Ängste, Sorgen und Surrealität

Unser Alltag ist nun schon seit einigen Wochen ungewöhnlich stark von Ängsten und Sorgen geprägt. Zunächst war es nur ein vages Unbehagen vor einer weit entfernten, nicht fassbaren Krankheit, dann kamen die ersten Coronafälle in der Schweiz, und als die Zahlen stiegen, stieg auch die Unruhe. Die ersten Gesichtsmasken erschienen im Strassenbild, Panikkäufe begannen ein Thema zu werden: Versuche, die Angst zu bewältigen, etwas Kontrolle zurückzubekommen, die allerdings nur noch weitere Ängste schürten. Als dann der Lockdown ausgerufen wurde, wandelte sich die Situation noch einmal.

Am Abend des 16. März fahre ich mit meiner Schwester ein letztes Mal nach Zürich, um Bücher für ihre Bachelorarbeit aus der ZB auszuleihen. Die Stimmung ist die eines Exodus: mehr Menschen als ich dort jemals gesehen habe, eilen durch die Gänge des Archivs, Berge von Büchern in ihren Körben, hastig hineingeworfen. Nervös werden Uhren und Handys nach der Zeit gecheckt. Vor den Scannern zur Ausleihe bilden sich Schlangen, die nicht nur deshalb lang sind, weil die Leute zwischen einander reichlich Abstand lassen. Als wir zum Auto zurück gehen, sind die Strassen menschenleer.

Seither spüre ich in meinem eigenen Alltag wenig von diesen Ängsten und Sorgen, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass ich sehr stark abgeschirmt bin. Ich lebe ganz am Rand eines Ortes im Zürcher Oberland, nur wenige Meter vom Waldrand entfernt. Aus meinem Küchenfenster sehe ich auf einen Tennisplatz und eine Schafweide, die Gärten blühen, der Himmel ist blau. Der einzige sichtbare Unterschied besteht darin, dass sich mehr Spaziergänger hierher verirren als gewöhnlich. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass sich die Welt im Ausnahmenzustand befindet. Selbst wenn ich mir die Zahlen der Erkrankten und Toten ansehe, scheint mir die Situation seltsam weit weg und irgendwie surreal. Das Lernen für die Uni, die Pflege meiner Grossmutter, die jetzt bei uns lebt, das Kochen und Backen, für das ich nun mehr Zeit habe, fühlen sich viel echter an, als die Pandemie.

Doch ab und zu bricht die Sorge dann doch in das Idyll ein. Immer häufiger sehe ich Tweets von Menschen, die Verwandte an das Virus verloren haben. Ich erhalte eine Nachricht von einer Kollegin, die die Opferzahlen so geschockt haben, dass sie überzeugt ist, dass die Menschheit ausgelöscht werden wird. Das halte ich zwar für sehr unwahrscheinlich, aber die Angst, die hinter dieser Aussage steckt, trifft mich dennoch. Es stellen sich mir Fragen, wie sie wahrscheinlich viele in diesen Tagen beschäftigen: Wie wird unsere Welt sich im Angesicht der Pandemie verändern? Wie lange wird sich die Coronakrise hinziehen? Wird die Bevölkerung tatsächlich radikal dezimiert werden? Wie wird unsere Gesellschaft damit umgehen? Werden tiefgreifende Veränderungen stattfinden? Ist diese weltweite Ausnahmesituation vielleicht notwendig, um zu erkennen, was uns wirklich wichtig sein sollte?

Wie lange wird es wohl dauern, bis wir einige dieser Fragen beantworten können?

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