TWITTER, POLITIKER:INNEN UND DIE CORONA-PANDEMIE
Am 5. März 2021 schrieb der Schweizer Bundesgesundheitsminister Alain Berset auf Twitter an die Nation:
Das Verfassen von Kurznachrichten wie jene auf Twitter ermöglichen einen intensiven und gezielten Austausch mit einer spezifischen Zielgruppe. Kurznachrichten beinhalten meist persönliche Informationen über sich selbst. Das dabei zum Ausdruck gebrachte Ich erzählt und repräsentiert die Verfasser:innen selbst. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, in meiner Analyse die täglich verfassten Kurznachrichten auf Twitter als Grundlage für meine Untersuchung zu wählen: Ich habe mich gefragt, wie das Medium Twitter sich eigentlich darauf auswirkt, wie Politiker:innen über sich selbst schreiben und wie sie die Kurznachrichten nutzen, um politische Inhalte zu vermitteln. Den Rahmen dazu stellt die Corona-Pandemie dar. Die Tweets, die ich von leitenden Politiker:innen untersuchte, sind Grenzfälle im Definitionsspektrum der Ego-Dokumente. Der Tweet von Alain Berset veranschaulicht dies gut. Das «Ich» verschwindet vollständig und ein «Wir» tritt hervor. Hier nochmals im Detail:
«Wir begleiten die schrittweise Öffnung mit einer Test- und Impfoffensive.»
alain Berset
Ein «Ich» fehlt in diesem Tweet von Alain Berset am 5. März 2021 ganz. Wie lassen sich solche Grenzfälle verorten? Ein paar der aussagekräftigsten Erkenntnisse meines Projektes will ich hier mit Ihnen teilen.
Wie das Medium dem Wir einen Rahmen verleiht
Wenn sich in den vergangen Jahren Politiker:innen wie Bundesrät:innen oder Nationalrät:innen direkt an die Nation wenden wollten, geschah dies mehrheitlich über die Presse. Heutzutage gibt es dazu andere Wege und Möglichkeiten, die den Politiker:innen zur Verfügung stehen. Als Alain Berset sich am 5. März 2021 an die Schweizerinnen und Schweizer wandte, tat er dies sogleich via Twitter. Durch die Aktualität, die dieses Medium (Twitter) mit sich bringt, erzeugt sie beim Verfassen der Kurznachrichten, die in Sekundenschnelle abgesetzt werden können, eine direkte Anteilnahme am gesellschaftlichen Geschehen. Schon der Umstand, dass Politiker:innen sich für eine Kurznachricht als Kommunikationsmittel entscheiden, kann darauf hinweisen, dass es sich um besonders aktuelle Entscheide, und um solche von Relevanz handeln muss. Damit bestätigt sich die Erkenntnis von Literaturwissenschaftlerin Christine Holm, dass Twitter als Medium die wohl sehnlichste Funktion unserer Zeit erfüllt: die Aktualität (vgl. «Phänomenologie des Diaristischen», 2008).
Sogleich bestätigt sich auch Marshall McLuhans markanter Satz: «The Medium is the Message» (1967). Formen und Inhalte sowie das «Wir», mit dem die Politiker:innen hier sichtbar werden, sind durch das Medium selbst begrenzt.
Die Nützlichkeit von Metaphern in Tweets
Metaphern sind beliebte Stilmittel für die, die sich in Kurznachrichten verständlich ausdrücken wollen. Die Funktion der Metapher ist simpel, bestimmte Sachverhalte oder Aussagen sollen besonders hervorgehoben werden. Der Nordrheinwestfälische Ministerpräsident Armin Laschet schrieb beispielsweise am 8. April 2021 an die NRW-Bürger:innen:
Auch in diesem Zitat steht nicht das «Ich» im Vordergrund, sondern das «Wir». Der bevorzugte Übergang zum «Wir» sticht besonders heraus, da die Metapher vom Brückenbau hier inkludierend wirkt. Exemplarisch werden Methapern in diesem Tweet verwendet, um vermeintlich komplexe Zusammenhänge verständlich für eine möglichst breite Zielgruppe darzustellen.
Wie Erzählmuster Tweets dominieren
Durch die in meiner Untersuchung analysierten Tweets konnte ich feststellen, dass darin zwei Erzählmuster prägend sind: «Repräsentativität» (bei Tweets, die sich auf das Amt der Schreibenden zurückführen lassen und oft einen anweisenden Charakter haben) und «Bevölkerung» (bei Tweets, die sich an die Bevölkerung richten). Im Hinblick auf die politische Stellung der Politiker:innen sind die gewählten Erzählmuster der Verfasser:innen dahingehend unterschiedlich. So schriebt Alain Berset am 12.03.2021 auf Twitter an die Nation:
Politiker:innen mit einem politischen Amt auf höchster exekutiver Stufe, wie die des Bundesgesundheitsministers Alain Berset, haben in ihren Erzählmustern eines gemeinsam: die vermeintliche Strategie von «Zuckerbrot und Peitsche». Die Wertschätzung der Leser:innen wie der Bevölkerung sowie die direkte Ansprache an dieselbe stechen besonders heraus. Zugleich wird jedoch eine Ernüchterung vermittelt, da die leitenden Politiker:innen Öffnungsschritte an Bedingungen und Anweisungen knüpfen.
Politiker:innen, die in keine nationale Entscheidungsposition bekleiden, beschränken sich in ihren Tweets auf ihre persönliche Sichtweise der zu tätigenden Massnahmen. Armin Laschets Kurznachricht vom 8. April 2021 (vgl. oben) zeigt dies eindrücklich. Diese mehrheitlichen sehr subjektiv gehaltenen Kurznachrichten mischen sich somit bewusst auf diese Art in das politische Geschehen ein und vermeiden eine direkte Adressierung der Bevölkerung.
Für die Grenzfälle der Ego-Dokumente bleibt festzuhalten: Je höher die politische Stellung der jeweiligen Repräsentationsfiguren sind, desto mehr fällt die persönliche Ebene in den Kurznachrichten weg. Obwohl Twitter das Medium zu sein scheint, um persönliche Sichtweisen zu teilen, gilt dies nicht für diese Grenzfälle. Das verwendete «Wir» wirkt vergemeinschaftend und der Adressat ist implizit immer die eigene Nation.
M.H studiert Kommunikationswissenschaften und Medienforschung sowie Populäre Kulturen an der Universität Zürich und verfolgt in ihrer Freizeit gerne das politische Geschehen auf Twitter.
über die autorin
1 Pingback