DAS PROJEKT

Multimedialität und Ältere deutsche Literaturwissenschaft: drei Überlegungen

Nur weil die Untersuchungsgegenstände der Älteren deutschen Literaturwissenschaft aus dem Mittelalter oder der Frühen Neuzeit stammen, heißt das nicht, dass die Auseinandersetzung damit in antiquierten Unterrichtsformen stattfinden muss. Das Projekt zielt deswegen darauf, den selbstverständlichen Umgang der meisten Studierenden mit modernen Medien dafür zu nutzen, oftmals vorhandene Hemmschwellen gegenüber den mitunter fremd anmutenden Lehr- und Lerninhalten einzuebnen, ohne dabei jedoch die eigene Zugehörigkeit zu den Textwissenschaften aufzugeben. Vielmehr sind hier gerade die Potentiale auszuschöpfen, welche die – vor allem innerhalb der Mediävistik – flexible Kategorie „Text“ bietet, die mitnichten bloß auf etwas ein für alle Mal schriftlich Fixiertes referiert. Gerade durch die Multimedialität der Videos bieten sich überdies Möglichkeiten, kulturgeschichtlich relevante Aspekte unseres Faches – die Bedeutung der Stimme und des Performativen, das Oszillieren zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit oder die Varianz eines Textes – stärker zu betonen, indem etwa nicht allein im Unterrichtsgespräch das Mittelhochdeutsche Klang erhält, sondern diese Dimension der Sprache auch in der analytischen Ergebnissicherung zur Geltung kommen und somit präsenter Gegenstand der Auseinandersetzung werden kann. 

Die Sichtbarkeit der Ergebnisse, und hier vor allem die studentischen Leistungsnachweise waren ein weiterer Anstoß zu diesem Projekt, werden die in unserem Fach üblichen schriftlichen Seminararbeiten doch meist ausschließlich für eine*n Dozent*in, sodann für den Ablageort im Sekretariat verfasst. Mit dem erprobten alternativen Leistungsnachweis eines Videos möchte das Projekt folglich anregen, Prüfungsmodalitäten langfristig zu überdenken, indem die Möglichkeit ernst genommen wird, Lernerfolge auch in den philologischen Disziplinen erstens anders als allein schriftlich zu dokumentieren und zweitens nicht ausschließlich als Beleg über eine absolvierte Veranstaltung zu interpretieren. Stattdessen könnte man, indem man die Leistungsnachweis-Videos als zukünftige Lehr- und Lernmaterialien nutzt, der häufig in eine studentische Arbeit geflossenen Energie durch Anschlusskommunikation und nicht allein durch eine Note gerecht werden.

Darüber hinaus sollen die neuen Lernformate dafür sensibilisieren, die durch außeruniversitäre Kontexte und neuere Medien geprägten Hör-, Seh- sowie Denkgewohnheiten von Studierenden ernst zu nehmen und in ihrem analytischen Potential fruchtbar zu machen. Die im Projekt entstehenden Videos können dann idealerweise wiederum Zweifaches leisten: Sie reagieren auf die Existenz verschiedener Lerntypen, indem sie dem vorhandenen, in der Regel als Text existierenden Arbeitsmaterial audio-visuelle Lehr-/Lernmöglichkeiten an die Seite stellen. Diese sind außerdem flexibler zu rezipieren als ein Buchkapitel oder ein Aufsatz, können sie doch als kurze, fünf- bis maximal zehnminütige Einheiten über jedes Smartphone zu jeder Zeit und an jedem Ort abgerufen werden.

Nicht zuletzt wird die lebensweltlich vorgeprägte Medienkompetenz durch das Projekt in einen professionellen Kontext überführt und diesem gemäß ausgebaut, was sie auch für zukünftige Schritte im Berufsleben anschlussfähig machen sollte, will schließlich nicht jede*r Universitätsabsolvent*in ausschließlich Literaturwissenschaftler*in werden.

Der institutionelle Rahmen

Gefördert vom Kompetitiven Lehrkredit der Universität Zürich konnte die Veranstaltungsreihe dem Curriculum der Älteren deutschen Literaturwissenschaft hinzugefügt werden. Dabei wurden im Laufe der vier Semester verschiedene Modultypen und Unterrichtsstufen erprobt: vom einsemestrigen BA-Kolloquium bis hin zum zweisemestrigen Masterseminar. Weil die Vermittlung fachwissenschaftlicher Kenntnisse und Kompetenzen durch die Diskussion und Einübung ihrer technischen Aufbereitung ergänzt werden muss, erwiesen sich etwas mehr Zeit ebenso wie ein zusätzliches Technik-Tutorat, das freundlicherweise vom Team für Digitale Lehre und Forschung (DLF) gesponsert wurde, als äußerst sinnvoll.

Herausforderungen und Erkenntnisse

Auch wenn es nicht wirklich unerwartet war, stellte die technische Infrastruktur – sowohl an der Universität wie den heimischen Endgeräten – eines der wohl größten Probleme dar. Adäquate Schnitt-, Bildbearbeitungs- und Animationsprogramme überforderten die häufig etwas älteren Computer. Nach erster Frustration lag dann aber auch ein so nicht einkalkuliertes Potential des Projekts in der Herausbildung spontaner Gruppenarbeit, der Entdeckung allerhand an der Uni vorhandenem Equipment oder der eigenverantwortlichen Suche nach Alternativen und Unterstützung durch Tutorinnen, Kolleg*innen und universitäre Beratungsstellen.

Als überraschend produktiv erwies es sich außerdem, die Videoentwicklung in ihren einzelnen Schritten in den Seminarkontext zu integrieren und im Peer-Review zu konturieren. Auf diese Weise stellt nicht nur das fertige Video das einzig sichtbare Ergebnis gelungenen Lernens dar. Vielmehr wird der Entstehungsprozess selbst von einer in der Regel im Verborgenen stattfindenden Tätigkeit zum integralen Bestandteil des Lehrens und Lernens, den (selbst-)kritische Stellungnahmen, Weiterdenken, Überarbeitung oder Ver- wie Abgleich mit anderen Projekten und Problemen gleichermaßen auszeichnen und befördern. An dieser Stelle ist außerdem ganz allgemein festzuhalten, dass kleinere Lerngruppen die (wohl nicht allein) projektorientierte Arbeit begünstigen, da sich u. a. die Diskussion stärker an individuellen Interessen ausrichten und somit intrinsisch motiviert entwickeln kann sowie gerade experimentelles Denken, das sich eben nicht auf vorgespurten Bahnen bewegt, einen geschützteren Äußerungsraum erhält.