Problem

Als ich vor einiger Zeit in einer Vorlesung einen Videoclip zeigen wollte, kam die Meldung: Das Medium konnte nicht gefunden werden. Das Gelächter kann man sich vorstellen. Nicht nur, weil Dozentenungeschick immer erheitert. Sondern auch, weil es genau darum in der Vorlesung gehen sollte: um Medien und ihre historischen Erscheinungsformen. Ich hatte erläutern wollen: Im Mittelalter ist mit dem medium nicht so selbstverständlich, wie uns dies scheint, ein kommunikatives Mittel, eine neutrale Schnittstelle gemeint, auf gewisse Weise gab es das Medium im uns vertrauten Sinne noch nicht. Es gab zwar das Wort, die Schrift, das Bild, materielle Objekte, mit allerlei Zeichen versehen, aber sie hatten keinen technischen Charakter, und zudem spielten andere Medien eine wichtige Rolle: zum Beispiel menschliche und übermenschliche Mittler, konkrete und abstrakte Figuren. Das hatte ich veranschaulichen wollen an einem im Internet beliebten Clip, in dem sich zwei im Digitalen erfahrene Mönche über ein sperriges rechteckiges Ding unterhalten. Der eine kennt es schon als Buch, der andere muss erst damit vertraut gemacht werden. Eine der Pointen dieses Clips wäre gewesen, dass hier eines der ältesten Medien als allerneuestes gelten soll: Es wird erklärt mit Hilfe einer Terminologie, die zugleich die zeitgenössische digitale Medienkultur ironisiert. Eine andere Pointe wäre gewesen, dass die auf einer Bühne gespielte und dann im Rahmen einer Fernsehshow ausgestrahlte Szene ihre eigentliche Verbreitung im Internet erfährt – wo das Buch in der Tat wie ein archaisches Relikt wirkt, das aus der Sicht einer medialen Postmoderne nur mehr zu bestaunen ist. Der Sketch greift zwar den mediengeschichtlich zentralen Übergang von der Rolle zum Codex auf. Er situiert ihn aber nicht in der Spätantike, sondern in einer unbestimmten Gegenwart, die eben jene Entwicklungen voraussetzt, an deren vermeintliche Anfänge wir zurückgeführt werden. All das wäre, hatte ich gedacht, dem gezeigten Ausschnitt zu entnehmen gewesen – doch: Das Medium konnte nicht gefunden werden.

Chance

Steampunk Inspired Mixed Media Art; ohne Autor (https://www.pinterest.de/HaroldsGrafik/mixed-media-art/).

Schnell zeigte sich das Erscheinen des einen Satzes anstelle des Clips als unvermuteter Gewinn. Brachte er nicht auf den Punkt, dass das Medium etwas ist, was sich bei genauem Blick immer entzieht? Zwar gibt es zünftige Medienwissenschaften, die ihre Gegenstände genau zu definieren wissen: Presse, Kino, Radio, Fernsehen, Telefon, Smartphone, Internet etc., Wissenschaften, die in der Lage sind, diese Medien unter verschiedensten Perspektiven zu betrachten: ihren Einfluss und ihre Wirkung, ihre Ökonomie und Ökologie, ihre Ethik und Philosophie. Doch arbeiten diese Wissenschaften in der Regel empirisch-quantitativ, an Einzelfällen sind sie ebenso wenig interessiert wie an den Komplexitäten, die sich zwischen verschiedenen Medien wie im Inneren eines einzelnen Mediums abspielen. Besteht dieses nicht immer schon so, wie die Schrift sich auf die Sprache bezieht, aus anderen Medien, die in unserer Zeit sogar in einer irrwitzigen Weise ineinander verschaltet sind? Haben nicht generell Medien, indem sie nicht nur Informationen übertragen, sondern auch sich selbst ausstellen, eine reflexive Dimension? Das kleine Logo, das jedes Fernsehbild imprägniert? Die Inszenierungshaftigkeit, die auch der Liveübertragung innewohnt? Das digitale Wasserzeichen auf einem Dokument? Und generell: Profilieren sich neue Medien nicht immer auf der Folie der schon bekannten? Definiert sich eine Gegenwart nicht immer in Bezug auf das, was ihr vorausgegangen ist, und das, was sie nach sich kommen sieht?

Konsequenz

Mit Fragen wie diesen schwindet die Sicherheit, wir wüssten, was dieses oder jenes Medium sei, wie es funktioniere oder nicht. So gesehen hätte es keinen besseren Satz geben können als den, den der Computer produzierte, als er mein Medium nicht fand. Er führte mitten hinein in die Eigenart und die Geschichtlichkeit medialer Formen. Und zwang mich ausserdem, der visuellen Demonstrationsmöglichkeit beraubt, anders zu erklären, wie komplex die Relation medialer Formen sein kann. Ich hatte die Rolle der Mönche aus dem Videoclip zu spielen, ihre Dialoge zu rezitieren, aus ihnen mündliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich hatte also die ältesten dem Menschen zur Verfügung stehenden Mittel, Körper und Sprache, zum Einsatz zu bringen, um die neuesten Entwicklungen anzudeuten. Das war sicher auch komisch, aber zudem erkenntnisfördernd. Eben von jenem Medium her, das nicht gefunden werden konnte, entstand das Bild einer historischen Situation, in der das Medium immer zugleich ein Zuviel und ein Zuwenig war, in der es am Göttlichen partizipieren und doch von diesem unendlich weit entfernt sein konnte. Dieses Bild ging aus der Abwesenheit des Bildes hervor und bescherte uns eine unterhaltsame, dabei nicht ganz nutzlose Einsicht: Nicht immer besitzt das, was uns visuell präsent ist, auch die höchste Prägnanz. Nicht immer sind die neuen Medien den alten überlegen. Nicht immer machen sie diese überflüssig. Immer hingegen zeigt die Kenntnis der alten die neuen in einem anderen Licht.

Ach ja, der erwähnte Clip heisst Medieval Helpdesk.

Christian Kiening, Professor für Ältere deutsche Literatur, leitet das Zentrum für Historische Mediologie (UZH) und ist Autor des Buches ‚Fülle und Mangel. Medialität im Mittelalter‘ (Zürich 2016).

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