Di Lucio Vitruuio Pollione de Architectura
Libri Dece traducti de Latino in Vulgare
affigurati: Commentati
, hg. von Cesare
Cesariano
, Como: Gottardo da Ponte, 1521.



























































Bild und Text in Architekturtraktaten


Während frühe handschriftliche Architekturtraktate noch ohne Zeichnungen überliefert wurden – mögen diese verloren gegangen oder bewusst nicht eingeplant worden sein – entwickelte sich seit Ende des 15. Jahrhunderts, begünstigt vom Buchdruck, ein Trend zur Abbildung und weiter von der ideevermittelnden Skizze zum präzisen Entwurf. Mit teilweise ausgefeilten Setztechniken wurde bald der Quellentext in Vitruveditionen von halbseitigen Abbildungen und ausführlichen Kommentaren umgeben.

1. Die Entwicklung von Architekturtraktaten
2. Die Bedeutung von Abbildungen in Architekturtraktaten
3. Die Technik der Illustration

1. Die Entwicklung von Architekturtraktaten

Die Entwicklung von Architekturtraktaten in der Renaissance wurde durch eine Hofkultur begünstigt, die ein grosses Interesse an Architektur besass.1 Gleichzeitig bedurfte Renaissancearchitektur der Definition und des Arguments, da sie auf einer Idee gründet, die nicht aus der Baupraxis stammt, sondern sich gegen diese durchsetzen musste. Diese Idee der 'Wiedergeburt' der Antike entsprang dem künstlerischen oder intellektuellen Geist, der keine architektonische Ausbildung erfahren hatte und sein diesbezügliches Wissen auf Betrachtung erhaltener antiker Baudenkmäler oder Studium antiker Schriften gründete.

Das erste wichtige Architekturtraktat der Renaissance ist uns von Leon Battista Alberti überliefert. Dieses bis ca. 1452 abgefasste Werk eines gebildeten päpstlichen Sekretärs enthielt noch keine Abbildungen und wurde als Manuskript verbreitet.2 1485 wurde De Re Aedificatoria zum ersten gedruckten Architekturtraktat überhaupt; erst ein Jahr später erschien die erste Vitruvausgabe und zeitgleich in Deutschland das erste gedruckte Handbuch der Baupraxis, Mathes Roriczers Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit.3 Albertis Architekturtraktat besteht aus selbstständigen Überlegungen, versucht aber auch die überlieferte vitruvianische Theorie mit erhaltener antiker Baukunst zu korrelieren.4 In der Folge entstanden bis zum Erscheinen von Serlios Regole generali (1537) hauptsächlich reine Editionen und Übersetzungen Vitruvs De Architecture Libri Decem (verfasst in den Jahren 33 bis 32 vor Christi Geburt)5 jenes einzigen aus der Antike überlieferten Architekturtraktates; wobei kommentierte Ausgaben wie die Cesarianos, Philandriers oder Barbaros selbst Traktatcharakter annahmen.

2. Die Bedeutung von Abbildungen in Architekturtraktaten

Abbildungen scheinen in einer Abhandlung über Architektur unentbehrlich.6 So fällt schon beim Lesen von Vitruvs Ursprungstext auf, dass dieser mehrfach auf Abbildungen verweist.7 Seit 1511 wurde versucht die fehlenden Bilder der De Architecture Libri Decem wiederherzustellen,8 den Anfang damit machte Fra Giocondos Ausgabe Vitruvius cum figuris et tabula: 140 Holzschnitte sind in den Text eingefügt, um Vitruv verständlich aufzubereiten. Zehn Jahre später folgte die Vitruv-Übersetzung Cesare Cesarianos, die von Durantino (Di architettura dal vero esemplare latino nella volgar lingua tradotto, 1535) und Caporali (Architettvra: con il svo comento et figvre Vetrvvio in volgar lingva, 1536), in Deutschland von Walther Hermann Ryff (Vitruuius Teutsch, 1548) weiterentwickelt wurde. Cesariano legte damit 1521 die erste volkssprachliche und dadurch einer grösseren Schicht zugängliche Vitruvedition vor, die «ausserdem als erste ausführlich, wenn auch oft unergiebig kommentiert» und ausserdem reich illustriert war.9
Ein weiterer Bestandteil der Vitruvausgaben ist seitdem der Text und Illustration erläuternde Kommentar. Dieser wird nötig, da – wie Germann zeigt – «schon die Übersetzung eines einzigen Wortes das Bedeutungsfeld einschränken» kann.10
Das erste illustrierte Lehr- und Musterbuch der Architektur, das gedruckt wurde, war das Sebastiano Serlios.11 In ihm kehrt sich das Verhältnis von Schrift und Bild um: Was Serlio mit der Absicht vorlegte, dem gemeinen Mann seine Lehre verständlich zu machen, waren Abbildungen mit kommentierenden Texten – «Il resto si vede». Auch Antonio Labacco meint, das Betrachten von Beispielen sei fruchtbarer und überdies weniger zeitraubend als Lesen. Für Vignola ist Lesen nur eine Last; seine Regola delli cinque ordini d'architettura sollte allein durch Illustrationen für Fachleute fassbar werden. Schliesslich verspricht sogar der theoretischen Überlegungen eher zugängliche Palladio, langatmige Erörterungen zu vermeiden.

3. Die Technik der Illustration

1550 wurde Albertis Traktat mit Holzschnittillustrationen versehen und ins Italienische übersetzt. Die hervorragenden grossformatigen Holzschnitte der Traktate Philibert de l'Ormes, Palladios und Barbaros (I dieci libri dell’architettura di M. Vitruvio, 1556; gilt als die textkritisch gründlichste Vitruvausgabe12) zeigten kurz darauf eine Verfeinerung der bis dahin verwendeten Holzschnitttechnik. Dem ungeachtet zogen nachfolgend mehrere Autoren den präziseren Kupferstich vor, wobei der in Lettern gesetzte Text unillustriert blieb und die Abbildungen als Tafelteil angehängt wurden. Frühe Beispiele dafür bilden Serlios Extraordinario libro di architettura (Lyon 1551) und die Livre d'architecture des Jaques Androuet du Cerceau (1559 und 1561), sowie Antonio Labaccos Libro appartenente all'architettura (1552). Zehn Jahre später brachte Vignola seine Regola heraus, die nur noch aus Kupfertafeln besteht und ihrer Präzession wegen von Architekten als Massvorlage verwendet werden konnten.



Anmerkungen

1. Die folgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf Thoenes, Einführung, in: Architekturtheorie, 2003
2. Germann, Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie, 1993, S. 52
3. ibid., S. 51
4. Pevsner, European Architecture, 1973, S. 188
5. Germann, Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie, 1993, S. 10. Eine knappe Darstellung des Inhalts und der Rezeption Entwicklung des Vitruvtextes findet sich hier.
6. Zu dem Thema: Gnehm, «Cum auctoritate et ratione decoris», 2004
7. Carpo, Architecture in the Age of Printing, 2001, S. 17
8. ibid., S. 16
9. Germann, Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie, 1993, S. 42
10. ibid., S. 3
11. ibid., S. 114
12. ibid., S. 132



Bibliographie
Architekturtheorie. Von der Renaissance bis zur Gegenwart, Köln: Taschen: 2003.
Blau, Eve und Edward Kaufman (Hg.), Architecture and its Image: Four Centuries of Architectural Representation. Works from the Collection of the Canadian Centre for Architecture, Montreal: Canadian Centre for Architecture [etc.], 1989.
Carpo, Mario, Architecture in the Age of Printing. Orality, Writing, Typography, and Printed Images in the History of Architectural Theory, Massachusetts: Massachusetts Institute of Technology, 2001.
Ciapponi, Lucia A., «Fra Giocondo da Verona and His Editions of Vitruvius», in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 47, 1984, S. 72–90.
Krinsky, Carol Herselle, «Seventy-Eight Vitruvius Manuscripts», in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 30, 1967, S. 36–70.
Germann, Georg, Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1993.
Gnehm, Michael, «Cum auctoritate et ratione decoris» – Bildinterpretationen in den Vitruv-Kommentaren W. H. Ryffs, in: Frank Büttner, Gabriele Wimböck (Hg.), Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes, Münster: Lit Verlag, 2004, S. 129-156.
Palmer, Rodney und Thomas Frangenberg (Hg.), The Rise of the Image. Essays on the History of the Illustrated Art Book, Aldershot: Ashgate, 2003 (Reinterpreting Classicism).
Pevsner, Nikolaus, An Outline of European Architecture, London: Allen Lane, 1973.
Wittkower, Rudolf, Architectural Principles in the Age of Humanism, London: Alec Tiranti, 1952.
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