Von Vanessa Pfeffer
Die Initiator_innen des Projekts PlanBude Hamburg beschäftigen sich seit 2014 mit dem Neubau der Esso-Häuser im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Die PlanBude Hamburg wurde in der unabhängigen Stadtteilversammlung „St. Pauli selber machen“ gegründet, als Resultat der Proteste gegen den Abriss der legendären Esso-Häuser. Hinter der PlanBude steht ein Team aus sieben Personen, drei davon sind die Gründer_innen des Projekts Park Fiction, welches bereits erfolgreich in St. Pauli realisiert wurde. Die PlanBude arbeitet im Auftrag des bezirklichen Baudezernats, hat sich jedoch ihre Unabhängigkeit vertraglich gesichert. In diesem Projekt werden verschiedene Bereiche der Kultur vereint, unter anderem die Bereiche Kunst, Architektur, Urbanistik, Soziale Stadtteilarbeit, Musik und Kulturwissenschaft. Nicht nur das PlanBude Team leitet das Unterfangen, denn ein Projektrat, der aus Vertreter_innen von Initiativen, Parteien, dem Bezirk und des Eigentümers übernimmt gewisse Betreuungsaufgaben. [1]
In diesem Essay widme ich mich der Frage, ob die PlanBude einen Ausweg aus der Gentrifizierung aufzeigen kann oder sie vielleicht sogar unterstützt.
Esso-Häuser
Die Esso-Häuser waren ein Gebäudekomplex, der zwischen Taubenstrasse, Kastanienallee und Spielbudenplatz stand. Es handelt sich um einen Plattenbau aus den Sechzigerjahren, der im Jahr 2009 von der Bayerischen Hausbau aufgekauft wurde. Der Gebäudekomplex beinhaltete 110 Wohnungen und einen Gewerberiegel mit einem Hotel, Geschäften und einem Club. Namensgeber der Esso-Häuser war eine geschlossene Esso-Tankstelle auf dem Areal. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde der Gebäudekomplex wegen wackelnder und rissiger Wände im Dezember 2013 geräumt, obwohl dies erst im Sommer 2014 geschehen sollte. Die Bewohner_innen mussten vorübergehend in Hotels oder bei Freund_innen und Familie unterkommen. Die Räumung der Esso-Häuser löste eine Reihe von Protesten aus, bei denen mehrere tausend Menschen zusammen protestierten. [2]
PlanBude Hamburg
Im Zentrum des Projektes PlanBude Hamburg steht ein partizipativer Planungsprozess. Um die Meinungen, Ideen und Wünsche der Anwohner_innen St. Paulis zu sammeln, wurde im Herzen St. Paulis, am Spielbudenplatz, ein Containerensemble aufgestellt, welches sieben Tage die Woche geöffnet war. In diesem temporären Raum konnte man mit verschiedenen Werkzeugen wie zum Beispiel Lego, Knetmasse oder Zeichenmaterial eigene Ideen entwickeln. Interessierte konnten sich vor Ort auch zum Projekt informieren und inspirieren lassen. Um eine möglichst grosse Beteiligung zu erreichen, wurden Fragebögen in fünf verschiedenen Sprachen im Container ausgelegt und an Haushalte in St. Pauli und Umgebung verteilt. Bis zu einer Versammlung der PlanBude Hamburg wurden 2300 Wünsche, Ideen und Entwürfe gesammelt. Sie wurden letztlich zum St. Pauli Code zusammengefasst, der die Bedürfnisse der Anwohner_innen greifbar macht.[3] Zentrale Charakteristika dieses Codes sind Unterschiedlichkeit und Toleranz, die auf den verschiedenen Lebensweisen und Kulturen in St. Pauli basieren. Der Neubau sollte Lebendigkeit ausdrücken, Platz für Subkultur haben und nicht teuer sein. Es sollte einen Ort für Begegnung geben, jedoch ohne Konsumzwang. Dies sind nur einige Punkte aus dem St. Pauli Code.[4]
Der St. Pauli Code wurde von den Planungsbehörden und dem Eigentümer akzeptiert und zur Grundlage des Architekturwettbewerbs für den Neubau gemacht. Auf Basis des Codes wurde dann ein Eckpunkte-Papier verhandelt, welches folgende Aspekte beinhaltet:
- Keine Eigentumswohnungen
- 40% der Mietwohnungen sollen frei finanziert werden
- 60% der Mietwohnungen sollen staatlich gefördert werden
- 2500 qm Subkultur und Innovationscluster für den Molotow Club, Kogge Hotel, Fablab, Stadteilkantine und weitere
- Interessante Dachnutzungen, zum Teil für die Öffentlichkeit zugänglich
Der Planungsprozess startete im Oktober 2014[5] und endet voraussichtlich im Jahr 2020 oder 2021. Auf dem Areal sollen neu etwa 200 Wohnungen, ein Hotel, Geschäfte und ein Subkultur-Cluster gebaut werden. Der Molotow Club und das Kogge Hotel, welche früher Teil des Esso-Ensembles waren, sollen ebenfalls auf dem Areal einen neuen Platz finden. Seit Mai 2017 trägt dieses den Namen „Paloma-Viertel“, der ebenfalls unter Miteinbezug der Anwohner_innen beschlossen wurde. Um einen geeigneten Namen zu finden, wurden 13‘000 Postkarten verteilt, auf welchen Vorschläge aufgeschrieben werden konnten. Eine Jury wählte anschliessend den jetzigen Namen aus.[6]
Gentrifizierung in St. Pauli
In der stadtplanerischen Debatte um die Esso-Häuser und St. Paulis Zukunft werden unterschiedliche Interessen sichtbar, die zwischen dem, was St. Pauli auszeichnet und dem, was Befürworter_innen der Gentrifizierung anvisieren, auseinanderklaffen. Der Begriff der Gentrifizierung steht, kurz gesagt, für Veränderungsprozesse und eine damit verbundene Aufwertung. Alte Gebäude werden abgerissen, um neue teure Wohnungen oder Gewerbekomplexe zu schaffen. Es werden Bewohner_innen verdrängt, um neue Einnahmequellen zu schaffen. In Deutschland und der Welt ist die Gentrifizierung zu einem wachsenden Problem geworden – so auch in St. Pauli, Hamburg, obwohl es noch immer zu den ärmsten Stadtteilen Hamburgs gehört.[7] Trotzdem steigen die Immobilienpreise für Eigentumswohnungen stetig an.
Für Hamburg ist St. Pauli allerdings wirtschaftlich wichtig.[8] Die international bekannte Reeperbahn zieht täglich Touristen aus der ganzen Welt in das Viertel. Laut einer Statistik sind die Übernachtungen in Hotels in Hamburg im Zeitraum von 2006 bis 2016 um 85.7% gestiegen. Hamburg liegt mit dieser Entwicklung auf dem zweiten Platz nach Berlin. Insgesamt gab es im Jahr 2016 in Hamburg 13.3 Millionen Hotelübernachtungen.[9] Die meisten Tourist_innen kommen aus den Nachbarländern, weitere aus Asien und Amerika.[10] Der Tourismus bringt natürlich Geld in die Kasse der Stadt und des Stadtstaats, schadet dieser allerdings zugleich. Viele Tourist_innen besuchen St. Pauli, um das berühmte Rotlichtviertel zu bestaunen und die Vielfältigkeit zu erleben. Dieser Massentourismus hat dazu beigetragen, dass alte Geschäfte, die den typischen St. Pauli Charakter hatten, neuen weichen mussten.[11] Ein Beispiel für eine solche Verdrängung wäre der Verlust von Bars und Clubs in der Umgebung, da Tourist_innenen alkoholische Getränke vermehrt in den umliegenden Kiosken kaufen, die diese billiger anbieten und oft lange geöffnet haben. Da sich Clubs und Bars an gewisse Auflagen halten müssen, welche für Kioskbesitzer_innen nicht gelten, betrachten die Besitzer_innen den Wettbewerb als unfair und müssen eine Schliessung befürchten.
Für einige Menschen, die schon seit längerer Zeit in St. Pauli wohnen, widerspricht dieser Tourismus sicherlich der Kultur St. Paulis. Es werden Lokale und Geschäfte verdrängt, welche seit langem zu St. Pauli dazugehören. Diese Verdrängung findet zu Gunsten des wirtschaftlichen Gewinnes statt.[12] Für den Tourismus entstehen neue Lokale, neue Geschäfte, neue Hotels, dafür müssen jedoch Anwohner_innen weichen. Auch öffentliche Plätze sind vor der Aufwertung nicht sicher. Der Hans-Albers-Platz beispielsweise, der ganz in der Nähe der Reeperbahn liegt, umgeben von Wohngebäuden und vielen Restaurants, soll auch für Tourist_innenen attraktiver gemacht werden. Es werden auf Touristen ausgerichtete Veranstaltungen angeboten, die jedoch wochentags Anwohner_innen stören könnten. Hinzu kommt, dass die Anwohner_innen zu wenig über die Veranstaltungen informiert werden.[13]
PlanBude und Gentrifizierung
Zeigt die PlanBude nun einen Ausweg aus der Gentrifizierung, oder trägt sie zu dieser sogar bei? Meines Erachtens nach gibt es keine einfache, klare Antwort auf diese Frage. Der Abriss und die Neubauplanung der ehemaligen Esso-Häuser sprechen für eine folgende Gentrifizierung. In Interviews mit Anwohner_innen wird klar, dass der Abriss der ehemaligen Esso-Häuser nicht in ihrem Sinn war. Natürlich waren die Mängel des Gebäudekomplexes bekannt, jedoch wurde die Esso-Tankstelle und damit das Wohngebäude zu einem Kultobjekt. Für die Anwohner_innen war klar, sie wollten keinen Abriss, sondern den Erhalt. Der alte Gebäudekomplex hat eine einzigartige Atmosphäre erzeugt und viele hatten Angst, dass ein Neubau diese nicht erhalten könnte.[14]
Durch die Initiative der PlanBude wurde den Mieter_innen versichert, dass, falls sie im Neubau wohnen möchten, ihnen dies auch möglich gemacht wird. Ebenso sollten die alten Geschäfte im Neubau einen Platz erhalten. Auch wenn der Neubau direkt für eine Aufwertung steht, sorgte das Projekt dafür, dass die ehemaligen Mieter_innen nicht nur benachteiligt wurden, sondern ihre Bedürfnisse Teil der Planung waren. Nun bleibt noch die Frage, wie viele ehemalige Mieter_innen fast acht Jahre nach der Räumung überhaupt in den Neubau ziehen werden?
[1] Vgl. URL PlanBude: Intro, http://planbude.de/planbude-intro/ [Stand: 8.9.2018].
[2] Vgl. URL Matthies 2017: Maximilian Matthies, Areal um Esso-Häuser heisst jetzt ‘Paloma Viertel’, https://www.shz.de/regionales/hamburg/areal-um-esso-haeuser-heisst-jetzt-paloma-viertel-id16935336.html [Stand: 18.6.2018].
[3] Vgl. URL PlanBude: Intro, http://planbude.de/planbude-intro/ [Stand: 8.9.2018].
[4] Vgl. URL PlanBude 2015: St. Pauli Code, http://planbude.de/st-pauli-code/ [Stand: 18.6.2018].
[5]Vgl. URL PlanBude: Intro, http://planbude.de/planbude-intro/ [Stand: 8.9.2018].
[6] Vgl. URL Matthies 2017: Maximilian Matthies, Areal um Esso-Häuser heisst jetzt ‘Paloma Viertel’, https://www.shz.de/regionales/hamburg/areal-um-esso-haeuser-heisst-jetzt-paloma-viertel-id16935336.html [Stand: 18.6.2018].
[7] Vgl. URL Deutsches Institut für Urbanistik 2011: Difu-Berichte 4/2011 – Was ist eigentlich Gentrifizierung?, https://difu.de/7899 [Stand: 18.6.2018].
[8] Vgl. URL Fischer und Jörg 2009: Linda Fischer und Steffen Jörg, Exklusiv wohnen und arbeiten auf’m Kiez, http://www.empire-stpauli.de/exklusiv.php [Stand: 18.6.2018].
[9] Vgl. URL Hamburg Tourismus: Magic Cities, https://www.hamburg-tourism.de/business-medien/marktforschung/tourismusstatistiken/magic-cities/ [Stand: 18.6.2018].
[10] Vgl. ebd.
[11] Vgl. URL Eusterhus 2017: Eva Eusterhus, ‘Sie finden es geil und verrucht, hier zu wohnen’, https://www.welt.de/regionales/hamburg/article166099260/Sie-finden-es-geil-und-verrucht-hier-zu-wohnen.html [Stand: 18.6.2018].
[12] Vgl. URL Springer 2018: Axel Springer, St. Pauli wehrt sich gegen ‘Volltanken’ am Billig-Kiosk, https://www.welt.de/vermischtes/article173928371/Wuetende-Gastronomen-St-Pauli-wehrt-sich-gegen-Volltanken-am-Billig-Kiosk.html [Stand: 18.6.2018].
[13] Vgl. URL Eusterhus 2017: Eva Eusterhus, ‘Sie finden es geil und verrucht, hier zu wohnen’, https://www.welt.de/regionales/hamburg/article166099260/Sie-finden-es-geil-und-verrucht-hier-zu-wohnen.html [Stand: 18.6.2018].
[14] Vgl. URL Twickel 2011: Christoph Twickel, Kampf ums Hamburger Kiez-Biotop, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gentrifizierung-auf-st-pauli-kampf-ums-hamburger-kiez-biotop-a-768699.html [Stand: 18.6.2018].
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 (Beitragsbild): Doris Antony, Esso-Häuser am Spielbudenplatz in Hamburg-St. Pauli, Deutschland, 1. November 2013, Fotografie: öffentlich. Aus: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburg_Esso_buildings.jpg. (abgerufen am 08. September 2018).
Abb. 2: Frank Nocke, Spielbudenplatz Hamburg St. Pauli, 14. Mai 2011, Fotografie: öffentlich. Aus: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Spielbudenplatz_Hamburg_St._Pauli.jpg. (abgerufen am 08. September 2018).