Caféhauskultur in Oerlikon

Caféhauskultur in Oerlikon

vistiegler 16. Dezember 2019

Auf der Suche nach einem geeigneten Forschungsobjekt für das Seminar „Street Food – Kneipe – Restaurant“ komme ich per Zufall in die Welchogasse, die wie eine ruhige Seitenstraße wirkt. Auf dem Gehweg stehen einige Tische und Stühle. Außerdem ist dieser Bereich mit Kübelpflanzen abgetrennt. Von dem vorstehenden Vordach hängen weiße Quader, auf denen in grüner Schnörkelschrift Cafeteria City steht, herab. Soweit zu dem ersten Eindruck von dem Café City. 

Im belebten Zentrum von Oerlikon, keine 500 Meter von dem Bahnhof Oerlikon und dem Verkehrsknotenpunkt Sternen-Oerlikon entfernt, in der Nähe der Messe Zürich, dem Hallenstadion, der Rennbahn, der Universität und mehreren Schulen liegt dieses Lokal.

Abbildung 1: Stadtplan © Veronika Isabella Stiegler, 05.12.2019.

Bei dem Betreten des Cafés wird der Blick sofort auf ein an der Seite angebrachtes Plakat der FDP gelenkt. Daneben wird für diverse Veranstaltungen geworben. Rechts befindet sich ein mit Glas hermetisch abgeriegelter Bereich. An der Tür ist ein blaues Rauchsymbol angebracht. Dahinter befindet sich der Raucherbereich für die Gäste. Links ist der Nichtraucherbereich. Drinnen wie draußen bieten die einzelnen Sitzgelegenheiten jeweils 2 (max. 3.) Personen Platz. Das macht auch Sinn, da sehr viele Gäste, vor allem unter der Woche eher ältere Herren, alleine sitzen und Zeitung lesen, während sie Kaffee trinken. Besonders beliebt sind dabei die Plätze auf der gepolsterten, lederüberzogenen Sitzbank, die die gesamte Wand umschließt. Ansonsten kann man auch auf den Thonetstühlen an den Mamortischen sitzen. Insgesamt folgt der Still dem Historismus. Die Wände sind in einem zarten Hellgelb gehalten. An den Wänden hängen Kopien von Gemälden flämischer Maler in barocken Goldrahmen, von der Decke hängen Kronleuchter, obwohl das Licht von schalenartigen Wandleuchten stammt, die dem Jugendstilnachempfunden sind. In einer Nische stehen zwei klassizistisch wirkende goldfarbene Frauenstatuen. Selbst die Fernseher sind diesem Still angepasst. Sie laufen stumm in barocken Bilderrahmen und das Geschehen auf dem Schirm verdoppelt sich in den Spiegeln an der Wand. Durch die großen gerundeten Fenster können Passanten in das Restaurant blicken und umgekehrt. Man kann sogar in die Küche sehen, die hinter der Theke liegt. Allerdings wird der Blick zuerst auf die in zwei Kühleinheiten präsentierten Gebäckstücke gelenkt. An drei Stellen im Restaurant hängen Zeitungsständer. Direkt bei der Tür, an der Säule und auf dem Weg zu den Toiletten. Sie sind mit der Neuen Züricher Zeitung, dem Tagesanzeiger und dem Blick bestückt. Daneben kann man auch verschiedene Magazine lesen. Durch die Raumgestaltung wird das Lokal in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt und die Liebe zum Detail, die der Eigentümer bei der Planung des Cafés gezeigt hat, fällt spätestens beim zweiten Blick auf.

Abbildung 2: Außenansicht Café City © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.

Somit ähnelt das Café City stark den Wiener Kaffeehäusern, denn „typisch für ein Wiener Kaffeehaus sind Marmortischchen, auf denen der Kaffee serviert wird, Thonetstühle, Logen, Zeitungstischchen und Details der Innenausstattung im Stil des Historismus“(Oesterreichichse Unesco-Kommission 2011) . Auch die Spiegel, die in den ersten Restaurants der 1760er Jahre ein klassischer Bestandteil sind (Vgl. Ribbat 2019, 24 – 26), stellen das Lokal in Zusammenhang in eine lange Tradition. Aber nicht nur durch die Innenausstattung entstehen Kontinuitätslinien. 1720 wurden zum ersten Mal Zeitungen in einem Wiener Café aufgelegt. Daran hält man auch im Café City fest. Ebenso werden in dieser Lokalität, wie in den Wiener Kaffeehäusern des 19. Jahrhunderts neben Kaffeespezialitäten auch alkoholische Getränke und warme Mahlzeiten angeboten. 

Abbildung 3: Außenansicht Café City © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.

Der Eigentümer selbst ordnet das Café in eine 100-jährige Tradition ein. Dabei beruft er sich auf den Vorgänger das Café Kino. Seit 10 Jahren betreibt er mittlerweile das Lokal, jetzt unter dem Namen Café City. Sein Ziel war es eine „retro-moderne“  Atmosphäre zu schaffen. Besonders wichtig sind ihm der Kontakt zu den Stammkunden, die Qualität des Angebotes und eine schnelle Bedienung. Tatsächlich grüßt er im Lokal einzelne Gäste persönlich und ist, nach seiner Aussage, sehr häufig im Restaurant (Vgl. Interview vom 30.11.2019). 

Allerdings sind nicht alle Gäste Stammgäste. Zum Teil kommen auch Touristen, Gäste aus dem nahe gelegen Hotel oder Passanten. Je nach Wochentag und Uhrzeit kommt ein anderes Publikum. 

Einblicke in den Restaurantalltag

Unter der Woche kommen vor allem ältere Leute, wahrscheinlich schon pensioniert. Es kommen etwas mehr Männer als Frauen. Häufig sind sie allein und lesen Zeitung oder beobachten einfach die Szenerie. Selbstverständlich besuchen auch jüngere Leute und Paare das Café. Viele wissen schon bei dem Betreten des Lokals genau, was sie bestellen wollen. Sie haben zum Teil bereits ihre Bestellung aufgegeben, bevor sie sich überhaupt einen Platz gesucht haben. Beliebt sind Café Créme, Schalle oder Espresso. Wieder andere müssen nicht einmal nach der Speisekarte verlangen. Die Nächsten grüßen bei dem Betreten alle anderen Gäste oder verabschieden sich von den anwesenden Personen. Am Montagmorgen haben viele Taschen bei sich. Es erweckt den Anschein, als hätten sie einen kleinen Zwischenstopp beim Einkaufen eingelegt. Dabei fällt auf, dass nur wenige in Gruppen zusammensitzen und sich unterhalten. Auffallend ist hierbei, dass selbst wenn zwei Personen miteinander ein Gespräch führen, sie sich nicht gegenüber, sondern nebeneinander auf die Bank setzen. Unter der Woche ist es häufig im Lokal eher ruhig, obwohl aus der Küche immer wieder das Zischen von kochendem Wasser zu hören ist und im Hintergrund eigentlich stets leise Popmusik oder Nachrichten laufen. Die Kellnerin kann phasenweise einfach da stehen, muss nicht ständig Bestellungen entgegennehmen oder servieren. 

Ganz anders verhält sich das Besucheraufkommen am Wochenende. Zunächst sind wesentlich mehr Gäste da als sonst. Die Kellnerin, eine andere als unter der Woche, ist gezwungen ihre Arbeit sehr schnell und zügig zu verrichten, damit alle Gäste in einem angemessenen Zeitrahmen bedient werden. Es bleibt keinerlei Zeit, in der sie untätig im Café ist. Gleichzeitig ist es wesentlich lauter als sonst, was auf die höhere Gästeanzahl und auf das veränderte Publikum zurückzuführen ist. Obwohl nach wie vor die betagteren Gäste dominieren, kommen auch mehr junge Leute. Ebenso gruppieren sich die Menschen viel mehr zusammen und unterhalten sich. Dabei herrscht oftmals eine fröhliche Stimmung. Daneben ist wegen den vermehrten Bestellungen ein deutlich erhöhter Lärmpegel aus der Küche zu hören. Aufgrund des mehrfachen Betretens und Verlassen des Rauchbereiches durch die Bedienung dringt langsam der Geruch von Zigaretten oder Zigarren in den Nichtraucherbereich. Personen kommen und gehen. Die Kellnerin trägt mal ein mit Kaffeetassen, Biertulpen und Wassergläsern beladenes Tablett in den Nichtraucherbereich, dann in den Raucherbereich oder nach draußen. Dann wischt und räumt sie die Tische ab. Manchmal läuft sie dann in die Küche zurück, um einemGast die Milch für den Kaffee zu holen. Oder sie hilft gehbeeinträchtigten Kunden das Restaurant trotz der Türschwelle zu betreten oder zu verlassen. Einmal kommt sogar die Frau aus der Küche in den Gastraum. Doch auf den Gesichtern der Gäste ist diese Hektik der Bedingung nicht bemerkbar. Sie unterhalten sich, beugen sich zusammen über einen Laptop, blicken in die Handys beziehungsweise telefonieren oder lesen etwas. Die Zeitungsständer sind fast leer, da die Zeitungen untereinander weitergegeben werden. 

Abbildung 4: Innenansicht Café City © Alfons Stiegler, 30.10.2019.

Wieder ein anderes Bild zeichnet sich ab, wenn man an einem Freitagabend gegen 18:00 Uhr in das Café geht. Nun circa eineinhalb Stunden vor dem Schließen des Lokals wird manchmal bereits mit dem Aufräumen begonnen. Die Kellnerin füllt die Zuckerstreuer auf und unterhält sich mit der Köchin. Beide beginnen mit Aufräumarbeiten. Andere von dem Personal kommen hinzu, dabei lachen und scherzen sie miteinander. 

Kundschaft und Veränderung

Es zeigt sich, dass im Café unterschiedliche Akteure aufeinandertreffen. Deswegen existierenunterschiedliche Akteursstrategien, deren Beobachtung sich für den Kulturwissenschaftler lohnt (Vgl. Ribbat 2017, 192 f.). Da diese selbst in einem Zusammenhang mit der jeweiligen Tageszeit beziehungsweise dem Wochentag zu stehen scheinen, lohnt es sich die Öffnungszeiten dieses Cafés zu betrachten. Montags bis freitags hat das Café von 06:00 Uhr bis 19:30 Uhr geöffnet. Samstags ist es von 06:00 Uhr bis 18:30 Uhr offen. Am kürzesten sind die Öffnungszeiten am Sonntag, von 08:00 bis 18:30 Uhr . Eine Erklärung für diese Öffnungszeiten könnte eine Ausrichtung auf die Laufkundschaft sein, die sich beispielsweise schnell einen Kaffee vor Arbeitsbeginn oder ein Mittagessen gönnt. Diese Interpretation könnte durch eine von Google generierte Statistik gestützt zu werden. Jedoch ist kritisch anzumerken, dass für den Nutzer in diesem Fall keine Transparenz bezüglich der Datenerhebung, Größe des Samples und des Messinstrumentes besteht. Wahrscheinlich spiegeln die Öffnungszeiten tatsächlich den Einzugsbereich des Standorts wider. Da sich viele Geschäfte und öffentliche Einrichtungen in der Nähe befinden, kann so die kürzere Öffnungszeit am Sonntag erklärt werden, denn ist gibt an diesem Tag weniger Laufkundschaft.

Anpassungen

„Dennoch muss jedes Lokal auf dem Markt überleben“ (Ribbat 2017, 186). „Auf diese Weise lässt sich die Dynamik der Gastronomie reflektieren, eines extrem wandelbaren Geschäftszweigs, der sich immer wieder neu der Nachfrage, kulturellen Trends, neuen Formen des Appetits oder Entertainments anpassen muss (Ribbat 2017, 191). Diese Forderung hat der Besitzer des Cafés im Interview gestützt, als er erklärte, dass er neu in das Sortiment verschiedene Fruchtsäfte aufnehmen möchte, mit der Erwartung junge Leute vermehrt in sein Lokal zu holen. Gleichzeitig bleibt er dem Ideal der Authentizität, das für heutige Gastronomen immer mehr von Bedeutung ist (Vgl. Ribbat 2017, 181), treu. Das Ziel ist keine Neuerfindung des Lokales, sondern eine Erweiterung des Angebotes und somit eine Vergrößerung des Kundenkreises. Er selbst betont, dass die momentane Kundschaft ein „gutes Publikum“ (Interview vom 30.11.2019) ist, allerdings möchte er im nächsten Jahr auch eine jüngere Zielgruppe mit diesem Konzept für sein Café gewinnen (Vgl. Interview vom 30.11.2019). 

Speisekarte

Ein derartiges Konzept war bereits vorhanden. Mit einer großen Speisekarte, die Pizza und Pasta, Snacks, in diesem Fall verschiedenste Sandwichvariationen, sowie Salate in unterschiedlichsten Ausführungen, ebenso Suppen, eine Vielfalt an Nachtischen und Desserts und zuletzt noch CH-Spezialitäten, wie beispielsweise Älplermaccaroni mit Apfelmuss und diverse Kreationen mit Rösti sollte wahrscheinlich bereits ein breites Kundenspektrum angesprochen werden. Trotz des großen Speisenangebotes sind auffallend wenige Gerichte im Beobachtungszeitraum bestellt worden. Der Eindruck entsteht, dass in dieser Lokalität in erster Linie Kaffee konsumiert wird. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass dort eigene Kaffee-Creationenverkauft werden. Doch diese Individualisierung des Hauptverkaufsartikels wird weder auf der Website noch in der Speisekarte kenntlich gemacht. Auf der Innenseite der Tasse, in der der Café Créme serviert wird, ist der Name des Lokals eingestanzt. Diese Tassen werden eigens dafür gefertigt . 

Abbildung 5: Kaffee © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.
Abbildung 6: Crêpe © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.

Schlussbetrachtung

„Wir operieren mit einer breiten Definition des Restaurants: als eines öffentlichen Orts, an dem Menschen essen können, wann sie wollen, was sie wollen und so viel sie wollen, zu einem vorher feststehenden Preis“ (Ribbat 2017, 191). Diese Feststellung ist insofern zutreffend, da das Restaurant jedem zugänglich ist und eine gegenseitige Beobachtung ermöglicht. „Im Restaurant, mal geliebt, mal verurteilt, zeigt sich, wie kommerzielle Zwänge und kulturelle Moden zusammenwirken und menschliche Akteure unter Druck setzen (Ribbat 2017, 183). Dies zeigt sich auch an der geplanten Erweiterung des Speisenangebots sowie der Einrichtung des Cafés. In beiden Fällen wird hier einer Forderung nach Kreativität entsprochen (Vgl. Ribbat 2017, 183). Dennoch ist dieses Café auch ein Ort an dem das Ausüben persönlicher Interessen möglich ist. Eventuell kann das Zeitunglesen im Lokal als eine Verlagerung des Wohnzimmers verstanden werden. Somit ist das Café City ein „halb-privater, halb-öffentlicher Raum“ (Rössner 2011).

Literaturverzeichnis:

Quellen:

Caffe City: Café City. In: Café City, https://www.caffecity.ch/, (Abrufdatum: 05.12.2019).

Caffe City: Willkommen im Cafe City. In: Café City, https://www.caffecity.ch/, (Abrufdatum: 05.12.2019).

Interview vom 30.11.2019

Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung vom 01.10.2019
Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung vom 03.10.2019
Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung vom 07.10.2019
Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung vom 30.10.2019
Protokoll der Teilnehmenden Beobachtung vom29.11.2019

Sekundärliteratur:

Österreichische UNESCO-Kommission: Wiener Kaffeehauskultur. Gesellschaftliche Praktiken in Wien, aufgenommen 2011. In: Immaterielles Kulturerbe. Bräuche, Wissen, Handwerkstechniken, https://www.unesco.at/kultur/immaterielles-kulturerbe/oesterreichisches-verzeichnis/detail/article/wiener-kaffeehauskultur/ (Abrufdatum: 05.12.2019).

Ribbat, Christoph: Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne. Berlin: Suhrkamp, 2017, 175 – 196.

Ribbat, Christoph: Im Restaurant. In: NZZ Geschichte 19 (2018), 22–42.

Rössner, Michael: Empfehlungsschreiben. o. O.: o. V. 2011 [online verfügbar unter: https://www.unesco.at/fileadmin/Redaktion/Kultur/IKE/IKE-DB/files/512.pdf].

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: Stadtplan © Veronika Isabella Stiegler, 05.12.2019.​1
Abbildung 2: Außenansicht Café City © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.​2
Abbildung 3: Außenansicht Café City © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.​2
Abbildung 4: Innenansicht Café City © Alfons Stiegler, 30.10.2019.​2
Abbildung 5: Kaffee © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.​3
Abbildung 6: Crêpe © Veronika Isabella Stiegler, 30.10.2019.​3

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