Die Frage danach, was es bedeutet ‚black‘ (Moten 2013) zu sein, ist eine fundamentale Frage, die viele Autoren beschäftigt, die sich mit Blackness auseinandersetzen. Fred Moten stellt sich in Blackness and Nothingness diese Frage ebenfalls und drückt dabei mit wundervollen Worten den Begriff ‚Blackness‘ aus. Diese Auseinandersetzung steht in einem besonderen Zusammenhang zur Mystik, da sich Moten in seinem Ausdruck von ‚Blackness‘ auf die Funktion von ‚Nichts‘ in der Sprache bezieht. Dieser Beitrag widmet sich der Frage, inwiefern Motens Ausdruck von ‚Blackness‘ im Zusammenhang mit ‚Nichts‘ eine sprachliche Herausforderung darstellt und wie sich Motens Auseinandersetzung mit Nichts, Sprache und Blackness daher als eine ‚Bewegung an die Grenzen des Möglichen‘ einordnen lässt.
In der Suche danach, was es bedeutet ‚black‘ zu sein, widmet sich Moten der Sprache Pidgin, deren Untersuchung er wie folgt beschreibt: „We study in the sound of an unasked question. Our study is the sound of an unasked question. We study the sound of an unasked question.“ (Moten 2013, S. 756)
Diese Formulierung, ‚Der Klang einer ungestellten Frage‘, macht deutlich, warum die Untersuchung von Pidgin kein leichtes Unterfangen ist. Denn eine ungestellte Frage ist eine Frage, die nie geäussert wurde. Erst das Äussern einer Frage würde Klang produzieren. Der Klang einer ungestellten Frage ist demzufolge eine Leerstelle, wesentlich Nichts. Baut man diese Schlussfolgerung nun in die Formulierung Motens ein, so lautet sein Vorhaben: ‚We study the sound of nothing. Our study is nothing, we study nothing.‘ Hierbei wird angedeutet, dass ‚Nichts‘ in gewisserweise ‚Pidgin‘ wesentlich konstitutiert und zusammenwebt.
Die Idee, dass Nichts wesentlich konsitutiv sein kann, ist nicht leicht nachzuvollziehen und bewegt die Lesenden von Motens Gedanken an die Grenze des Möglichen. Um diese nahezu unmögliche Idee begreiflich zu machen, widmet sich Moten der Musik. Hier berührt er in seiner Auseinandersetzung das Nichts, wenn er sich auf ein Jazz-Duett von Don Cherry und Ed Blackwell bezieht, aufgenommen im Jahr 1982. Moten verweist darauf, dass im Lied nach etwa zweieinhalb Minuten die Aufmerksamkeit auf eine Beziehung zwischen Fantasie und Nichts gelenkt wird. Hier wirke der Klang von Nichts, indem der Klang der Instrumente ausbleibt. Die Instrumente Schweigen. Innerhalb dieser musikalischen Leerstelle aber passiere etwas in unserer Fantasie. Dort spiele die Musik weiter und wirke einen besonderen Zauber. Diesen nennt Moten Mu. Mu wirke auf die Hörenden, während Nichts gespielt werde. Doch wirke Mu auch über den Moment des Aussetzens der Instrumente hinaus und somit auf das Lied als Ganzes. In diesem Lied hat insbesondere das, was nicht ist, Einfluss darauf, was ist.
Wie sich in diesem Stück die Wirkung von Nichts beobachten lässt, so lässt sich diese Wirkung auch in Pidgin beobachten. Die Schwierigkeit, diese Sprache zu untersuchen, besteht also zunächst darin, dass Nichts in dieser Sprache eine bedeutende Rolle spielt, respektive in bedeutsamer Weise auf die Sprache wirkt. In einem Lied ist es ein Leichtes, den Effekt von Nichts nachzuvollziehen, bei Pidgin ist diese Wirkung jedoch schwerer zu untersuchen.
Um den Zusammenhang von Nichts und Pidgin zu verstehen, soll zunächst darauf eingegangen werden, wie Pidgin entstanden ist. In seiner Rekonstruktion bezieht sich Moten hier auf Linebaughs Charakterisierung der Sprache:
“The most magnificent drama of the last thousand years of human history” was not enacted with its strophes and prosody ready-made. It created a new speech. A combination of, first, nautical English; second, the “sabir” of the Mediterranean; third, the hermetic-like cant talk of the “underworld”; and fourth, West African grammatical construction, produced the “pidgin English” that became in the tumultuous years of the slave trade the language of the African coast. (Linebaugh 1982, S. 110f.)
Bei Pidgin soll es sich um eine Sprache handeln, die das Resultat des ewigen Kolonialterrors ist, der sich in den letzten tausend Jahren abgespielt hat. Die Identität dieser Sprache ist jedoch nur schwer zu bestimmen. Sie setzt sich aus Sprachen zusammen, die an diesem Drama beteiligt waren. Pidgin an sich ist nicht auf einen geografischen Entstehungsort zurückzuführen, sondern auf einen gewaltsamen Transport. Insofern verweist gerade die Tatsache, dass es den geografischen Entstehungsort nicht gibt, darauf, dass der Gebrauch dieser Sprache aus dem Nichts stammt. Und ähnlich wie bei der Musik weckt wieder Nichts die Fantasie der Pidgin-Sprechenden. Nichts hat hier einen Einfluss auf die vorangegangenen Sprachen und wirkt als Mu auf den Moment ihrer Entstehung und darüber hinaus auf ihren Gebrauch bis in die Gegenwart. Des Weiteren verzichtet Pidgin auf eine rigide Syntax und Morphologie. Wie Moten hervorhebt, ist diese Sprache nicht institutionalisiert, sondern lediglich mündlich überliefert. Die Einwirkung von Mu verleiht dieser Sprache ihren Charakter. In dem Sinne lehrt Nichts den Gebrauch der Sprache.
Um nun wieder auf unser Ausgangszitat einzugehen, betrachten wir den Aspekt einer ungestellten Frage. Welche Frage ist Moten zufolge überhaupt ungestellt und weshalb muss die Frage ungestellt sein?
That question whose necessity is so fundamental that it must be unasked—the question of the meaning of (black) being, the question of the meaning of (black) things (Moten 2013, S. 756)
Die Frage danach, was es bedeutet ‚black‘ zu sein, ist eine fundamentale Frage, die viele Autoren beschäftigt, die sich mit Blackness auseinandersetzen. Und ausgerechnet diese Frage muss nun gemäss Moten ungestellt bleiben/sein. Diese Forderung scheint zunächst paradox. Jedoch ist der Modus des Ungestellt-seins notwendig, um den Zusammenhang von Nichts und Blackness verstehen zu können. Denn die Frage blieb in der Entwicklung dessen, was Blackness bedeutet, ebenfalls ungestellt. Hierbei enthüllt die nur schwer begreiffliche Frage als eine Bewegung an die Grenze des Möglichen einen Konnex zwischen Nichts, Pidgin und Blackness.
Wir konnten bereits festhalten, dass Nichts ein wesentlicher Bestandteil von Pidgin ist. Die Untersuchung von Pidgin muss sich demnach auf die Auswirkung von Nichts auf Pidgin richten. Beschäftigt man sich nun mit der Frage, was es bedeutet, ‚black‘ zu sein, so muss man sich ebenfalls mit der Auswirkung von Nichts auf diese Frage auseinandersetzen. Moten zufolge lässt sich die fundamentale Auswirkung von Nichts respektive die Wirkung von Mu auf diese Frage nur dann beobachten, wenn sie ungestellt ist. Wie bereits angedeutet, ist die Auseinandersetzung mit dieser Frage auch eng mit Pidgin verwoben, weil Pidgin der Klang der ungestellten Frage danach ist, was es bedeutet ‚black‘ zu sein. Somit deutet Moten auf den verwobenen Komplex von Pidgin, Nichts und Blackness durch die drei Aspekte, die er im Ausgangszitat aufwirft, und zeigt dabei auf, wie fundamental das Ungestellt-sein der Frage ist.
„We study in the sound of an unasked question“ verweist darauf, dass die Untersuchungen von Blackness, in der durch ‚Nichts‘ verwobenen Sprache ‚Pidgin‘ selbst geschieht.
„Our study is the sound of an unasked question“: Die Untersuchungen selbst sind Ausdruck der ungestellten Frage, was es bedeutet ‚black‘ zu sein.
„We study the sound of an unasked question“ verweist auf den Klang von Nichts, die Wirkung von Mu, als den Gegenstand der Frage. Dieser Konnex stellt eine Bewegung an die Grenze des Möglichen dar, denn die Frage, die Moten aufwirft, ist eine, die ungestellt sein muss und somit sprachlich an der Grenze des Möglichen ist. Moten gelingt es in seinem Text dennoch, etwas durch den Klang einer ungestellten Frage zu bewirken, und so deutet er performativ auf die Wirkung Mu von Nichts. Hierbei wirkt sich der Klang von ‚Nichts‘ auf den Text aus, und Moten untersucht, was nicht ist, mit dem und durch das, was nicht ist: Der Klang einer ungestellten Frage.