München

Screenshot der Homepage des Faust-Festivals München
Faust-Festival in München

Faust und München – dies war gerade im Zeichen des ‚Faust-Festivals‘, das in diesem Blog von Mike Bill ausführlich besprochen wurde, eine einschlägige Kombination: „Ein Drama, eine Stadt, hunderte Events“. Dem anbiedernden Wahlspruch der Ausstellung in der Kunsthalle folgend (‚Du bist Faust‘), der die primitivste Form der Rezeption fordert, nämlich die identifikatorische, und vielleicht nicht einmal dies einlöst, weht der faustische Geist, oder das, was dafür gehalten wird, durch alle Winkel der Stadt, bis jeder weiß: „Wir alle sind Faust.“ – Derlei kollektivistische Statements hätten in der Stadt an der Isar oder allgemein in oberbayrischen Gefilden vor vierhundert Jahren noch ein entschiedenes: ‚Nein, danke‘ geerntet. Spektakel hin oder her. Faust und die Patrona Bavariae, das sind zwei Dinge, die kaum zusammengehen. Es gibt historische Gründe und alte Feindschaften. Diese zeigen sich gerade in historisch-mediologischer Perspektive: Faust(us) – das ist zum einen natürlich eine historische Figur, über die allerdings nicht mehr allzuviel gewusst werden kann (und vielleicht nie werden konnte). Faust(us) – das ist zum anderen ein Kristallisationspunkt verschiedener Diskurse, der zum Medienereignis wurde und zu dessen Profilierung immer auch die Medialität des Raums mitgenutzt wurde. Städte sind nicht einfach nur historische Gegebenheiten, sondern Medien eines Wissens: in diesem Fall von Eigenem und Fremdem, von Rechtgläubigkeit und Orthodoxie, ja von Heil und Verdammnis.

Wittenberg

Titelblatt der Historia von D. Johann FaustenDer erste Text, der umfassend über Fausts Leben und Sterben unterrichtet, ist die 1587 bei Johann Spies gedruckte Historia von D. Johann Fausten. Sie lässt Faustus als Bauernsohn in ‚Rod bey Weinmar‘ geboren sein, der zu Wittenberg aber zahlreiche Verwandte hatte, wo er auch Theologie studierte und schließlich sogar promoviert wurde zum Doctor Theologiae. Dies freilich war nur der vielversprechende Anfang, ehe Faustus sich für Dinge interessierte, für die er sich nicht interessieren durfte. Der Teufel sollte ihm die Antworten geben, die er sich selbst nicht geben konnte, und es ist eine besonders traurige Pointe, dass Mephostophiles dafür, dass Faustus ihm seine Seele verschreibt, nur veraltetes Wissen bieten kann – und eine Menge faulen Zaubers. Die Spießsche Historia geht virtuos mit zu ihrer Zeit schon veralteten Wissensbeständen um, montiert sie sinnwidrig, verstümmelnd, richtet aus altem, aber noch nicht abwegigen Wissensbeständen einen Trümmerhaufen auf, dessen Schrottcharakter dafür steht, was vom Teufel zu erwarten ist. Der Text, denunziatorisch von Anfang bis Ende, warnt vor Teufelsbund und Zauberei angesichts der Tatsache, dass beides den Abfall von Gott bedeutet. Entsprechend wird Faustus in diesem Text, der gerade in der Vorrede und in den Marginalien für einen Lutheranismus strengster Observanz steht, als Negativexempel, ja mehr noch: als Anti-Luther präsentiert, der die Bibel unter die Bank legt.

Dennoch aber war Faustus auf diese Weise – und nicht zuletzt auch durch die zahlreichen Raubdrucke und Fortschreibungen – mit Wittenberg verknüpft, wenn das auch in einer inversen Logik geschehen war. Es dauerte nicht lange, bis sich gegen diese Version der Geschichte Widerstand regte. Der Einspruch kam 1593 durch Hermann Witekind, ebenfalls Protestant, allerdings eher Anhänger Melanchthons als Teil der Luther vergötzenden Kreise, aus denen die Historia von D. Johann Fausten stammt. Witekind hatte sich zuvor schon mit Faustus beschäftigt; die Verbindung des Zauberers Faustus mit dem Teufel geht auf ihn zurück, aber er kann ganz und gar nicht damit leben, dass Faustus in Wittenberg studiert hätte.

„Daß man in solcher Vniuersitet einen solchen / den Melanthon ein scheißhauß vieler teufel pflag zu nennen / solte zum Magister / ich geschweige zum Doctor Theologiæ gemacht haben / welches dem grad vnd ehren titul ein ewige schmach vnd schand flecke were / wer glaubet das?“

Krakau

Ja, wer glaubt das, dass Faustus, den Melanchthon ein „scheißhauß vieler teufel“ nannte, in Wittenberg magistriert und promoviert worden wäre? Das konnte nur ein orthodoxer Lutheraner strengster Observanz sein, jedenfalls niemand, der (wie Witekind) mit Melanchthon sympathisierte. Für Witekind ist dagegen klar, dass Faustus in Krakau studiert hatte – eine Universität, die für die Nigromantie, die „schwartze kunst“ berühmt war. Witekind beharrt darauf, dass Faustus weder in Wittenberg studiert habe noch dass ihn dort der Teufel holte. Faustus machte sich nach Witekinds Darstellung nämlich auf und davon, nachdem man ihn einsperren wollte, da „ers zu grob machete“. Wittenberg erscheint in dieser Perspektive weniger als die Stadt Luthers, sondern vor allem als Stadt der Universität, die mit Melanchthon verbunden ist und unter keinen Umständen beschädigt werden darf.

Ingolstadt

Während Faustus in den innerprotestantischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts so jeweils polemisch funktionalisiert wird, gerät zugleich in den Hintergrund, wo der Feind denn eigentlich steht. Georg Rudolff Widman hingegen berichtet 1599 davon, wie Faustus, der bei ihm auch Sohn armer Bauern ist, vom reichen Wittenberger Vetter, den auch die Spiessche Historia kennt, an Kindes statt angenommen und an die Universität Ingolstadt geschickt wurde, wo er das Magisterexamen ablegt.
Das war freilich gegenüber den oberbayrischen Bildungsinstitutionen nicht freundlich gemeint, denn wer hat schon gerne etwas mit einem aus urprotestantischen Zusammenhang stammenden Teufelsbündler zu tun, der schließlich in der Hölle landet? Sicher niemand; die altgläubige Seite hatte dem protestantischen Negativexempel aber auch etwas entgegenzustellen.
Theophilus, den die ältere Forschung den „Faust des Mittelalters“ nannte, ist ebenfalls Teufelsbündler, wird aber von der Jungfrau Maria gerettet wird – eine Option, die Faustus im lutherischen Umfeld natürlich nicht hatte. Entsprechend tritt am Ende des im Oktober 1621 am Jesuitengymnasium in Ingolstadt aufgeführten Theophilus-Dramas Faustus zusammen mit einem italienischen Zauberer auf, die beide in der Hölle schmoren und deren ewige Verdammnis der Rettung des Theophilus kontrastiv gegenübergestellt wird. Hier nun erscheint Faustus leibhaftig im Stadtraum, auf der Bühne des Jesuitendramas, und verkörpert das Ensemble aus kontroverstheologischem Diskurs und stadträumlicher Verortung, das in den Medien des Drucks erzeugt und umgeschrieben worden war.

Figur und Stadtraum – diese bilden einen Zusammenhang, der die Auseinandersetzungen mit Faustus im 16. und 17. Jahrhundert prägt. Bei Goethe ist dieser Nexus weitestgehend aufgegeben; erst Thomas Mann wird mit der Verbindung von Adrian Leverkühn und Kaisersaschern auch diesen Aspekt des frühneuzeitlichen Zusammenhangs transformieren. Nun also noch einmal: Faust und München? Ist da nur der titanische Faust Goethescher Prägung gemeint? Oder wäre der verdammte Faust(us), der sich über die Grenzen legitimer Erkenntnis hinwegsetzt und dafür in der Hölle landet, nicht doch auch mitgemeint? So oder so, man sollte den Münchner eine Ausstellung ans Herz legen, in der alle emphatisch bekennen können: „Wir sind Theophilus!“ In diesem Sinne gesegnete Festtage.

Maximilian Benz lehrt und forscht im Bereich der Älteren deutschen Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.

Mit diesem Beitrag geht der medioscope-Newsletter des ZHM in eine Weihnachtspause. Weitere Beiträge folgen nach einer kurzen Unterbrechung im neuen Jahr.

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