Die Jahre nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland waren geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen mit gravierenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Nebst den innerstaatlichen Fronten war die junge Sowjetmacht auch auf internationaler Ebene in gewaltsame Konflikte verwickelt. Obwohl der Erste Weltkrieg offiziell zu Ende war, ging dieser im Osten Europas in die nächste Runde. Mit dem Zerfall des russischen Imperiums traten neue Konfliktherde offen zu Tage. Unter diesen nahm der Russische Bürgerkrieg, befeuert durch eine Vielzahl an partikularen Interessen und stetig wandelnden Konfliktparteien, eine prominente Rolle ein.
In diesem Beitrag wird versucht, die Ursache sowie den Verlauf und die Parteien näher zu beleuchten.
Der Verlauf des Bürgerkrieges wird in der Literatur oft in drei Phasen unterteilt. Die Trennung zwischen den Abschnitten ist keineswegs scharf und die Konfliktparteien können nicht isoliert einer einzelnen Phase zugeordnet werden, sind aber kennzeichnend für die jeweilige Phase.
Weg in den Bürgerkrieg
Nach der Februarrevolution und auch weiterhin nach dem Umsturz der Bolschewiki im Oktober 1917 entstanden im ganzen Land gewählte pluralistische Sowjeträte, die sich aus Vertretern von Arbeitern, Bauern und Soldaten zusammensetzten. Auch auf staatlicher Ebene entstanden demokratisch gewählte Organe, darunter das Allrussische Zentrale Exekutivkomitee und die Verfassungsgebende Versammlung. Die Bolschewiki sahen sich jedoch überall in der Unterzahl. Während ihre Wählerbasis lediglich auf der radikalen Arbeiterschaft und den Soldaten beruhte, genossen die Sozialisten eine grosse Popularität unter den moderaten Arbeitern und Bauern. Da die Fraktion der Sozialrevolutionäre mit rund 40% der Sitze die Verfassungsgebende Versammlung dominierte, beschlossen die Bolschewiki im Januar 1918 kurzerhand deren Auflösung und gingen damit einen Schritt in Richtung Bürgerkrieg.1
Weiteren Unmut erregte das Vorgehen der Bolschewiki bei den Friedensverhandlungen mit den Mittelmächten. Obwohl ein Separatfrieden angestrebt wurde, zogen sie die Verhandlungen absichtlich in die Länge, da grosse Hoffnungen auf die baldige Revolution in Deutschland gesetzt wurden. Eine Aufnahme der Kriegshandlungen stand aber für Lenin – und entgegen den Ansichten anderer Fraktionen im Sowjetparlament – ausser Frage, da er ansonsten die Revolution in Gefahr sah. Um Druck auf die sowjetische Regierung auszuüben rückten die deutschen Truppen ihrerseits immer weiter vor. Erst am 3. März wurde in Brest-Litowsk ein Separatfriedensvertrag mit sehr harschen Bedingungen von Trotzki unterzeichnet. Die Revolution war gerettet, aber es kam zu einem Aufschrei in der Bevölkerung. Unter Protest zogen sich die oppositionellen Fraktionen aus der Regierung zurück.2
In der Folge litten die Sozialisten unter Repressionen und wurden immer weiter aus den Sowjets gedrängt und schlussendlich per Dekret im Juni 1918 aus der Regierung ausgeschlossen.3
Die Bolschewiki hatten nebst konservativen Monarchisten, Gutsbesitzern und Sozialisten weitere Feinde in der Bevölkerung. Streikende Arbeiter und aufständische Bauern, die sich gegen die gewaltvollen Requisitionsmassnahmen wehrten, wurden immer mehr Ziel von Repression und eingeschränkten Freiheiten. Langsam zeichnete sich immer mehr die Diktatur der Kommunistischen Partei ab.
Phase 1
– Gegner: Gegenregierung der Sozialrevolutionäre, Tschechische Legion, Alliierte (GB, F, USA)
– Zeitspanne: Frühjahr 1918 bis November 1918
Bereits im Frühjahr herrschte unter Teilen der Oppositionsparteien Klarheit, dass die Bolschewiki mit Gewalt vertrieben werden mussten. Für diese Aufgabe war eine Koalition unabdingbar. Den Rechten Sozialrevolutionären, die bereits vor den Repressionen nach Südrussland geflohen sind und dort auf die Unterstützung der bäuerlichen Bevölkerung zählen konnten, eröffnete sich eine unverhoffte Möglichkeit zum Bündnis mit der Tschechischen Legion. Die Tschechische Legion rekrutierte sich aus tschechischen und slowakischen Kriegsgefangenen und Desserteure, die im Weltkrieg für das Habsburgerreich gekämpft hatten. Unter diesen Soldaten waren nationalistische Ansichten von einem unabhängigen tschechoslowakischen Staat weit verbreitet. Bereits vor der Revolution wurden sie zu einem alliierten Heer aufgebaut, um nun in den russischen Reihen zu kämpfen. Der Separatfrieden zwischen Russland und den Mittelmächten durchkreuzte diese Pläne. Die hochgerüstete Tschechische Legion sass nun in Russland fest und fasste den Entschluss, sich auf die Seite der verbliebenen Alliierten zu schlagen. Der beste Weg, sich mit den Alliierten zu verbünden, betsand darin, das gesamte Russische Reich zu durchqueren, um dann mit amerikanischer Hilfe von Wladiwostok ausgeschifft zu werden. Die sowjetische Regierung unterstützten dieses Vorhaben und gewährten ihnen die Durchreise. Jedoch kam es schnell zu Auseinandersetzungen mit den lokalen Sowjets, die die Waffen der Legion konfiszieren wollten. Daraufhin forderte Tortzki die Entwaffnung der Tschechischen Legion, woraufhin die Scharmützel kurzerhand zu einem Konflikt entbrannte. In dessen Zuge gelang es der kriegserfahrenen Tschechischen Legion innert kürzester Zeit, die wichtigsten Städte entlang der transsibirischen Eisenbahn einzunehmen.((Vgl. Brovkin, Civil War, S.18 oder Figes, Revolution, S. 128.))
Die Rote Armee
Die Bolschewiki konnten sich nach der Revolution nur auf die freiwilligen Rotgardisten stützen, die wenig Kampferfahrung hatten und schlecht organisiert waren. Ihre Vorgesetzten wählten sie – ähnlich wie die Sowjets – demokratisch.
Der Kriegskommissar Trotzki formte 1918 aus den Roten Garden schlussendlich ein Wehrpflichtsheer. So entstand die Rote Armee mit strenger Hierarchie und zentraler Organisation. An die Spitze berief Trotzki, unter grosser Kritik aus der Partei, ehemalige zarische Offiziere, die als Spezialisten galten und seine Reformen umzusetzen vermochten. Es gelang es ihm, innert kürzester Zeit eine schlagkräftige Armee auf die Beine zu stellen und den Kampf gegen die Konterrevolutionäre aufzunehmen.((Vgl. Figes, Revolution, S. 134f.))
In Samara bildeten die geflohenen SR unter dem Namen Komutsch eine zivile Gegenregierung und versprachen den tschechischen Söldnern alliierte Hilfe und den Wiedereintritt Russlands in den Weltkrieg.((Vgl. Hildermeier, Manfred: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998, S. 138 oder Figes, Revolution, S. 132f.))
In den Sommermonaten konnte sich diese Koalition in einem Gebiet etablieren, das von der Wolga bis an den Pazifischen Ozean reichte. Die Kontrolle wurde aufgeteilt unter dem Komutsch und der Sibirischen Regierung in Omsk, welche von Konservativen gestellt wurde. Angesichts der schnellen Erfolge intensivierten schliesslich die britischen und amerikanischen Alliierten ihre Hilfeleistungen und entsendeten Truppen nach Archangelsk bzw. Wladiwostok.4
Mit der Eroberung Kazans im August kamen die Tschechische Legion und die SR nicht nur in den Besitz der Goldreserven des Reiches, sondern standen kurz vor Moskau. Unter Trotzkis Kommando gelang es der Roten Armee schlussendlich den Vormarsch zu stoppen. Ausschlaggebend war auch der rücksichtslose Einsatz von Terror der Tscheka gegen alle Bevölkerungsteile, die konterrevolutionärer Tätigkeiten wie Agitation, Zurückhaltung von Getreide oder der Desertation verdächtigt wurden. Kazan konnte rückerobert werden und mit Samara fiel im Oktober der Sitz der Komutsch an die Bolschewiki.((Vgl. Brovkin, Civil War, S. 20f.))
Der Zusammenbruch der SR-Front liegt darin begründet, dass es zwischen den Gegenregierungen in Samara und Omsk an einer gemeinsamen Linie fehlte und grosse politische Uneinigkeit vorherrschte. Ebenfalls konnten die Arbeiter in den Städten nicht gewonnen werden, da die durchaus populären Massnahmen der Bolschewiki nicht anerkannt wurden. Der wichtigste Faktor war aber die Kriegsmüdigkeit der Tschechischen Legion, welche sich auf ihre eigene nationale Sache konzentrieren wollte anstatt in innerrussische Konflikte verwickelt zu werden. Fortan bewachte sie als mehr oder weniger neutrale Partei die Bahnstrecke in den Osten, ohne vor Gräueltaten an der Bevölkerung zurückzuschrecken.((Vgl. Hildermeier, Sowjetunion, S. 138f.))
Die Ermordung der Zarenfamilie((Vgl. Figes, Revolution, S. 95f.))
Nach der Abdankung des Zaren Nikolaj II. im März 1917 wurde die gesamte Zarenfamilie unter Hausarrest gestellt. Kurze Zeit später evakuierte man sie ins sibirische Tobolsk und später nach Ekaterinburg. In den Wirren des Bürgerkrieges wurde die gesamte Familie mitsamt ihren Bediensteten in der Nacht auf den 17. Juli 1918 von einem Exekutionskommando hingerichtet. Vordergründig fürchteten die Bolschewiki die Befreiung der Familie durch die heranrückenden Gegner und der Hochstilisierung des Zaren zur Gallionsfigur der Konterrevolution.
Phase 2
– Gegner: Bolschewiki (Rote), Weisse Bewegungen, Kosaken, Alliierte
– Zeitspanne: Ende 1918 bis Sommer 1919
In der zweiten Phase des Bürgerkrieges sahen sich die Roten mehreren Fronten der Weissen Garden gegenübergestellt. Die Weissen rekrutierten sich vorwiegend aus zarischen Offizieren und konservativem Adel und Gutsbesitzern, die durch die Machtübernahme der Bolschewiki alles verloren.
Im November 1918 wurde die sibirische Gegenregierung bei einem Putsch abgesetzt und Admiral Koltschak in Omsk zum obersten Herrscher ausgerufen. Mit einer Streitmacht von knapp 100’000 Soldaten gelang es ihm den Ural einzunehmen. Die Alliierten sicherten ihm breite Unterstützung zu – die ehemals strategischen Interessen waren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges politischen gewichen. Sein weiterer Vormarsch an die Wolga im Frühjahr wurde durch aufkeimende Bauernaufstände im Hinterland der Roten begünstigt.((Vgl. Figes, Revolution, S. 143f.)) Erst im Mai konnte eine grosse Gegenoffensive Koltschaks Truppen stoppen und zurückschlagen. Die Rote Armee nahm in einer regelrechten Verfolgungsjagd eine weisse Bastion nach der anderen ein. In einem kräftezehrenden Eismarsch zogen die Weissen Truppen und mit ihnen Teile der Bevölkerung immer weiter durch Sibirien gegen Osten. Im Februar 1920 wurde Koltschak in Irkutsk von der Tschechischen Legion – entgegen ihrem Versprechen, ihn zu schützen – an die dortigen Bolschewiki ausgeliefert und hingerichtet.((Vgl. Figes, Revolution, S. 143f. oder Brovkin, Civil War, S. 92f.))
Eine weitere konterrevolutionäre Front formierte sich seit der Oktoberrevolution im Süden Russlands. In den Steppen ansässige Don-Kosaken leisteten schon früh Widerstand gegen die Requirierungen und geplante Aufhebung ihrer Autonomie (Entkosakisierung). Unter dem Ataman Krasnov errichteten die Kosaken 1918 einen unabhängigen Staat im Don-Gebiet. Zusätzlich besetzte eine Freiwilligenarmee unter dem zarischen General Denikin weitere Gebiete, wodurch es zu einem ungleichen Bündnis zwischen den Heeren kam.((Vgl. Kappeler, Andreas: Die Kosaken. Geschichte und Legenden, München 2013, S. 73f.)) Unter Denikins Oberbefehl zogen sie im Juli 1919 gegen Moskau und konnten grosse Gebiete einnehmen. Doch der überdehnte Nachschubweg erwies sich sehr anfällig für Angriffe von Partisanen. Der Vormarsch auf Moskau liess unerwarteter Weise die Bauern sich hinter den Roten versammeln, die ihre Errungenschaften aus der Revolution gefährdet sahen.((Vgl. Figes, Revolution, S. 144f.)) Die Gegenoffensive vermochte es, die Weissen weit in den Süden zurückzudrängen. Denikin zog sich auf die Krim zurück und musste im April 1920 nach einer Revolte den Oberbefehl an Baron Wrangel übergeben. Es kam zu einer gross angelegten Evakuation durch die Alliierten, bis die Krim im November 1920 vollständig an die Rote Armee fiel.((Vgl. Figes, Revolution, S. 145f.))
Im Oktober 1919 zog von Nordwesten General Judenitsch mit baltischen Freiwillig gegen Petrograd und erreichte die Stadt, wurde aber in letzter Minute zurückgeworfen.((Vgl. Hildermeier, Sowjetunion, S. 141.))
Nach Koltschaks Tod, errichtete im Osten sein Nachfolger der Ataman Semënov ein Schreckensregime – die Atamanschtschina, welches von japanischen Interventionstruppen gestützt wurde. Obwohl dieser immer weiter gegen Osten gedrängt wurde, konnte er sich bis 1921 in der Region um Vladivostok halten. Der Bürgerkrieg hielt in dieser Region noch weiter an und erst mit dem Abzug der japanischen Kräfte im Jahr 1922 ging er klanglos zu Ende.5
Obwohl die Weissen im Frühjahr und Sommer 1919 grosse Erfolge gegen die zahlenmässig weit überlegene Rote Armee errangen, gelang ihnen der Durchbruch nach Moskau und somit der Sieg über die Bolschewiki nicht. Diesem Umstand liegen mehrere Faktoren zugrunde; zwischen den Führungen der einzelnen Weissen Bewegungen herrschte grosse Konkurrenz. Somit gab es wenig Koordination und eine Zusammenführung des Süd- mit dem Ost-Heer misslang. Der einzige Konsens zwischen ihren Programmen lag darin, die Revolution rückgängig zu machen und zu den monarchischen Zuständen von 1914 zurückzukehren. Damit konnten sie beim grössten Teil der Bevölkerung, welcher aus der Revolution durchaus Vorteile erlangte, keine Sympathien gewinnen. Auch brachten sie mit dieser Ansicht nationalistische Bewegungen vor allem in der Ukraine gegen sich auf. Zusätzlich hatten die Weissen strategisch nachteilige Voraussetzungen. Während die Roten Zentralrussland mit der Industrie und den wichtigen Verkehrspunkten halten konnten, hielten die Weissen lediglich die rohstoffreiche Peripherie und waren räumlich über weite Strecken voneinander getrennt.((Vgl. Hildermeier, Sowjetunion, S. 141.))
Phase 3
– Gegner: Grüne Bewegung, Arbeiter in den Städten, Matrosen von Kronstadt
– Zeitspanne: Anfang 1920 bis Frühjahr 1921
Gegen Ende des Jahres 1919 war ein „Roter Sieg“ über die Weissen absehbar und die zerstreuten Weissen waren kaum noch in der Lage Widerstand zu leisten.
Die Politiken des Kriegskommunismus und des Roten Terrors, welche sehr grossen Unmut in der Bevölkerung verursachten, entbehrten mit dem Sieg über die Konterrevolution jeglicher Legitimation. Dennoch wurden der wirtschaftliche Kurs und die Zwangsrequisitionen beibehalten, um nun direkt den Übergang zum Sozialismus zu bewerkstelligen. Damit brachten die Bolschewiki das Fass vollends zum Überlaufen und der Bürgerkrieg ging in die nächste Phase, die von Bauernaufständen (Grüne Bewegung) gekennzeichnet war.
Die Bauern leisteten bereits seit Beginn des Jahres 1918 Widerstand. Zunächst war dieser Widerstand gegen die Requisitionen und Zwangsrekrutierungen eher passiver Natur. Getreide und Vieh wurden versteckt, um nicht eingezogen zu werden. Den Einberufungen blieben sie aufgrund der kommenden Erntezeit vorwiegend fern. In der zunächst schlecht ausgerüsteten und viel zu schnell wachsenden Roten Armee herrschte ebenso Versorgungsmangel wie überall im Land. Die Moral der Soldaten zerfiel und es kam zu Rebellionen und Massendesertationen, wobei sie Kleidung und Waffen – sofern sie überhaupt damit ausgerüstet waren – mitnahmen.((Vgl. Figes, Sowjetunion, S. 142f. oder Brovkin, Civil War, S. 317.)) Um den Zerfall der Roten Armee aufzuhalten, traten drakonische Desertationsmassnahmen in Kraft, die von der Tscheka ausgeführt wurden. So wurden Deserteure erschossen, deren Familien als Geiseln genommen oder das ganze Dorf einer Kollektivbestrafung ausgesetzt.((Vgl. Brovkin, Civil War, S. 152 und 318.)) Die Bauern verhielten sich keineswegs ruhig gegen die gewalttätigen Requisitionskommandos und griffen zu den Waffen oder vollführten Sabotageakte. Diese Taktik des Partisanenkrieges wurde als letztes Mittel bei unmittelbarer Gefahr angewendet, wobei sie nicht nur gegen die Roten sondern auch gegen die Weissen Verwendung fand. Es kam zu einigen grösseren Erhebungen gegen die Bolschewiki, in dessen Zuge der Weisse Vormarsch 1919 einen Vorteil erlangte, doch blieben die Aufstände weitgehend lokal organisiert und unsystematisch.
Die Weissen selbst hatten wenig Sympathisanten unter den Bauern, welche ihre Landgewinne in Gefahr sahen bei einem Sieg der Weissen. So verhielten sich die Bauern teilweise auch ruhig und duldeten die Zwangsrequisitionen – zumindest bis die unmittelbare Weisse Gefahr gebannt war.6
1920 flammte die Rebellion konsistenter und systematischer auf und resultierte in aktiven Bauernkriegen im gesamten Land. In der Provinz Tambov beispielsweise schlossen sich 30’000 Bauern unter dem ehemaligen Helden der Roten Armee Antonov zu einer grösseren Streitmacht zusammen.7 Ihr Ziel war die Wiederherstellung der bäuerlichen Selbstverwaltung und des freien Marktes. Die Grünen verschlossen sich nicht grundsätzlich den Neuerungen der Revolution. In ihren Augen waren die Bolschewiki lediglich Verräter an der Oktoberrevolution, die es zu bekämpfen galt.8
Während auf dem Lande Aufstände herrschten, kam es in den Städten vermehrt zu Streiks und Aufruhr. Die Ernährungssituation, verschärft durch die Bauernkriege und Missernten, trieb die Arbeiter im Winter auf die Strassen. Der Hunger vermischte sich mit politischen Forderung nach „Rückkehr zu den Prinzipien des Oktobers“ und „Sowjets ohne Kommunisten“. Tatsächlich verloren die Arbeiter mit der Zerschlagung der Gewerkschaften und Führungskomitees in den Fabriken ihre wichtigsten Errungenschaften. Die Ernennung von Spezialisten als Manager, sowie die Zentralisierung der Industrien waren eine Konsequenz des Kriegskommunismus und bedeuteten gleichzeitig die Unterminierung der Macht der Arbeiter. Diese forderten nun lautstark die Wiedereinsetzung der Konstituierenden Versammlung und freien Handel.
Im Februar 1921 erfasst die Revolte die Matrosen von Kronstadt – die Helden der Oktoberrevolution, welche die Forderungen aufnahmen und meuterten. Die Bolschewiki – einmal mehr in ihrer Macht gefährdet – griffen mit brutalstem Terror und Massenverhaftungen durch. Trotzki liess Kronstadt im März unter Artilleriebeschuss nehmen und anschliessend stürmen. 2’500 Matrosen wurden ohne Verhandlung hingerichtet. Viele weitere wurden in das Konzentrationslager auf Solowki deportiert.9
Die Arbeiteropposition wurde gezielt ausgeschaltet, um die Streiks zu brechen. Auch auf dem Land wurde der Terror verschärft und es gelang den Widerstand zu zerschlagen. Zusätzlich kam es mit Einführung der Neuen Ökonomischen Politik zu gewissen ökonomischen Zugeständnissen, um den Unruhen teilweise die Grundlage zu entziehen.10
Die Bauern stellten tatsächlich eine grosse Herausforderung der Sowjetmacht dar. Zeitweise hatten die Bolschewiki gar keine Macht mehr in den Provinzen, da die Aufstände von ehemaligen Rotarmisten geführt wurden. Jedoch konnte auf Dauer der Widerstand nicht aufrechterhalten werden. Dies lag zu einem daran, dass sie lokal organisiert waren und es während den grossen Aufständen an Koordination zwischen den aufständischen Heeren mangelte. Zum anderen gingen die Roten immer skrupelloser vor, brannten ganze Dörfer nieder und schreckten vor kollektiver Bestrafung – zumeist erschiessen, nicht zurück. So konnte im Frühjahr 1921 die Grüne Bewegung weitgehend gebrochen werden.11
Folgen des Bürgerkrieges
Die Frontlinien veränderten sich fast täglich. Und so fanden sich die Menschen ständig unter neuen Besatzern wieder. Jedoch bestanden weder staatliche Institutionen noch andere Machtstrukturen, sodass auf dem Land eher anarchische Verhältnisse vorherrschten. Zusätzlich zu den Entbehrungen und Zerstörungen terrorisierten nebst den Rotarmisten, Weissen Garden, die Requierierungskommandos unter der Leitung der Tscheka, die Tschechische Legion, umherziehende Banden oder Kosaken die Bevölkerung. Willkür, Exzesse und Pogrome forderten während des Russischen Bürgerkriegs neun bis zehn Millionen Tote. Nur ein Bruchteil ist aber den kriegerischen Zusammenstössen zuzurechnen. Darüber hinaus kam es zu einem Exodus von zwei Millionen Menschen, die überwiegend der Intelligenz oder dem Adel angehörten.((Vgl. Hildermeier, Sowjetunion, S. 155.))
von Florian Wiedemann
Titelbild: Propagandaplakat „An die Ukrainischen Genossen“ 1920; redavantgarde.com
Literaturangaben:
- Vgl. Brovkin, Vladimir N.: Behind the Front Lines of the Civil War. Political Parties and Social Movements in Russia, 1918-1922, New Jersey 1994, S. 11-13. [↩]
- Vgl. Figes, Orlande: Hundert Jahre Revolution. Russland und das 20. Jahrhundert, München 2015, S. 128-131. [↩]
- Vgl. Brovkin, Civil War, S. 15-17. [↩]
- Vgl. Brovkin, Civil War, S. 18f. [↩]
- Vgl. Katzer, Die Weisse Bewegung in Russland, S. 214-215. [↩]
- Vgl. Merl, Sowjetmacht und Bauern, S. 31. [↩]
- Vgl. Brovkin, Civil War, S. 317 oder Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion, S. 119f. [↩]
- Vgl. Figes, Revolution, S. 147. [↩]
- Vgl. Figes, Revolution, S. 149f. [↩]
- Vgl. Figes, Revolution, S. 150. [↩]
- Vgl. Figes, Revolution, S. 151. [↩]