Wenn man eine Stunde lang ohne Musik oder grosse Ablenkungen Blütenblätter wäscht, kommt man schon Mal auf neue Ideen. In diesem ersten Eintrag wird erklärt, wie eine einfache Aufgabe einem auf einen gedanklichen Weg führen kann, der einen plötzlich vor einen Berg von Aufgaben stellt.
Stunde 0 — Eimer, Blättchen und ein einfacher Auftrag
Ich lernte meine Muse, die Färberdistel oder etwas poetischer Saflor genannt, in der Abegg Stiftung kennen. Ihre Blüten können zum rot und gelb Färben verwendet werden, auf dem Bild sieht man das ‘rot’, dass kurz nach dem Färben und Trocknen um einiges knalliger ist. Das wunderbare an dieser Blume ist, dass man mit ihr auch Gelb färben kann. Doch hier kommt der Hacken… Will man mit Saflor Färben, so weicht man die Blüten über Nacht und kocht sie am nächsten Tag auf und wirft den zu färbenden Stofffetzen in die Flotte – das ist natürlich stark vereinfacht, aber es soll hier als Erklärung genügen. Wenn man nun einen Stoff in Gelb färben will, muss man vor dem Aufkochen das Rot aus der Blüte gewaschen werden. Dies würde eine Stunde dauern. Das wusste ich beim Beginn dieser Arbeit aber noch nicht.
30 Minuten — Trübes Wasser klarere Gedanken
Das Video zeigt einen Vorgang, den zu zählen ich bereits in den ersten Minuten aufgegeben hatte. Das Wasser war an diesem Punkt noch nicht so klar, wie es im Video ist, sondern farblich mit einem etwas zu roten Apfelsaft zu vergleichen. Was aber einsetzte war zum einen die Frage: warum ich mich immer für genau diese Arbeiten meldete. Zum anderen aber auch interessantere Fragen. Zum Beispiel, dass ich zum Glück nur wenig Material waschen muss. Wie es sich wohl anfühlen musste, wenn man Eimerweise von diesen Blütenblättchen waschen musste? Wie lange das wohl gedauert hat? Wer musste sich wohl dieser Aufgabe annehmen? Und nicht zu vergessen: Dies ist ein Vorbereitungsschritt für das eigentliche Färben. Es wäre ein Leichtes die Arbeit als beendet zu erklären und zu hoffen, dass bereits Getane würde reichen, um ein schönes Gelb zu erhalten. Aber der Ehrgeiz hatte mich gepackt und ich wollte, dass der nächste Schritt, das Färben, so perfekt wie möglich gelingen kann und nicht von einem ‘Glück gehabt’ abhängig sein muss. Dieser Gedanke würde mich nicht wieder loslassen.
60 Minuten – Ein bleibender, fast schon nachhaltiger Gedanke
Nach einer Stunde, als ich endlich fertig war — meine Arme würde ich noch lange spüren — war ich nicht nur stolz — so stolz, dass ich begann Herzchen zu formen — sondern bestrebt, auch den Rest des Färbeprozesses mit der gleichen Sorgfalt fortzuführen. Ich hatte das Gefühl, eine persönliche Bindung zum Material aufgebaut zu haben. Ich wollte die Früchte der eigenen Arbeit sehen und am Ende des Färbens sagen können, dass diese Stofffetzen dank meiner Aufsicht und meiner Arbeit diese Farbe angenommen hatten.
Nachhaltigkeit = die Arbeit als Färbende*r Expert*in schützen?
Meine Arbeit und meine Sorgfalt hat die Farbe beeinflusst. So sehr, dass ich eine sehr erhitzte Argumentation mit meinen Komiliton:innen führte, als wir uns nicht sicher waren, welche Stoffe nun mit der Färberdistel gefärbt worden waren. Dieser Stolz auf meine Arbeit und die Frustration, als man meine Arbeit in Frage stellte, brachte mich auf einen Gedanken: Ist Nachhaltigkeit der Färber im 17. — 18. Jh. unter anderem eine Frage der nachhaltigen Sicherung von Arbeitsstellen? Denn Färben war nicht einfach oder leicht, es ist eine Handarbeit, bei der viel schief gehen kann. Wie wir selbst erfahren haben. Man muss das Material kennen und genau wissen, was wie gefärbt werden muss und die Rezepte waren nicht ohne und das obwohl wir genauste Wagen und Pipetten hatten. Wie das in der Frühen Neuzeit ausgesehen haben muss? War die Fähigkeit, Stoffe zu färben und dieses Wissen weiterzugeben und sich so von anderen abzuheben eventuell ein Gedanke, den man als ein Nachhaltigkeitsgedanke der Färber bezeichnen könnte? Arbeit als die Ressource, die man sichern und auch für zukünftige Generationen zugänglich machen will. Während ich die Färbereien und den Prozess des Färbens – oder auch wie so eine Färberwerkstatt ausgesehen haben könnte – also anderen überlassen würde, wird mein Blog der Frage nachgehen: ob wohl ein Nachhaltigkeitsgedanke in der Sicherung der Arbeitsstellen liegen könnte? Dass das Färben an sich als eine Expertise gesehen wurde, die es zu schützen galt? Dabei soll im Rahmen dieses Kolloquiums aber der Fokus auf den Möglichkeiten bleiben, wie man dies erforschen könnte. Wie also könnte man dieser Frage nachgehen?