Computer-generated Imagery – oder kurz CGI – macht es möglich: Tupac Shakur († 1996) performt auf dem Coachella (2012). Harold Ramis († 2014) hilft in Ghostbusters: Afterlive (2021) als Totengeist von Egon Spengler, den Weltuntergang zu verhindern. Und Carrie Fisher († 2016) richtet als Leia Organa in Star Wars 9: The Rise of Skywalker (2019) letzte Worte an Rey und Poe. Auch wenn es bei den genannten Beispielen noch kleinere Probleme bei der künstlerischen Restauration – speziell von Mimik, Sprechverhalten und Alterung – der wiederbelebten Personen gibt,[1] stellen diese einen technischen Höhepunkt von Authentizität im Spannungsfeld von Deep-Fake und würdigender Memorialkultur dar.

Generell ist das Bedürfnis, die Toten durch Technik wiederzuerwecken, nicht neu. Bereits in der Bibel wird unter Strafandrohung davor gewarnt, Nekromanten, also Totenbeschwörer, aufzusuchen, um mit den Toten zu sprechen (Lev. 19,31; 20,6; 20,27; Deu 18,9-31); eine Zauberpraxis, die auch von antiken Philosophen wie Platon, Cicero und Augustinus als betrügerisch abgelehnt wurde.[2] Nichtsdestotrotz finden sich – im legitimierten Raum der Theaterkunst – auf antiken Bühnen vielfach Totengeister, die die Vergangenheit metastrukturell repräsentieren und kommentieren. Exemplarisch genannt seien hier nur der Geist Klytaimnestras aus Aischylos Eumeniden oder der Geist Agrippinas in Senecas Octavia.[3] Über die technische Ausgestaltung solcher Geisterauftritte im antiken Theater kann mit über 2000 Jahren Abstand nur spekuliert werden. Nachvollziehbarer wird die Liaison von technischer und geisterpoetischer Innovation hingegen beim Blick in das Theater der Frühen Neuzeit. Hier soll beispielhaft anhand der Trauerspiele von Andreas Gryphius gezeigt werden, dass im Spiel von Licht und Schatten jeder technischen Innovation auch ein Gespenst innewohnen kann.

Deutlich wird dies für die Frühe Neuzeit am Beispiel der ‚Laterna magica‘, die laut Johann Samuel Halle (1784) ihren Namen aufgrund ihrer Gespenstermacherey[4] bekommen hat. Als Erfinder des vormodernen Diaprojektors wird der holländische Physiker Christian Huygens (1629–1695) angesehen, der bereits 1659 einen Apparat zur Projektion von Glasbildern konzipierte. In der Frühen Neuzeit aber war die Laterna magica mit Athanasius Kircher verbunden, der sie allerdings erst nachträglich in der Zweitauflage seiner Schrift Ars magna lucis et umbrae (Die große Kunst von Licht und Schatten, Erstauflage 1646) erwähnte. Der Grund für die Verbindung von Kircher mit der Laterna magica könnte in der wirkmächtigen Bildskizze liegen, die 1671 die technische Beschreibung begleitet und als Projektion bzw. Bild im Bild ein Totengerippe zeigt.

Ausschnitt aus: Athanasii Kircheri: Ars Magna Lucis et Umbrae. Amsterdam: G. J. Waesberge 1671, S. 769.
Online: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kircher1671

Dass die Bildauswahl keinen Zufall darstellt, betont Kircher im argumentatorischen Fortgang seiner Schrift. Gerade die Darstellung von Totengerippen, Teufeln und Gespenstern aller Art hat in der verstärkten Kontrastierung von Licht und Schatten einen größeren didaktischen bzw. kathartischen Mehrwert:

Es ist aber diese Vorstellung der Bilder und Schatten in finstern Gemächern viel förchterlicher als die so durch die Sonne gemacht wird. Durch diese Kunst könten gotlose Leute leichtlich von Begehrung vieler Laster abgehalten werden / wenn man auff den Spiegel des Teufels Bildnuss entwürffe und an einen finstern Ort hinschlüge.[5]

Der Gedanke, durch künstliche Gespensterbilder die Leute zu schrecken und damit im Sinne der neostoischen atrocitas-Lehre vom Laster abzuhalten, fällt m. E. bei Kircher zum ersten Mal. Generell aber ist die Idee, Gespenster durch optische Mittel künstlich zu beschwören, nicht neu. Bereits Daniel Schwenter hat 1651 eine Verbindung von (Zauber-)Kunst und Gespenstern gezogen: Man schreibet viel von Zauberern und Hexen / welche vorgaben / sie können Geister und Gespenste erscheinend machen / welches doch meistentheils natürlich zugehet / und aus den catoptrica oder Spiegelkunst herrühret.[6] Und diese Verbindung bleibt für die Laterna magica auch für die nächsten Jahrhunderte erhalten, denkt man an Schillers Geisterseher (1787) oder den Holzstich zu Robertsons Phantaskop (aus einer Vorführung von 1797) aus dem Jahre 1885.

Ausschnitt aus: Felix Ahrens u. v. a (Hg.): Das Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien. Bd. 2: Die Kräfte der Natur und ihre Benutzung. Physikalische Technologie. Leipzig: Otto Spamer 1898, S. 357.
Online: https://www.e-rara.ch/zut/content/zoom/8605096

Von der möglichen Projektion zu Geistern und Gespenstern auf der Theaterbühne ist es kein großer Schritt mehr und es ist durchaus im Rahmen des Möglichen, dass Geistererscheinungen in spätbarocken Dramen per Laterna magica inszeniert wurden. Allerdings mangelt es an hinreichenden Belegen; paratextuell äußern sich Barockautoren meist nur in kurzen Anweisungen über die Inszenierungsweise einer Geistererscheinung.[7]

Nichtsdestotrotz ist das Spiel mit Licht und Schatten auch für die bekanntesten Dramatiker des Barock von Bedeutung, insbesondere wenn man die Menge an Geisterszenen bedenkt, die in Trauerspielen von Gryphius, Lohenstein oder Hallmann vorkommen. Nahezu alle der hier bedachten Geisterauftritte spielen bei Nacht, und so wundert es nicht, dass die traditionelle Requisite des Totengeists die Fackel darstellt. Man möge sich die unheimliche Wirkung vorstellen: Ein einsames Licht in einem wohl ansonsten abgedunkelten Theaterraum. Will man die Alterität des Totengeists gegenüber den Lebenden noch erhöhen, braucht es ein gewisses Maß an ‚Special Effects‘. Und davon gibt es reichlich in barocken Trauerspielen, allein wenn man sich auf die Geisterszenen des Autors Andreas Gryphius konzentriert.

In Gryphius’ Leo Armenius etwa wird der Einsatz einer Hebebühne im Nebentext beschrieben, die den Rachegeist Tarasius unter Violenklang und samt etliche[r] Lichter sonder Leuchter aus den Tiefen der Bühne emporhebt und ihn nach seiner Rede auch wieder dahin verschwinden lässt. Unterschiedliche Bühnentiefen dürften auch bei anderen Geister- und Gespensterinszenierungen eine Rolle gespielt haben, zumindest zieht der Wiedergänger Marcellus seine ehemalige Partnerin Celinde in Cardenio und Celinde fast mit sich in die dunkle Tiefe und der Geist Severus verkündet im Papinianus seinen Aufstieg aus dem Dunkel der aufbrechenden Erde. Doch es gibt auch Totengeister, die aus dem Himmel heraus auftreten, zumindest beschreibt Chach Abas in seiner Höllenvision, wie der Himmel bricht[8] und ihm der Geist Catharinas erscheint. Maximilian Bergengruen hat darin den Einsatz einer Flugmaschine gesehen und begründet.[9] Ebenso sieht er im eng getakteten Schauplatzwechsel rund um die Gespenstererscheinung Olympias einen Versuch des Autors Gryphius, die zur damaligen Zeit technische Innovation des romanischen Telari-Systems, das für den Bühnenhintergrund mit drehbaren Prismen arbeitet, auf der deutschen Bühne praktikabel zu machen.[10]

Neben diesen bühnentechnischen Hebe-, Flug- und Wechsel-Vorrichtungen treten Geister und Gespenster häufig mit Blitzen, Feuer und Rauch auf. Unter Funkenschlägen etwa wird der hier schon beschriebene Severus auf die Bühne gehoben, während die Furien im Hintergrund dem Totengeist auf einem Amboss einen Dolch schmieden. Donnergrollen begleitet die Geister der ermordeten Könige im Carolus Stuardus. Chach Abas ist beim Erscheinen des Totengeists Catharinas von einem (imaginierten) Höllenfeuer umgeben. Und bereits der Höllische Geist im Leo Armenius entsteigt der bebenden Erde laut dem Zauberer Iamblichos, der zuvor bereits einiges an Räucherwerk und andere mordbeladene Requisiten zur Beschwörung benutzt hat, umgeben von Flammen.

Allein die für Gryphius beschriebenen Geisterszenen weisen eine reichhaltige Fülle an ‚Special Effects‘ auf, die auch als Wortkulisse in der Phantasie der Zuschauer bzw., im Kontext der abgedunkelten Bühne, der Zuhörer eine enorme Wirkung entfaltet haben dürfte. Gryphius hat diese Art der Geisterinszenierung im Vorwort von Cardenio und Celinde theaterpoetologisch zu rechtfertigen gesucht: Ob jemand seltsam vorkommen dörffte / daß wir nicht mit den Alten einen Gott aus dem Gerüste; sondern einen Geist aus dem Grabe herfürbringen; der bedencke was hin und wider von den Gespensten geschriben.[11] Gryphius bezieht sich hierbei wohl auf die antiken Geistergeschichten, etwa aus Historien oder Briefen (vgl. exemplarisch Cassius Dio oder Plinius), sowie auf neuere Geistertraktate, die um 1600 im Umkreis der Hexendebatte zunehmend im Gelehrtendiskurs zirkulieren (Lavater, Weyer oder Bodin). Dabei lenkt er die Debatte über Geister und deren kathartisches sowie lysisches Potential mit zwei nacherzählten Geistergeschichten aus Johannes Moschus’ Geistlichen Wiesen auf das Theater um: Als metaphysische Wesen können Geisterschatten entweder bekehrend das göttliche Licht verkünden oder strafend auf das Dunkel der Hölle vorausdeuten. Um den heilsamen Schrecken und damit das kathartische Potential zu steigern, braucht es wiederum eine ausgefeilte Theatertechnik bzw. Illusionskunst. Darauf hatte ja auch Athanasius Kircher mit dem Einsatz der Laterna magica hingewiesen. Allerdings darf die Produktion fürchterlicher Gespensterbilder zum Zweck der Lasterabkehr nicht von einer Theaterkunst zu einer Zauberkunst verfallen. Der Schlüssel zur ‚Entzauberung‘ solcher sensationellen Geisterszenen liegt, zumindest bei Gryphius, im Moment der Desillusionierung innerhalb der Illusion zwischen Figur und Zuschauer. Ähnlich wie Lessings spätere Furcht-Konzeption, spiegelt sich im Geistersehen frühneuzeitlicher Tyrannen und Märtyrer das für den Zuschauer auf sich selbst bezogene Mitleid. Zu Gryphius’ Zeiten ist dies die Furcht vor dem eigenen lasterhaften Handeln und der möglichen göttlichen Strafe; man leidet nicht mit dem geistersehenden Tyrannen auf der Bühne, sondern durch diesen für sich selbst. Je größer also die Illusion einer wahrhaften und dadurch umso erschreckenderen Geistererscheinung, desto größer die Desillusionierung des Selbst beim Zuschauer, der sein eigenes (ggf. lasterhaftes) Handeln reflektieren soll. Im Sinne der ‚theatrum mundi‘-Metapher, dass die Welt nur ein Schauspiel im Angesicht Gottes ist, sowie der platonischen Höhlen-Metapher tritt der Mensch aus dem Schatten der weltlichen (Bühnen-)Illusionen in das göttliche Licht der wahren (Selbst-)Erkenntnis. Getragen wird dieses affektpoetologische Momentum durch die liminale Katalysatorfigur des Gespensts, dessen wahrhaft metaphysische Übernatürlichkeit durch die scheinbar übernatürliche Physik der ‚Special-Effects‘ auf der Theaterbühne re-präsentiert wird. Wenn dementsprechend jeder technischen Innovation ein Gespenst innewohnt, dann wohnt in Gryphius’ Geisterpoetik auch jedem Gespenst eine Technik des Selbst inne.

Conrad Fischer ist seit 2018 Doktorand an der JMU Würzburg und promoviert zum Thema Geistererscheinungen in Andreas Gryphius‘ Trauerspielen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Wissensgeschichte um 1650, Hauntology, Erzähltheorie, dem Barockdrama, bürgerlichen Trauerspiel und der Fallgeschichte.


[1] Vgl. exemplarisch das Interview von Adam Savage mit Jason Reitman über das CGI von Egon Spengler: How Ghostbusters: Afterlife Brought Back THAT Legacy Character. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=u5CDKWnWpPs; geöffnet am: 10.04.2023.

[2] Vgl. Georg Luck: Magie und andere Geheimlehren in der Antike. Stuttgart 1990.

[3] Vgl. Egon Treppmann. Besuche aus dem Jenseits. Geistererscheinungen auf dem deutschen Theater im Barock. Zürich 1954 / Konstanz 1999.

[4] Johann Samuel Halle: Magie, oder die Zauberkräfte der Natur. So auf den Nutzen und die Belustigung angewandt worden. Mit 9 Kufertafeln. Erster Theil. Zweyte Auflage. Gedruckt bey Joachim Pauli. Berlin 1784, S. 238. Internetquelle: https://www.google.de/books/edition/Magie_oder_die_Zauberkr%C3%A4fte_der_Natur_s/yj4jlCkyPdwC?hl=de&gbpv=1&dq=samuel+halle+magie&printsec=frontcover.

[5] Kaspar Schott: Magia optica (=kommentierte deutsche Ausgabe von Kirchers Ars magna lucis et umbrae), Würzburg 1671, S. 407, zit. n. Jürgen Berger: Die Projektion. Anmerkungen zur Geschichte der Laterna Magica. In: Laterna Magica – Vergnügen, Belehrung, Unterhaltung. Der Projektionskünstler Paul Hoffmann (1829–1888). Eine Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt. Frankfurt am Main 1981, S. 29–54, hier S. 30f.

[6] Daniel Schwenter: Deliciae physico-mathematicae oder mathematisch und philosophische Erquickstunden, Nürnberg 1651, S. 304; zit. n. Detlev Hoffmann / Almut Junker: Laterna Magica. Lichtbilder aus Menschenwelt und Götterwelt. Berlin 1982, S. 22.

[7] Zumindest aber erwähnt Gryphius in seiner Leichabdankung Winter-Tag Menschlichen Lebens (1653) Kirchers Ars magna lucis et umbrae und eine dort beschriebene ‚Geister-Apparatur‘. Im Kontext von göttlichem Licht, reinigendem Feuer und teuflischem Rauch heißt es: Kirchnerus in seiner Wissenschaft des Liechts und Schattens giebt Anleitung / wie man / vermöge eines sonderbaren Rauchs / allerhand Gesichter vorstellen könne; weil selbiger wegen der Dikke und Fettigkeit die Bilder der umstehenden Menschen als ein Spiegel zurück wirfft / aber wegen der steten Bewegung und Unlauterkeit selbige sehr abscheulich entwirfft. (Andreas Gryphius: Winter-Tag Menschlichen Lebens. In: Andreae Gryphii Dissertationes Funebres, Oder Leich-Abdanckungen. Leipzig 1667, S. 241f.)

[8] Andreas Gryphius: Catharina von Georgien. In: Ders.: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt am Main 1991, S. 220, V. 385.

[9] Vgl. Maximilian Bergengruen: Heilung des Wahns durch den Wahn. Psychologie, Theologie und Technik der Geistererscheinungen in Gryphius’ Cardenio und Celinde. In: Daphnis 44 (2016), S. 374–395, hier S. 388.

[10] Vgl. ebd., S. 391.

[11] Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde. In: Ders.: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt am Main 1991, S. 231.

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