Im Juli 2017 wurde das Projekt eines Bistums Zürich begraben. Sechs der sieben katholischen Kantonalkirchen der Diözese Chur wollten nicht, dass der Kanton Zürich ein eigener kirchlicher Verwaltungsbezirk wird. Doch wie kam es überhaupt soweit, dass man im ur-reformierten Kanton Zürich über die Schaffung eines katholischen Bistums diskutierte? Wie und wann kam die katholische Kirche zurück nach Zürich?
Am 12. April 1525 wurde im Zuge der Reformation die katholische Messe in Zürich endgültig abgeschafft und verboten.1 Es sollte danach über 275 Jahre dauern, bis wieder eine katholische Gemeinde in Zürich gegründet wurde. Am Anfang dieses Prozesses stand – auch hier – Napoleon.
1803 brach die Helvetische Republik zusammen. Napoleon setzte im Zuge dessen die Mediations- bzw. Vermittlungsakte in Kraft. Es gab keine Einheitsregierung mehr und das Gebiet der ehemaligen Republik wurde in 19 eigenständige Gliedstaaten (Kantone) aufgeteilt.
Als oberstes Organ in diesem neuen Staatsgebilde fungierte die sogenannte „Tagsatzung“. Diese Institution gab es bereits in der Alten Eidgenossenschaft vor 1798; sie wurde nun in der Mediationsakte neu geregelt. Die Tagsatzung sollte jedes Jahr in der Hauptstadt eines Vorortes (Freiburg, Bern, Solothurn, Basel, Zürich oder Luzern) stattfinden. Jeder Kanton hatte mindestens einen Abgeordneten an der Tagsatzung, die sechs bevölkerungsreichsten Kantone sogar deren zwei.
In dieser Zeit wurde der ur-reformierte Kanton Zürich durch Napoleon bereits etwas katholischer. Im Zuge der Umstrukturierung gehörten plötzlich nun auch katholische Gebiete zum Kanton: Die paritätische Gemeinde Dietikon, die sowohl eine katholische wie auch eine reformierte Kirchgemeinde beheimatete, wurde dem Kanton Zürich zugeteilt, ebenso das Benediktinerkloster Rheinau.
Seit dieser Zeit begannen sich im ganzen Kantonsgebiet Katholiken niederzulassen, primär jedoch in der Stadt Zürich. Eine Einbürgerung ausserhalb der katholischen Gemeinden Dietikon und Rheinau war ihnen aber verwehrt. Da in der Stadt Zürich kein katholischer Gottesdienst gefeiert werden durfte, mussten die Zürcher Katholiken den Weg entlang der Limmat ins Kloster Fahr, das auch damals zum Kanton Aargau gehörte, auf sich nehmen, um ihre sonntägliche Pflicht zu erfüllen.2
Lage von Dietikon und Rheinau (violett) sowie vom Kloster Fahr (olive)
Die Tagsatzung von 1807
Bereits in der Mediationsakte von 1803 legte Napoleon fest, dass 1807 die Tagsatzung in Zürich stattfinden würde. Dieses Grossereignis stellte die Zürcher jedoch vor eine Herausforderung: Die Tagherren aus katholischen Kantonen mussten natürlich auch die Möglichkeit haben, einen Gottesdienst zu besuchen. Unter der Auflage, dass der refomierte Gottesdienst nicht behindert werden durfte, kamen Stadt und Kanton überein, dass katholische Gottesdienste während der Dauer der Tagsatzung im Chor des Fraumünsters stattfinden durften.3 Als Tagsatzungspfarrer ernannte man Pater Wolfen Zelger aus dem Stift Rheinau.4
Wie man aus dem Protokoll des Kleinen Rates, der Vorgängerinstitution des Regierungsrates, entnehmen kann, kam bereits hier zur Sprache, einen permanenten katholischen Gottesdienst in Zürich zu erlauben. Diese Idee wurde aber „einstweilen bey Seite gelaßen […], bis die Erfahrungen der Tagsatzungs-Epoche zum Fundament allfähliger peremierender Einrichtungen in dieser Hinsicht dienen können.“3
Am 1. Juni 1807 begann schliesslich die Tagsatzung in Zürich. Bereits zwei Tage zuvor feierte Pater Zelger den ersten katholischen Gottesdienst im Fraumünster. Schon nach kurzer Zeit konnte der Geistliche feststellen, dass eine einzige heilige Messe nicht genügte. Neben den Gesandten aus katholischen Kantonen besuchten nämlich auch Stadtzürcher Katholiken den Gottesdienst. Es war schlichtweg angenehmer, die Sonntagspflicht in der Stadt zu erfüllen als im Kloster Fahr. Die Tagsatzung weckte somit Begehrlichkeiten: die Weiterführung des katholischen Gottesdienstes in der Stadt Zürich. Die Katholiken merkten, dass die Zeit nun reif war für ihr Anliegen; man wollte den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen.5
Die Petition der katholischen Glaubensgenossen
Am 24. Juni 1807, also noch vor dem Ende der Tagsatzung am 10. Juli 1807, reichten drei Zürcher Katholiken, Joseph Maria Rungg, Joseph Boband und Jean Preyer, eine Petition für die „Landesherrliche permanente Bewilligung zur Ausübung eines Katholischen Gottesdienstes in der hiesigen Stadt und um die Einräumung eines hierzu angemessenen Lokals“ an den Kleinen Rat ein.6
Die drei Bittsteller waren aber keine Schweizer Katholiken, sondern alle drei aus dem dem katholischen Ausland eingewandert, um sich in der Stadt Zürich niederzulassen. Rungg war Associé eines Handelshauses und kam aus Trient; Boband war Sprachlehrer und Preyer arbeitete als Schneider. Beide stammten ursprünglich aus Frankreich.7
Die Bittsteller argumentierten, dass die Zahl der sich in Zürich aufhaltenden Katholiken „ziemlich beträchtlich“ sei.8 Der Weg ins zwei Stunden entfernte Kloster Fahr für den sonntäglichen Gottesdienstbesucht sei für viele Glaubensgenossen jedoch beschwerlich. Boband, Preyer und Rungg baten die Regierung, dass der katholische Gottesdienst in Zürich dauerhaft erlaubt werde. Dabei appellierten sie an die „tolerante und liberale Gesinnung“ der Räte.9
Die alljährliche Bezahlung eines katholischen Geistlichen in der Stadt Zürich konnten die Zürcher Katholiken jedoch nicht vollumfänglich übernehmen. So forderten die Bittsteller die Regierung dazu auf, bei den Gotteshäusern Rheinau, Muri, Wettingen und Einsiedeln um Hilfe zu bitten.
Bereits am 14. Juli wurde die Petition vom Kleinen Rat behandelt. Dieser beauftragte die „Commission des Innern“, sich mit den Forderungen der Bittsteller auseinanderzusetzen.
Und die Regierung erlaubte eine Übergangslösung.10
[B]is über diese Angelegenheit ein definitiver Beschluß gefaßt seyn wird, die Ausübung des katholischen Gottesdienstes in dem, für die Dauer der nun beendigten Tagsatzung dazu eingerichteten Locale fortgesezt werde.
Ein erstes Etappenziel war erreicht.
Das Toleranzedikt von 1807
Am 10. September beendete der Kleine Rat die Beratung der Petition. Und er entschied zu Gunsten der in Zürich wohnhaften Katholiken:11
Die Ausübung des katholischen Gottesdiensts soll in der Stadt Zürich, unter den nachfolgenden Bedingnißen und näheren Bestimmungen, für so lange gestattet seyn, als sich der Kleine Rath durch keine wichtige Gründe zu Rüknahme dieser ertheilten Bewilligung wird bewogen finden.
Mit diesem Toleranzedikt, bzw. dem „Beschluß, betreffend den catholischen Gottesdienst“, der insgesamt 14 Artikel umfasste, war die Grundlage für die Gründung der katholischen Kirchgemeinde in Zürich gelegt. Der Gottesdienst sollte von nun an in der Kappelle St. Anna12 stattfinden. Das Abhalten von Prozessionen wurde den Katholiken jedoch nicht gestattet.
Zudem beauftragte der Rat die Katholiken, den Pfarrer der zu gründenden Gemeinde selbst zu wählen, auch wenn dies dem katholischen Recht widersprach. Dieses würde eine Ernennung durch den Bischof vorsehen.13
Die öffentliche Hand sollte sich, wie der Kleine Rat im Edikts festhielt, zudem nicht an den Kosten der neuen Gemeinde beteiligen.
Der erste Schritt auf einem langen Weg
Das Toleranzedikt von 1807 ebnete den Weg für die Gründung der katholischen Kirchgemeinde. Nach über 275 Jahren durfte in der Stadt Zürich wieder eine katholische Gemeinde gegründet werden. Dies war aber erst der Beginn eines langen Weges zur Schaffung einer öffentlich-rechtlich anerkannten katholischen Kirche im Kanton Zürich.
1863, zehn Jahre vor der Abspaltung der christkatholischen – oder altkatholischen– Gemeinde, wurde das erste katholische Kirchengesetz im Kanton verabschiedet.14 Es sollte jedoch noch einmal 100 Jahre dauern, bis die römisch-katholische Kirche im Kanton Zürich zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft wurde. Die Zürcher Stimmberechtigen stimmten am 7. Juli 1963 sowohl der nötigen Änderung der Kantonsverfassung wie auch dem „Gesetz über das katholische Kirchenwesen“ zu.15 2007, also genau 200 Jahre nach dem Toleranzedikt, erliess der Kantonsrat dann das heute geltende einheitliche Kirchengesetz, das 2010 in Kraft trat.
Mittlerweile stellt die „Katholische Kirche im Kanton Zürich“, so der offizielle Name der Körperschaft, die grösste Glaubensgemeinschaft in der Zwinglistadt selbst. So waren 2013 rund 30% der Stadtzürcher Bevölkerung römisch-katholisch.16 In Zeiten von schwindenden Mitgliederzahlen tragen unter anderem katholische Einwanderer aus dem Ausland, wie sie bereits die Bittsteller Boband, Rungg und Preyer waren, dazu bei, dass der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung im Kanton wie auch in der Stadt Zürich weniger stark zurückgegangen ist.17
Titelbild: Bettina Schnider
Quellen
- Staatsarchiv Zürich, MM 1.20 RRB 1806/1474. Einrichtungen für den Catholischen Gottesdienst allhier.
- Staatsarchiv Zürich, R 235.1 Nr. 5 (v), Bittschrift von Preyer, Rungg und Boband.
- Staatsarchiv Zürich, MM 1.23 RRB 1807/1066, Petition der catholischen Glaubensgenoßen um Bewilligung eines permanenten katholischen Gottesdienstes in hießiger Stadt und Empfehlungsschreiben des Päbstlichen Nuntius.
- Staatsarchiv Zürich, MM 1.23 RRB 1807/1066, Beschluß, betreffend den catholischen Gottesdienst.
Literatur
- Borter, Alfred, Urban Fink, Max Stierlin und René Zihlmann: Katholiken im Kanton Zürich. eingewandert, anerkannt, gefordert, Zürich 2014.
- Flaugergues, Amélie de: Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz : Erste Ergebnisse der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2014. Bundesamt für Statistik (Hg.), Neuchâtel 2016 (Statistik der Schweiz. Fachbereich 1, Bevölkerung).
- Kolb, Guido J. Als die Prisester noch Hochwürden hiessen. Ein Lesebuch zum 200-Jahr-Jubiläum der katholischen Gemeinde Zürich, Zürich 2007.
- Müller, Martin: Die katholischen Pfarreien im Zürcher Oberland. Geschichte ihres Wiederaufbaus im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 2007.
- Stierin, Max: Die Katholiken im Kanton Zürich 1862-1875 im Spannungsfeld zwischen Eingliederung und Absonderung, Zürich 1996.
- Stierlin, Max: Der Weg der Katholiken im Kanton Zürich. Wegmarken und Etappen, Zürich 2002.
- Wyman, Eduard: Geschichte der katholischen Gemeinde Zürich. Denkschrift zur Feier des hundertjährigen Bestandes der Pfarrei, Zürich 1907.
- Vgl. Kolb 2007, S. 17. [↩]
- Zur Lage der Katholiken im Kanton Zürich währen der Mediation vgl. Stierlin 1996, S. 3-4; Müller 2007, S. 30-3; Stierlin 2002, S. 60-61, Kolb 2007, S. 29-31. [↩]
- StAZH MM 1.20 RRB 1806/1474 [↩] [↩]
- Vgl. Wyman 1907, S. 108. [↩]
- Vgl. Kolb 2007, S. 37-39; Wyman 1907, S. 114-118. [↩]
- StAZH MM 1.23 RRB 1807/ 0860 [↩]
- Vgl. Wyman 1907, S. 122-124. [↩]
- StAZH R 235.1 Nr. 5 (v) [↩]
- Ebd. [↩]
- StAZH MM 1.23 RRB 1807/0860 [↩]
- StAZH MM 1.23 RRB 1807/1066 [↩]
- Die St. Anna Kappelle befand sich auf dem Gelände, wo heute das Einkaufszentrum St. Annahof steht. Die Kapelle wurde 1912 abgerissen. vgl. Gang dur Alt-Züri, „St. Annagasse“. [↩]
- Vgl. Kolb 2007, S. 49. [↩]
- Vgl. Stierlin 1996, S. 95-123. [↩]
- Vgl. Borter, Fink, Stierlin und Zihlmann 2014, S. 122-124. [↩]
- Stadt Zürich, Judith Riegelnig, „Wer ist katholisch?“. [↩]
- Vgl. Flaugergues 2016, S. 6. [↩]