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Mittelalterliche Kunst im Schweizerischen Nationalmuseum
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Mittelalterliche Kunst im Schweizerischen Nationalmuseum

Fragmente eines alpenländischen Fastentuchs

Posted on 14. August 201519. April 2021

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Anonym, Zug, um 1470

Tempera auf Leinwand, 6 Fragmente, H. 4,40, B. 1,00 m (1); H. 1,20, B. 1,00 m (2); H. 4,60, B. 1,00 m (3); H. 1,20, B. 1,00 m (4); H. 2,40, B. 0,95 m (5); H. 1,50 x B. 1,00m (6)

Schweizerisches Nationalmuseum: Inv. LM 3961.1-6.

 

Abb. 1: Fragment 1 (Schwarz-Weiss-Bild), (© Schweizerisches Nationalmuseum).
Abb. 2: Fragment 2, (© Schweizerisches Nationalmuseum).
Abb. 3: Fragment 3 (Schwarz-Weiss-Bild), (© Schweizerisches Nationalmuseum).
Abb. 4: Fragment 4 (Schwarz-Weiss-Bild), (© Schweizerisches Nationalmuseum).
Abb. 5: Fragment 5, (© Schweizerisches Nationalmuseum).
Abb. 6: Fragment 6 (Schwarz-Weiss-Bild), (© Schweizerisches Nationalmuseum).

Die 6 Leinwandfragmente mit spätmittelalterlicher Bemalung (Abb. 1-6) wurden 1898 bei der Abtragung der ehemaligen Pfarrkirche St. Michael in Zug auf der Rückseite eines oktogonalen barocken Deckengemäldes, datiert um 1710, entdeckt. Sie stammen von einem Fastentuch, das man im 18. Jahrhundert zerlegte, um daraus die Trägerleinwand für das barocke Gemälde zu gewinnen.1 Bei der Umnutzung wurden die Fragmente aneinandergenäht und mit der Kirchendecke verklebt. Nach ihrer Wiederentdeckung gingen die Fragmente zusammen mit Freskobildern des 15. Jahrhunderts und weiteren Schätzen aus der ehemaligen Pfarrkirche St. Michael in den Besitz des Landesmuseums über.2 Die Literatur erwähnt keine Restaurationsarbeiten.

Abb. 7: Rekonstruktion nach Reiner Sörries

Die erhaltenen Reste entstammen dem Randbereich des rasterförmig gegliederten Fastentuchs, welches ursprünglich 9 Spalten und wohl eine gerade Anzahl an Bildzeilen, nach Sörries eher 8 als 6, aufgewiesen haben muss (Abb. 7). Wie Wüthrich und Ruoss festhalten, wurde das Fastentuch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zug hergestellt.3 Die ungefähr 7,20 x 6,40 m grosse Leinwand wurde in der Fastenzeit zwischen Kirchenschiff und Chor aufgespannt und verwehrte so den Gläubigen den Blick auf den Hochaltar. Auf dem Velum wurde den mittelalterlichen Betrachtern aber gleichzeitig die Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht ausgebreitet. Wahrscheinlich wurden die Themen der Bilder auch durch einen Priester erläutert. Neben dem visuellen Entzug des Chors für die Augen der Gemeinde hatte das Fastentuch damit auch eine enthüllende und didaktische Funktion. Das Bildprogramm wurde dem Heilsspiegel und der Biblia pauperum entnommen.4 Die reichhaltige Ikonographie dieses Fastentuches wird als „nahezu einmalig“5 bewertet. Durch das Fehlen des Mittelstücks gehört die Rekonstruktion und inhaltliche Benennung des Zuger Fastentuchs allerdings zu den schwierigsten Problemen der Fastentuchforschung. ((ebd., 169)

Die Leinwände sind aufgrund der Zweitverwendung in unterschiedlicher Grösse und Form erhalten. Fragmente 1, 2 und 4, die sich aneinander reihend am linken Rand des ursprünglichen Fastentuches befanden, erscheinen dunkler als Fragmente 3 und 6, welche zum rechten Rand des Tuches gehörten. Auch die Erhaltungsqualität der einzelnen Szenen, die auf den etwas 80 cm hohen und breiten Bildfeldern dargestellt sind, variiert stark. So ist bei Fragment 1 die Dichte der Farbe bis ins 4. Register so dürftig, dass die Gesichter nur noch als verwaschene Ovale erscheinen. Ab dem 5. Register mit dem Urteil Salomos sind die Gesichtszüge und Konturen scharf und in recht plastischer Ausführung erhalten. Diese sehr gute Erhaltungsqualität gilt auch für Fragment 2 mit dem unteren Teil des Siebenarmigen Leuchters und dem Abendmahl. Bei diesen Szenen ist zu erkennen, dass nachgezeichnet wurde, da mancherorts eine verblasste Linie neben der später gesetzten, kräftigeren Linie durchschimmert. Auch die Figuren der Fragmente 4 und 5, welche sich ebenfalls auf der unteren rechten Hälfte des Fastentuches befanden, enthalten noch erkennbare Gesichtszüge und feine Ausschaffungslinien der Gewänder. Das Phänomen der unterschiedlichen Erhaltung ist auch bei Fragment 3 beobachtbar, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Hier sind die Detaillinien bis ins 4. Register gut erhalten und verschwimmen ab dem Bild mit der Geburt Jesu des 5. Registers. Auch auf Fragment 6, das die rechte untere Ecke des Fastentuches bildete, ist die Pigmentierung nur noch schwach. Die beschriebenen Umstände könnten durch eine Faltung des Fastentuches bis zur Zweitverwendung zu erklären sein.

Von der Farbgebung her dominiert neben dem Schwarz der Konturlinien der Grundton eines gelblichen Olivgrüns, der von der ungefärbten Leinwand stammen dürfte. Die Kolorierung der Umrisszeichnung scheint nur sparsam aufgetragen worden zu sein. Für Textilien wurden Zinnoberrot, Blau, Grün und Weiss verwendet. Weitere Rotpigmente sind in der Himmels- und Hintergrundfarbe zu finden. Ansonsten prägen verschiedene Braun- und Grüntöne den Eindruck. Die Rahmenleisten, die sich rasterförmig über das Fastentuch legten, wurden mit weisser Farbe bemalt. Auf ihnen befinden sich schwarze Bildunterschriften in gotischen Minuskeln. Gut lesbar sind beispielsweise Isaak und Esau oder König Salomon.

Hinsichtlich der Beschädigungen der Leinwand fallen vor allem kleinere und grössere  vertikale Risse auf. Im untersten Bildfeld von Fragment 3 ist ein Riss erkennbar, der auf der Rückseite mit einem Flicklappen geflickt wurde und aus der Erstverwendungszeit des Objekts stammen dürfte. Spuren der Vernähung für die Gewinnung der oktogonalen Leinwand sind am rechten Rand von Fragment 1 sichtbar. Weiter sind dunkle tropfenartige Flecken, die nicht durch den Bildinhalt bedingt sind, zu sehen.

Abb. 8: Urteil Salomon und Tempelgang Mariae, Detail Fragment 1, (© Schweizerisches Nationalmuseum).

Das Bildprogramm bestand in den oberen vier Zeilen aus Szenen des Alten Testaments. Gut erkennbar ist dies auf Fragment 1, auf welchem die ersten Bildfelder der vier oberen Register noch vollständig erhalten sind. Von oben nach unten sind dies: Gott erschafft Himmel und Erde, Gott gibt Noah den Befehl zum Bau der Arche, Isaak und Esau und Moses und Aaron vor dem Pharao. Ab dem 5. Register gab es dann einen Bruch im Bildprogramm: die hier einsetzende neutestamentliche Erzählung wird durch alttestamentliche Präfigurationen zu einem typologischen Bildgeflecht erweitert. So setzt die 5. Zeile mit dem Urteil Salomos ein, dem alttestamentlichen Typus zum folgenden Bild mit dem Tempelgang Mariae (Abb. 8), mit welchem der neutestamentliche Zyklus beginnt. Auch das 6. Register fängt mit einer alttestamentlichen Präfiguration an, dem Siebenarmigen Leuchter, der nach dem Heilsspiegel als Typus der Darstellung Christi im Tempel verstanden wird. Für die Forschung noch ungeklärt ist, warum das 7. Register mit einem neutestamentlichen Antitypus beginnt, dem Abendmahl von Fragment 2. Eine Klärung der Anzahl der Spalten könnte hier aufschlussreich sein. Sörries propagiert eine gerade Spaltenzahl. Eine Unregelmässigkeit schon im 5. Register erklärte aber auch eine ungerade Zahl an Feldern.

Das Abschlussbild des Zyklus ist auf Fragment 6 zu sehen: es zeigt das Jüngste Gericht mit Michael als Seelenwäger. Diesem neutestamentlichen Thema wird nach einer dem Heilsspiegel entnommenen Kombination das Gleichnis der klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25, 5) vorangestelllt. Auf dem zweitletzten Bildfeld sind noch die Köpfe der schlafenden Jungfrauen auszumachen. Die Wahl des Erzengels Michael zur Darstellung des Jüngsten Gerichts anstelle des verbreiteteren Motivs von Christus als Weltenrichter stützt die Annahme einer Zuger Provenienz des Fastentuches.

(Maya Bernhard)

 

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Literatur

Angst 1899: Heinrich Angst, Heinrich, Schweizerisches Landesmuseum in Zürich. Jahresbericht 1898, Zürich 1899

Birchler 1935: Linus Birchler, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug, 2. Halbband, Siftung von Schnyder von Wartensee (Hrsg.), Basel 1935

Riese 2007: Brigitte Riese, Seemanns Lexikon der Ikonographie, Religiöse und profane Bildmotive, Leipzig 2007

Sörries 1988: Reiner Sörries, Die alpenländischen Fastentücher, Vergessene Zeugnisse volkstümlicher Frömmigkeit, Klagenfurt 1988

Wüthrich/Ruoss 1996: Lucas Wüthrich, Mylène Ruoss, Katalog der Gemälde. Schweizerisches Landesmuseum Zürich, Zürich 1996

  1. Wüthrich/Ruoss 1996, 25 [↩]
  2. Jahresbericht SNM, 87 [↩]
  3. Wüthrich/Ruoss 1996, 24 [↩]
  4. Sörries 1988, 169 und 175 [↩]
  5. ebd., 179 [↩]

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