Nachhaltigkeitsgeschichte: was soll das sein?

Nachhaltigkeitsgeschichte: was soll das sein?

Das Kol­lo­qui­um untersucht(e) die früh­neuzeitliche Schweiz­er Fär­berei auf Fra­gen der Nach­haltigkeit. Ich unter­suche in meinem Blog früh­neuzeitliche Han­dels­ket­ten von Farb­stoff. Wie passt dies zusam­men? Hier soll unter­sucht wer­den, wie Nach­haltigkeit ver­standen wer­den kann, inwiefern Fra­gen der Nach­haltigkeit in der Wis­senschaft von Rel­e­vanz sind und wie sich diese auf die Geschichtswis­senschaften anwen­den lassen. Somit soll auch klar wer­den, inwiefern Unter­suchun­gen von Han­dels­ket­ten mit Fra­gen der Nach­haltigkeit korrelieren. 

Aktualitätsbezug

Das The­ma der Nach­haltigkeit ist in den let­zten Jahren zu einem wichti­gen gesellschaftlichen The­ma gewor­den. Mit der Bekan­nt­machung der «Ziele für Nach­haltige Entwick­lung» durch die Vere­in­ten Natio­nen im 2016 wurde Nach­haltigkeit ausser­dem ein für jeden und jede ver­fol­gbares Ziel.

Die Agen­da 2030 mit ihren 17 Zie­len für nach­haltige Entwick­lung (Sus­tain­able Devel­op­ment Goals, SDGs) ist ein glob­aler Plan zur Förderung nach­halti­gen Friedens und Wohl­stands und zum Schutz unseres Plan­eten. Seit 2016 arbeit­en alle Län­der daran, diese gemein­same Vision zur Bekämp­fung der Armut und Reduzierung von Ungle­ich­heit­en in nationale Entwick­lungspläne zu über­führen. Dabei ist es beson­ders wichtig, sich den Bedürfnis­sen und Pri­or­itäten der schwäch­sten Bevölkerungs­grup­pen und Län­der anzunehmen — denn nur wenn nie­mand zurück­ge­lassen wird, kön­nen die 17 Ziele bis 2030 erre­icht werden.

Vere­inte Nationen
Die Ziele für Nach­haltige Entwick­lung der Vere­in­ten Nationen 

So hat auch in der Hochschul­bil­dung das The­ma der Nach­haltigkeit an Wichtigkeit zugenom­men.   Die Nach­haltigkeitsstelle der Uni­ver­sität Zürich1, fordert beispiel­sweise, dass die Bil­dung für Nach­haltige Entwick­lung in den Cur­ric­u­la aller Diszi­plinen aufgenom­men würde. Dieses Unter­fan­gen mag für einige Diszi­plinen offen­sichtlich­er sein als für andere. Daher hier auch die Frage, wie geht das für die Geschichtswissensschaften?

Methoden und Theorien der Geschichte der Nachhaltigkeit

Anhand ein­er Auswahl von Titeln, die sich mit der Frage der Nach­haltigkeit in der Geschichte auseinan­der­set­zen, soll hier illus­tri­ert wer­den, wie ein solch­es Unter­fan­gen ange­gan­gen wer­den kann.

Im Fol­gen­den wer­den die aufge­lis­teten Titel und ihre Erken­nt­nis kurz besprochen. 

Jeremy L. Caradonna: Sustainability. A History 

Das Buch konzen­tri­ert sich auf die Entste­hung eines “Nach­haltigkeitsmove­ments” und unter­sucht dieses in sein­er His­tor­iz­ität. Dabei geht es anfänglich auf ver­schiedene Nach­haltigkeit­skonzepte ein, die sich in den let­zten Jahren entwick­elt haben. In neuster Zeit wurde den alleini­gen Bezug auf die ökol­o­gis­che Nach­haltigkeit zum Beispiel durch ein dreifaltiges Ver­ständ­nis der Nach­haltigkeit erset­zt. Dabei wer­den die Kom­po­nen­ten Wirtschaft, Ökolo­gie und Gesellschaft für die Nach­haltige Entwick­lung als gle­icher­massen wichtig anerkannt.

The eco­nom­ic dimen­sion requires, for instance, a sys­tem that can pro­duce goods and ser­vices on a con­tin­u­ous basis, avoid exces­sive debt, and bal­ance the demands of the dif­fer­ent sec­tors of the econ­o­my. The envi­ron­men­tal dimen­sion requires the main­te­nance of a sta­ble resource base, the preser­va­tion of renew­able resources and the “sinks” that process pol­lu­tion, and safe­guard­ing of bio­di­ver­si­ty and essen­tial ecosys­tem ser­vices. Final­ly, the social dimen­sion of sus­tain­abil­i­ty involves a range of fac­tors, includ­ing a fair dis­tri­b­u­tion of resources, equal oppor­tu­ni­ties for all cit­i­zens, social jus­tice, health, men­tal well-being and the abil­i­ty to live a safe and mean­ing­ful life, access to edu­ca­tion, gen­der equal­i­ty, demo­c­ra­t­ic insti­tu­tions, good gov­er­nance, and polit­i­cal participation.

S. 13

Caradon­na hat ausser­dem eine passende Def­i­n­i­tion für die Geschichte der Nach­haltigkeit ent­wor­fen. Eine, die ich bei kün­fti­gen his­torischen Unter­suchun­gen zur Nach­haltigkeit sicher­lich berück­sichti­gen würde. Er sagt: “sus­tain­abil­i­ty is not just anoth­er term for envi­ron­men­tal­ism, nor is the his­to­ry of sus­tain­abil­i­ty the same thing as envi­ron­men­tal his­to­ry. […] The his­to­ry of sus­tain­abil­i­ty is as much social, polit­i­cal, and eco­nom­ic as it is envi­ron­men­tal history.”

Annette Kehle: Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit

Das Buch ist 2021 erschienen und eröffnet seinen Leser*innen eine nach­haltige Ver­gan­gen­heit, die pos­i­tiv in die Zukun­ft blick­en lassen sollte. Annette Kehle unter­sucht in ihrem Buch mit­te­lal­ter­liche Quellen auf Nach­haltigkeit. Dabei ist ihr wichtig zu beto­nen, dass das Konzept der Nach­haltigkeit keines­falls eine Erfind­ung des 21. Jahrhun­dert war. Nein, dass es im Mit­te­lal­ter sog­ar kon­se­quent gelebt wurde. Dafür unter­sucht sie heutige Konzepte — wie sec­ond­hand Mode, Urban­gar­den­ing und nach­sichtige Ressourcennutzung — anhand ihrer mit­te­lal­ter­lichen Vor­läufer. Denn die mit­te­lal­ter­lichen Quellen erzählen von grossen sec­ond­hand Märk­ten in Paris, nach­sichtiger Fis­cherei am Bodensee (um den Fis­chbe­stand zu schützen) und Garten­wirtschaften in Klöstern. 

Das Buch ist sehr stark darauf aus­gelegt, der heuti­gen Gesellschaft aufzuzeigen, dass Nach­haltigkeit nichts Neues ist und dass nicht alles neu erfun­den wer­den muss. Eine schöne Botschaft, aber auch eine gewagte his­to­ri­ographis­che Posi­tion­ierung, wie ich finde. 

Nichts­destotrotz ist das Werk ein hil­fre­ich­er Ein­stig und Wegleit­er für die Unter­suchung his­torisch­er Quellen. Eine Inspi­ra­tion für alle, die sich für Fra­gen der Nach­haltigkeit in der Geschichte interessieren.

Ulrich Grober: Sustainability. A cultural History

In diesem Werk wird vor allem der Begriff­s­geschichte der “Nach­haltigkeit” , bzw. “Sus­tain­abil­i­ty” nachge­gan­gen. Anhand von dieser Unter­suchung will Grober den Begriff ver­ständlich machen. Er kann aufzeigen, wie sich unter dem Deck­man­tel des Begriffs ein Sam­mel­suri­um an Begrif­f­en — wie Umwelt, Ökolo­gie, etc. — einge­fun­den hat, die davon nicht mehr wegzu­denken ist. Für ihn ist der Begriff der Nach­haltigkeit schon qua­si infla­tionär und nicht klar zu fassen. 

[ Randbe­merkung: dies ist uns auch im Kol­lo­qui­um aufge­fall­en. Es fiel uns schw­er “Nach­haltigkeit” zu definieren. Siehe dazu z.B. Jele­nas Beitrag “Was ver­ste­ht ihr unter Nach­haltigkeit?”]

Das Wort Nach­haltigkeit entstammt der Forstwirtschaft. Es entspringt der Idee, dass immer Reser­ven für die kün­fti­gen Gen­er­a­tio­nen beibehal­ten (“nachge­hal­ten”) wer­den soll­ten. Wie gese­hen wer­den kann hat sich seine Bedeu­tung mass­gebend geändert. 

Durch die Betra­ch­tung der vielschichti­gen und vielfälti­gen Auseinan­der­set­zun­gen mit der Nach­haltigkeit durch die Geschichte, sei es im Mit­te­lal­ter in den Klöstern, in der Aufk­lärung durch die Philosophen als auch in der Zeit­geschichte mit der UN (s. SDGS), gibt Groe­bers Beitrag wichtige ana­lytis­che Werkzeuge mit. Durch das Ver­ständ­nis, wann Nach­haltigkeit was bedeutet hat, lässt sich ihr in den his­torischen Quellen auch bess­er nachgehen. 

Praktischer Tipp:

Falls Dich Fra­gen der Nach­haltigkeit inter­essieren oder Du dich ver­tieft mit dem The­ma im uni­ver­sitären Rah­men auseinan­der­set­zten möcht­est, leis­tet die Nach­haltigkeits-Seite der Uni­ver­sität Zürich Abhil­fe. Auf der Web­site find­est Du z.B. das “Green VVZ”. Es soll Dir helfen, das Vor­lesungsverze­ich­nis der UZH nach Kursen mit einem Schw­er­punkt auf Nach­haltige Entwick­lung zu durch­forsten. Also auch Kurse im Sinne dieses Kolloquiums.

Weitere Beiträge

  1. Umset­zungsstrate­gie, S.7 []