Background photo created by kjpargeter - www.freepik.com

Wieso «Stalin digital»?

Bis in die 1990er waren die Archive der UdSSR geschlossen, alle zugänglichen Akten vor diesem Zeitraum sind stark gefärbt und zensiert und fast ausschliesslich Pro-Stalinistisch. Sogar Stalins eigentliches Geburtsjahr wurde erst 1990 korrigiert, bis zur Öffnung der Archive wurde geglaubt, Stalins Geburtsjahr sei 1979.
Viele Akten wurden auf Mikrofilm archiviert, welcher schnell und einfach digitalisiert werden kann, die Öffnung der Archive überschnitt sich mit der digitalen Vernetzung der Archive, viele der Akten wurden aufgrund des hohen Interesses digitalisiert oder sind sonst verhältnismässig gut zugänglich.

Wieso gibt es so viele Schriftliche Dokumente?

Die übermässige Schriftlichkeit der Stalinzeit ergibt sich ironischerweise aus der mangelnden Vernetzung, nämlich dem mangelnden Ausbau des Telefonnetzes innerhalb der stalinistischen UdSSR. Viele Befehle Stalins wurden von ihm in Briefform kommuniziert, vor allem wenn er die Standorte zwischen seinen Feriendomizilen und dem Zentralen Regierungssitz wechselte. Der uneditierte Briefkorpus Stalins ermöglichte neue Einsichten in die Rolle des Diktators. Wie viel hat er tatsächlich direkt veranlasst, wie viel wusste er selbst über die Grausamkeiten? Punkte die Pro-Stalinistische Narrative oft zu verbergen versuchen, um Stalin als unwissenden Strohmann darzustellen. Vor allem Stalins unredigierte Reden verraten vieles über die persönliche Motivation erkennen.

Weiss man denn nicht schon alles über Stalin?

Nein, vieles ist noch unter Verschluss, Dokumente und Memoiren aus der Zeit der UdSSR sind stark zensiert und deshalb fragwürdig. Neuere Memoiren stammen oft von Kindern der Funktionäre und wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion geschrieben. Sie sind fern der Zeit und oft apologetische, verwaschene Rechtfertigungen oder schlichtweg erlogene Narrative aus Kinderaugen, die die Funktionäre aus der Verantwortung ziehen nach dem Motto «Mein Papa war zwar an Stalins Filmabenden, wusste aber nichts von den Säuberungen»  (Anm: Stalins Filmabende waren zunehmend Pflichtabende an denen wichtige Entscheidungen u.a. zum Gulag und Säuberungen getroffen wurden.)Der übermächtige Kontrollstaat mit Geheimpolizei und Exekutionsstrafen bei kleinsten Vergehen hätte eine offene und ehrliche Kommunikation über die Arbeit innerhalb der Familie sowieso verhindert
Direkte Tagebücher von hohen Persönlichkeiten fehlen aus den selben Gründen leider bis auf wenige Einzelfälle. Ein Vergleich der direkten Rezeption des Personenkults wie es z.B. durch Goebbels Tagebücher über Hitler der Fall war ist also nicht möglich.

von Julian Fischer

E-Tutor bei „Stalin Digital“
Titelbild: commons.wikimedia.org; Background photo created by kjpargeter – www.freepik.com.
Literaturhinweis: Oleg V. Khlevnmiuk: „Stalin: New Biography of a Dictator“.