St. Peter, Rom,
in: Roma Sacra, e Moderna,
Rom: Mainardi, 1725.



| Rückansicht von S. Peter,
in: Alois Riegl, «Werden des Barockstiles», in: ders., Die Entstehung der Barockkunst in Rom, Wien: Schroll, 1908.

St. Peter, Rom.
G.B. Falda: Nuovo Teatro, 1665.






























































































St. Peter: vom Entwurf zur Realisation


Die Baugeschichte von St. Peter zeigt, dass sich die Bauzeit eines Grossprojektes, wie die Errichtung einer Kirche, durch den häufigen Wechsel von Bauherren und Architekten verlängern konnte. Diese Tatsache führte zu häufigen Planänderungen und Intrigen unter den am Bau Beteiligten. So kam es, dass in der über hundert Jahre dauernden Bauphase mehrmals ältere Teile zerstört und ersetzt wurden, und dass die Konzepte des Zentral- oder Longitudinalbaus abwechselnd auftraten.

1. Bramante und Neu-St. Peter
2. Die Bauleitung unter Raffael und Antonio da Sangallo der Jüngere
3. Der Abbruch Alt-St. Peters

1. Bramante und Neu-St. Peter

Papst Julius II. (1503-1513) machte sich bereits bei seinem Amtsantritt Gedanken über sein eigenes Grabmal. Die Konzipierung überliess er Michelangelo, der ein monumentales Freigrab entwarf. Die konstantinische Basilika, die über dem Grab des heiligen Petrus um 322-329 erbaut worden war, bot keinen Platz mehr für das geplante, gewaltige Juliusgrab. Dies war eine Ursache, die zu dem Entschluss führte, die bestehende Kirche niederzureissen und neu zu errichten1. Weitere Gründe waren die Baufälligkeit der fünfschiffigen Basilika und der Wunsch nach Repräsentation, die den künstlerischen Idealen des zeitgenössischen Geschmacks entsprechen sollte.2

Der Papst berief die beiden Architekten Donato Bramante (1444-1514) und Giuliano da Sangallo (1445-1516) nach Rom. Die chronologische Abfolge und die Zuschreibung des erhaltenen Planmaterials von Neu-St. Peter sind nicht restlos geklärt, da nur wenige schriftliche Quellen zur Baugeschichte vorliegen.3 Der zeitlich erste Entwurf, ein Pergamentplan (Uff. UA 1), stammt sicher von Bramante, denn Verso steht die Inschrift von Antonio da Sangallo, dem Neffen Giulianos: „Sto. pietro di mano di Bramante“4. Der spiegelbildlich ergänzte Grundriss zeigt einen Zentralbau in Form eines griechischen Kreuzes, über dessen vier gleich lange Arme vier weitere, kleinere griechische Kreuze eingezeichnet sind. Nach diesem Plan hätte der Apostelgrab gehoben und unter dem Scheitelpunkt des Kuppelraumes verschoben werden müssen, was Julius II. aus religiösen Gründen ablehnte.5

Aus dem Pergamentplan Bramantes leitet sich die erste Zeichnung Giuliano da Sangallos (Uff. UA 8r) ab. Der auf der Rückseite des Blattes skizzierte Grundriss lässt die Planung eines Langhauses vermuten (Uff. UA 8v). Demnach hätte der Urheber, der zum Bramante- oder Sangallokreis gehörte, versucht, die ästhetischen Ansprüche des Pergamentplanes mit den kultischen Bedürfnissen in Einklang zu bringen.6 Der Rötelplan (Uff. UA 20) entwickelte sich aus den Entwürfen UA 8. Welcher Architekt die Zeichnung manuell ausgeführt hat, bleibt offen, nachweisbar sind die Einflüsse der beiden Konkurrenten Bramante und Sangallo. Zum Beispiel die Ausweitung der Nebenkuppelräume durch Abschrägen der Aussenkanten der Kuppelpfeiler ist auf den ersten Bramanteplan zurückzuführen.7

In der ersten Planungsphase scheint die Führung an Giuliano da Sangallo gegangen zu sein. Bis zum Baubeginn im Frühjahr 1506 gelang es aber Bramante, die Leitung zu übernehmen. Nach welchen Neubauentwürfen die Arbeiten begannen, ob Zentral- oder Longitudinalbau grundlegend waren, lässt sich nicht nachvollziehen.8

2. Die Bauleitung unter Raffael und Antonio da Sangallo der Jüngere

Nach Bramantes Tod im Jahre 1514 wurde die Leitung der Baustelle Raffaello Sanzio (1483-1520) übertragen. Unter seiner Führung kam der Neubau langsam voran, aber es entstanden viele Ideen und Zeichnungen, die sein Mitarbeiter Antonio da Sangallo d. J. ausarbeitete. Vermutlich auf den Einfluss des Letzteren änderte Raffael den ursprünglichen Grundriss eines griechischen Kreuzes in ein lateinisches Kreuz (in: Serlio, Terzo libro, 1544, S. 37).

Raffael starb im Jahre 1520 und ihm folgte Antonio da Sangallo d. J. (1483-1546) als Baumeister und als zweiter Architekt Baldassare Peruzzi (1481-1536). Peruzzi kehrte zur Konzeption eines Zentralbaus zurück, während Sangallo eine Art Mischform aus Zentral- und Langhausbau plante. Nach dem Sacco di Roma 1527, der Plünderung Roms, wurden die Arbeiten an Neu-St. Peter im Jahre 1536 wieder aufgenommen und Sangallo d. J. erhielt die Leitung. Er liess nach seinen Entwürfen in sieben Jahren ein grosses Holzmodell bauen (Depot, St. Peter, Rom). An der realen Kirche wurde indessen wenig gearbeitet.

Michelangelo Auch als Michelangelo Buonarroti (1475-1564) nach dem Tod Sangallos Ende 1546 die Bauleitung übernahm war die Frage nach der Form der neuen Basilika noch nicht endgültig geklärt. Michelangelo kehrte wieder zur Idealvorstellung der Renaissance zurück, wonach eine Kirche freistehen und überhöht durch ein Stufenpodium aus der Umgebung herausragen sollte9.
Gemäss den Ausführungen des Kunsthistoriker Wolfgang Lotz im Artikel "architecture in the later 16th century", ist das ein Wiederaufgreifen der Kirchen im Zentralbau. Die statische Wirkung eines Baumonuments stehe dabei im Zentrum. Wie bereits im Entwurf zum Campidolio werde die Kirche von drei Gebäuden umramt. Durch die Erhöhung und zentrale Setzung fehle jede Richtungsangabe und es entstehe eine Rotation. Durch die Errichtung des Obelisken auf den Petersplatz 1586 entstehe aber eine ganz andere Wirkung. Die Anordnung erreicht keine statische Wirkung mehr, sondern es entsteht eine Längsrichtung im Grundriss. Ebenfalls die Treppe gibt nun diese Richtung an. Der Besucher wird direkt auf die Kirche zugeführt.
Um seinen Entwurf durchzusetzen musste Michelangelo zunächst die Anhänger und Mitarbeiter Sangallos ausschalten. Da ein solches Bauwerk jedoch für alle Beteiligten ein lukratives Geschäft war, leisteten die Übergangenen erbitterten Widerstand, was den Bau erheblich zu verzögern drohte. Um sich abzusichern, leitete er mehrere Schritte ein, die nicht zum eigentlichen Handwerk des Architekten gehörten. Der wichtigste dabei war die Versicherung vom Papst, dass seine Entwürfe den älteren überlegen seien, und er wenn nötig auch bereits gebaute Teile abreissen kann um seine Pläne zu verwirklichen.10
Unter Michelangelo entstanden einige Änderungen den Entwürfen von Donato Bramante (1444-1514). Zunächst plante er Türme als Trabanten um die Kuppel zu arrangieren, um somit ihre Wirkung in die Höhe abzuschwächen und in die Breite zu verlagern. Michelangelo hingegen erreicht den Effekt, indem er anstelle von Türmen vier kleine Eckkuppeln in die Pläne aufnimmt (ausgeführt wurden zwei. Trotzdem konzentriert er auf die Kuppel und überhöht die Wölbung Bramantes um ein vielfaches. Die Kolossalordnung des Gebäudes lässt die Fassade einheitlich erscheinen und verstärkt den Eindruck eines Sockels - zusätzlich dient die Verdoppelung der Säulen nicht der optischen Verzierung sondern verkörpert den erhöhten Kraftaufwand zur Stützung der Kuppel.11
Des Weiteren schuf er mit seinem Bauablauf Tatsachen für die kommenden Generationen. Neben den Anordnungen der Päpste nach seinem Tod, dass die Anordnungen Michelangelos nicht abgeändert werden dürfen, schaffte er auch mit den ausgeführten Bauten Tatsachen. Er baute nicht systematisch, sondern verwirklichte Eckpunkte, die seine Nachfolger unter einen Systemzwang setzten und nur die Möglichkeit eines Abbruchs bei einer Entwurfsänderung zuliess.


3. Der Abbruch Alt-St. Peters

Durch die Fertigstellung von Neu-St. Peter stellte sich die Frage nach dem Schicksal des konstantinischen Langhauses. Mit dem Hinweis auf den katholischen Ritus wurde für eine Verlängerung des Ostarms geworben, um die Form eines lateinischen Kreuzes zu erhalten.

So wurde 1605 unter dem Hinweis auf die Baufälligkeit des alten Langhauses mit dessen Abriss begonnen, und nach den Plänen Carlo Madernos (1556-1629) dem Bau Michelangelos eine dreischiffige Vorkirche mit einer Vorhalle angebaut. Auch bei diesem Projekt wurden mit einem schnellen Baubeginn im Osten unwiderrufliche Tatsachen geschaffen. Zudem widerspiegelte der Bau der Glockentürme die neuen Machtverhältnisse. Der Türme wurden von Papst Pius V. als ästhetische Konkurrenz zu Michelangelos Zentralbau initiiert, und nicht vom Architekten12.

Den Schlusspunkt unter die über hundertjährige Geschichte vom Entwurf bis zur Realisation von St. Peter setzte der Widmungsbrief Madernos vom 30. Mai 1613. „Im Moment der Fertigstellung der Fassade löscht er nicht nur alle Zweifel an der Rechtfertigung und Notwendigkeit der Niederlegung der alten Basilika, sondern entzieht auch allen Bedenken gegenüber den Planwechseln der Baugeschichte den Grund.“13



Anmerkungen

1. Klodt, Templi Petri instauracio, S. 14.
2. Klodt, Templi Petri instauracio, S. 11.
3. Wolff Metternich, Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert, S. 9.
4. Klodt,Templi Petri instauracio, S. 23.
5. Wolff Metternich, Bramante und St. Peter, S. 12.
6. Wolff Metternich, Bramante und St. Peter, S. 44.
7. Wolff Metternich, Bramante und St. Peter, S. 44.
8. Frommel, Die Peterskirche unter Papst Julius II., S. 72.
9. Satzinger, Sankt Peter: Zentralbau oder Longitudinalbau – Orientierungsprobleme S. 130, in: Satzinger, Schütze (Hg.), Sankt Peter in Rom 1506-2006, S. 127-145.
10. Bredekamp, Sankt Peter in Rom und das Prinzip der Zerstörung, S. 71 f.
11. Alois Riegl, «Werden des Barockstiles», in: ders., Die Entstehung der Barockkunst in Rom, Wien: Schroll, 1908, S. 78ff.
12. Bredekamp, Sankt Peter in Rom und das Prinzip der Zerstörung, S. 104 f.
13. Bredekamp, Sankt Peter in Rom und das Prinzip der Zerstörung, S. 113.



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