Das Thema des Liebesgartens wird in der Wandmalerei des „Hauses zum hinteren Pflug“ in einer ungewöhnlichen Art dargestellt und mit neuer Bedeutung versehen. Die Malerei zeigt das Selbstverständnis und den Einfluss einer Patrizierfamilie in Konstanz mit einem bisher dem Adel vorbehaltenen Bildprogramm. Die Thematik des Liebesgartens erfährt eine Ausweitung nicht nur der Darstellungsweise, sondern auch der Rezeption durch den Betrachter.
Der Essay konzentriert sich auf den Kontext und die Deutung der sogenannten Bretter- oder Bohlenwand aus dem Haus zum hinteren Pflug. Um den Kontext der Wand zu ergründen, werden in einem ersten Teil einige Details zur Entstehung der Wand, also deren Provenienz, angesprochen. Abschliessend soll die Frage nach dem Auftraggeber zur Sprache kommen, und die angestrebte Wirkung der Malerei auf den Betrachter diskutiert werden.
Die Bretter- oder Bohlenwand stammt aus dem Doppelhaus zum Pflug zwischen der Münzgasse 27 und Wessenbergstrasse 6 in Konstanz. Das Objektverzeichnis des Schweizerischen Landesmuseums von 1929 vermerkt die Bohlenbretter und das Täfer als von zwei gegenüberliegenden Wänden stammend.1 Der Träger der Malerei, das Holz, wurde hier in zwei verschiedenen Konstruktionsweisen verwendet. Die Täferfragmente wurden einer schon bestehenden Wandkonstruktion vorgeblendet, das Täfer ist nur die Verkleidung derselben. Bei der Bohlenfügung handelt es hingegen um die Wand selbst. So oder so stammt die Malerei nachweislich aus dem Innenraum eines Privathauses.
Die mit ölhaltiger Tempera bemalten Holzteile zeigen im Vordergrund eine farbenfrohe Gesellschaft, die Karten spielend, tanzend oder einem Minnesänger lauschend, in einem Garten mit reich verzierten Brunnen verweilen (Abb. 5, 6, 9). Der Garten zeigt wenig Vegetation und wird durch den Brunnen, die Menschen und ein umschliessendes Architekturpanorama dominiert. Die zu sehenden Gebäude werden umschlossen von einer Stadtmauer, die sich nach rechts über einer Wasserstrasse öffnet und dahinter den Blick auf ein weites Umland frei gibt. Das Umland der Stadt zeigt viele kleine, detaillierte Szenen von florierendem Leben, wie fahrende Boote auf dem Fluss, eine weitere Gesellschaft und einige Verkaufsstände. Die Malerei wurde nur teilweise fertiggestellt und ist an vielen Stellen nur in Umrisslinien und Vorzeichnungen ausgeführt.
Eine in der Literatur oft genannte Deutung der Bohlenwand ist die eines Ausschnitts aus einem Jahreszyklus mit der Abfolge der vier Jahreszeiten, von denen nur der Frühling erhalten blieb. Zimmerausmalungen mit diesem Thema sind im 15. und 16. Jahrhundert sicher belegt. Für die Bohlenwand des Landesmuseums ist diese Interpretation zwar möglich, es gibt jedoch weder klare Hinweise auf eine bestimmte Jahreszeit innerhalb der Bohlenwand noch Anhaltspunkte für die Fortsetzung einer solchen Abfolge auf den Balken, was dann zu erwarten wäre.
Plausibler ist die Deutung der Malerei als „Liebesgarten“. Das Lexikon des Mittelalters definiert den Garten im Mittelalter als zugehörig zu einem Hof, mit Zaun oder Gehege. Weiter wird festgehalten, dass die Dokumentation zu Gärten im Mittelalter eher spärlich ist, dass sich jedoch einige Gegebenheiten oder Szenerien im Mittelalter im Garten verorten lassen. Die Rede ist einerseits von fiktiven Gärten, häufig Baumgärten (Abb. 4) in der Literatur respektive Dichtung, wie auch von zu einer Burg gehörenden Gärten, in denen Aktivitäten wie höfische Spiele oder Turniere abgehalten wurden.2
Der Garten an sich wird in der mittelalterlichen Kunst meist in zwei Darstellungsweisen unterteilt. Einerseits gibt es den christlich konnotierten Garten, der als Garten Marias bezeichnet wird. Blumen und Pflanzen darin haben eine Bedeutungsebene und fungieren meist als Attribut zu Maria.3 Eine weitere Ausprägung des Liebesgartens kann der Lustgarten sein. Dieser Begriff konnte sowohl positiv im Sinne eines Rückzugs- und Andachtsorts, als auch negativ im Sinne eines Gartens der Sünde konnotiert sein.3
Was bei der Betrachtung der Bohlenwand ausgeschlossen werden kann, ist eine christliche Deutung des Liebesgartens, egal ob als Garten Marias oder Garten der Sünde. Die Bohlenwand stammt aus einem profanen Kontext und zeigt Szenen einer höfischen und ländlichen Idylle. Die Zuweisung der Szene an einen Liebesgarten ist sicher stark geprägt von dem am rechten Rand erhaltenen Brunnen. Die Ikonographie des Liebesgartens wird durch eine oft zentrumsgerichtete Anordnung von Wegen und Pflanzen charakterisiert, in deren Mitte häufig ein Brunnen steht.((LDM 4, Eintrag 1121-1122.)) Der herkömmliche Liebesgarten definiert sich über die neue ritterliche Gesellschaft, die ab dem 12. Jahrhundert eine neue Gartenkultur entwickelt.4 Der Garten ist geprägt vom privaten Leben seiner Betreiber, fungiert als Aussenraum der zugehörigen Burg und ist zugleich ein Ort gesellschaftlicher Kommunikation, wie beim Spiel oder beim Fest, und ein Ort der Ruhe und Besinnlichkeit. Der Liebesgarten steht so auch für politische Sicherheit und Friedenszeiten, in denen der Ritter und Lehnsherr sich auf seine Burg oder sein Schloss zurückziehen und dem höfischen Leben frönen kann.5
In Konstanz ist der Liebesgarten, der normalerweise in einem rein höfischen Kontext auftritt, leicht abgewandelt. Dargestellt wird ein stark geöffnetes oder erweitertes Verständnis der Thematik. Die besprochene Malerei beginnt im vorderen Teil mit einer höfischen Gartenszene, wie sie in der Darstellung eines Liebesgartens zu erwarten ist. Diese Szene wird jedoch von einer Stadt mit Stadtmauer gerahmt. Einen Grossteil des Bildes nimmt schliesslich das ländliche Umland der Stadt ein. Dies vermag zu überraschen. Im Mittelalter wird der Garten immer als ein „hortus conclusus“, als abgesonderter und abgegrenzter Raum dargestellt. In der Buchmalerei finden sich viele Beispiele von Gärten, deren Darstellung sich nur auf den abgegrenzten Raum konzentriert, ohne sich auf das Umland auszudehnen. (Abb.5) Kulissenartige Hintergründe kommen vereinzelt vor, jedoch ohne vergleichbare Öffnung des Blickes auf ein zugängliches und integriertes Umland.6
Die als Liebesgarten beginnende Malerei der Konstanzer Bohlenwand zeigt eine Öffnung ins Umland mittels eines Flusses. Eine weitere Öffnung in Form einer Strasse kann im verlorenen Teil der Malerei vermutet werden. Der Blick in die Weite wird auch nicht durch hohe Mauern gebremst. Im Umland kann man verschiedene Reisende und sogar eine weitere, klein dargestellte höfische Gesellschaft ausmachen.
Eine weitere Besonderheit der Konstanzer Darstellung ist die scheinbare Einszenigkeit des Liebesgartens. Das Gemälde zeigt eine Verschmelzung vieler Einzelszenen, die nicht in eine zeitliche Abfolge gesetzt sind. Das Geschehen im Garten bezieht sich nicht, wie in Liebesgartendarstellungen oft üblich, auf populäre zeitgenössische Romane wie Tristan und Isolde. Diese Erzählweise würde zwangsläufig eine Leserichtung und eine zeitliche Achse für die Malerei vorgeben. Auf beides wird in der Wandbemalung verzichtet zugunsten einer eher sphärischen Szenerie, der sich auch die Betrachter zugehörig fühlen können.7
Einzig die Rahmung und Untermauerung der Darstellung erinnert den Betrachter daran, dass der Liebesgarten fiktiv bleibt. Die Sockelzone übernimmt zusätzlich die Funktion einer Hervorhebung und der Steigerung der Wirkung der so ungefähr auf Hüfthöhe beginnenden Malerei.7
Der ins Umland geöffnete Garten passt zu einer Auftraggeberschaft in den Patrizierkreisen von Konstanz. Dafür sprechen auch die Besitzverhältnisse des Hauses zur Entstehungszeit der Malerei. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ist das Haus „zum hinteren Pflug“ im Besitz der Patrizierfamilie Blarer. 1403 wird Heinrich von Blarer, 1441 Ulrich von Blarer genannt. Erst 1538 ist der nächste Besitzer des Hauses zum hinteren Pflug verzeichnet, jedoch handelt es sich nicht mehr um dasselbe Geschlecht. Die Blarer, vom 14. bis zum 16. Jahrhundert eine der reichsten und angesehensten Patrizierfamilien von Konstanz, verfügten über die finanziellen Mittel für ein derart kostbares und gehaltvolles Malprogramm.8 Dass der Auftraggeber aus dieser Familie kam, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Abgesehen von dem sicherlich kostspieligen Auftrag einer zimmerfüllenden Ausmalung zeugt auch das komplexe Bildprogramm von einem gehobenen Selbstverständnis. Mehrere angenommene Bildfelder, in Szene gesetzt durch die mit wehrhaften Bossenquadern versehene und mit kostbarem Brokat bespannte Wand – darin manifestiert sich ein hoher gesellschaftlicher Anspruch. Der Garten, der in höfischen- oder ritterlichen Kreisen ein Sinnbild von stabiler Herrschaft wir, wird hier in den Dienst einer Patrizierfamilie genommen und dabei einer semantischen Verschiebung unterzogen.9
Dem Betrachter am nächsten ist ein fröhliches Treiben von höfischem Leben. Jedoch nicht, wie zu erwarten in einem Schlossgarten, sondern in einer grossen, mit stattlichen Häusern erbauten Stadt mit wehrhaften Stadtmauern. Die Gesellschaft geniesst den Frieden eines Sommertages umgeben von einer imposanten Kulisse. Die dargestellte Stadt steht nicht isoliert, sondern ist mit dem weit auslaufenden Umland verbunden durch einen sich schlängelnden Fluss. An seinen Ufern und in der weiteren Umgebung finden sich weitere Häusergruppen, Schlösser und Burgen. Dazwischen sind grösstenteils friedliche Szenen zu sehen, die das emsige Treiben der Bewohner des Landstriches zeigen. Schiffer befahren den Fluss, an Marktständen wird Wahre feilgeboten, und Bauern eilen ihres Weges. Eine kleine Rauferei, ein Fechtkampf und ein in den Vorzeichnungen erhaltenes Feldlager auf den Bohlen sind die einzigen kriegerischen Handlungen der Malerei. Diese zwei kleinen Details fallen in der Idylle auf, sind aber nicht als Zeichen der Bedrohung zu lesen, sondern eher als einen gewissen Realitätssinn zu verstehen.
Das ganze Gemälde zeigt eine dem Höfischen ebenbürtige Stadt, die ihr Umland dominiert oder mit ihm interagiert. Handel und Gesellschaft sind im Umland ein starkes Motiv, das die Stadt als florierenden Marktplatz einer Region ausweist. Eine Stadt, in der Wohlstand herrscht und die ihr Umland dominiert, ähnlich einem einflussreichen und erfolgreichen Händler, der in seiner Stadt mitzuregieren versteht.
Die Wandmalerei wendet sich in geradezu glorifizierender Weise an den Auftraggeber, zeigt seine Macht und sein Verständnis einer Stadt. Dem Betrachter zeigt er die Idylle, die Ruhe eines Stadtgartens. Er sieht den Frieden, den die Stadt und die in ihr herrschenden Patrizier zu garantieren vermögen. Obwohl die Stadt und das Umland viel Platz einnehmen und vermutlich noch mehr einnahmen auf den anderen Wänden, ist die Gartenszene auf den ersten Blick sehr dominant und lässt sofort an eine höfische Szene denken. Bei genauerem Betrachten erschliesst sich jedoch schnell die Öffnung, die dem Bildthema eigentlich fremd ist. Auf Grund der Umsetzung des Themas mit einer starken Adressierung des Betrachters kann für das Zimmer ein halböffentlicher Charakter angenommen werden, im Sinne eines Besprechungsraumes für Geschäfte oder eines Empfangsraums für wichtige Gäste.
Offen bleibt die Frage, warum die Malerei nicht fertiggestellt werden konnte. Dazu können nur Vermutungen angestellt werden. Versiegende Zahlungen an den Künstler, also Geldmangel der Familie Blarer, könnte ein Grund sein. Das würde für eine Bemalung des Zimmers gegen Ende des Besitzverhältnisses der Blarer im Haus zum hinteren Pflug sprechen. Auch ein Erkranken oder gar Versterben des Künstlers ist denkbar. Wobei sich dann die Frage stellt, wieso die Arbeit nicht von einem anderen Künstler fertiggestellt wurde. In beiden Fällen stellt sich weiter die Frage, ob das Zimmer mit seiner unfertigen Dekoration genutzt wurde. Verdeckte man vielleicht die Malerei, um das Zimmer trotzdem nutzen zu können, mit einem textilen Medium, oder einer weiteren Holzverkleidung, die dann einfach gestrichen / verputzt werden konnte? Oder störten sich die Bewohner gar nicht an der unfertigen Malerei, und erst der nächste Hausbesitzer lies die Malerei überdecken? Fest steht, dass die Malerei Ende des 19. Jahrhunderts, als Ludwig Stromeyer das Haus aufkauft, mit einer Holzverkleidung überdeckt war. Die Funktion, welche die Malerei erfüllt hätte, wäre sie fertiggestellt worden, konnte sie vielleicht nie ausüben.
Literatur
Büttner 2008: Nils Büttner, Gemalte Gärten. Bilder aus zwei Jahrhunderten, München 2008.
Mader 2006: Günter Mader, Geschichte der Gartenkunst. Streifzüge durch vier Jahrtausende, Stuttgart 2006.
Lutz 2002: Eckart Conrad Lutz, Der Minnegarten im Zürcher Haus zur Mageren Magd – ein unspektakulärer Fall?, in: ders. (Hg.), Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter, Tübingen 2002, 365-403.
Frühe 2002: Ursula Frühe, Das Paradies ein Garten – der Garten ein Paradies. Studien zur Literatur des Mittelalters unter Berücksichtigung der bildenden Kunst und Architektur, Frankfurt am Main 2002.
Wüthrich 1980: Lucas Wüthrich, Wandgemälde, Sammlungskatalog, 1980, S. 124-130.
Kat. 1989: Kat. Ausstellung Konstanz, Konstanzer Museumsjournal, Heilige, Ritter, Fabelwesen, 1989.
Ott 1999: N. H. Ott, I. Zur Überlieferung in Fachliteratur, Dichtung und Bildender Kunst, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 10, Stuttgart 1999.
SLM 1903: Schweizerisches Landesmuseum, Jahresbericht 1902, Nr. 11, Zürich 1903.
SLM 1948: Das Schweizerische Landesmuseum 1898-1948. Kunst, Handwerk, Geschichte, Zürich 1948.
Maurer 1989: Helmut Maurer, Konstanz im Mittelalter. II. Vom Konzil bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Geschichte der Stadt Konstanz, Konstanz 1989, S: 167/168.
Quellen / Akten
Baurechtsamt KN o.e.: Baurechtsamt, Vorakten Bezirksamt, Landratsamt, Archivkopie SLM, S. 559.
Baugesuch 1892: Baugesuch, Archiv Konstanz, Archivkopie SLM, 1892.
Konstanzer Zeitung 17.5.1902: Konstanzer Zeitung, Archivkopie SLM, 17.5.1902, S. 2.
Konstanzer Zeitung 15.5.1902: Konstanzer Zeitung, Archivkopie SLM, 15.5.1902.
Registerbuch 1929: Registrationsbuch, unveröff., Archiv SLM, 1929.
Objektverzeichnis 1929: Objektverzeichnis, Aufbewahrungsorte Schweizerisches Landesmuseum, unveröff., Archiv SLM, 1929.
Restaurierungsbericht 1970: Restaurierungsbericht, unveröff., Typoskript, SLM, Juni 1970.
Untersuchung 1970: Hans Gähwiler, Untersuchung von kleinen Papierframenten, LM-Nr. 6277.2/Atelier Nr. 289b, unveröff., Brief, Zürich 22.7.1970.
Datenbank DP 1987: Liste der Kulturdenkmale. Wessenbergstrasse 6, unveröff., Datenbankauszug Denkmalpflege Konstanz, 1987.
Dendro 2013: Felix Walder, Dendrochronologischer Untersuchungsbericht Nr. 980, Amt für Städtebau Unterwasserarchäologie und Dendrochronologie, Zürich 2013.
Stellungnahme 2013: Norbert Fromm, Wandmalerei aus dem Haus „Zum hinteren Pflug“ (Münzgasse 27/Wessenbergstr. 6), unveröff., Stellungnahme zu Anfrage per Mail, 18.6.2013.
SLM 2015: Nachweisakten SLM, unveröff., digitales Datenbankblatt. (Stand: 18.3.2015)