„Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden, lasset nit verlähmen! Schmiedet pinke-panke auf den Anbossen Nimrods, werfet ihnen den Turm zu Boden!“
(Thomas Müntzer, Manifest an die Mansfeldischen Bergknappen)
„Darum, weil wir ein Reich empfangen, das nicht erschüttert wird, lasst uns dankbar sein und so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“
(Hebräer 12,28–29)
Sozialrevolutionäre Bewegungen der Vormoderne wie auch der Moderne haben mal mehr und mal weniger direkte Berührungsflächen mit religiösen und insbesondere mystischen Inhalten, sind es doch gerade sozialrevolutionäre Interpretationen der Lehre Jesu von Nazareth, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gesellschaftliche Sprengkraft bewiesen. So identifizierte Erich Fromm bereits bei Meister Eckhart eine Unterscheidung zwischen Haben und Sein, die er als Plädoyer für eine Gesellschaft jenseits des Privateigentums interpretierte, denn Eckhart lehre uns, „sich selbst offen und ‚leer‘ zu machen, […] um geistigen Reichtum und Kraft zu erlangen“ (Fromm 1976).
Neben Fromm verfuhr auch Ernst Bloch ähnlich und versuchte, produktive Gedanken aus dem Spiel der Mystik mit dem Marxismus zu entwickeln; der Theologe Jürgen Moltmann bescheinigte ihm gar den Status, unter den Philosophen am meisten und am treffsichersten die Bibel zitiert zu haben (Moltmann 2004).
Mit Thomas Müntzer widmete sich Ernst Bloch einer für die Geschichte der Reformation und neuzeitlichen Sozialbewegungen äusserst wichtigen Person. Der Harzer Theologe und Revolutionär war Zeitgenossen ein Dorn im Auge, besonders Luther war ein entschiedener Gegner seiner exzessiven revolutionären Theologie. Doch Bloch interpretiert Müntzers Hang zum Exzess als Antizipation eines historischen Potenzials der Menschheit; er sei ein Vertreter eines apokalyptischen Kommunismus, der gegen den Willen der Obrigkeit mit dem Schwert kommen werde. Insofern war Müntzer in den Augen Blochs ein früher Vertreter der Bewegung, die Jahrhunderte später von ihren bedeutendsten Exponenten Karl Marx und Friedrich Engels programmatisch als eine Kampfansage an alle bestehenden Verhältnisse beschrieben wurde.
Gegen die Vorstellung, dass zwischen Müntzers sozialrevolutionärem Handeln und seinem spiritualistischen Denken ein zufälliges Verhältnis bestehen würde, sprechen Bände an Aussagen, in denen Müntzer sein Handeln unmittelbar mit seinen Glaubensvorstellungen in Verbindung setzt. Nicht nur die Rhetorik des Prager Manifests beweist die seiner Lehre innewohnende Tendenz zum Aufstand. Es war der Versuch, die Böhmischen Brüder, eine aus der hussitischen Bewegung hervorgegangene religiöse Gemeinschaft, von seinen Lehren zu überzeugen, die sich allem voran gegen die Kirche und deren Lehre wandten. In dieser Schrift behauptet Müntzer beispielsweise, den rechten Glauben weder durch Mönch noch Pfaffen gelernt zu haben. Mit der blossen Schrift sei ohnehin niemand zu überzeugen, nur durch das „rechte lebendige Wort Gottes“, die Erfahrung des Heiligen Geistes im Menschen: „Denn wer den Geist Christi nicht in sich spürt. Ja der ihn nicht gewiss hat, der ist nicht ein Glied Christi, sondern des Teufels, nach Röm 8.“
Müntzer begreift die Erfahrung des rechten Glaubens als persönliches Erleben, das nicht durch den Klerus vermittelt wird, im Gegenteil. Der sozialrevolutionäre Impetus bestand also darin, die entfremdete Verantwortung zum Seelenheil wieder in die Hände des Einzelnen – und in der Frühen Neuzeit hiess das allem voran: in die Hände ärmlicher Bauern – zurückzugeben. Seine spirituellen und seine sozialen Überzeugungen entstammen somit der gleichen Quelle: seiner inneren Erfahrung des Heiligen Geistes.
Dieses Amalgam gesellschaftskritischer und religiöser Auffassungen erscheint gerade rückblickend etwas fremd, dabei war solche Kritik bis zur Säkularisierung eher die Norm als eine Ausnahme. Die Religion als Seufzer der bedrängten Kreatur war von Christus über John Bell und Müntzer selbst zu den Diggers und den Levellers immer schon Katalysator, wenn nicht sogar Quelle gesellschaftlicher Kritik. Gerade der Reformation entsprangen dutzende Prediger, die keine Dogmen predigten, sondern religiöse Erfahrungen vermittelten, deren Inhalt oftmals die alten Dogmen und festgefahrenen Strukturen der frühneuzeitlichen Christenheit – und somit das gesellschaftliche Gefüge Europas – scharf kritisierte.
Nicht anders verhielt es sich mit Müntzer, der im Südharz in den frühen 1520er Jahren begann, auf Deutsch zu predigen und unter Bergknappen zu agitieren. Im Vergleich zu Agitationsreden industrieller Gewerkschaftler erscheint Müntzers Manifest an die Mansfeldischen Bergknappen durchaus religiöser gefärbt, beinhaltet aber auch konkrete Aufforderungen zur Praxis. Müntzer geht sogar so weit und behauptet, dass Gott sich anders nicht offenbaren kann als durch das Handeln der Bergknappen. Es sei Gottes Wille, sich gegen die gottlosen Bösewichte zu wehren, und wenn sie sich nicht wehren, so müssen sie Teufels Marterer sein.
Gerade im 16. Jahrhundert stellte diese Kampfansage eine Transgression hohen Grades dar, war es doch die angeblich durch Gott eingerichtete Welt, gegen die sich Müntzer stellte. Die Ablehnung kirchlicher Dogmen, der Vermittlung des Heils durch die Sakramente, und die Betonung eigener mystischer und spiritueller Erfahrungen waren zwar kein alleiniges Erkennungsmerkmal Müntzers. Die Intensität, mit der er diese Vorstellungen unter Menschen brachte, die er als besonders empfänglich für diese Lehre betrachtete, kennzeichnet ihn aber in besonderem Maße. In Müntzer scheint eine besonders starke revolutionäre Leidenschaft gebrannt zu haben, die er im Eifer der aufständischen Bauern, der Bergknappen und anderer verarmter Klassen der Frühen Neuzeit reflektiert sah. Es ist das Feuer, das in Müntzer und in den Bergknappen loderte, welches die Schwerter schmieden sollte, die das Reich Christi bringen.
Das mystische Element in Müntzers Auffassung besteht darin, dass das Feuer Ausdruck der unmittelbaren Erfahrung durch den Heiligen Geist ist, es ist „Gottes Gezeugnis“. Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament wird Feuer mit Gott assoziiert. Gott offenbarte sich Moses als brennender Busch, und in Lukas 12,49 heisst es, dass Jesus kommen wird, um das Feuer zu bringen. Viele Heilige der Kirche erlebten mystische Erfahrungen, bei denen sie berichten, Feuer gespürt zu haben. So erfuhr die Heilige Maria Magdalena de Pazzi während einer Vision Gottes reinigende Liebe im Fegefeuer. Das Feuer im Christentum steht insofern für Liebe und Wissen, für die Wirkmacht Gottes und für das Potenzial zur Reinigung durch Gott.
In den christlichen Vorstellungen des Feuers liegt bereits die Möglichkeit einer sozialkritischen Interpretation. Das liebende Feuer Gottes entspringt der inneren spirituellen Erfahrung und mündet in einen praktischen Zwang zur Handlung. Die praktische Dimension von Müntzers Lehre steht zwar etwas im Kontrast zur Tendenz eines In-sich-gekehrt-Seins anderer Mystiker:innen, die in innerer Entleerung die Nähe zu Gott und die Teilhabe am Göttlichen suchten. Doch es ist gerade dieses In-sich-gekehrt-Sein, in dem Müntzer den rechten Glauben findet und der ihn zur Handlung zwingt. Als Frage ausgedrückt: Wie kann man das Gute erfahren haben und das Falsche aushalten? Müntzers Spiritualismus ist keine blosse Theologie, keine deskriptive Theorie. Es ist dieser Widerspruch zwischen dem Erfahren des Wahren, des Guten einerseits und dem real-existierenden Elend des frühneuzeitlichen Europas andererseits, der das Feuer entfachte, welches das Schwert Christi schmieden sollte. Der Harzer Reformator greift gewissermassen eine kritische Theologie, womöglich eine kritische Theorie vor, die Erfahrungen durch den gegenwärtigen Geist als Grundlage ihrer Kritik nutzt.
Müntzer konnte zwar einige Erfolge bei seiner Agitation verbuchen, der Traum vom christlichen Kommunismus blieb jedoch unerfüllt. Bei Frankenhausen wurden 7000 Müntzer-Anhänger von fürstlichen Truppen eingekesselt und fielen diesen zu Opfer. 6000 Rebellen starben an jenem Tag, und Müntzer wurde bald darauf aufgespürt und verhaftet. Der Bauernkrieg blieb erfolglos, wurde von Friedrich Engels in seiner Studie zum deutschen Bauernkrieg aber als grossartigster Revolutionsversuch der Deutschen verbucht. Nach Müntzer dauerte es noch Jahrhunderte, ehe auf dem Gebiet des späten Heiligen Römischen Reichs erneut sozialrevolutionäre Kämpfe ausbrachen. Die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts sprachen nun nicht mehr von göttlichen Geboten, die sie zum Handeln zwangen, sondern von historischen Gesetzen, die das Enigma der Geschichte zu Gunsten des Proletariats entscheiden sollten. Die Sprache des Christentums wurde durch eine der Wissenschaftlichkeit ersetzt, das lodernde Feuer hingegen blieb. Abertausende Arbeiter:innen glaubten, die Wahrheit erkannt zu haben und – Müntzer nicht unähnlich – nun nach dieser Wahrheit in Richtung ihrer Befreiung handeln zu müssen. Es scheint so, als ob das Feuer auch brennt, wenn christliche Vorstellungen in den Hintergrund treten. Der Grenzgang zum Möglichen findet statt – ungeachtet dessen, ob das leidenschaftliche Feuer in uns der Erfahrung des Heiligen Geists oder der Erfahrung des alltäglichen Elends entspringt.
Literatur
Bloch, Ernst: Thomas Müntzer als Theologe der Revolution. Berlin 1960.
Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Stuttgart 1976.
Moltmann, Jürgen: Ernst Blochs Christologie. In: Evangelische Theologie 64/1 (2004), S. 5–19.
Müntzer, Thomas: Dokumente aus dem deutschen Bauernkrieg. Beschwerden, Programme, Theoretische Schriften. Hrsg. von Werner Lenk. Stuttgart 1980.