„Medium“ – diesen Begriff in der historisch-geisteswissenschaftlichen Textproduktion verwenden zu müssen, aktivierte eine Weile lang (wohl in der ersten Hälfte der 2000er Jahre) meine Nackenhaare: zu modisch, zu ubiquitär, zu anbiedernd an (nicht mehr ganz) aktuelle Paradigmen und gesellschaftliche Debatten. Dazu der Anspruch, die enorme Breite medienwissenschaftlicher Wissensproduktion adäquat mitzudenken. Mit Bedacht habe ich ihn in meiner kunsthistorischen Promotionsschrift zu vermeiden gesucht oder sonst zumindest durch Kompositabildung spezifiziert („Trägermedium“).

Dann trat irgendwann eine Phase der Entspannung ein, Medientheorie ist zwar nicht überholt, aber nicht mehr trendy und der allgemeine Gebrauch zeugt davon, dass nicht alles eingepreist werden muss (und kann!), was an medientheoretischem Wissen zirkuliert. Viel zu breit und widersprüchlich ist alles ausdifferenziert. Eine historische Konstellation als ‚medial‘ zu bezeichnen, steht nicht mehr im Ruch effekthascherischen Metaphorisierens, sondern ist legitime Wissenschaftssprache – wenn sich etwas medientheoretisch Relevantes damit verbindet. Und es stehen nicht mehr automatisch die McLuhmanns – Brangelina der Medientheorie – im Raum und sehen einem kritisch über die Schulter.

Man passt sich, wenn man den Begriff nicht schlicht so wie früher auch schon im Fach Kunstgeschichte als Bezeichnung von Materialien bzw. Techniken verwendet, dem spezifischen Begriffsverständnis eines Autors oder einer Theorieposition an und weist dies zumindest andeutungsweise aus. Oder aber: man hat aufgrund eines medientheoretischen anything goes offenbar die Lizenz, den Begriff im Sinne eines diffusen Alltagsverständnisses einzusetzen.

Letzteres ist es, was in Fächern, die in ihrer Breite nicht direkt an medientheoretischer Forschung partizipieren, zu problematischen Aushöhlungseffekten führt. Man weiß oft nicht mehr, was gemeint ist, wenn jemand ‚Medium‘ sagt – ein misslicher Zustand für Wissenschaftssprache. Natürlich war es gerade die Medienwissenschaft, die gezeigt hat, dass nahezu alles als Medium fungieren und ergo so bezeichnet werden kann. Aber sie hat doch nie behauptet, alle Formen der medialen Operation träten immer zugleich auf, sobald etwas als Medium adressiert wird! In diese Richtung indes scheint mir der problematische Wortgebrauch zu gehen. Es dürfte noch common sense sein, dass mit der Wahl des Wortes entweder die Sphäre der Kommunikation als Rahmen aufgerufen oder aber eine Perspektive impliziert wird, die beobachten will, dass etwas durch etwas hindurch muss, eine Form der Materialität oder der Formatierung/Codierung, die dem ‚etwas‘ ihre eigenen Gesetze auferlegt, die Einschränkungen und spezifische Wahrnehmungsformen zeitigt. Aber über diese allgemeinen Konnotationen des Begriffsgebrauchs hinaus wird es schnell sehr indifferent, wenn der Kontext nicht klar macht, was gemeint ist.

Das größte Problem, das ich beim derzeitigen Gebrauch der Begriffe ‚Medium‘ und ‚medial‘ etc. in Fächern wie der Kunstgeschichte beobachte, ist die mangelnde Reflexion dessen, dass es aufgrund der Vielzahl von Formen medialer Vermittlung, Speicherung, Wahrnehmbarmachung etc. einer gedanklichen Entscheidung und sprachlichen Markierung bedarf, was davon genau gemeint ist. Die Rede vom ‚Medium‘ verführt in besonderer Weise dazu, solche Unterscheidungen zu unterdrücken. Sie impliziert nämlich eine relativ feste Zuordnung eines mit fixen Eigenschaften versehenen Etiketts an eine ebenfalls fixe Sache. Nehmen wir die Druckgraphik als Beispiel, das historische Paradebeispiel für medialen Wandel und seine epistemischen wie sozialen Folgen, #Gutenberggalaxis, #Medien der Reformation.

Das Problem ist nun weniger, dass nicht in jedem Fall sprachlich zwischen Hoch- und Tiefdruck, Einblattdruck und Buchdruck usw. unterschieden wird. Es kann ja in bestimmten Fällen durchaus praktisch und zielführend sein, auf einem höheren Abstraktionsniveau schlicht von „Druckgraphik“ zu sprechen und in den anderen Fällen leistet der Zusammenhang den Rest. Noch deutlich unproduktiver ist es, wenn sich die Art der adressierten medialen Operation entzieht.

Meister E.S., Die grosse Jungfrau von Einsiedeln, 1466

Ein Kupferstich des Meisters E.S., der ein Gnadenbild in Einsiedeln zeigt, kann in verschiedensten Konstellationen als ‚Mittel‘ oder ‚Mittleres‘ fungieren: Die Technik mit ihrer mehrstufigen Bildentstehung und dem mit ihr verknüpften Distributionssystem sind mediale Bedingungen künstlerischen Schaffens, in einem gewissen Blickwinkel auch „Medien der Kunst“ (Hans Belting differenzierte diese von „Medien des Bildes“, also Trägermedien in bildtheoretischer Hinsicht). Die Bildentstehung muss durch das Nadelöhr eines materiellen und technischen Komplexes. Eine bestimmte Ästhetik ist die Folge, doch es gibt auch Auswirkungen bis in die Wahl der Motive – Blut ist nicht so attraktiv wie in der zeitgenössischen Malerei zum Beispiel. Auch treten Porträts von Einzelpersonen naturgemäß weitaus seltener auf, eine Folge des implizierten unpersönlichen Distributionssystems, das die künstlerische Graphikproduktion im engeren Sinne grosso modo mit dem Flugblattwesen oder dem Buchdruck teilt.

Des Weiteren gibt es da eine bestimmte klösterliche Gemeinschaft, die im Besitz eines Gnadenbildes ist, mit dem sie regelmäßige Events (Wallfahrten) veranstalten. Diese Gemeinschaft nutzt die Darstellungsleistung des Künstlers und das technische Verfahren hundertfacher Vervielfältigung, um ihre Botschaft weit zu verbreiten. Ist das nicht eine völlig andere ‚mediale‘ Konstellation?

Die Weisungen des Gnadenbildes stehen wiederum in einer grösseren medialen Achse, der vom Sündenfall gestörten Kommunikation zwischen Gläubigen und Gott, die durch allerlei Mittel überbrückt werden muss. Unter diesen ist Maria (als mediatrix verehrt) ein zentrales, das Derivat ihres (begnadeten) Bildes und das Derivat vom Derivat, also das gedruckte Bild vom Gnadenbild reihen sich durchaus nicht ohne Wirkungsversprechen (Ablass!) in einer Art beständigem Supplementieren ein. Es gibt auf dieser globalen religiösen Achse auch interessante ‚Epizyklen‘, in denen Einzelpersonen sich eines Bildes als Instrument bedienen, weniger um indirekt über gezeigte Heilige Kontakt aufzunehmen zur Gottheit, sondern vielmehr, um sich durch Erreichen eines geforderten Zustands der Kontemplation, Buße, Identifikation usw. überhaupt für eine funktionierende Kontaktaufnahme mit ‚ganz oben‘ zu qualifizieren. Auch das ist eine weitere mediale Konstellation für sich, die das gedruckte Bild anders verortet, als wenn es als Substitut eines personalen Mittlers oder Gnadenbildes betrachtet wird.

Gerade weil sich diese Funktionskomplexe oft eng einander anschmiegen oder gar punktuell überlagern, gerade weil z.B. gesellschaftlich-kommunikative Prozesse künstlerisch-ästhetische mediale Zusammenhänge gleichsam rekrutieren können (wobei sich im vorliegenden Fall die Repräsentation einer bestimmten Skulptur zugunsten künstlerischer Eigenlogik erstaunlich weit vom Original entfernt) scheint mir Differenzierung geboten. Natürlich kann ich mit gutem Recht sagen, diese Druckgraphik sei ein Medium – sie ist sogar mindestens fünf Medien, nur in den klassischsten Interessenshorizonten kunsthistorischer Analyse! Nur wenn nicht alles in einem Begriff implodiert, der immer schon alles zugleich ausdrücken soll, lassen sich die verschiedenen Konstellationen und Ebenen so weit analytisch auseinanderziehen, dass ihre fraglos existierenden Zusammenhänge anschließend auch detailliert und historisch spezifisch beschrieben werden können.

Es ist also keineswegs nur sprachliche Sorglosigkeit oder gedankliche Differenzierungsverweigerung, die das Problem bilden. Selbst Lexikonartikel zum Stichwort Medium oder anspruchsvolle Texte in Einführungen zeigen das Problem, dass versucht wird, alles möglichst eng zu verschränken, anstatt es möglichst voneinander zu unterscheiden. Es scheint mir die mit dem Substantiv ‚Medium‘ verbundene Idee, es gebe eine fixe Klasse von Gegenständen, die als solches benannt werden könnte, welche einen großen Teil der Probleme verursacht. Natürlich könnte und sollte man angesichts des Beispiels differenzieren zwischen dem Medium Kupferstich, dem Medium Druck, dem Medium Bild, dem Medium Maria, dem Medium Andachtsbild etc. Noch hilfreicher aber ist es, statt nach einem hoffnungslos überdeterminierten Ding namens Medium vielmehr nach verschiedenen Prozessen und Konstellationen Ausschau zu halten und statt eines Substantivs Verben und Adjektive oder zumindest Genitivkonstruktionen (Medium wessen?) zu favorisieren, wenn es um mediale Zusammenhänge geht.

Marius Rimmele lehrt und forscht am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich

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Ein Kommentar

  1. Ich finde den Begriff Medium dahingehend stets ambivalent, da man ihn (sehr grobe schwarz-weiss Einteilung meinerseits…, ich breche die Differenzierung herunter auf zwei Seiten einer Medaille) einerseits abstrakt und rational aus einer technischen Sicht betrachten kann (Medium als Ding, als Sache, als Artefakt oder als technisches Mittel zur Unterhaltung z.B. klassisch das Fernsehen, aber auch Druckgrafiken, um auf Ihr Beispiel Bezug zu nehmen), er andererseits jedoch auch aus einer (hier fehlt mir stets das passende Wort dafür, nicht zwingend das genaue Gegenteil von rational aber zumindest nicht mathematisch, naturwissenschaftlich oder logisch fassbar, sprich übernatürlich, aber ‚übernatürliche Sicht‘ macht keinen Sinn für mich und transzendent ist nicht genug in meinem Sprachgebrauch, als dass ich es verwenden würde[, ich suche ein äquivalentes Wort dafür und finde es leider nicht, also ist es hier wohl angebracht, transzendent zu verwenden], genauso wie gläubig falsch wäre bzw. zu eng gefasst, denn das würde übernatürliche Erscheinungen vor der Erfindung von Religionen [ich denke an Naturvölker und deren Riten, die ich nicht gleich setzen kann mit den institutionalisierten Religionen] ausschliessen, darum also widerwillig aber trotzdem:) transzendenten Sicht betrachtet werden kann. Ich denke dabei stets zuerst an eine Druidin, Seherin, oder Schamanin, die tanzend in Trance als Medium fungiert und stosse dann an die Grenzen einer brauchbaren Definition, wenn es darum geht diese Vorstellung eines Mediums auf die Kunstgeschichte zu übertragen…
    Aus diesem Grund finde ich den Brückenschlag, den Sie machen, also von einem – ich nenne es jetzt einmal – ‚profanen‘ Medium (und meine damit weltlich in einem übertragenen Sinne: ‚physisch‘, d.h. in diesem Verständnis ein Medium, dass vorhanden ist, dass der Betrachter sehen kann, wie z.B. die Druckgrafik an sich, oder in meinem Verständnis gleichsam ‚technisch‘) zu einem Medium im Sinne eines übernatürlichen Wesens bzw. einer Sache, einem Ding, das die gestörte Kommunikation wieder herstellt, das jedoch nicht greifbar ist, weil übernatürlich und mehr dem weltlichen Medium innewohnt, also so quasi die Metaebene der Druckgrafik, d.h. der ‚Geist‘ in der Druckgrafik gespeichert (in Ihrem Beispiel die Maria als Medium, aber theoretisch alle Heiligenfiguren, etc. aber eben auch archaischere Figuren…) sehr einleuchtend und gut illustriert, um sich den Unterschied besser vorstellen zu können.

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