Höfischer Roman

Der höfisch-arthurische Roman ist wohl eine der kanonischsten Textformen innerhalb der germanistischen Mediävistik. Er fehlt in keiner Einführungsveranstaltung, lassen sich an ihm doch etwa Einflüsse aus der Romania – so das Verhaltensideal der hövescheit (courtoisie) – beobachten, ohne die weite Teile der deutschsprachigen Literatur um 1200 kaum zu denken sind. Medial interessant sind die Übertragungen französischer Vorlagen, beispielsweise eines Chrétiens de Troyes, ins Deutsche sowie das damit verbundene Konzept des Wiedererzählens, welches anstelle der Originalität die gekonnte tractatio materiae setzt, die den bekannten Stoff durch Kürzung oder Erweiterung entsprechend kunstvoll bearbeitet. Nicht zuletzt lässt sich in den höfischen Romanen eine Dimension mittelalterlichen Schema-Erzählens greifen; die Handlung der Texte orientiert sich häufig an ihnen gemeinsamen Mustern: Dem Besten die Schönste – doch was, wenn der Beste soeben den Mann der Schönsten âne zuht in den Tod getrieben hat? Der Doppelweg als zweifache Bewährungsausfahrt des Ritters – doch was, wenn eine dritte Ausfahrt als Erzählung dem Erleben des Protagonisten vorausgeht und maere somit in Relation zu werch setzt? König Artus und seine Ritter als Dreh- und Angelpunkt jeglicher Aktion – doch was, wenn sich Königin Ginover auf einmal erzähl- und somit auch handlungsstimulierend hervortut?

Die letzte Veranstaltung der Reihe «Siegfried goes YouTube» hat sich intensiv dem Iwein Hartmanns von Aue gewidmet und derlei Fragen multimedial diskutiert.


«Iwein goes Insta»

Literaturwissenschaftlicher Ansatz
Meine Grundidee war es, mit Fokus auf den Romanbeginn die identitätskonstituierenden Aspekte im Verhältnis von mære und werch und damit zusammenhängend mit Öffentlichkeit/Nicht-Öffentlichkeit darzulegen.

Synergie: Multimedialität und Literaturwissenschaft
Die Vielschichtigkeit und Komplexität der Identitätskonstitution im Iwein konnte durch die multimediale Aufarbeitung besser gefasst und aufgezeigt werden.

Ungeahnte Potentiale/Probleme
Ein enormes Potential lag darin, die Aktualität/Überzeitlichkeit des Romans hervorzuheben und so die Identitätskonstitution in der höfischen Literatur des Mittelalters von einer neuen Seite zu beleuchten. Daraus folgte jedoch auch die Herausforderung, sich der Alterität bewusst zu bleiben und meine Argumentation kurz und prägnant darzulegen.

Rahel Staubli
«Laudine – Mit dem Herz einer Politikerin»
 
Literaturwissenschaftlicher Ansatz
Laudine kommt nur wenig zu Wort. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, ihr eine Stimme zu geben. Laudines erster Auftritt zeigt sie als am Boden zerstörte, trauernde Frau, die den Verlust über ihren geliebten Ehemann beklagt. Dennoch entschliesst sie sich, den Mörder ihres Mannes zu heiraten. Nur der Rat ihrer Zofe Lunete und ein darauffolgender innerer Monolog führen zu dieser radikalen Entscheidung. Laudine macht innert kürzester Zeit – und das noch während sie ihren Verlust beklagt – eine komplette Kehrtwendung. Durch einen bewussten Klageverzicht legt sie ihre Rolle als liebende Ehefrau ab zugunsten ihrer Herrscherrolle, die den Schutz des eigenen Reiches zu sichern hat. Im Bewusstsein, dass sie Geschlechternormen verletzt, bittet Laudine Iwein, sie zu heiraten. Nach seiner Zusage scheinen Laudines Gedanken als erstes bei ihrem Gefolge zu sein, dieses soll sofort eingeweiht werden. Auch wenn sie bald selbst von minne spricht, musste sie sich doch erst dazu überreden: sus brâhte siz in ir gemueteze suone und ze guete / und machte in unschuldech wider sî. (V.2051-2053). Ihre Entscheidung basiert auf völlig pragmatischen Argumenten und stellt die Politik ihren eigenen Gefühlen voran. Ist ihre grosse Liebe auch verloren, schlägt ihr Herz noch immer für ihr Land.

Synergie: Multimedialität und Literaturwissenschaft
Mein Video präsentiert den massiven Wandel von Laudine auf bildlicher sowie musikalischer Ebene. Besonders die Farbgebung und der musikalische Stimmungswechsel präsentiert die zwei verschiedenen Rollen, die sie einnimmt. Während das Lied anfangs eine klassische, mittelalterliche Kanzoneform verfolgt, einen Klageliedcharakter und sakrale Töne innehat, wandelt es sich zu einer moderneren, dramatischen und musicalähnlichen Arie. Besonders die Musik vermag es, Laudine «ihre Stimme zu geben», während Lunetes Worte sich auf die textuelle Ebene beschränken. Lunetes Darstellung soll ihre rationale Beraterfunktion unterstreichen, sowie repräsentieren, wie Laudine ihre pragmatische Argumentation anzunehmen beginnt. Der Schlüsselmoment der Rollenakzeptanz als Königin wird durch eine Farbverschiebung verdeutlicht. Während die Farbe in ihre Lebenswelt zurückkehrt, beginnt die Erinnerung an Askalon zu verblassen: Die Erinnerung an ihn, die vorher warm und bunt war, wird schwarz-weiss. Die klagende Ehefrau, deren Leben nur noch trist und schwarz-weiss aussah, kehrt zurück zu ihrer lebensbejahenden Rolle als Königin, die genau weiss, was zu tun ist. 

Ungeahnte Potentiale/Probleme
Die Kombination von Musik, Text und Bild hat viel Potential. Während ursprünglich angedacht war, dass sich durch das Medium Film die seltene Möglichkeit bietet, mittelhochdeutsch hörbar zu machen, beschränkte es doch zu sehr auf die Rezitation des Originaltextes. Mit dem bewussten Verzicht auf Lehrvideo-typische Erklärungssequenzen musste die analytische Ebene durch den Liedtext mehr eingebracht werden, das bereits komponierte mittelhochdeutsche Lied wurde dennoch im Abspann verwendet. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass in meinem Video viel Vorwissen über das Werk und Interpretation des Zuschauers erforderlich ist. Das Potential mag auch zugleich die Schwäche einer Videoarbeit sein: Da man auf mehreren sinnlichen Ebenen erzählen kann, ist es schwer, präzise zu sein, ohne sich in Details zu verlieren, welche filmanalytische Vorkenntnisse des Rezipienten voraussetzen.

Tabitha Munagapati