aufeinandertreffen‘.
Malenias prägnante Selbstbehauptung „And I have never known defeat“ verweist auf die weitreichende Lore,[9] in der ihre Überlegenheit gründet: Obwohl durch ihre familiale Herkunft beeinträchtigt (sie leidet unter dem Infekt ‚Scarlet Rot‘, wodurch ihre Haut grossflächig verätzt ist und ihre Extremitäten teilweise durch Prothesen ersetzt sind), hat sie sich im Kampf als unbesiegbar erwiesen, prominent etwa gegen Godrick the Grafted. Der Kampfbeginn steht damit von Anfang an im Zeichen einer zu erwartenden Niederlage.
In der ersten Kampfphase erfolgen Malenias Bewegungen und Angriffe bereits überaus rasch. Als besondere Attacken macht sie einen Klingenwirbel oder spiesst den Avatar mit ihrem Schwert auf. In der zweiten Phase wechselt Malenia zwischen einer humanoiden und einer floralen Form, wobei sie mehrere Phantome beschwört und den Infekt ‚Scarlet Rot‘ als Schaden-über-Zeit-Effekt auf den Avatar überträgt. Während beiden Phasen bewirkt sie zudem mit jedem Treffer eine signifikante Selbstheilung.
Der Bosskampf gegen Malenia fordert durch seine spezifische Mechanik in mehrfacher Hinsicht zu einer wiederholten Auseinandersetzung heraus. Zunächst liegt hier ein Encounter vor, der das typische Soulslike-Merkmal der ‚Schwierigkeit‘ besonders ausreizt. Die Geschwindigkeit der Bewegungen und die Unberechenbarkeit der Attacken verhindern bereits in Phase 1 eine rasche Lösung des Problems. Mögliches Vorwissen erweist sich in der effektiven Konfrontation als unzureichend. Im Übergang zu Phase 2 hält Malenia den Avatar explizit im Kampfgeschehen („Wait.“) und kündigt eine noch grössere Herausforderung an („You will witness true horror.“). Diese nachdrückliche Involvierung nimmt dann auch eine manifeste Dimension an, wenn Malenia ihren Infekt auf den Avatar zu übertragen droht („Now, rot!“). Ihre heilenden Schwerthiebe verlängern zudem jeden Bewältigungsversuch, indem sie die eigenen Treffer wieder zunichte machen. Die Begegnung ist somit immanent darauf angelegt, dass sie immer weiter prolongiert wird.
Malenia erscheint damit als exemplarischer Bosskampf, der zu einer ‚intensiven Versenkung‘ herausfordert. Sie erweist sich als Problem, das nicht einfach durch seine Lösung zu ersetzen ist. Stattdessen muss man sich ihr in wiederholter Auseinandersetzung immer wieder von neuem stellen. Erst dann eröffnet sich die Möglichkeit, dass sich jeweils eine ‚perpetuierte Erkenntnis‘ einstellt. Und obwohl Malenias Fähigkeiten durchaus beschreibbar sind, kann dieses Wissen doch nicht an die Stelle einer perpetuierten Erkenntnis treten. Die eigene Wahrnehmung muss vielmehr an der wiederholten Konfrontation orientiert bleiben, um den Encounter in seiner effektiven Ausführung zu begegnen.
In einem mystischen Bezugsfeld muss hier auffallen, dass Malenia mit jedem gewaltsamen Treffer das ‚Leiden‘ an ihr verlängert; sie hält sich dadurch am Leben, dass sie auf den Avatar einschlägt. Perpetuiert wird in diesem Sinne nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Spiel, sondern auch die dabei vollzogene Pein in der eigenen Selbsterniedrigung.[10] Mechthild von Magdeburg hat dafür eine eindringliche Formel geprägt: Mere ie ich tieffer sinke, ie ich suessor trinke.[11] (‚Aber je tiefer ich sinke, desto süsser trinke ich.‘) Im mystischen Diskurs bilden Leid und Selbsterniedrigung jedoch auch die Voraussetzungen einer rezeptiven Blosslegung, wie Niklaus Largier dies im Hinblick auf Heinrich Seuse gezeigt hat.[12] Die Wiederholung und Intensität der Pein verfällt demnach nicht in einen Selbstzweck, sondern steigert die sinnlich-affektive Wahrnehmung. Intensive Versenkung und perpetuierte Erkenntnis sind insofern an eine Haltung geknüpft, der ich im Folgenden mit Erich Fromm und Meister Eckhart nachgehen möchte. Dabei ist die Idee einer inneren Armut leitend, die von einem dominanten Selbst absieht. Aus mystischer Perspektive liesse sich Szondis Lektürepraxis folglich als ‚selbstlose Rezeptionshaltung‘ denken; als Einlassen auf eine Begegnung mit dem Gegenüber.
3. Haben oder Sein: Erich Fromm
In Haben oder Sein (1976) beschreibt Erich Fromm zwei Haltungen zur Welt bzw. zwei Existenzweisen des Menschen. Anhand zweier lyrischer Texte von Alfred Tennyson und Matsuo Basho zeigt er einleitend die fundamentale Differenz zwischen ‚haben wollen‘ und ‚aufmerksam schauen‘ auf. Das Ich bei Tennyson drängt nach dem Besitz von Wissen und nimmt dafür die Zerstörung der Natur in Kauf. Das Ich bei Basho möchte die Natur beschauen und mit ihr eins sein.[13] Damit ist eine Perspektive formuliert, die nicht nur mystisch durchdacht ist, sondern auch den Charakter des Soulslike-Genres spiegelt, wie ich es hier umrissen habe. In seinem kurzen Kapitel zu Meister Eckhart unterscheidet Fromm denn auch explizit zwischen ‚dem Wissen in der Weise des Habens‘ und ‚dem Akt der Erkenntnis‘, was sich wiederum in Szondis Lektürepraxis spiegelt. Innere Armut (ledic sein) in einem Eckhart’schen Sinn heisst demnach nicht Wissen zu besitzen, sondern den Akt der Erkenntnis immer wieder von neuem zuzulassen.[14]
In einem anderen Kapitel führt Fromm diverse Beispiele mit alltäglichen Erfahrungen auf, in denen die Differenz zwischen Haben und Sein besonders auffällig ist. Im Abschnitt ‚Miteinander sprechen‘ beschreibt er zuerst eine besitzorientierte Gesprächsführung, die auf Meinungen beharrt, wovon er dann eine erlebnisorientierte Haltung abgrenzt:
„Im Gegensatz dazu steht die Haltung des Menschen, der nichts vorbereitet und sich nicht aufplustert, sondern spontan und produktiv reagiert. Ein solcher Mensch vergisst sich selbst, sein Wissen, seine Position; sein Ich steht ihm nicht im Wege; und aus genau diesem Grund kann er sich voll auf den anderen und dessen Ideen einstellen. Er gebiert neue Ideen, weil er nichts festzuhalten trachtet. Während sich der ‚Habenmensch‘ auf das verlässt, was er hat, vertraut der ‚Seinsmensch‘ auf die Tatsache, dass er ist, dass er lebendig ist und dass etwas Neues entstehen wird, wenn er nur den Mut hat, loszulassen und zu antworten.“[15]
Spontan und produktiv reagieren, vom eigenen Ich absehen, sich auf den Anderen einstellen und ihm antworten – oder in einem Wort: ‚loslassen‘. Fromm beschreibt soziale Interaktion in der Haltung des Seins in einer Weise, die so auch für den oben gezeigten Umgang mit Soulslike-Bossen zutrifft. Eine solche Haltung zielt nicht auf ‚inkorporiertes Kulturkapital‘;[16] sie stellt sich vielmehr dem Moment im Hier und Jetzt und vertraut darin auf eine blossgelegte Wahrnehmung. Nicht der Drang nach Aneignung und Wissen ist dabei leitend, sondern der Akt aufmerksamer Beschauung und Erkenntnis.
4. Innere Armut: Meister Eckhart
In Predigt 52: Beati pauperes spiritu (sog. ‚Artmutspredigt‘) definiert Eckhart inwendigiu armuot (‚innere Armut‘) so, dass ein armer Mensch nichts will, nichts weiss und nichts hat. Bereits der erste Aspekt ist prekär, geht es hier doch darum, dass wir gotes ledic werden (‚Gottes ledig werden‘). Die folgenden Punkte zum Wissen und Haben führen noch weiter, scheinen bisweilen paradox: Alsô sprechen wir, daz der mensche sol quît und ledic stân, daz er niht enwizze noch enbekenne, daz got in im würke: alsô mac der mensche armuot besitzen.[17] Das Wirken Gottes anstelle des eigenen Wissens soll selbst nicht gewusst werden. Solange der Mensch ein eigen stat gotes (‚eine eigene Stätte Gottes‘) bilde, sei er nicht arm genug; erst wenn Gott selbe sî diu stat (‚selbst die Stätte sei‘), könne von äusserster Armut gesprochen werden. Nur unter diesen Bedingungen ist Gottes Wirken möglich; und der mensche ist got alsus in im lîdende (‚und der Mensch erleidet Gott so in sich‘). Eckharts paradoxale Leidensmystik findet hier ihren Höhepunkt.[18] Menschliche Stätte und göttliches Wirken werden damit explizit entdifferenziert: Dâ der mensche stat beheltet, dâ beheltet er underscheit.[19] (‚Wo der Mensch noch Stätte in sich behält, da behält er noch Unterschiedenheit.‘) Erst die Aufgabe der Stätte Gottes im Menschen ermöglicht eine äusserste Armut, wie sie von Eckhart hier radikalisiert gedacht wird:
in dem durchbrechen, dâ ich ledic stân mîn selbes willen und des willen gotes und aller sîner werke und gotes selben, sô bin ich ob allen crêatûren und enbin weder got noch crêatûre, mêr: ich bin, daz ich was und daz ich blîben sol nû und iemermê. Dâ enpfâhe ich einen îndruk, der mich bringen sol über alle engel. In disem îndrucke enpfâhe ich sôgetâne rîcheit, daz mir niht genuoc enmac gesîn got nâch allem dem, daz er ‚got‘ ist, und nâch allen sînen götlîchen werken; wan ich enpfâhe in disem durchbrechen, daz ich und got einz sîn.[20]
In der entzeitlichten Vorstellung von îndruk (‚Aufschwung‘) werden Mensch und Gott eins, womit die stat (‚Stätte‘) für Gott im Menschen hinfällig ist. Nur wenn der Mensch wirklich ledic (‚ledig‘ bzw. ‚frei‘) ist, kann ein durchbrechen (‚Durchbrechen‘) in dieser Form gelingen. Für das Soulslike-Genre zeigt sich dieses Prinzip insofern als produktiv, als sich auch hier eine intensive Versenkung erst dann einzustellen vermag, wenn man im Moment der Begegnung von jeglichem Wissen und Streben absieht. Nur dann kann sich gleichsam ein Durchbrechen, ein Einswerden mit dem Gegenüber vollziehen.
Schluss: gelâzenheit als ludisches Ethos
Perpetuierte Erkenntnis setzt intensive Versenkung voraus. Nur wenn man sich der fortwährenden Konfrontation mit einem Kunstwerk stellt, wird man diesem in seiner medialen Eigenlogik gerecht. Wie am Beispiel von Elden Ring und Malenia gezeigt, ist hier eine wiederholte Auseinandersetzung bereits in der Spielmechanik angelegt. Abstrahiertes Wissen hat dabei nur einen geringen Effekt, selbst wenn es diskursiv herstellbar ist. Intensive Versenkung evoziert hingegen eine perpetuierte Erkenntnis, die mit dem effektiven Spielgeschehen verschränkt bleibt. Ein Bosskampf will hier nicht einfach bewältigt werden, sondern durch wiederholte Begegnung intensiv erlebt sein.
Mit Erich Fromm wird das Soulslike-Genre folglich über eine Haltung lesbar, die stärker vom ‚Sein‘ als vom ‚Haben‘ geprägt ist. Das Ziel besteht nicht in erster Linie darin, einen Encounter möglichst rasch zu überwinden, sondern ihn fortlaufend zu vergegenwärtigen. Das genuine Scheitern am Spiel bildet dann kein unliebsames Beiwerk, sondern die Bedingung der Möglichkeit einer wiederholten ästhetischen Erfahrung.
Eine ‚selbstlose Rezeptionshaltung‘ ist mit Meister Eckhart noch konsequenter zu fassen; als Entselbstung, als Abrücken von Selbstheit bzw. Selbstbezogenheit. Eckhart prägte dafür den Begriff der eigenschaft (‚Bindung an das eigene Ich‘), wovon der Mensch ledic (‚ledig‘) werden soll.[21] Er muss sich selben lâzen (‚sich selbst lassen‘), um Gottes Wort hören zu können.[22] Bereits Roger Caillois hat (im Anschluss an Johan Huizinga[23]) für das Spielelement der Kultur festgehalten, dass dieses ‚Gelassenheit‘ hervorbringe wie aufrechterhalte.[24] Mit Blick auf das Soulslike-Genre und im Rückgriff auf Eckhart wäre Gelassenheit hier allerdings terminologisiert zu denken; als gelâzenheit,[25] die das eigene Selbst lässt und von vermeintlichem Wissen abrückt, um sich stattdessen voll und ganz auf die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber einzulassen.
[1] Vgl. dazu auch ausführlich meinen Aufsatz Thomas Müller: Lust am Scheitern. Eine mystische Denkfigur in ‚Dark Souls III‘. In: Paidia. Zeitschrift für Computerspielforschung, 23.09.2024, <https://paidia.de/lust-am-scheitern-eine-mystische-denkfigur-in-dark-souls/> [Stand: 05.01.2025].
[2] Vgl. Peter Szondi: Über philologische Erkenntnis. In: Ders.: Schriften I. Hrsg. von Jean Bollack u. a. Berlin 2011, S. 263–286, hier S. 276.
[3] Als ‚Soulslike‘ (im engeren Sinne) gelten bislang: Demon’s Souls (2009), Dark Souls (2011), Dark Souls II (2014), Bloodborne (2015), Dark Souls III (2016), Sekiro (2019) und Elden Ring (2022). Als Action-Rollenspiele (ARPGs) weisen sie ähnliche Muster auf (z. B. Charakterentwicklung, Bosskämpfe, Gegenstände), bieten aber je eigene Themenwelten. Neben der eindringlichen Atmosphäre lebt das Genre vornehmlich von seinem komplexen Kampfsystem, das auch in meinen Überlegungen eine zentrale Stellung einnimmt. Für einen ersten Eindruck der grundlegenden Spielmechanik kann der Bosskampf gegen Knight Artorias aus Dark Souls ein klassisches Beispiel bieten: <https://www.youtube.com/watch?v=7UEIFxx0Eh4>.
[4] Szondi 2011 (wie Anm. 2), S. 276.
[5] Ebd., S. 266.
[6] Ebd.
[7] Ebd., S. 283.
[8] Ebd., S. 286.
[9] Vgl. Elden Ring Wiki: Art. Malenia, Blade of Miquella, <https://eldenring.fandom.com/wiki/Malenia,_Blade_of_Miquella> [Stand: 16.10.2024].
[10] Vgl. allgemein und grundlegend Niklaus Largier: Lob der Peitsche. Eine Kulturgeschichte der Erregung. München 2001.
[11] Mechthild von Magdeburg: Das fliessende Licht der Gottheit. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Mittelhochdeutschen übers. und hrsg. von Gisela Vollmann-Profe. Berlin 2010, S. 264.
[12] Vgl. Niklaus Largier: Spekulative Sinnlichkeit. Kontemplation und Spekulation im Mittelalter. Zürich 2018 (Mediävistische Perspektiven 7).
[13] Vgl. Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München 2016, hier v. a. S. 30–35
[14] Vgl. Fromm 2016 (wie Anm. 13), S. 78–85, hier v. a. S. 80.
[15] Ebd., S. 51.
[16] Vgl. Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Sonderband 2 der Sozialen Welt. Göttingen 1983, S. 183–198.
[17] Meister Eckhart: Werke I. Texte und Übersetzungen von Josef Quint. Hrsg. und kommentiert von Niklaus Largier. Frankfurt a. M. 1993 (Bibliothek des Mittelalters 20), S. 556 („So quitt und ledig also, sagen wir, soll der Mensch stehen, dass er nicht wisse noch erkenne, dass Gott in ihm wirke, und so kann der Mensch Armut besitzen.“ [Hervorhebung im Original]).
[18] Vgl. dazu auch Alois Haas: Gottleiden – Gottlieben. Zur volkssprachlichen Mystik im Mittelalter. Frankfurt a. M. 2019, S. 137.
[19] Meister Eckhart 1993 (wie Anm. 17), S. 560.
[20] Ebd., S. 562 („In dem Durchbrechen aber, wo ich ledig stehe meines eigenen Willens und des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selber, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder ‚Gott‘ noch Kreatur, bin vielmehr, was ich war und was ich bleiben werde jetzt und immerfort. Da empfange ich einen Aufschwung, der mich bringen soll über alle Engel. In diesem Aufschwung empfange ich so grossen Reichtum, dass Gott mir nicht genug sein kann mit allem dem, was er als ‚Gott‘ ist, und mit allen seinen göttlichen Werken; denn mir wird in diesem Durchbrechen zuteil, dass ich und Gott eins sind.“).
[21] Vgl. ebd., S. 14.
[22] Vgl. ebd., S. 126.
[23] Vgl. Johan Huizinga: Das Spielelement der Kultur. In: Ders.: Das Spielelement der Kultur. Spieltheorien nach Johan Huizinga von Georges Bataille, Roger Caillois und Eric Vogelin. Hrsg. und mit einem Nachwort von Knut Ebeling. Berlin 2014, S. 18–45.
[24] Vgl. Roger Caillois: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Berlin 2017, S. 83.
[25] Vgl. dazu im Hinblick auf Seuse auch Largier 2018 (wie Anm. 12), S. 38.