Der Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki

Neben Lenin gilt Trotzki als der wichtigste Führer der Oktoberrevolution. Letzterem kann sogar, Dank seinem politischen und vor allem auch taktischen Geschick aber rücksichtslosem Vorgehen, der Erfolg des Umsturzes und erst recht dessen Verteidigung im Russischen Bürgerkrieg zugeschrieben werden. Stalin selbst nahm in dieser Zeit, entgegen seiner später propagierten Behauptungen, eine weit geringere Rolle ein. Trotzkis Stern als Revolutionsführer sowie Organisator der Roten Armee hatte zu dieser Zeit eine enorme Strahlkraft über die bolschewistische Partei hinaus und er schien, als Lenins Günstling, als dessen designierter Nachfolger sicher. Mit Stalin hatte er aber einen umtriebigen Gegenspieler, der ihm die Führung strittig machte, dabei spielte selbst Lenin eine unbeabsichtigte Rolle.

Trotzkis Werdegang  

Lew Dawidowitsch Bronstein (geboren 1879) war schon früh in revolutionäre Aktivitäten verwickelt, die ihn in jungen Jahren ins Gefängnis brachten. Später wurde er mit dem Rest seiner revolutionären Gruppe nach Sibirien ins Exil verbannt. Kurz nach der Jahrhundertwende erfuhr Trotzki im Exil von der Gründung von Iskra, einer revolutionären Zeitung, die Zeitweise unter Lenins Federführung in Deutschland gedruckt wurde.
Dies bestärkte den jungen Revolutionär in seinem Fluchtvorhaben, das er kurzerhand in die Tat umsetzte und sich fortan Trotzki nannte. Am Ende seiner Flucht traf er 1902 in London auf Lenin und begann sich einen Namen mit dem Schreiben von Artikeln für die revolutionären Zeitschriften Iskra und Pravda zu machen. Darüber hinaus entwickelte er eine eigene Theorie der sozialistischen Weltrevolution. Ideologisch stand Trotzki auf Seiten der Menschewiki, die nach der Spaltung der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei als Gegenfraktion zu den Bolschewiki hervorgingen.[1]
Während der Russischen Revolutionen von 1905 kehrte Trotzki in seine Heimat zurück, nur um wieder festgenommen und nach Sibirien ins Exil deportiert zu werden. Während dem Transport floh er abermals nach Westeuropa und fand unter anderem in der Schweiz Zuflucht. Nach der Februarrevolution 1917 herrschte in Russland eine Provisorische Regierung und Trotzki machte sich erneut auf den Weg dorthin. Kurz darauf schloss er sich den Bolschewiki an und wurde neben Lenin, zu einer der treibenden Kräfte der sozialistischen Revolution. Trotzdem stellte er sich aber in Zuge dessen aufgrund seiner Überzeugungen mehrfach gegen andere Revolutionäre wie Kamenew und Sinowjew, was zu nachhaltigen Feindseligkeiten führte. Seine, bereits erwähnten Erfolge zur Sicherung der sozialistischen Revolution in Russland zementierten seine Position als Gallionsfigur innerhalb der bolschewistischen Führungsriege.[2]

Trotzki bei einer Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau, um 1920. commons.wikimedia.org.

Machtkampf und Stalins Aufstieg

Nach einem gescheiterten Attentat auf Lenin im Jahre 1918 und mehreren folgenden Schlaganfällen, stellte sich in der Partei immer dringender die Frage nach seiner Nachfolge an der Parteispitze. Innerhalb des obersten Führungszirkel herrschte breite Uneinigkeit über das Erbe Lenins. Trotzki selbst stand nicht nur oft in Opposition zu Lenin, sondern griff auch unverhohlen andere Mitglieder des Politbüros an. Obwohl er in Lenins Gunst stand, agitierten andere Mitglieder um Stalin gegen ihn und seine politischen Ideen. Trotzki übte offen Kritik an den Entscheidungen der Bolschewiki und auch an der Person Stalin. Diese Kritik an der Regierung und damit Trotzkis abweichende Zukunftsansichten über die Sozialistische Revolution und für die neu gegründeten Sowjetunion, brachten ihn immer stärker auf Kollisionskurs mit Stalin.[3]

Stalin selbst war während des Russischen Bürgerkrieges in der Bevölkerung eher unbekannt, obzwar er schon eine wichtige Position in der Partei innehatte. Lenin schätzte Stalin als Mann fürs Grobe, der bereits in jungen Jahren mit Raubüberfällen von sich reden machte und den Revolutionären Kapital einbrachte. Dennoch gelang Stalin einen steilen Aufstieg innerhalb der Partei, die 1922 mit seiner Wahl auf den neu geschaffenen Posten des Generalsekretärs , einen vorläufigen Höhepunkt fand. Zudem erhielt er weitere Posten, denen sich das Politbüro nicht selbst annehmen wollte. Während das ganze Politbüro eng an Lenin gebunden war, war Stalin mehrheitlich unabhängig von Lenins Einfluss. Stalins Macht wuchs weiter und beunruhigte den kranken Lenin immer mehr. Dies brachte Lenin dazu seinen Kontakt mit Stalin mehrheitlich abzubrechen und seine Probleme mit Stalin an die Öffentlichkeit zu bringen. So empfahl Lenin in seinem Testament, dass Trotzki seine Nachfolge übernehmen sollte, obwohl er auch in Trotzkis Verhalten Probleme sah. Später versuchte Lenin mit einer Nachschrift zu seinem Testament Stalin von seinem Posten als Generalsekretär zu entfernen, dies wurde jedoch durch seinen Tod verhindert.[4]

Ein wichtiges Dokument in der Auseinandersetzung zwischen Lenin und Trotzki ist Lenins Brief an den Parteitag, 23. Dezember 1922 bis 4. Januar 1923, der auch bekannt ist als Lenins Testament. In diesem Brief finden sich Lenins Äusserungen zu der Zukunft der Partei und seine Empfehlung wer die Führung der Partei übernehmen sollte. Dabei gibt Lenin seine persönlichen Einschätzungen zu den Personen Stalin und Trotzki und er merkt an, dass Stalins Macht ihn besorgen würde. Auffallend dabei ist Lenins Anmerkung der Probleme beider Personen für ihre Eignung als Parteileiter. Zu einer Publikation des Testaments kam es nicht.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

Quelle: Lenins Testament

Ich denke, ausschlaggebend sind in der Frage der Stabilität unter diesem Gesichtspunkt solche Mitglieder des CK wie Stalin und Trockij. Die Beziehungen zwischen ihnen stellen meines Erachtens die größere Hälfte der Gefahr jener Spaltung dar, die vermieden werden könnte und zu deren Vermeidung meiner Meinung nach unter anderem die Erhöhung der Zahl der Mitglieder des CK auf 50, auf 100 Personen dienen soll. Gen. Stalin hat, nachdem er Generalsekretär geworden ist, eine unermessliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, dass er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen. Anderseits zeichnet sich Gen. Trockij, wie schon sein Kampf gegen das CK in der Frage des Volkskommissariats für Verkehrswesen bewiesen hat, nicht nur durch hervorragende Fähigkeiten aus. Persönlich ist er wohl der fähigste Mann im gegenwärtigen CK, aber auch ein Mensch, der ein Übermaß von Selbstbewusstsein und eine übermäßige Vorliebe für rein administrative Maßnahmen hat.

Ergänzung  zum Brief an den Parteitag

Stalin ist zu grob, und dieser Mangel, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen und Kommunisten durchaus erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von Gen. Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, dass er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist. Es könnte so scheinen, als sei dieser Umstand eine winzige Kleinigkeit. Ich glaube jedoch, unter dem Gesichtspunkt der von mir oben geschilderten Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki, ist das keine Kleinigkeit, oder eine solche Kleinigkeit, die entscheidende Bedeutung erlangen kann.

 -Lenin, V.I., Brief an den Parteitag, 23. Dezember 1922 bis 4. Januar 1923 [5][6]

Nach Lenins Tod im Januar 1924, bildete sich ein Triumvirat mit Sinowjew, Kamenew und Stalin als oberstes Führungsgremium. Trotzki blieb aussen vor und wurde politisch isoliert. Stalin war damals noch in einer untergeordneten Rolle und sollte als Allianzpartner zur Schwächung Trotzkis beitragen, dabei aber auch gleichzeitig Sinowjews Position stärken.[7] Durch Trotzkis Schwächung erfuhr Stalin eine relative Stärkung seiner eigenen Stellung, die er noch weiter auszubauen wusste. Dank seinem Einsitz im Führungszirkel, konnte er seine Macht dahingehend instrumentalisieren, um die Gunst von weiteren Parteigenossen zu erlangen. Vor allem unter den jüngeren Parteikadern könnte sich in dieser Zeit bereits ein Klientelsystem etabliert haben, das Stalin Loyalität zusicherte und seine Macht auf ein breiteres Fundament stellte.

Trotzki mit Lenin und Kamenew (r.) während einem Kongress 1919. commons.wikimedia.org.

Trotzkis Niedergang und Exil

Das Triumvirat hetzte immer heftiger gegen Trotzki und dessen als antikommunistischen Kurs verteufelten «Trotzkismus» und versuchte ihn in der Bevölkerung zu diskreditieren. Mit Erfolg. Trotzki wurde schliesslich zu Beginn 1925 von seiner Funktion als Volkskommissar für die Armee und Marine enthoben, degradiert und in die Opposition abgedrängt. Gleichzeitig begann unter Stalin die Bürokratisierung zu Lasten der inneren Parteidemokratie. Dieser Umstand sorgte dafür, dass die anderen Mitglieder des Triumvirats sich der Opposition um Trotzki anschlossen, in letzter Konsequenz konnte sie aber Stalins Aufstieg nichts mehr entgegensetzen. Im Oktober 1927 erfuhren Trotzki und Sinowjew den Ausschluss aus dem Zentralkommitee sowie der Partei. Kurz darauf wurde Trotzki unter dem Vorwurf von konterrevolutionären Umtrieben verhaftet und Kasachstan deportiert und im Februar 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen.[8] Während einem Grossteil seiner politischen Mitstreiter im Zuge von Säuberungskampagnen in Moskau der Prozess gemacht und hingerichtet wurden, gelangte Trotzki über mehrere Stationen ins mexikanische Exil. Unermüdlich agitierte er gegen seinen grössten Opponenten in Moskau weiter und zog dessen Zorn weiterhin auf sich. Im August 1940 fiel Trotzki schliesslich einem, von Stalin initiierten Mordanschlag zum Opfer. Er sollte Kamenew und Sinowjew überleben, die während den Säuberungen in den Terrorjahren der 1930ern als erste liquidiert wurden.

Fazit

Während Lenins Testament in der Führungsriege der Partei bekannt war, erfuhr es in dieser Zeit keine öffentliche Verbreitung. Trotzki schien derweil als Lenins Nachfolger sicher aber durch Stalins Gewieftheit.

 

Anonym

Überarbeitung: Florian Wiedemann
Titelbild:


[1] vgl. Service, Robert: Trosky a biography. Cambridge 2009. S.39–77.

[2] vgl. Service, Trosky, S.87–255.

[3] vgl. Trozki, Stalin, S. 393–427.

[4] vgl. Deutscher, Isaac: Stalin eine politische Biographie. Berlin 1979 S: 249–316.

[5] Lenin, V.I., Brief an den Parteitag, 23. Dezember 1922 bis 4. Januar 1923; https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ru&dokument=0013_tes&object=pdf&st=&l=de; (Aufgerufen am 6.10.2020).

[6] Altrichter, Helmut (Hg.):Die Sowjetunion. Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod, Band 1: Staat und Partei, München, 1986, S.81.

[7] vgl. Trozki, Leo: Stalin eine Biographie. Essen 2001. S. 393–405.

[8] Vgl. Victor Serge: Leo Trotzki. Leben und Tod, S.171-206.