Asiaway

Asiaway

twinkler 9. Dezember 2019

Unscheinbar, peripher, einsam?

Man schlendert nicht ins Asiaway. Das Asiaway liegt nicht auf dem Weg. Man geht nicht mal so ins Asiaway. Die Lage an der Schwamendingenstrasse 10 bedeutet, dass der Pendler sich etwas verirren muss, um es zu finden. In meinem Fall wurde ich von meinen Mitstudenten darauf aufmerksam gemacht.

«Das Asiaway ist nicht zu teuer und hat doch ziemlich gutes Essen», hiess es. 

Ich selbst hatte davon noch nie gehört, obwohl einige meiner Freunde in der Umgebung wohnen. Ich suchte mir die Adresse auf Google Maps heraus und bemerkte, dass das Asiaway mit dem ÖV nahe an der Haltestelle Sternen Oerlikon liegt. Von dort aus sind es aber dennoch rund 7 Minuten Fussweg. In der Umgebung des Asiaway sehe ich einige Geschäfte und Bürogebäude. Konkurrenzlokale hat es fast keine in der unmittelbaren Umgebung. Dies bedeutet jedoch auch, dass das Areal nicht die durch den Hunger geplagten Food-Touristen anzieht. Ich denke mir, dass die Klientel vermutlich hauptsächlich aus Arbeitnehmern und Anwohnern besteht. 

Ein Kunde berichtet:

«Ich bin in einer Wohnung (ca. 50 Meter davon entfernt) eingezogen, also bot sich mir das Asiaway Oerlikon als nächstgelegener asiatischer Imbiss an. Ich war überrascht von dessen Unscheinbarkeit, aber von innen sah es doch ganz korrekt aus. Ich war üblicherweise entweder allein oder mit meinen Mitbewohnern dort. Wir haben allerdings nie vor Ort gegessen (nur Take-Away), weil unsere Wohnung gegenüber lag und ein gemütlicheres Ambiente bot. Es war halt genauso, wie ich es mit vorgestellt hatte. Garküchen-Ambiente halt, eine etwas edlere und sauberere Version einer südostasiatischen Imbissbude. Bei Bedienung und Essen hatte ich nie etwas zu beanstanden, es war immer gut. Ich sah jede Art von Gästen, von verkaterten Studenten über Feierabendpublikum bis hin zu verdammten Yuppies, die beim Asiaten Wein bestellen.»

Eine Oase im Betonwald

Nach dem abendlichen Spaziergang von Sternen Oerlikon zum Restaurant stehen wir nun vor dem Eingang und beobachten: An zwei Stahlstreben befestigt, hängt ein Leuchtschild, welches das Logo des Lokals zeigt. Die Schrift auf dem Logo erinnert entfernt an die vietnamesischen Schriftzeichen des Chữ Quốc Ngữ – Alphabets. Ich mache mir einige Gedanken zum Namen des Lokals und mache mir eine Notiz für weiterführende Recherchen. In der hinteren Ecke neben dem Eingang wurde ein Holzboden verlegt, wo ein Tisch mit hohen Stühlen draufsteht. Bei gutem Wetter könnte man an dem Tisch draussen essen. Momentan dient er jedoch eher den Rauchern als flüchtiger Aufenthaltsort. Vor dem Tisch stehen zwei Pflanzen. Die beiden Pflanzen erwecken im Betrachter bekannte Bilder aus asiatischen Reiseberichten und Werbungen und «primen» den Besucher einstimmend auf die kommende Erfahrung. Die Orchidee rechts trägt gemäss «orchidsinfo.eu» die Bedeutung der Liebe, Ehre, des Respekts, der Schönheit und Fruchtbarkeit. Die Pflanze links erinnert an einen Bambus. An und für sich wäre das Bild und die damit entstandene Bedeutung schön, wird jedoch jäh vom kahlen Gebäude dahinter und dem Schild zum Parkhaus entromantisiert und damit auch entkräftet. 

«Eigentlich schade», denke ich mir und überlege eine Weile was ein Restaurant machen muss, damit es sich selbst von äusseren Einwirkungen auf das Bild loslösen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Begrenzungswand aus Holz oder Bambus, versehen mit ein paar Pflanzen einen grossen Einfluss darauf haben würde, wie das Restaurant wahrgenommen wird. 

Unter dem Schild für das Lokal steht eine Gastro-Tafel. Darauf steht in Klammern «Vietnamesische Spezialitäten». Ich muss schmunzeln. 

 «So als wären es gar keine vietnamesischen Spezialitäten», denke ich mir und muss an eine Lektion an der Uni denken. Ich selbst hatte noch nie die Möglichkeit nach Vietnam zu reisen, doch als ich in Sri Lanka war, fiel mir auf, dass die Nahrung der einheimischen Bevölkerung sich stark von der in Restaurants angebotenen Touristennahrung unterschied. Die Gerichte wurden oftmals auf die Bedürfnisse der Besuchenden angepasst und dadurch bekam die Nahrung eine etwas triste Bedeutung. Man fühlte sich irgendwie fremd und aufdringlich, so als könnten die Einheimischen ihre traditionellen Speisen nicht mit der Welt teilen, da diese zu schlicht, scharf oder «eklig» sind. Klar, die meisten von uns essen auch nicht jeden Tag Fondue und Älplermagronen, aber unsere täglichen Speisen unterscheiden sich von dem, was Touristen aufgetischt wird, nur minim. 

Ein Hybrid-Lokal – «Was bist du?»

Meine Begleitung und ich betreten das Lokal und sehen sogleich links eine Theke. Dahinter steht ein Koch, der uns freundlich begrüsst, während er eine zischende Pfanne kräftig schüttelt, wodurch sich die darin befindenden Lebensmittel lebhaft bewegen. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, da dieses Manöver den Duft der Zutaten direkt in meine Richtung bläst. Es riecht nach einer Mischung aus feinstem Knoblauch, Crevetten, Frühlingszwiebeln und Sojasauce. Mein Speichelfluss intensiviert sich. Ich habe jetzt Hunger und als hätte sie die peinvolle Gier in meinen Augen gesehen, kommt schon eine lächelnde, asiatisch aussehende Frau auf mich zu und begrüsst mich. Ich zwinge nun meinen Blick vom Essen weg und betrachte den Raum zu meiner Rechten. Mittelgross, nicht zu eng eingerichtet und mit vielen Besuchern versehen. Kellnerinnen und Kellner hetzen emsig von Tisch zu Küche und zurück, die Stimmung ist jedoch entspannt, liebevoll und friedlich. Vor mir steht ein kleines Pult mit einem Vermerk: «Please wait to be seated, thank you!» Die Bedienung, verwundert über meine langsame Reaktionszeit, drückt uns zwei Speisekarten in die Hand und geleitet uns zu unserem Tisch im hinteren Bereich des Lokals. Ich sehe mir noch einmal die Partition des Lokals an. Offenbar war der Küchenbereich gleichzeitig der Take-Away-Bereich. Oberhalb der Theke hängen Bilder, Beschreibungen und Preise der Speisen, welche man offenbar direkt bestellen und mitnehmen kann. Von der Hektik vom Take-Away bekommen wir nichts mit. Das Restaurant ist fast vollständig davon getrennt. Daher riecht es auch nicht zu intensiv aus der Küche. 

Exkurs: Das Unternehmen

Auf der Webseite des Restaurants lese ich, dass die Idee für das Asiaway vor fast zehn Jahren durch die Eröffnung eines der ersten Lebensmittelgeschäfte für asiatische Waren geboren wurde. Die Gründerfamilie habe heute eine der grössten Grosshandelsfirmen für asiatische Lebensmittel in der Schweiz. Als neues Projekt eröffnete die zweite Generation der Familie den Shop Asiaway, welcher sich eher auf Detailhandel fokussiert. Damit verbunden wurden auch Restaurants eröffnet, welche die authentischen Lebensmittel des Ladens zubereiten. Die Meinungen und Infos auf der Tripadvisor-Seite des Restaurants tendieren in eine interessante Richtung: Offenbar schätzen es viele asiatische Besucherinnen und Besucher im Asiaway zu essen, da das Essen qualitativ hochwertig und authentisch zubereitet sei.  

Das Ritual

 Direkt nachdem wir uns hingesetzt hatten, erkundigte sich die Bedienung nach unseren Getränkewünschen und erklärte uns gleichzeitig, welche hausgemachten Eistee-Variationen zu empfehlen sind. Ich bestellte mir sogleich einen ungesüssten Grüntee und meine Begleitung einen Oishii-Tee. Das Interieur macht durch Einsatz einiger Pflanzen, Bambusstöcken und hölzernen Lampen einen sehr natürlichen Eindruck. Die Möbel sind schlicht, minimalistisch und modern. Farblich vermute ich, dass bei Tageslicht eine interessantere Distinktion vorgenommen werden kann als am Abend. Ich fand, dass die hölzernen Lampen ein angenehmes und ruhiges Licht ausstrahlten. 

Ein Kunde berichtet zum Ambiente:

«Es war genauso, wie ich es mit vorgestellt hatte. Garküchen-Ambiente halt, eine etwas edlere und sauberere Version einer südostasiatischen Imbissbude. Bei Bedienung und Essen hatte ich nie etwas zu beanstanden, es war immer gut. «Garküche on the streets, gehobenes Restaurant in the sheets» oder Imbissbude / Mensa-Flair am Eingang, edleres Restaurant zum Verweilen hinten rechts.»

 Die Wahl der Speise machte uns zu schaffen, da vieles sehr lecker klang aber auch so aussah. Die Speisekarte beinhaltet einige Fotografien einzelner Speisen. Leider wurde das Layout jedoch so ausgewählt, dass die zwar guten Fotos gross auf einzelnen Seiten abgebildet sind, jedoch nur mit Zahlenverweisen auf die Speisen rückzuführen waren. Dies führte bald zu einem heillosen «Geblätter» und einer grossen Verwirrung darüber, welche Abbildung zu welcher Speise gehört. Die Bedienung kam drei Mal vorbei, um sich nach der Bestellung zu erkundigen. Beim dritten Mal dann konnten wir uns endlich entscheiden und bestellten. Da meine Begleitung und ich beide non-Vegetarier sind, bestellten wir Fleisch und Fisch zu den Speisen. Das Angebot umfasst jedoch auch viele vegetarische oder sogar vegane Gerichte. 

 Beim Warten auf die Speisen achtete ich auf die Kundschaft. Direkt neben uns hatten sich drei ältere Damen hingesetzt, welche offenbar einen schönen Tagesausflug in der Stadt mit einem leckeren Essen im Asiaway beendeten. Den Gesprächen nach zu urteilen, hatten sie sich an diesem Tag erst kennengelernt. Ein Phänomen, welches für mich eher untypisch ist. Die älteren Menschen, mit denen ich zu tun habe, haben ein gefestigtes Umfeld und Familie und sind nicht mehr auf die soziale Interaktion des Kennenlernens angewiesen und auch nicht daran interessiert. Es war ein schönes Erlebnis, den Damen beim Austausch ihrer verschiedenen Lebensgeschichten zuzuhören. Der Bezug zum Restaurant war eher schlicht. Es war offensichtlich,

dass die Damen mit der Auswahl der Speisen genauso Mühe hatten wie wir und sich analog im heillosen «Geblätter» wiederfanden. Nachdem unsere Speisen gekommen waren, entschied sich die eine Frau für «s’gliche wie sie!» und zeigte entnervt auf den Teller meiner Begleitung. Die anderen beiden machten es ihr nach. Ich musste schmunzeln, da beim Restaurantbesuch in meinem Umfeld sehr oft darauf geachtet wird, bei der Speiswahl, besonders in exotischeren Lokalen oder im Ausland, eine hohe Diversität zu erhalten. Dann kann auch jeder vom anderen probieren und so hat man einen fast maximalen Erfahrungsgewinn. Diese Mentalität scheint auf dem immer breiteren Eklektizismus der kapitalistischen Postmoderne zu basieren und erklärt auch die immer grösser werdende Nachfrage nach Mezze- oder Tapa-Lokalen. 

Die Damen unterhielten sich sehr ausgiebig über ihren Ausflug, über ihre Leiden und Schmerzen aber überraschenderweise kaum über das Lokal oder die Speisen. Ab und zu nickten sie zufrieden und lächelten zustimmend als würden sie den Koch loben und raunten dann leise Dinge wie: «Ganz guet, also das isch würkli ganz guet.»

Recht hatten sie. Unsere Speisen waren phänomenal, weshalb unsere Teller in Kürze auch gegessen waren. Die Portionen waren ziemlich üppig und wir erfreuten uns an jedem Bissen. Die Bedienung kam während der Essenzeit zwei Male vorbei, um sich nach unserem Befinden oder allfälligen Wünschen zu erkundigen. Wir waren mehr als zufrieden, was die Bedienung sehr freute. 

Über Rassismus und kulinarische Authentizität 

Während der Essenszeit kam auch der Manager vorbei, um uns einen guten Appetit zu wünschen und sich zu erkundigen, ob wir mit den Leistungen und Speisen zufrieden seien. Mir fiel auf, dass der Manager im Vergleich zur Bedienung komplett akzentfrei deutsch sprach. Ich weiss nicht, ob dies einen Einfluss auf die Bedeutung des Lokals hat jedoch glaube ich, dass viele Menschen mit dem Bild, welches sie von einem Lokal haben auch die physischen und interaktionalen Eigenheiten verschiedener Volksgruppen auf eine stereotypisierende Art verbinden. Ich habe nicht das Gefühl, dass dies einen rassistischen Ursprung hat, sondern eher von Marketing geleitete Vorstellungen eines «ethnischen Speiseanbieters» gelenkt wird. Es scheint wichtig zu sein, dass in einer Pizzeria Italiener arbeiten und in einem Kebab-Takeaway Türken und Kurden. Ansonsten würde die Klientel vermutlich die, zum Teil imaginäre, Authentizität des Lokals in Frage stellen. Es scheint, als wäre es von grösster Wichtigkeit, dass ethnische Restaurants die Gäste komplett in ein anderes Land entführen. Motive von Realitätsflucht kommen einem da in den Sinn aber auch Wanderlust oder einfach das Interesse an fremden Kulturen. 

Zahlen bitte und ganz bestimmt auf Wiedersehen!

Kaum hatten wir das Essen beendet, wurde bereits der Tisch geräumt und nachgefragt, ob wir Lust auf ein Dessert oder einen Kaffee hätten. Um Bezug zum letzten Abschnitt zu nehmen hat das Restaurant sich, was den Ablauf des Besuchs betrifft, offensichtlich an der westlichen Service-Kultur orientiert. In einem Schweizer Dorfrestaurant wird wohl der Service kaum anders sein als bei unserem Besuch. Wie dies jedoch in Vietnam selbst aussieht, ist mir handkehrum leider verschlossen. Nachdem wir das Dessert und den Kaffee verneinten, bekamen wir jedoch noch je einen Glückskeks mit inspirierenden und motivierenden Sprüchen darin. Gemäss New York Times stammte die Idee des Glückskekses aus dem Japan des 19. Jahrhunderts. Verbreitet wurde die Idee am Anfang des 20. Jahrhunderts in Kalifornien. Wir bezahlten die Rechnung, welche doch höher ausfiel als erwartet und legten ein anständiges Trinkgeld obendrauf. Wir waren sehr zufrieden mit dem Service und beim Verabschieden begegneten wir lauter freundlicher Gesichter, welche uns einen schönen Abend und ein baldiges Widersehen wünschten. 

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