UZH Hermeneutik

Aufgaben Lektion 8

Lösung 3

Agathon: O, törichter Phaidros, der du dich lüstern an des Sokrates Lippen schmiegen und in seinen Worten baden willst, als ob sie nur deiner Begierde gebührten, höre: Kein Vorwurf soll dir auf den Leib gebunden sein, wenn du gleich die Klappe hältst!

Sokrates: Haltet ein, ihr beiden. Gerne sehe ich, dass ich euch erfreue. Dennoch muss ich deinem Belangen, lieber Phaidros, noch ein wenig Aufschub gebieten. Gerade nämlich assistierte ich Agahton bei einer schwierigen Geburt; so kann ich doch nicht die Wehen aufhalten das halbgeborene Kind ersticken lassen. So sag mir also, Agathon, würdest du dich in Erinnerung schämen, jetzt wo du weißt, dass wir deinem Auftritt beiwohnten?

Phaidros: Gut so, Sokrates, zeig es ihm! (fasst diesem an das Gesäß)

Agathon: (ohrfeigend) Schweig, Phaidros! Nun Sokrates, zu deiner Frage: tatsächlich kann ich es mir vorstellen, dass ich mich schämte. Schließlich hast du meinen ungehaltenen Auftritt mitnagesehen.

Sokrates: Also gehst du davon aus, dass ich ein Einsichtiger und Verständiger sei. Woher nimmst du diese Gewissheit, wo du dir doch nicht mal sicher sein konntest, dass keine solchen deinem Schauspiel beiwohnten? Dass ich von mir her irgendein Verständnis hätte, sollst du nicht denken. Nun, da du also nicht wissen konntest, ob das Publikum sich nicht aus bloßen Gaffern und solchen, die ihre Worte biegen und drechseln, sodass sie jeglichem beliebigen Irrglauben an den Busen passen,[1] zusammensetzte, wie gelang es dir, nicht von Furcht ob deines Auftretens geschüttelt, ungehalten ihnen entgegenzutreten?

Agathon: Da muss ich wohl einfach gewusst haben. An keiner Sache konnte ich dies festmachen.

Sokrates: Vielleicht wusstes du es aber, weil deine Augen keinen verständigen Mann erblickt und deine Ohren kein kluges Wort vernommen haben.

Agathon: Doch dafür hätte ich das Angesicht jedes Anwesenden sehen und auf sittliche Wohlgeformtheit überprüfen, jedes Wort das er gesprochen hat mit dem deinen Vergleichen müssen. Doch habe ich dies nicht getan.

Sokrates: Lieber Agathon, ich will dich nicht entmutigen und nicht bedrängen; im Gegenteil: Was dir die Gewissheit gab, waren weder Augen, die sahen, noch Ohren, die hörten. Fühltest du dich nicht eben dann sehr sicher, als ob du es wüsstest, obwohl de Unwissenheit über anwesende Verständige zumindest gleichermaßen dich in Zittern versetzt hätte wie die Gewissheit über dieselben?

(Intrat Agathons Ehefrau Sultitiana)

Phaidros: *gestauchtes Grölen, von Hicks-Lauten interrompiert*

Sultitiana: Agathon! Was treibst du wieder für einen Unsinn! Ihr besoffenen Mannsgrinde gehört Heim, ein jeder zu seiner Hestia, die schmachtend wartet und den Herd warmhält! (greift ihn am Gewand)

Agathon: Troll dich, Altweiberbeutel. Hättest du mir mehr zu bieten, müsste ich nicht deine Küche flüchten. (Sultitiana läuft rot an und hebt die Faust zum Widerstreit)

Sokrates: Lasst Ruhe einkehren. Sultitiana, gerade erörtere ich mit deinem Gatten, die Frage, ob sein Wissen von Aug und Ohr allein abhänge. Sag mir, siehst du die Trinkschale dort drüben?

Sultitiana: Gewiss. Aber worauf willst du hinaus?

Sokrates: Nun, du hast mir zugestimmt, dass du sie siehst und dass du ebenso erkannt hast, dass es sich um eine Trinkschale handelt. Wie kommt es dazu?

Sultitiana: Ich sehe doch, dass es eine Trinkschale ist!

Sokrates: Ich muss dich wohl genauer befragen: Weshalb weisst du, dass es eine Trinkschale ist?

Sultitiana: Weil Selbiges dort drüben aussieht wie eine. Was soll die ziellose Fragerei? Ein solch einfältiges Geschwätz kann ich nicht ausstehen.

Sokrates: Betrachte nun jenes Geschirr dort hinten. Ist es eine Trinkschale.

Sultitiana: (gelangweilt) Natürlich.

Sokrates: Du hast dich nicht einmal danach umgewandt und du wusstest trotzdem, dass es eine solche ist! Also, höre jetzt auch du, Agathon: Nicht die Augen oder Ohren, sind es, die uns sagen, was wir wissen wollen; es ist die Seele, deren schlafende Erinnerungen zu neuem Leben erwacht sind und deinen Verstand erfüllen, sobald sie gekitzelt werden. So sahen nicht eure Augen, Sultitiana und Agathon, sondern eure allwissenden Seelen, deren einer Teil gerade in die Sphäre eures Fühlens getreten ward.

Agathon: Sokrates, du hast meine gepeinigte Seele vom fetzenschlagenden Leder entrückt! Dank sei dir! Mein Herz und meine Achtung gehören ganz dir! (umarmt ihn)

Sultitiana: Jetzt lass dies geschwollene Getue und werde zu Hause nüchtern. (wirft sich auf Agathon und zieht an seinen Haaren)

Phaidros: (türmt sich hinter Sultitiana auf) Sokrates! Willst du sehen, wie es um mein Wissen über Eros steht? Soll ich dir zeigen, welchen Liebesdienst ich dir erweisen kann? (packt sich Sultitiana drückt sie zu Boden)

Sokrates: Da sich gerade alle herzlich zu vergnügen schienen, möchte ich euch das Spiel nicht verderben. Ich alter Mann sollte mich schonen. (Exit Sokrates)

(Agathon betrachtet das keifende Gerangel auf dem Boden eine Weile lang schweigend)

Agathon: Recht geschieht es dir, Megäre von einem Weibsbild, das du bist.

(Exit Agathon)


[1] Namentlich: Sophisten

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