In diesem Bereich haben wir drei linguistische Themen zu vollständigen Unterrichtsvorschlägen ausgearbeitet (für eine reine Ideensammlung, siehe hier). Die ausgewählten Inhalte passen thematisch zum Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch“ reflektieren: Hierbei geht es um die Fähigkeit, „die Systematik und Struktur von Sprache wie auch ihre kommunikativen und medialen Verwendungsweisen zum Gegenstand der Reflexion zu machen“ (Feilke/Jost 2015: 236). Dazu gehört auch, die Struktur und Funktion von Sprachvarietäten zu beschreiben (siehe Feilke/Jost 2015: 238). Unter „Kompetenzbereich“ sind Leistungsanforderungen im fachlichen Bereich zu verstehen, auch bekannt als „Bildungsstandards“ (vgl. für einen Überblick über die Bildungsstandards für das Fach Deutsch, Becker-Mrotzek et al. 2015). Im Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch“ gibt es nun, wie das obige Zitat zeigt, einen sprachsystematischen Aspekt (Sprache als System) und einen sprachfunktionalen Aspekt (Sprache als Kommunikationsmedium). Schülerinnen und Schüler sollen nachvollziehen, dass Sprache nach bestimmten Regeln funktioniert und dass Sprache aus verschiedenen Gestaltungsmitteln besteht, welche man für eine (gelungene) Kommunikation einsetzt.

Die Schülerinnen und Schüler lernen mehr über die Geschichte der Schweizer Täufer, deren Emigration aus der Schweiz und deren Sprache. In Gruppen bearbeiten die Schülerinnen und Schüler wissenschaftliche Texte zur Sprachinsel im US-amerikanischen Bundesstaat Indiana, wodurch sie den Umgang mit solchen Texten üben. Anschliessend hören sich die Schülerinnen und Schüler gemeinsam Tonaufzeichnungen von Interviews an und lernen mehr über die ursprünglich berndeutsche Varietät. Dabei sind Lehnwörter am auffälligsten, jedoch sind auch syntaktische, phonologische und morphologische Wandel zu beobachten.

Die Unterrichtseinheit ist für die gymnasiale Oberstufe, die Berufsmaturitätsschule und die Passerelle geeignet.

Dieses Unterrichtskonzept basiert auf der Masterarbeit von Tobias Frick  «Zur Kasusmorphologie alemannischer Sprachinselvarietäten in Nordamerika. Eine quantitative Analyse zu deutschen Varietäten im Bundesstaat Indiana», die am Deutschen Seminar der Universität Zürich verfasst wurde. Auszüge wurden auf der Webseite des Projekts Dialekt Ressourcen (DiRes), das unter der Leitung von Dr. Ann-Marie Moser (Universität Zürich) steht, veröffentlicht.

Aufnahme 1: Hochzeitsessen


„Die Amischen sind bekannt für ihre gute Küche. Du kannst dir also vorstellen, was für ein Genuss es ist, auf eine amische Hochzeit zu gehen. Ihre Mahlzeiten bestehen meistens aus gebratenem oder gegrilltem Hähnchen, Kartoffelbrei mit Sosse, Gemüse und einigen verschiedenen Salaten oder Hüttenkäse als Beilage. Danach servieren sie ihrem Besuch einfach einige verschiedene Speisen zum Nachtisch, und sie haben die besten Nachtische. Pecancremekuchen oder Zuckercremekuchen sind zwei meiner bevorzugten Nachtische.“

Aufnahme 2: Hochzeitsdesserts

„Danach haben sie Apfel-Crumble, Kirschen und Erdnussbutterkuchen und schon beim Denken daran läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich mag ihre flockenartigen Plätzchen, die sie auch auf alle Tische stellen. Diese sind mit einer dünnen, frittierten Kruste gemacht, mit Zucker bestreut. Sie sind nicht wirklich gesund, aber sie sind wirklich eine geeignete Süssigkeit für die Hochzeit.“

Aufnahme 3: Peanutbutter

„Ein Hochzeitsessen unterscheidet sich von einem einfachen Essen in der Gemeinde, aber es ist mindestens genauso gut. Es (das Essen) besteht aus selbstgemachter Erdnussbutter, Erdnussbutter mit Stückchen, Marshmallowcreme und weissem Maissirup.“

Aufnahme 4: Essen nach der Gemeinde

„Wir vermischen alles miteinander und daraus entsteht ein leckeres, klebriges Sandwich. Ich mag das mit einer Scheibe Wurst und Käse. Nach dem Gottesdienst servieren sie üblicherweise Wurst mit Erdnussbutter, roten Beten, süssem Brot und Essiggurken. Das macht ein gutes Sandwich aus. Für dich ist das alles vermutlich fremd, aber es ist so lecker, mir läuft das Wasser im Mund zusammen.“

Aufnahme 5: Kameradschaft

„Die Amischen sind nicht immer derselben Meinung, aber in einer Sache sind sie sich einig, und zwar in der Kameradschaft. Wenn jemand Hilfe braucht, dann vergessen sie ihre Meinungsverschiedenheiten und helfen sich gegenseitig. Es spielt keine Rolle, ob es eine grosse oder kleine Hilfeleistung ist. Sie können an einem Tag eine Scheune bauen und sie können in kurzer Zeit viele Schweine schlachten.“

Aufnahme 6: Amische Frauen

„Sie sagen, viele Hände erleichtern einen grossen/aufwändigen Arbeitsauftrag. Die Frauen arbeiten genauso hart wie die Männer. Sie kümmern sich um die Kinder und um das Essen für die hungrigen Männer. Sie kochen eine reichhaltige Mahlzeit, um die hungrigen Männer zu versorgen. Diese besteht aus selbstgemachtem Fleisch und Nudeln, Kartoffelbrei, Mischgemüse und Salat und natürlich aus ihrem guten, frischen, selbstgemachten Brot. Es gibt nichts Besseres als dieses. Das sind einige der Dinge, die ich beim Aufwachsen in der amischen Gemeinschaft sehr genossen habe.“

Das Fachgebiet der Sprachwissenschaft (Linguistik)

Die Linguistik ist eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der (empirischen) Beschreibung von Sprachen und Theorien sprachlicher Kommunikation befasst. Die Forschung lässt sich in eine Reihe einzelner Teildisziplinen untergliedern, die sich, abhängig von untersuchtem Gegenstandsbereich, verwendeter Methode und spezifischem Erkenntnisinteresse, voneinander unterscheiden.

Der Schwerpunkt aller Teildisziplinen ist die Erforschung von sprachlichen Zeichen, wobei verschiedene Teilebenen unterschieden werden. In der Phonetik und der Phonologie steht die Untersuchung des Lautes oder Lautereignisses sowie die Silbe im Fokus. Grössere Einheiten, wie beispielsweise einzelne Wörter oder Teile von einzelnen Wörtern (sog. Morpheme), sind Schwerpunkt der Morphologie,  während sich in der Syntax alles um die Verknüpfung mehrerer Wörtern zu einem Satz dreht. In der Pragmatik beschäftigt man sich wiederum mit den Bedingungen und Regularitäten von sprachlichem Handeln, also beispielsweise mit der Frage, welche Bedeutung ein Satz wie «Hiermit mache ich Sie zu Mann und Frau» auf dem Standesamt erlangt, und wann dieser Satz gerade keine Bedeutung erlangt (bspw. zuhause auf der Couch). Weitere Teilbereiche der Linguistik sind die Graphematik und Semantik. Neben diesen klassischen oder auch traditionellen Bereichen der Linguistik gibt es auch Teilbereiche mit interdisziplinärem Charakter wie die Soziolinguistik (Gesellschaft und Sprache), Textlinguistik (Text – seien es literarische oder nicht-literarische – und Sprache) oder Psycholinguistik (Psychologie und Linguistik).

Die vorliegende Unterrichtseinheit basiert in erster Linie auf der Erforschung extraterritorialer, deutschbasierter Varietäten (sog. Sprachinselvarietäten). Die Untersuchung von Sprachinselvarietäten verbindet Elemente aus der Dialektologie (z.B. die Beschreibung von sprachlichen dialektalen Strukturen) mit der Forschung zu Sprachwandel und Sprachkontakt: Bewohnerinnen und Bewohner von „Sprachinseln“ stehen üblicherweise in engem Kontakt mit einer anderen, nicht-deutschen Sprache, die sie umgibt. Die Sprecherinnen und Sprecher von Sprachinseln sind zudem meist mindestens zweisprachig aufgewachsen, zum Beispiel können sie in der Schule die Sprache der Umgebung lernen, während zuhause eine andere Sprache – ihr Dialekt – gesprochen wird. Häufig ist eine der beiden Sprachen dominanter, was dazu führt, dass der Dialekt immer weniger von den Bewohnerinnen und Bewohner der Sprachinsel (und deren Kindern, die später wiederum Kinder bekommen) gesprochen wird. In diesem Fall spricht man von Abbautendenzen oder sogar von Sprachtod, wenn keine Sprecherinnen und Sprecher mit der (ehemaligen) Sprachinselmundart mehr vorhanden sind. Auch die Spracheinstellung zur eigenen Sprachsituation trägt dazu bei, ob ein Sprachinseldialekt überlebt, sich verändert oder verlorengeht.   Zusammenfassend beschränkt sich also die Analyse und Beschreibung von Dialekten (Dialektologie) nicht nur auf die synchrone Beschreibung sprachlicher Strukturen (Teilgebiet: Dialektgrammatik), die Kartierung von Dialekten (Teilgebiet: Dialektgeografie) und das Erstellen von Dialektwörterbüchern (Teilgebiet: Dialektlexikografie), sondern umfasst auch die Beschäftigung mit sprachdynamischen Prozessen sowie den Einstellungen der Sprachgemeinschaft zu ihren Dialekten. Basierend auf empirisch erhobenen Daten können vergleichende Studien durchgeführt werden.

Fachwissenschaftliche Grundlagen zum Unterrichtskonzept

Historischer Hintergrund: Herkunft und Migration(en)

Die in dieser Unterrichtseinheit besprochenen sprachlichen Varietäten sind eng mit der religiösen Gruppierung der Täufer[1] verflochten. Der Ursprung der Täuferbewegung liegt im 16. Jahrhundert und ist technologisch durch die Etablierung der Druckerpresse und sozial durch einen Vertrauensverlust in traditionelle Institutionen wie die katholische Kirche geprägt (Hostetler 1980: 26; Nolt 2015: 6). In der Schweiz bemühten sich die ersten Anabaptisten (u.a. mit, Conrad Grebel und Felix Manz), zusammen mit Ulrich Zwingli, um die Zürcher Reformation (Hostetler 1980: 26), bis sie sich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Kindstaufe 1524 von Zwingli abwandten (Gratz 1953: 5–6; Weaver 1994: 27).

Die Abschaffung der Kindstaufe wurde zum reformatorischen Hauptanliegen der sich selbst als Brüder[2] bezeichnenden Bewegung (Gratz 1953: 1; Hostetler 1980: 26–27). Grebel, Manz und Jörg Blaurock, deren Forderung zur Abschaffung der Kindstaufe sowohl bei Zwingli als auch dem Zürcher Stadtrat erfolglos blieb, führten 1525, im Wissen um die möglichen Konsequenzen, eine Erwachsenentaufe durch (Hostetler 1980: 27).[3] Dies wurde von der neuen, reformierten Staatskirche als aufrührerische Aktion aufgefasst, weshalb mit Verbannung und Hinrichtung strikt gegen das Täufertum vorgegangen wurde (Hostetler 1980: 28; Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 10; Nolt 2015: 10). Trotz der drohenden Strafen hielt sich die Glaubensgemeinschaft weiterhin in der Schweiz auf (Nolt 2015: 8). 1527 trafen sich gleichgesinnte Brüder in Schleitheim (SH) und hielten die sieben Grundsätze des anabaptistischen Glaubens in der heute als Schleitheimer Bekenntnis bezeichneten Gemeindeordnung fest (Hostetler 1980: 28). Hervorzuheben sind die Erwachsenentaufe und die Meidung (engl. shunning) sowie das Eidverbot und die strikte Trennung von Staat und Kirche (Hostetler 1980: 28–29). An diesen Grundsätzen, die als Ordnung bezeichnet werden, wird in den amischen Gemeinden noch heute festgehalten.[4]

Ungefähr zeitgleich mit dem Täufertum in der Schweiz entstanden in den Niederlanden ähnliche Gruppierungen (Haas 1980: 10). 1632 wurde dort die Dodrechter Bekenntnis verfasst, die sich durch die Fusswaschung und die Meidung von exkommunizierten Mitgliedern von der Schleitheimer Bekenntnis unterscheidet (Hostetler 1980: 34).[5]

Erste Täufer lebten seit 1526 im Kanton Bern (Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 11).[6] Zusammen mit den Obrigkeiten von St. Gallen und Zürich reagierte Bern auf diese Präsenz 1527 mit «systematic punishment and attempt at extermination of the Anabaptists» (Gratz 1953: 8). Daraufhin floh ein Teil der Berner Täufer bereits im 16. Jahrhundert in den französischsprachigen Jura[7] (Humpa 1996: 33), der damals dem Fürstbistum Basel unterstand (Siebenhaar 2004: 181). Es konnten sich jedoch auch Täufergemeinschaften im Emmental halten (Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 12), wo sie weiterhin ihren Glauben praktizierten.[8] Ab 1671[9] zogen Berner Täufer auch in die Gebiete des heutigen Elsass (Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 19, Endnote 57) und in die Pfalz, wo bereits seit 1653 Täufer mit Schweizer Herkunft lebten (Gratz 1953: 36). Andere fanden Zuflucht in den Niederlanden, Polen und Preussen (Hostetler 1980: 50).

Zwischen 1693 und 1697 fand zwischen den Emmentaler und den in das Elsass emigrierten Täufern eine Auseinandersetzung um religiöse Praktiken[10] statt, die zur Abspaltung der Amischen von den restlichen Anabaptisten führte. Der in der Schweiz geborene Jakob Ammann, dessen Name die Bezeichnung Amisch prägte, war der Dorfsprecher der täuferischen Gemeinde im elsässischen Markirch (frz. St.-Marie-aux-Mines) (Hostetler 1980: 32). Er war überzeugt, dass die Schweizer Glaubensgenossen seinen Ansichten folgen müssten. Die Emmentaler Gruppe weigerten sich jedoch und auch eine Vermittlung durch pfälzische Täufer blieb erfolglos (Hostetler 1980: 38). Ammann beschloss, die Schweizer Täufer eigenständig zu exkommunizieren und leitet somit die Abspaltung herbei (Hostetler 1980: 37).[11] Auf Ammann geht auch der bis heute tradierte, schlichte Bekleidungsstil,[12] der den Amischen die englische Bezeichnung plain people einbrachte (Humpa 1996: 18), sowie die Bartpflege zurück (Hostetler 1980: 39).

Die Bezeichnung Mennoniten (oder Mennists) leitet sich hingegen vom Namen des niederländischen Pfarrers Menno Simmons ab (Hostetler 1980: 30). Diese Bezeichnung wird für alle Täufer verwendet, die sich nicht Ammanns Gruppe anschlossen (Hostetler 1980: 30). Entsprechend werden auch die aus der Schweiz ausgewanderten oder noch heute in der Schweiz lebenden Täufer als Mennoniten bezeichnet.

Da sich die ansässige Bevölkerung in Markirch gegenüber den Täufern benachteiligt zu fühlen begann, musste die religiöse Minderheit das Gebiet 1712 verlassen, worauf sie in die Pfalz und nach Montbéliard, das damals Teil des Herzogtums Württemberg war, emigrierten (Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 14). Zeitgleich machte sich in der von Kriegen verwüsteten und von Hungersnöten und Krankheiten heimgesuchten Pfalz eine ablehnende Stimmung gegenüber den religiösen Minderheitsgruppen breit. Diese richtete sich gegen Mitglieder von sog. sektiererischen Glaubensgemeinschaften (engl. sectarians), zu welchen die Anabaptisten und Hugenotten zählen (Hostetler 1980: 51–52). Aufgrund der schlechten Lebensbedingungen verliessen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts jedoch nicht nur Täufer die Pfalz (Hostetler 1980: 52). Zusammen mit Lutheranern und Reformierten und Mitgliedern kleinerer Glaubensgemeinschaften emigrierten sie nach Nordamerika und brachten ihre vornehmlich pfälzischen Dialekte nach Pennsylvania (Hostetler 1980: 52). Aufgrund zeitlicher und geographischer Faktoren können neben dieser ersten vier weitere Auswanderungsphasen voneinander abgegrenzt werden (siehe Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Auswanderungsphasen nach Nordamerika (Weaver 1994: 94–96).

Zeitraum Emigration aus Immigration nach Anzahl
1707–1754 Schweiz, Pfalz Südostpennsylvania 3000-5000 Mennoniten,
mehrere hundert Amische
ab 1815 Elsass, Bayern, Hessen Ohio, Indiana, Illinois,

Ontario

3000 Amische
1820–1875 Berner Jura Ohio, Indiana mehrere hundert Mennoniten
1865–1895 Pfalz, Berner Jura Ohio, Indiana, Illinois 300 Mennoniten
1875–1880 Galizien, Wolhynien Kansas, South Dakota 400 Mennoniten

 

Rund ein Jahrhundert später veranlassten die Französische Revolution (1789–1799) und die Napoleonischen Kriege die im Süden des deutschen Sprachgebiets ansässigen Amischen ihre Heimat zu verlassen (Hostetler 1980: 65; Weaver 1994: 95). Ein beträchtlicher Teil der zuvor in der Franche-Comté wohnhaften Auswanderer migrierte ins heutige Adams oder Allen County (Indiana, im Folgenden: IN), wo eine linguistisch durch alemannische Merkmale geprägte Gemeinschaft entstand (Meyers/Nolt 2005: 31–33). Die Besiedlung des Allen Countys erfolgte, über einer Zwischenstation im Stark County (Ohio, im Folgenden: OH), direkt aus der Region um Montbéliard (Thompson 1994: 72), wobei die ersten Amischen 1852 im County siedelten (Thompson 1994: 71, unter Bezugnahme auf Wenger 1961). Für die erste amische Siedlung im Adams County liegen unterschiedliche Daten vor (siehe Hasse/Seiler im Druck-b). Die Gründung der Stadt Berne, heute ein regionales Zentrum für Amische und Wohnort von Mennoniten, kann auf 1852 datiert werden (Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 30) und wird mennonitischen Siedlern zugesprochen.

Diese waren 1819 über eine Zwischenstation in Ohio[13] aus dem Jura ausgewandert (Haas 1980: 10; Hasse 2022: 6; Bachmann-Geiser/Bachmann-Geiser 2003: 30)[14] und zählen zur dritten Auswanderungsperiode. In der vierten Phase liessen sich wiederum Mennoniten aus dem Jura und der Pfalz in Indiana und Ohio nieder. Deren Varietät, die in Anlehnung an Seiler (2017) bzw. Hasse/Seiler (im Druck-a) als Mennonite Shwitzer bezeichnet wird, ist heute moribund (Seiler 2017: 213–214; Hasse 2022). Hingegen zeigen die amischen Gemeinschaften im Allen und Adams County, in welchen die deutsche Varietät weiterhin als Erstsprache erworben wird (Hasse/Seiler im Druck-b), ein deutliches Bevölkerungswachstum.[15]

Neben den interkontinentalen fanden auch innerkontinentale Migrationen statt. Im Rahmen der Westexpansion zogen Amische aus Pennsylvania und Ohio in die Nähe von Goshen im Norden Indianas, wo sie in den 1840er Jahren das Elkhart-LaGrange Settlement gründeten (Meyers/Nolt 2005: 31).[16] Später wurden in Indiana weitere (Be)Siedlungen von bereits dort ansässigen oder von aus anderen Bundesstaaten zugezogenen Amischen etabliert. Die meisten Siedlungsaktivitäten in Indiana sind auf Pennsylvaniadeutsch-sprechende Amische zurückzuführen (Seiler 2017: 212).[17]

Die Auslöser für innerkontinentale Migrationen sind divers. Gründe können Differenzen bezüglich der Auslegung der Ordnung, aber auch der Umgang mit technologischen Neuerungen sein. In den 1860er und 1870er Jahren löste sich die als Old Order Amish (OOA) bezeichnete Gruppe ab (Humpa 1996: 20). Deren Mitglieder heben sich in erster Linie durch ihren Konservatismus ab, wobei sie an der traditionell schlichten Bekleidung festhalten sowie technische Neuerungen ablehnen (Humpa 1996: 21). Die nach ihrem Bischof Moses M. Beachy benannten Beachy Amish separierten sich 1927 von konservativeren Gruppen und erlauben das Fahren von Autos sowie die Verwendung von Elektrizität (Hostetler 1980: 276). Die jüngste Abspaltung startete 1966 in Pennsylvania und Ohio, wobei diese als New Order bezeichneten Amischen (NOA) offener mit technischen Neuerungen umgehen. So ist beispielsweise die Benutzung von Telefonen, Traktoren und Generatoren gestattet, das Lenken eines Autos ist jedoch untersagt (Hostetler 1980: 277). Wie die OOA benutzen die NOA für die Gottesdienste kein eigenständiges Kirchengebäude (Hostetler 1980: 277). Neben diesen drei grossen Spaltungen finden sich noch unzählig Weitere, die nur einen spezifischen Kirchendistrikt betreffen.[18]

 

Sprachliche Situation

Erwachsene Amische und Mennoniten sind heute alle mindestens bilingual, wobei sie ihre jeweilige deutsche Alltagsvarietät für die gruppeninterne, mündliche Kommunikation verwenden und Englisch für schriftliche Angelegenheiten sowie zur Verständigung mit Aussenstehenden benutzen (Fleischer/Louden 2010: 234). In Indiana basiert diese deutsche Varietät auf dem berndeutschen Dialekt. In amischen Gemeinschaften ist zudem ein meist passives Wissen über eine archaische Form des Standardhochdeutschen vorhanden, das die Adams County Amischen als Bibutitsch bezeichnen (Hasse/Seiler im Druck-a). Es wird in der Regel nur in religiösen Kontexten verwendet (Fleischer/Louden 2010: 234), wobei der Erwerb durch den Schulunterricht unterstützt werden kann (siehe dazu Johnson-Weiner 2006). Aus Gesprächen mit Ex-Amischen geht hervor, dass das Verständnis dieser Varietät zumindest im Kindesalter verschwindend gering ist. Vermutlich deshalb stellen Meyers/Nolt (2005: 62) fest, dass der Gottesdienst oft in der Alltagsvarietät oder auf Pennsylvaniadeutsch abgehalten wird. Viele Amische in Indiana verfügen aus diesem Grund zumindest über passive pennsylvaniadeutsche Kenntnisse.

 

Was ist Amish Shwitzer?

Die erste umfängliche linguistische Auseinandersetzung mit der Varietät Amish Shwitzer (AS) ist die Dissertation mit phonologischem Fokus von Humpa (1996). Vergleichend arbeiten Fleischer/Louden (2010), die ausgewählte morphosyntaktische, lexikalische und phonologische Merkmale untersuchen, um typisch alemannische und pfälzische Merkmale der Varietät zu definieren. Ihren Erkenntnissen folgend könnte es sich bei AS um eine Mischvarietät handeln (Fleischer/Louden 2010: 12). Daran anknüpfend publizieren Seiler (2017) und Hasse/Seiler (2023, im Druck-a, im Druck-b) die Ergebnisse ihrer Feldforschung und untermauern damit die Hypothese von Louden/Fleischer. Als entscheidender Faktor für die Vermischung der alemannischen (Berndeutsch, im Folgenden: BD) und pfälzischen Varietät (Pennsylvaniadeutsch, im Folgenden: PD) betrachten sie mischsprachige Ehen zwischen BD-Männern und PD-Frauen. In dieser intensiven Sprachkontaktsituation mussten sich die zugezogenen Frauen der linguistischen Norm der umgebenden Gesellschaft anpassen, wobei von einem unvollständigen L2-Erwerb ausgegangen wird (Hasse/Seiler 2023: 112): Darunter ist zu verstehen, dass beim Erwerb der Zweitsprache (hier: BD) die  salienten Merkmale (= Lexikon, Phonologie) erworben wurden, die grammatische Struktur (= Syntax, Morphologie) des PD jedoch beibehalten wurde. Diese gemischte L2-Varietät wurde als L1 (= Erstsprache) von den Kindern in mischsprachigen Ehen erworben. Das Ende dieses Prozesses wird auf das frühe 20. Jahrhundert datiert (Hasse/Seiler 2023: 115), wobei das Ergebnis eine Mischvarietät ist, deren Charakter beschrieben wird als „result of an incomplete shift from Pennsylvania Dutch towards Bernese Swiss German, whereby mainly Bernese Swiss German lexical items have been adopted but not grammatical structure, leading to a grammar-lexicon-split“ (Hasse/Seiler 2023: 110).

Hasse/Seiler (2023, im Druck-a) und Seiler (2017) präsentieren eine breitangelegte Beschreibung linguistischer Merkmale, wobei sie auf die berndeutsche Phonologie und Lexik verweisen, aber auch Kontaktphänomene wie die obligatorische Markierung von Progressivität im Verbalsystem (= Verlaufsform, z.B. Ich bin am Kochen) oder den Abbau von kasusmorphologischen Markierungen nennen.

[1] Auch Wiedertäufer oder latinisiert Anabaptisten genannt. Die Begriffe werden in dieser Arbeit synonymisch verwendet.

[2] Die Bezeichnung (Wieder-)Täufer erhielten sie später, wobei sich der Begriff von den erneuten Taufen im Erwachsenenalter ableitet. Die Täufer übernahmen später diese Bezeichnung, auch wenn sie den Begriff Taufgesinnte bevorzugen (Gratz 1953: 1).

[3] Für weitere Informationen zu diesen Personen siehe Weaver (1994: 28–29, 34–38).

[4] Wie strikt diese Grundsätze umzusetzen sind, wird in jeder amischen Gemeinde anders beurteilt. Selbes gilt auch für den Umgang mit technologischen Neuerungen.

[5] Diese Ordnung übernahmen 1660 auch Täufergemeinden im Elsass (Hostetler 1980: 34).

[6] In der rezenten Literatur (z.B. Nolt 2015) wird der Ursprung der Täuferbewegung in Zürich situiert. Gratz (1953: 1–5) nennt als weitere Möglichkeit einen Waldensischen Ursprung und bemerkt: «[T]here were two strains of Anabaptism in existence during the Reformation period in Bernese territory, the one located in the cities of Bern, Biel, and Aarau and being nourished (and perhaps founded) by Anabaptists from other Swiss cities as Basel and Zurich, and the other movement of a much older origin in the more secluded rural areas in the state of Bern» (Gratz 1953: 7).

[7] Nachfahren dieser Täufer leben noch heute in der Region. Für eine Diskussion siehe Siebenhaar (2004) und Hasse (2022).

[8] Gratz (1953: 32) vermerkt: «[b]y 1640 it appears that in the Emmental there were a considerable number of Anabaptists. Each village had a group».

[9] 1671 wurde in Bern beschlossen, dass anabaptistische Männer nach Italien deportiert werden sollten, wo sie als Sklaven auf Venezianischen Galeeren zu dienen hätten (Gratz 1953: 36).

[10] Hauptstreitpunkte waren die Meidung von Exkommunizierten, die Exkommunikation von Lügnern sowie die Frage, ob sog. Treuherzige oder Halbtäufer (Nicht-Täufer, die Anabaptisten Schutz, Nahrung oder Unterstützung gewährten) errettet werden (Hostetler 1980: 34–35).

[11] Später entschuldigte sich die Gruppe und nahm die Exkommunikation der Emmentaler Täufer zurück, eine Wiedervereinigung scheiterte allerdings (Hostetler 1980: 39).

[12] Aufgrund der Verschlussmöglichkeit an der Bekleidung werden die Amischen als Häftler und  die Mennoniten als Knöpfler bezeichnet (Hostetler 1980: 39). Die Amischen verbinden noch heute Knöpfe mit Hochmut (Humpa 1996: 18).

[13] Die Täufer, die aus dem Dorf Sonnenberg im Jura auswanderten, gründeten in Ohio ein Sonnebärg (heute Kidron) (Haas 1980: 10). Dort leben heute noch Nachfahren, die ihre alemannische Varietät bewahrt haben. Alle Sprecherinnen und Sprecher sind jedoch in weit fortgeschrittenem Alter (siehe Hasse 2022).

[14]Für einen Abriss der täuferischen Besiedlungsgeschichte des Juras siehe Hasse (2022: 9–11).

[15] Meyers/Nolt (2005: 7) zählten 2002 32 Kirchendistrikte für das Adams County (inklusive angrenzendes Jay und Wells County) und 14 Kirchendistrike für das Allen County. Burdge (2023) listet 68 Distrikte für das Adams und Jay County sowie 25 für das Allen County. Die Population schätzt er auf 10’680 respektive 3750 Amische (Burdge 2023: 1).

[16] Mit schätzungsweise 28’275 Amischen ist dies heute die bevölkerungsreichste (Be)Siedlung in Indiana (Burdge 2023: 1).

[17] Für ein Überblick zu den Siedlungstätigkeiten in Indiana siehe Meyers/Nolt (2005: 33–38).

[18] Eine Übersicht zu den jüngsten Abspaltungen in Allen County findet sich in Petrovich (2013).

Literaturnachweis:

  • Bachmann-Geiser, Brigitte/Bachmann-Geiser, Eugen (2003): Amische. Die Lebensweise der Amischen in Berne, Indiana. 2. Auflage. Bern/Langnau/Murten: Licorne.
  • Burdge, Edsel (2023): Amish Population Profile, 2023. Young Center for Anabaptist and Pietist Studies, Elizabethtown College. <http://groups.etown.edu/amishstudies/statistics/amish-population-profile-2023> (10.9.2023).
  • Fleischer, Jürg/Louden, Mark L. (2010): Das Amish Swiss German im nordöstlichen Indiana. Eine alemannisch-pfälzische Mischmundart? In: Christen, Helen/Germann, Sibylle/Haas, Walter/Montefiori, Nadia/Ruef, Hans (Hrg.): Alemannische Dialektologie. Wege in die Zukunft. Stuttgart: Franz Steiner. S. 231–244. (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 141).
  • Gratz, Delbert L. (1953): Bernese Anabaptists. And Their American Descendants. Scottdale, Pennsylvania: Herald Press. (= Studies in Anabaptist and Mennonite History 8).
  • Haas, Walter (1980): Berndeutsch in Berne/Indiana. In: Schweizerdeutsches Wörterbuch / Schweizerisches Idiotikon Bericht über das Jahr 1979, S. 9–16.
  • Hasse, Anja (2022): Die berndeutschsprachigen Mennoniten im Jura, in Wayne County, OH, und in Adams County, IN. Spracherhalt, Sprachwandel, Sprachwechsel, Spracherosion. In: Mennonitica Helvetica 45, S. 6–34.
  • Hasse, Anja/Seiler, Guido (2023a): Social Factors in Mixed Language Emergence. Solving the Puzzle of Amish Shwitzer. In: Ballarè, Silvia/Inglese, Guglielmo (Hrg.): Integrating Sociolinguistics and Typological Perspective on Language Variation. Methods and Concepts. Berlin: De Gruyter. S. 85–120. (= Trends in Linguistics. Studies and Monographs 374).
  • Hasse, Anja/Seiler, Guido (2023b): Amisches und mennonitisches Shwitzer im Vergleich. Ergebnisse einer Pilotstudie. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 90(2), S. 144–174.
  • Hasse, Anja/Seiler, Guido (im Druck): Amish Shwitzer. An Old Order Contact Language. In: Journal of Amish and Plain Anabaptist Studies.
  • Hostetler, John A. (1980): Amish Society. 3. Edition. Baltimore/London: Johns Hopkins University Press.
  • Humpa, Gregory J. (1996): Retention and Loss of Bernese Alemannic Traits in an Indiana Amish Dialect. A Comparative-Historical Study. West Lafayette: Purdue University.
  • Johnson-Weiner, Karen M. (2006): Teaching Identity: German Language Instruction in Old Order Schools. In: Yearbook of German-American Studies Supplemental Issue 2, S. 13–25.
  • Meyers, Thomas J./Nolt, Steven M. (2005): An Amish Patchwork. Indiana’s Old Orders in the Modern World. Bloomington: Indiana University Press.
  • Nolt, Steven M. (2015): A History of the Amish. 3. Edition. New York: Good Books.
  • Petrovich, Christopher (2013): Realignment and Division in the Amish Community of Allen County, Indiana: A Historical Narrative. In: Journal of Amish and Plain Anabaptist Studies 1(1), S. 167–195.
  • Seiler, Guido (2017): Wenn Dialekte Sprachen sind, dann ist Dialektkontakt Sprachkontakt: Zum „Shwitzer“ der Amischen in Adams County (Indiana, USA). In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 84(2/3), S. 202–231.
  • Siebenhaar, Beat (2004): Die deutschen Sprachinseln auf den Jurahöhen der französischsprachigen Schweiz. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 71(2), S. 180–212.
  • Thompson, Chad L. (1994): The Languages of the Amish of Allen County, Indiana: Multilingualism and Convergence. In: Anthropological Linguistics 36(1), S. 69–91.
  • Weaver, Clair (1994): The Swiss Anabaptists. A Brief Summary of Their History and Beliefs. Revised and Reprinted. Ephrata, PA: Eastern Mennonite Publications.
  • Unterrichtseinheit
  • Transkripte der Aufzeichnungen

Literaturnachweis:

  • Becker-Mrotzek, Michael/Kämper-van den Boogaart, Michael/Köster, Juliane Köster/Stanat, Petra Stanat/Gippner, Gabriele Gippner (2015) (Hrsg.): Bildungsstandards aktuell: Deutsch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH.
  • Feilke, Helmuth/Jost, Jörg (2015), unter Mitarbeit von Angelika Buss und Ulrich Nill: Sprache und Sprachgebrauch reflektieren. In: Becker-Mrotzek, Michael/Kämper-van den Boogaart, Michael/Köster, Juliane Köster/Stanat, Petra Stanat/Gippner, Gabriele Gippner (2015) (Hrsg.): Bildungsstandards aktuell: Deutsch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, 236-296.