Natürlich aus dem Erdboden bis hin zu synthetisch aus dem Labor — Einordnung von künstlichem Alizarin

Natürlich aus dem Erdboden bis hin zu synthetisch aus dem Labor — Einordnung von künstlichem Alizarin
Abbil­dung: In den unzäh­li­gen Schubladen der Abegg-Stiftung liegen his­torische Tex­tilien, die zum Teil lange vor unser­er Zeitrech­nung ange­fer­tigt wurden.

Neben Lit­er­atur­recherchen habe ich u.a. für diesen Ein­trag ein auf­schlussre­ich­es Gespräch mit Agniesz­ka Woś Juck­er geführt. Sie arbeit­et in der Abegg-Stiftung als Tex­til­restau­ra­torin und ‑Kon­ser­va­torin und ist eine Exper­tin in Sachen Natur­farb­stof­fen. Einzelne Auss­chnitte aus dem Gespräch sind in diesem Ein­trag und im Blo­gein­trag “Ver­drän­gung” zu hören.

Weit­er­führend: Im Ein­führungswork­shop zu Farb­stof­fen gab uns Agniesz­ka Woś Juck­er Hin­ter­gründe und Ein­blicke in die The­o­rie der Farb­stoffe, die wir in einem weit­eren prak­tis­chen Work­shop umset­zten konnten.

Zur Einord­nung von kün­stlichem Alizarin als natür­lich oder syn­thetisch bedarf es einem Kri­teri­um zur Unter­schei­dung. In mein­er Recherche bin ich auf zwei überzeu­gende Kri­te­rien gestossen:

Kri­teri­um 1 (von Woś Juck­er): Die Quelle des Farb­stoffs. Die Quelle ist entwed­er natür­lich, d.h. ein Tier oder eine Pflanze oder syn­thetisch, d.h. der Farb­stoff wird aus ver­schiede­nen chemis­chen Sub­stanzen zusammengemischt.

Kri­teri­um 2: Der Farb­stoff kann in dieser Form (mit sein­er chemis­chen Formel) so in der Natur vorkom­men (natür­lich) oder eben nicht (syn­thetisch).

Anil­in­far­ben (die meis­ten syn­thetis­chen Far­ben vom 19. Jh.) sind gän­zlich neu erschaf­fene Produkte/Farbstoffe (chemis­che Formeln / Moleküle), die es so nicht natür­lich gab. Beispiele hier­für sind Ver­guines Fuchsin (= Magen­ta, Anilin Red) oder Mau­vein (= Anilin Purple).

Kün­stlich­es Alizarin hinge­gen ist ein­fach die kün­stliche Her­stel­lung eines Farb­stoffes, der auch natür­lich vorkommt (also Alizarin). Natür­lich­es und syn­thetis­ches Alizarin sind chemisch gese­hen der­selbe Farb­stoff bzw. haben dieselbe chemis­che Formel.

Das heisst gemäss erstem Kri­teri­um wäre kün­stlich­es Alizarin ein syn­thetis­ch­er Farb­stoff (weil es aus ver­sch. chemis­chen Sub­stanzen im Labor zusam­mengemis­cht wird). Gemäss zweit­em Kri­teri­um wäre kün­stlich­es Alizarin aber ein natür­lich­er Farb­stoff, weil dieses Molekül so auch in der Natur zu find­en ist (man kann es halt auch genau so nach­bauen im Labor).

Farb­stoffe lassen sich also nicht nur in zwei strikt getren­nten Grup­pen von natür­lich und kün­stlich ein­teilen. Viel eher ist es ein Ver­lauf mit Zwis­chen­for­men (Extrak­te, Prä­parate) und Mis­chfor­men (kün­stlich­es Alizarin, kün­stlich­es Indigo).

Im Blog wird von syn­thetis­chem Alizarin die Rede sein, wenn ich das im Labor pro­duzierte Alizarin meine, um Unklarheit­en aus dem Weg zu räumen.

Zwischen natürlich und künstlich: Extrakte aus Färberkrapp 

Die unter­schiedlichen Nuan­cen von Krapp (Auss­chnitt aus dem Gespräch mit Agniesz­ka Woś Jucker)

Krapp besitzt neben Alizarin auch weit­ere unter­schiedliche fär­bende Inhaltsstoffe (Moleküle) wie beispiel­sweise Pur­purin, Pseu­do-Pur­purin und weit­ere. (Ein syn­thetis­ch­er Farb­stoff beste­ht i.d.R. nur aus einem Molekül bzw. aus einem fär­ben­den Stoff.)

Bei ein­er Vari­ante der Extrak­tion wird nun aus dieser bre­it­en Palette der fär­ben­den Inhaltsstoffe jew­eils ein Stoff extrahiert (beispiel­sweise aus Krapp nur Alizarin). Wenn man damit färbt, kriegt man eine ein­heitlichere Farbe, als wenn man mit dem ganzen Gemisch an Farb­stof­fen vom Krapp färbt. 

Bei ein­er anderen Vari­ante der Extrak­tion wer­den die Farb­stoffe aus dem Krapp gelöst, aus­gedampft und dann verdickt. Somit erre­ichen sie eine viel höhere Konzen­tra­tion vom Farb­stoff, wom­it man auch eine grössere Menge an Tex­til fär­ben kann.

Prä­parate sind die Ergeb­nisse ein­er Extraktion.

Das “kommerzielle Alizarin”: Garancin

Behan­delt man Krapp in mehreren Schrit­ten mit Schwe­fel­säure, ergibt sich Garancin. Das ist eine verdick­te Mis­chung von unter­schiedlichen fär­ben­den Inhaltsstof­fen von Krapp, also ein Extrakt von Krapp. Garancin ist viel kräftiger (da verdickt). Zum Ver­gle­ich: 1 kg Garancin färbt die gle­iche Menge Tex­til wie 5 kg Krap­p­wurzel. Daher gewann Garancin an Bedeu­tung als «kom­merzielles Alizarin» im 19. Jh. Um 1862 wurde die Hälfte der Krapp­pro­duk­tion für Her­stel­lung von Garancin verwendet.

Extraktion gibt den Startschuss für synthetisches Alizarin ab

Extrak­tionsver­suche von Krapp haben zur Entste­hung von syn­thetis­chem Alizarin beigetragen

Agniesz­ka Woś Jucker

Schon im 18. Jh. erregte Krapp das Inter­esse von Wis­senschaftlern, da es eine so zen­trale und weit ver­bre­it­ete Fär­berpflanze war. Man wollte ver­ste­hen, was Krapp ist, was genau der Stoff ist, der Tex­tilien diese leuch­t­en­drote Farbe ver­lei­ht. Schnell hat man fest­gestellt, dass im Krapp ver­schiedene Farb­stoffe enthal­ten sein müssen. So hat man dann pro­biert, die einzel­nen Kom­po­nen­ten auseinan­der zu nehmen, bis man Alizarin isolieren kon­nte und die chemis­che Formel fest­stellen kon­nte (1866). Bere­its zwei Jahre später kon­nte Alizarin zum ersten Mal syn­thetisch hergestellt wer­den (1868).


Rel­e­vante Literatur: 

Anilin, Wikipedia.org, 13.05.2022 <https://de.wikipedia.org/wiki/Anilin>

Anthra­cen, wikipedia.org, 13.05.2022 <https://de.wikipedia.org/wiki/Anthracen>

Nieto-Galan, Agustí: Colour­ing Tex­tiles. A His­to­ry of Nat­ur­al Dyestuffs in Indus­tri­al Europe, Dor­drecht 2001.

Gespräch mit Agniesz­ka Woś Juck­er aus der Abegg-Stiftung <https://abegg-stiftung.ch/who-is-who/>

Bildquellen:

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