Es mag paradox klingen: das Projekt „Digitale Leistungsnachweise“ will sich den Herausforderungen der Digitalisierung nicht stellen. Der Begriff „Digitialisierung“, erst recht in der Ergänzung mit der entsprechenden „Herausforderung“ (wozu eigentlich?) hat in den letzten Jahren einen regelrechten Hype erfahren: eine Suche auf google.ch (19. 2. 2019, 17:09, von der IP-Range 130.60.x.x der UZH aus) ergibt für den Suchbegriff „digitale Herausforderung“ (in Anführungszeichen, also in dieser wörtlichen Kombination) 18’500 Treffer (ohne Anführungszeichen sogar 64.4 Millionen!).

Häufig geht es darum, irgendeine Neuerung zu begründen. Gelegentlich wird nachgeschoben, der Herausforderung der Digitalisierung „habe man sich zu stellen“, gerade so, als würde hier metaphorisch eine feindliche Armee aufmarschieren. Demgegenüber wird die digitale Aufrüstung als Allheilmittel propagiert – um dem Gegner quasi auf Augenhöhe zu begegnen. Mitunter hinterlassen solche Appelle allerdings auch den Eindruck, als sollten durch das Totschlagargument der „Digitalisierung“ (wer wollte sich dieser Herausforderung schon nicht stellen?) potenzielle Einwände mit Hinweis auf höhere Sachzwänge abgewertet werden. Wo man sich in seiner Festung von der Digitalisierung belagert sieht, so der Eindruck, ist ein Burgfriede nötig, Partikularinteressen haben zurückzustehen. Diese vielleicht etwas überspitzt formulierte Charakterisierung trifft dennoch den Ton manch einer Debatte.

Was also ist am Konzept „Digitalisierung“ problematisch? Als essenzialisierende Substantivierung verschleiert der Begriff die Akteure und suggeriert Kontrollverlust. Wo von der „Herausforderung der Digitalisierung“ die Rede ist, könnte glatt ein Elementarereignis im Stile einer Naturkatstrophe assoziiert werden, die über uns hereinbricht. Die Metaphorik scheint zu suggerieren, dass unsere Handlungsfähigkeit sich darauf beschränkt, auf die eben wie ein Hagelsturm über uns herziehende „Digitalisierung“ irgendwie zu reagieren. Dieses mal implizite, mal explizite Verständnis skizziert ein Bild, in dem wir uns wie Getriebene verhalten, die mit dem Ereignis so viel zu tun haben wie Betroffene mit einem Erdbeben: allein als Geschädigte, die sich nach Möglichkeit schon frühzeitig mit dem Unvermeidlichen auseinandersetzen sollten, um im Falle des Eintretens gewappnet zu sein.

Doch ist „Digitalisierung“ im Gegensatz dazu nicht etwas, das einfach „passiert“: Sie wird vielmehr gemacht. Daher halte ich es für überaus wichtig, uns dies zu vergegenwärtigen und uns von einem Verständnis von Digitalisierung in Analogie zu einer akteurslosen Naturkatastrophe zu emanzipieren. Wir müssen vielmehr unsere agency zurückgewinnen und sie behaupten. Wenn Digitalisierung etwas ist, das „gemacht“ wird, so sollten wir es sein, die sie steuert und das Feld nicht anderen überlassen. Wenn denn digitale Technologien – und ich rede lieber davon als von „Digitalisierung“ – tatsächlich dabei sind, wesentliche Bereiche unseres Lebens von Grund auf zu verändern, dann sollten wir selber es sein, die darüber entscheiden, wann, wie und warum wir diese digitalen Technologien anwenden wollen. Wir sollten also Entscheidungskompetenzen haben, souverän über digitale Anwendungen verfügen zu können – oder auch ganz bewusst darauf zu verzichten.

Fortsetzung: Digitalisierung: Legitimation durch Verschleierung?

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