UZH Hermeneutik

Aufgaben Lektion 8

Lösung 4

Sokrates: Vor dem grossen Haufen würdest du dich hingegen nicht schämen, wenn du glaubtest, etwas Tadelnswertes gemacht zu haben?

Agathon: Aber nicht doch, du irrst, oh Sokrates! So ist es doch ganz zu Gunsten des Verständigen, vermag er wohl die Spreu vom Weizen zu trennen, nicht aber dem einen oder gar beiden ihren Wert abzuleugnen.

Sokrates: Tadellose Worte, die du äusserst! Habe ich recht verstanden, so ist es der Kundige, der dir mit möglicher Kritik, furchtbringend in deinem Kopfe hausend, gar das Schaudern lehrt?

Agathon: So steht es um den Weizen, rede weiter.

Sokrates: Demungeachtet bist du nun auch dem Tadel des Neugierigen, du sprachst vom unkundigen Gaffer, immerhin ein leichtes, nicht aber gleich intensives Unwohlsein wie Ersterem, schuldig?

Agathon: Auch die Spreu, vorzüglich getroffen. Und sei meiner Wortwahl gnädig, du als vortrefflichster Rhetoriker.

Sokrates: Nun hör auf, du schmeichelst mir. Selbst der Vortrefflichste vergriff sich schliesslich kläglich, welch Ironie des Schicksals! So habe ich von möglichem Tadel der Kundigen zu sprechen gewagt, wie töricht. Diese Worte dürfen die Lippen eines deiner Kunst bekannten nicht verlassen und ich habe sie bisweilen doch recht reichlich geniessen dürfen. Verzeih mir dies Malheur und finde nun das richtige Wort auf die offensichtlichste Frage, die sich wie ein Käfig im Raume breit gemacht hat.

Agathon: Angenommen. Die da wäre?

Sokrates: Ich kann es nicht fassen! Sind mir doch die Hände gebunden, der Magen verstimmt, die Unverschämtheit klar vor Augen, so bist du nur und starrst in die Leere, den Käfig nicht beachtend.

Agathon: Was ist das Unverschämte, so erlöse uns doch.

Sokrates: Nur die Hilfe eines Freundes, mein Liebster, vermag es den Gefangenen aus seiner misslichen Lage zu befreien.

Agathon: Nenn mich Freund und bald auch Helfer, doch reiche mir zunächst die Hand.

Sokrates: So sei es, Freund, doch Helfer mag ich dich nun doch nicht nennen. Wer war ich noch vor jetzt, ein Meister der Eloquenz, wahrlich nicht fehlerlos und doch seines Namens würdig?

Agathon: Sinngemäss.

Sokrates: Hast du nicht dir und mir und allen immer Gutes über mich berichtet, ungeachtet meiner Redekunst, erneut hab Dank, sofern ich mich entsinnen kann?

Agathon: Gern, freilich.

Sokrates: Verneine doch, der den ich Freund nenne, so wären meine Hände frei!

Agathon: Du kennst mich, ich lüge nicht und gewiss nicht vor dir!

Sokrates: Tugendhaftigkeit, wie sie sich ein jeder lobt. Nun kannst du bestimmt guten Gewissens bejahen, dass du mich für keinen Kundigen hältst? Wenn nicht, so bist wohl du der Blinde in eben diesem Käfig, seiner Gefangenschaft selbst nicht im Klaren.

Agathon: Ich muss wohl verneinen, zu sehr schätzte ich doch immer deine Worte.

Sokrates: So sei es leider, mit Dank. Mögest du mit deiner Blindheit leben und nie den Käfig verlassen können.

Agathon: So warte doch, wer will das schon!

Sokrates: Naheliegend, doch ein blindes Vöglein findet doch kein Korn. Wie könnte es auch!

Agathon: Ich verstehe deine Ironie und honoriere dich, oh Sokrates! Ich bin wohl blind, doch kann ich tasten. Ich spüre ihn, den Unverschämten und kenne ihn aus deinen Worten. Sei du der Freund, der mich befreit, darum bitte ich. Reisse diesen Käfig nieder, als Dank bezahlt sich auch dein Trunk von selbst.

Sokrates: Vor kurzem noch so tugendhaft, schon besticht er mich mit Trunk für lau. Du bist in Not, so will ich dir verzeihen, doch dein Gebot ist mir einerlei. Nicht dermassen bist nun du, Freund, so will ich dir denn helfen. Besinne dich auf deine Worte, nein gar deine Taten. Erschienst nicht du neulich, ohne vor Betretenheit zu schweigen, auf der Bühne? Neulich, den Neugierigen, die wir beide nicht mehr Gaffer nennen wollen, ausgesetzt?

Agathon: Freilich.

Sokrates: Waren nicht ich und auch die anderen, so nach deinem Wortlaut zumindest ein Kundiger, mit von der Partie und haben kritischst jedwede Regung gemustert?

Agathon: Wart ihr und ihr alle wart und seid wahrlich Kundige.

Sokrates: Erneut, hab Dank. Erkennst du ihn denn nun, ihn, den Weg zur Freiheit?

Agathon: Ich ahne gutes.

Sokrates: Ein Geselle fürchte sich vor einer Gegebenheit, derselbigen mit gar weiteren Zusätzen jedoch fühle er sich bestimmt gewachsen und sei voller Mut und Tatendrang. Denkbar ist dies Kerlchen, keine Frage, aber ist sein Tun auch nachvollziehbar?

Agathon: Gewiss nicht und ich kenne den Gesellen.

Sokrates: Nicht mehr blind, fast schon frei und die Einsicht des Gefangenen selbst ist es, die den Käfig niederreisst. Wer ist er denn nun, dieser ängstliche Geselle?

Agathon: Ich, Agathon, ich bin der Geselle!

Sokrates: Wie wahr doch deine Worte sind! Und ist es nicht so, dass er wohl arm, sich seiner Unwissenheit nicht bewusst, seine Armut aber doch gar und gar unbegründet ist?

Agathon: Wie wahr doch auch die Deinen sind.

Sokrates: So sage mir, Geselle, nein lass mich Freund sagen, fürchtest du dich vor mir, ihnen (Sokrates zeigt um sich), oder uns als Schar heut mehr als neulich?

Agathon: Natürlich nicht, Sokrates.

Sokrates: So freue ich mich auf deine Lobrede, doch nicht mehr heute. Die Zeit ist vorangeschritten, Trunk und Speis vergangen und die Betten rufen.  

Agathon: Ich verstehe, hab Dank. Verzeiht mir meinen unnützen Eigensinn, Freund und Freunde.

Sokrates: Nicht doch! Eine solch unsinnige Entschuldigung verlangt vergeblich nach Annahme. Wir waren keineswegs untätig und so lohnte sich der Tag und die Nacht darf getrost eintreten. Morgen aber, Agathon, werden wir uns wieder sehen.

© 2025 UZH Hermeneutik

Thema von Anders Norén