Das Schweizerische Nationalmuseum (SNM) hat den Auftrag, die Kulturgeschichte der Schweiz von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart zu dokumentieren. Das schliesst auch die Sammlung von Kunstwerken Schweizer Provenienz ein. Im Bereich der Kunst des Mittelalters verfügt das SNM über Bestände, die diejenigen der spezialisierten Kunstmuseen weit hinter sich lassen. Diese Werke sind auf mehrere Häuser verteilt, die unter der Dachinstitution Nationalmuseum zusammengefasst sind: im Kanton Zürich sind dies das Landesmuseum am Hauptbahnhof Zürich und das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis. In Affoltern ist in weiten Depoträumen das Gros der ständig wachsenden Sammlung eingelagert. Die im Galeriesaal des Landesmuseums zu sehende Dauerausstellung mittelalterlicher Kunstwerke repräsentiert dagegen nur einen kleinen Ausschnitt aus den Beständen des SNM.
„kunstsnm“ ist aus einem Master-Seminar im Frühjahrssemester 2015 entstanden, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beide Orte mit ihren je eigenen Zugangs- und Präsentationsbedingungen kennenlernen konnten. Besonders der Blick hinter die Kulissen des Sammlungszentrums bot eine wichtige Möglichkeit, Kunstwerke von einer anderen Seite zu betrachten und zu untersuchen: nahsichtiger, taktiler, technischer und materieller. Die Idee des Projekts war es, diese Konstellation für eine selbständige wissenschaftliche Erschliessung fruchtbar zu machen: die von den Studierenden getroffene Auswahl von Kunstwerken umfasst viele Objekte, die bislang erst in Ansätzen wissenschaftlich aufgearbeitet sind.
„kunstsnm“ präsentiert elf Werke, die das bemerkenswert breite Spektrum an Objektformen, Funktionen und Techniken innerhalb der Sammlung des SNM abbilden: filigrane Elfenbeinschnitzereien für ein liturgisches Buch, golden gefasste Triptychen für den privaten Gebrauch, ein leinenes Fastentuch und ein hölzerner Palmesel für bestimmte Zeiten des Kirchenjahres, abgenommenen Wandmalereien und Wandverkleidungen für den Wandschmuck von Kirchen und Wohnhäusern sowie eine bemalte Hochzeitstruhe für den Haushalt einer Florentiner Patrizierfamilie – letztere mit ihrer südalpinen Provenienz eher ein Exotikum in den Beständen des SNM. Gerade die Vielfalt der Gattungen und Formate kann den Blick für die Alterität historischer Gebrauchszusammenhänge schärfen, die durch eine starke Kluft vom neuzeitlich-modernen Rahmen der Konservierung und Ausstellung in Museen getrennt sind. Anschaulich werden soll aber auch, dass es sich um Objekte mit Geschichte handelt, um das Resultat von Besitzerwechseln und Transporten, von Beschädigung, Ergänzung, Fragmentierung und Restaurierung, die in vielen Fällen das heutige Erscheinungsbild ebenso prägen wie der originäre Schöpfungsakt.
Mit „kunstsnm“ ist eine kleine Online-Ausstellung entstanden, die mittelalterliche Kunstwerke auf zwei verschiedenen Ebenen präsentiert: der Katalogteil bietet kurze Texte zur Einführung und Orientierung. Hier werden die Objekte beschrieben und die wichtigsten Informationen über sie zusammengefasst. Ein Glossar erläutert die verwendeten Fachbegriffe. Eine zweite Ebene vertiefter Auseinandersetzung bieten die Beiträge im Essayteil: Hier steht jedes Objekt im Mittelpunkt einer ausführlicheren Diskussion von ungeklärten Fragen und neu formulierten Thesen.
„kunstsnm“ steht beispielhaft für Veranstaltungen des Lehrstuhls für Kunstgeschichte des Mittelalters auf Master-Stufe: die gewählte Arbeitsform verbindet die Anleitung zum eigenständigen, methodisch reflektierten Forschen mit praxisnaher Tätigkeit in einem musealen Umfeld.