Entscheidend erscheint dem Verfasser als bestimmende, aus dem unbewußten Sein wirkende Macht die Marx von seinen Ahnen überkommene Botschaft des Judentums und das tiefe Entfremdungserlebnis, das daraus resultierte, daß mit der forcierten Konversion des Vaters zum Christentum ein radikaler Bruch mit einer jahrhundertealten Familien-, Volks- und Religionstradition erfolgte. Dieses Entfremdungserlebnis wurde dadurch noch potenziert, daß Marx einerseits keine neue ‚Traditions-Heimat‘ finden konnte, andererseits durch den Antisemitismus der Zeit dazu verführt wurde, einen destruktiven jüdischen Selbsthaß zu entwickeln. Er hat das ihm tradierte Judentum mit dessen Botschaft vom Reich radikal aus seinem Bewußtsein verdrängt. Aber gerade dadurch wurde es in seinem Unbewußt-Sein eine Macht, die sein Denken entscheidend mitbestimmte. So entspricht etwa der historische Auftrag, den Marx dem Proletariat erteilt, auf das erstaunlichste dem Auftrag, den Jahve dem Volk Israel erteilte.
Künzli, Arnold. 1966. Karl Marx. Eine Psychographie. Vienna; Frankfurt; Zurich: Europa- Verlag.