Säulenordnungen


Attach:Vignola_1691_ETH_Säulen.jpg Δ «Säulenordnung nach Vignola» A.C. Daviler, aus: Cours d’Architecture qui comprend les Ordres de Vignole, Paris: Nicolas Langlois, 1691.





Illustration in Hans Blums "Von den fünff Sülen", Zürich, 1550.






Palazzo Rucellai (1455-70), Entwurf:Leon Battista Alberti, Foto von: fotomarburg.de





M. Vitruuii De Architectura'', Sebastiano Serlio,aus: Tutte l'opere d'architettura di Sebastiano Serlio Bolognese (Buch 1-7), Venedig, 1584.



























1. Einleitung
2. Die Säulenordnungen in der Renaissance in Anlehnung an Vitruv
3. Die fünf klassischen Ordnungen
4. Neu- und Umdeutung in der gebauten Architektur

1. Einleitung
Die Architekturtheorie der Renaissance von Albertis Traktat De re aedificatoria bis zu Scamozzis L'idea dell'architettura universale anderthalb Jahrhunderte später eint die gemeinsame Überzeugung der Vorbildlichkeit der antiken Architektur. Die 'Säulenordnungen' wurden dabei zum zentralen Moment eines Regelkanons, der, nach Abkehr vom Formensystem der Gotik, der Baukunst neuen Halt geben sollte. Die Auseinandersetzung mit Vitruvs Schriften führte zu Klassifikationsschemata der fünf klassischen Ordnungen Tuscana, Dorica, Ionica, Corinthia und Composita. Die Herausforderung der Renaissancearchitekten bestand dabei u.a. in einer Neuinterpretation des Einsatzes von Säulen an antiken Monumentalbauten, wo diese eine statische Funktion besassen, auf neuzeitliche Profanbauten, bei denen die Säulen eine rein optisches, strukturierendes Element darstellen.

2. Die Säulenordnungen in der Renaissance in Anlehnung an Vitruv
Die europäische Baukunst der Renaissance kann als Epoche der Säulenordnungen verstanden werden. Diese Benennung lässt sich damit begründen, dass die Architektur dieser Zeit eine gemeinsame Formensprache besitzt, die sich an einer spezifischen Kunstliteratur orientiert. Quellen der neuzeitlichen Architekturtheoretiker waren einerseits Vitruvs Werk De architectura libri decem, 33-14 v. Chr andererseits die Überreste antiker Bauten in Rom. Die Kanonisierung, Systematisierung und Regulierung der Säulenordnungen in der Neuzeit durch die Architekturtraktate basieren daher weitgehend auf Vitruvs Schriften. Vitruv beschrieb in seinem Traktat die Stile der antiken Tempel mit klassifizierender Beschreibung der Glieder.1 Seine Angaben über die Säulenarchitektur waren hauptsächlich auf Form und Mass der drei Grundarten des antiken Säulenbaus, der dorischen, ionischen und korinthischen und ihrer beiden Spielarten, der zusammengesetzten (komposit) und der toskanischen konzentriert. Dabei nennt er die Ionica als bevorzugten Schmuck, darauf folgend das korinthische Kapitell. Von der Dritten, der Dorica, rät er ab. Zu den bedeutendsten Verfassern von Architekturtraktaten, die sich mit Vitruvs Schriften beschäftigten und dessen Ideen weiterentwickelten, zählen Leon Battista Alberti (1452), Sebastiano Serlio (1537), Giacomo Barozzi da Vignola (1562), Andrea Palladio (1570) und Vincenzo Scamozzi (1615). Alberti spricht in seinem Traktat ( De Re Aedificatoria, 1485) davon, dass eine Säulereihe nichts anderes ist als eine Mauer, die an mehreren Stellen durchbrochen und offen ist. Weiter meint er, „Säule und Gebälk sollen nicht nur in ihrer tektonischen Funktion des Tragens und Lastens verstanden werden, sondern vor allem in ihrer Eigenschaft als ordnende und geordnete, begrenzende und begrenzte Teile des Wand-Ganzen: Die Proportion ist wichtiger als die Funktion.“ (Naredi-Rainer, Paul von 1976 S. 51-52) In Sebastiano Serlio's Regole generali di architettura (1537) werden im vierten Buch die fünf kanonischen römischen Ordnungen zum ersten mal systemathisch aufgelistet, beschrieben und illustriert. Serlio machte ausserdem Empfehlungen welche Ordnung für welche Bauten angemessen sei. Corinthia sollte zum Beispiel bei Kirchen, die der Heiligen Jungfrau oder allgemein jungfräulichen Heiligen gewidmet waren, zur Anwendung kommen. 1550 veröffentlichte der deutsche Architekturtheoretiker Hans Blum in Zürich das Architekturtraktat . Offensichtlich hatte sich auch Blum, er gilt als der einflussreichste Architekturschriftsteller nördlich der Alpen, intensiv mit dem Traktat von Vitruv auseinandergesetzt. Die übersichtlichen Darstellungsformen der Säulenordnung und die praxisorientierte Konstruktionshinweise verhalfen dem Säulenbuch zu grosser Popularität. Die Methode Blums, die Proportionen anhand von geometrischen Konstruktionsprinzipien zu veranschaulichen wird etwas später von Vignola (Regola degli cinque ordini d'architettura, 1562) aufgenommen und zu einer durchgehenden Regulierung der Ordnungen weiterentwickelt. Der Begriff „Säulenordnung“ war in der Antike noch nicht gebräuchlich.2 Vitruv gebraucht die Bezeichnungen genus (Geschlecht, Art) und mos (Sitte) zur Beschreibung der Ordnungen (I. Buch, Kap. II). Der abstrakte Begriff ordine (italienisch) erscheint aber schon früh, ist bei Scamozzi (L'idea della architettura universale, 1615) bereits vorherrschend und findet als Ordnung=Säulenornung Eingang in alle Sprachen. Seit Alberti und bis ins 18. Jahrhundert wird die Bezeichnung Ordnung teils im engeren Sinne, als Regel für die Proportionierung einer bestimmten Säulenstellung, teils im weiteren Sinne, als Mittel architektonischer Gestaltung verstanden. Decor, im vitruvianischen Sinn, meint die inhaltliche Zuordnung der Bauaufgabe und die Angemessenheit des verwendeten genus.

3. Die fünf klassischen Ordnungen
Jede der fünf Ordnungen wird aus denselben Bauteilen zusammengesetzt: Postament, Säule (mit und ohne Basis, Säulenschaft und Kapitell) und einem Gebälk. Die Hauptpunkte der Gestaltung betreffen das Verhältnis der Höhe der Säulen zu ihrer Dicke, die verschiedene Art der Basis und des Kapitells und schliesslich die größeren oder geringeren Abstände der Säulen voneinander. Wenn in einem Aufriss Säulen unterschiedlicher Ordnungen verwendet werden (die geschossweise Übereinanderstellung nennt man Superposition oder Kolossalordnung), geschieht dies nach einer bestimmten hierarchischen Reihenfolge (von unten nach oben):
* Tuscana [toskanische Ordnung, auch als Rustikal, tuskische oder etruskische Ordnung bekannt, keine Kannelierung, schmuckloses Kapitell]
* Dorica [dorische Ordnung, kommt ohne Basis aus, meist 20 Kanneluren (vertikale, flachrunde Vertiefungen)]
* Ionica [ionische Ordnung, mit Basis, Stegkannelierung, Kapitell mit seitlichen Voluten (zu gefurchten Schnecken eingerollt)]
* Corinthia [korinthische Ordnung, ionisch kannelierter Säulenschaft, den Kapitellkörper umgeben zwei versetzt angeordnete Kränze aus je acht stilisierten Akanthusblättern]
* Composita [komposite Ordnung, eine Kombination von ionischen Voluten und korinthischer Akanthusblättern]

Neu- und Umdeutung in der gebauten Architektur
Am Palazzo Rucellai, der von Alberti entworfen wurde, wurde erstmals in der Renaissance eine Supraposition der Säulenordnungen umgesetzt. Ihre Umsetzung erforderte die genaue Kenntnis Vitruvs, sowie des Kolosseums in Rom, das als Vorbild für die Kolossalordnung galt.2 Die Fassade des Palazzo Rucellai ist ein sehr anschauliches Beispiel für die vertikale Staffelung der Säulen in der klassischen Reihenfolge von unten nach oben: dorisch, ionisch, korinthisch. Alberti war dabei wie bereits sein Vorgänger Brunelleschi mit der neuen Bauaufgabe konfrontiert Wohnhäuser und Paläste mit dem antiken Baustil zu verbinden. Er überzog die Fassade des Palastes mit einem Netzwerk von Pilastern und Deckplatten, die eine antike Säulenordnung vortäuschten.3
Von Bramantes Zeitgenossen bis zu Palladio wurde der Tempietto (Bramante 1584) als ersten der Antike kongenialer Bau gerühmt. Die konsequente dorische Ordnung der Säulen betrifft nicht nur die Kapitelle, sondern auch di Basen und das Gebälk; eine Novität für die Renaissance.4
Während das 15. Jahrhundert zu Vitruv ein freies Verhältnis bewahrte, zeichnete sich im 16. Jahrhundert eine zunehmende Dogmatisierung ab. Das Festklammern an Säulenproportionen und Regeln, reizte wohl auch Michelangelo Buonarotti zum Widerspruch gegen den grassierenden 'Vitruvianismus'. Das Einsperren der Säulen in die Wand und die dadurch hervorgerufene Verklärung der Vorstellung des Tragens und Lastens im Vorsaal der Biblioteca Laurenziana könnte als Beispiel für einen liberaleren Umgang Michelangelos mit Vitruvs Erbe betrachtet werden.5

Vitruv 1511 (Heidelberg)
Vitruv 1511 (Einsiedlen)
Vitruv 1511 (Tours)
Vitruv 1521 (Einsiedeln)
Serlio 1537 (ETH: 1600)
Alberti 1550 (ETH), Libro sesto: Delle Colonne & loro ornamenti
Alberti 1550 (ETH), Libro settimo: Delli ornamenti de tempii sacri
Alberti 1550 (ETH), Libro ottavo: Dello adornare gli spettacoli, i Teatri, i luoghi da correre
Vignola 1562 (Heidelberg: 1620)



Anmerkungen

1. Günther 1986, S. 90.
2. folgender Abschnitt basiert auf: Forssman, Erik 1961.
2. HyperColumn : Säulen-Ordnung Ein Projekt der Universität Zürich.
3. Gombrich, E.A., Die Geschichte der Kunst, 16. Ausgabe, Berlin 1995. S. 249-250.
4. Frommel, Christoph Luitpold, "Die Architektur der Renaissance", S 122.
5. Forssman, Erik, ''Dorisch, jonisch, korinthisch, S. 12.



Bibliographie
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Forssman, Erik, Dorisch, jonisch, korinthisch. Studien über den Gebrauch der Säule in der Architektur des 16.–18. Jahrhunderts, Stockholm: Almqvist, 1961 (Acta Universitatis Stockholmiensis. Stockholm Studies in the History of Art; 5).
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Gombrich, E.A., Die Geschichte der Kunst, 16. Ausgabe, Berlin 1995.
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