Die Vereinigung von Kunst und Stadtplanung für einen öffentlichen Park in Hamburg
Von Sophie Stirnemann
Die Entstehung des Projekts
Im Hamburger Stadtteil St. Pauli läuft seit inzwischen fast 25 Jahren ein Gemeinschaftsprojekt für einen öffentlichen Park. Der Gezi-Park Hamburg entstand aus einer Nachbarschaftsgruppierung heraus, die sich gegen eine geplante Wohn- und Bürobebauung am Elbufer wehrte. Dieser sogenannte Hafenrandverein – bestehend aus einer Gruppe von Bewohner*innen, Aktivist*innen, Künstler*innen, Sozialarbeiter*innen, Lehrpersonen und Priestern [1] – entwickelte zusammen mit dem Künstler Christoph Schäfer und der Künstlerin Cathy Skene den ursprünglichen Vorschlag für Park Fiction.[2] So entstand dieses künstlerische und gesellschaftspolitische Projekt. Dazu gehörte in einem ersten Schritt, dass die Mitglieder des Park Fiction Kollektivs die Bewohner*innen der Hafenstrasse besuchten und öffentliche Anlässe organisierten. Um die Anwohner*innen zu informieren, mit ihnen zu diskutieren und Ideen für den Park zu entwickeln, gaben sie öffentliche Vorträge, zeigten Filme und organisierten Konzerte und Ausstellungen.[3] Doch der zentrale Ort des Planungsprozesses war ein Container, der auf dem Areal des zukünftigen Parks aufgestellt wurde. Er war mit zahlreichen Tools ausgestattet, mit denen die Anwohner*innen ihre Ideen für den Park auf kreative Weise ausdrücken konnten. Dazu gehörten Kameras, Tonaufnahmegeräte, Karten, Knete, eine Telefonhotline und ein Wunscharchiv, in dem alle bisherigen Vorschläge für den Park aufbewahrt wurden.[4]
Die Idee hinter dieser Art von Vorgehen war die „kollektive Wunschproduktion“, eine Idee, die Park Fiction erstmals auf die Stadtplanung übertrug und anwendete.[5] Mit dem Begriff beziehen sie sich auf die Wunschmaschine des Philosophen Gilles Deleuze und des Psychologen Félix Guattari. Sie sahen das Unbewusste als den Maschinenraum des Imaginären an, in dem die Wünsche produziert werden.[6] Dabei soll der „Planungsprozess als Spiel“[7] verlaufen. Es ist ein Spiel der Vorstellung, was sich schon im Namen des Projekts widerspiegelt: „fiction“ – die Vorstellung, die Erdichtung eines Werks. Das Projekt bot zunächst eine Plattform des Austauschs und die dazu benötigten Werkzeuge.
„Park Fiction hat das Ziel, eine für die Kunst wie für die Stadtplanung neue, intensive Form der Beteiligung in Gang zu bringen. Park Fiction will mobilisieren, Wünsche sammeln, koordinieren, vermitteln, teilweise realisieren und dokumentieren. Die AnwohnerInnen-Planung soll sich auf alle Bestandteile des Parks erstrecken. Aus ParkkonsumentInnen werden ParkproduzentInnen. Nicht der Künstler und seine Vorstellungen stehen im Mittelpunkt, sondern die kollektive Wunschproduktion im Stadtteil.“[8]
–Park Fiction Post, 1998.
Der gemeinsam gestaltete öffentliche Raum und die entstandenen Aktionen werden gewissermaßen zu einem Kunstwerk. Dies ist nur durch die Zusammenarbeit zwischen den Künstler*innen und Anwohner*innen und einen kreativen Entwicklungsprozess, der auf gestalterische Mittel wie Präsentationen, Filmvorführungen und Konzerten zurückgreift, möglich.
Veränderung über die Jahre
Als das Projekt zuerst begann, entstand es aus einer Protesthaltung heraus. Die Ideale aller, die sich daran beteiligten, waren deutlich ersichtlich. Es war ein Aufbäumen gegen die Gentrifizierung mit Hilfe der „Aneignung der Stadt durch ihre BewohnerInnen.“[9] Für den Erfolg des Projekts war es nötig, sich zwischen zwei Taktiken hin- und herzubewegen. Auf der einen Seite gab es die vielen verschiedenen Wünsche und Vorschläge, die sie gemeinsam erarbeitet hatten und auf der anderen Seite die Behörden der Stadt, mit denen sie auf eine taktische Weise verhandelten.[10] Durch die Vielseitigkeit des Ideensammlungsprozesses konnten sie dem Planungskomitee der Stadt einen spezifischen Übersicht der Wünsche der Hafenstrasse-Gesellschaft als Gegenvorschlag zur Nutzung des Areals präsentieren.[11] Die Entstehungsphase erstreckte sich über zehn Jahre,[12] doch mit der Eröffnung des Parks 2005 hörte das Kollektiv nicht auf. Es ist ein sich kontinuierlich weiterentwickelndes Projekt. Doch wieviel ist von diesem kollektiven Gedankengut noch übriggeblieben?
Auf der Homepage von Park Fiction finden sich einige Aktionen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben (wie zum Beispiel eine temporär eingerichtete Handy-Fabrik, Pflanzaktionen und Demonstrationen), jedoch entsteht der Eindruck, dass die Aktivität stark zurückgegangen ist. Nichtsdestotrotz steht der Park weiterhin für die Werte, die ihn damals Realität haben werden lassen. Statt nur gegen die Pläne der Stadt zu demonstrieren, startete Park Fiction einen Planungsprozess, der den Austausch von Leuten mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen ermöglichte.[13] Ein neueres Beispiel dafür ist eine Aktion im Jahr 2013, bei dem das Kollektiv den (ursprünglich Antonipark genannten[14]) Park in Gezi Park Hamburg umtaufte, als Zeichen der Solidarität mit den Protestierenden in Istanbul, die gegen die Überbauung des dortigen Gezi-Parks durch eine Shopping Mall demonstrierten.[15]
So hat sich der Park inzwischen auch immer mehr zu einer politischen Plattform entwickelt und emanzipatorische Aktionen sind willkommen, aber nur in einem respektvollen Rahmen. Offizielle Parteiauftritte und kommerzielle Events sind jedoch von Seiten der AG Park Fiction unerwünscht.[16] Auch Jahre nach seiner Eröffnung fördert der Park immer noch das Nachbarschaftsleben und den Wert von Zusammenkunft und gemeinsamer Arbeit. Mehrmals gab es Pflanzaktionen, bei denen von Anwohner*innen im Park Staudengärten und eine Weide angepflanzt wurden.[17] [18] Park Fiction hat der urbanen Gesellschaft einen Raum als Ort der Entwicklung und Umsetzung von ihren Bedürfnissen nach schöpferischer und spielerischer Tätigkeit zur Verfügung gestellt. Sei das nun die Idee für eine Wiese, die wie ein fliegender Teppich aussieht oder eine Demonstration gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik.
Jedoch sind immer noch viele Wünsche und Projekte nicht fertiggestellt oder wurden gar nicht erst angefangen. Es zeigt sich immer wieder, dass die behördlichen Prozesse, Sicherheitsbedenken und fehlendes Geld die Umsetzung der Ideen der Wunschproduktion stark einschränken.[19] Es ist ein langlebiges Projekt und so hat sich Park Fiction mehr und mehr von einem Projekt der Kunst im öffentlichen Raum zu einem Ort gewandelt, an dem über politische und soziale Themen diskutiert und auch aktiv gehandelt wird.
Ursprünglich ein neues Modell der Stadtplanung ist der Park zu einer politischen Plattform geworden. Aber der Gedanke dahinter bleibt. Das Herz des Projekts sind immer noch die Anwohner*innen und das Ideal von Gemeinschaft und Inklusivität ist der rote Faden durch alle Projekte und Aktionen hindurch, so verschieden sie auch sein mögen – genau wie die Menschen dahinter es eben auch sind.
[1] Vgl. URL Park Fiction 1995: Park Fiction: Aufruhr auf Ebene p, http://park-fiction.net/park-fiction-aufruhr-auf-ebene-p/ [Stand: 14.8.2018].
[2] Vgl. Kester, Grant H.: The one and the many. Contemporary collaborative art in a global context, Durham 2011, S. 202.
[3] Vgl. URL Park Fiction 2013: Willkommen bei Gezi Park Fiction, http://park-fiction.net/gezi-park-fiction-hamburg/ [Stand: 14.8.2018].
[4] Vgl. URL Wieczorek 2005: Wanda Wieczorek, Park Fiction. Analyse eines selbstorganisierten Planungsprozesses zwischen Kunst, Gemeinwesenarbeit und Urbanismuskritik in Hamburg – St. Pauli, http://www.wandawieczorek.de/files/WandaWieczorek-ParkFiction.pdf [Stand: 14.8.2018].
[5] Vgl. URL Park Fiction 2016: Kollektive Wunschproduktion und das Recht auf Stadt, http://park-fiction.net/kollektive-wunschproduktion/ [Stand: 14.8.2018].
[6] Vgl. Deleuze, Gilles und Guattari, Félix: Anti-Ödipus (Kapitalismus und Schizophrenie Bd. 1), Frankfurt a. M. 1977.
[7] Zit. URL Park Fiction 2013: Willkommen bei Gezi Park Fiction, http://park-fiction.net/gezi-park-fiction-hamburg/ [Stand: 14.8.2018].
[8] Hier Zit. nach URL Park Fiction 2016: Kollektive Wunschproduktion und das Recht auf Stadt, http://park-fiction.net/kollektive-wunschproduktion/ [Stand: 14.8.2018].
[9] Zit. URL Park Fiction 2013: Willkommen bei Gezi Park Fiction, http://park-fiction.net/gezi-park-fiction-hamburg/ [Stand: 14.8.2018].
[10] Vgl. Kester, Grant H.: The one and the many. Contemporary collaborative art in a global context, Durham 2011, S. 28.
[11] Vgl. ebd., S. 203.
[12] Vgl. URL Park Fiction 2013: Willkommen bei Gezi Park Fiction, http://park-fiction.net/gezi-park-fiction-hamburg/ [Stand: 14.8.2018].
[13] Vgl. ebd.
[14] Der Name bezieht sich auf die Lage des Parks an der Kreuzung Pinnasberg/Antonistrasse/Bernhard-Nocht-Strasse/St.Pauli-Hafenstrasse. Vgl. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Antonipark [Stand: 14.8.2018].
[15] Vgl. URL Park Fiction 2013: Park Fiction wird Gezi Park Hamburg – heute Sonntag 16. Juni, 18 Uhr, http://park-fiction.net/park-fiction-wird-gezi-park-hamburg-heute-sonntag-16-18-uhr/ [Stand: 14.8.2018].
[16] Vgl. URL Park Fiction 2013: Willkommen bei Gezi Park Fiction, http://park-fiction.net/gezi-park-fiction-hamburg/ [Stand: 14.8.2018].
[17] Vgl. URL Park Fiction 2011: Park Fiction: Pflanzen, wässern, Erde bewegen!, http://park-fiction.net/park-fiction-pflanzen-waessern-erde-bewegen/ [Stand: 14.8.2018].
[18] Vgl. URL Park Fiction 2012: Park Fiction Pflanzaktion: buddeln, Tee trinken, Stauden Pflanzen, http://park-fiction.net/park-fiction-pflanzaktion-buddeln-tee-trinken-stauden-pflanzen/ [Stand: 14.8.2018].
[19] Vgl. URL Wieczorek 2005: Wanda Wieczorek, Park Fiction. Analyse eines selbstorganisierten Planungsprozesses zwischen Kunst, Gemeinwesenarbeit und Urbanismuskritik in Hamburg – St. Pauli, http://www.wandawieczorek.de/files/WandaWieczorek-ParkFiction.pdf [Stand: 14.8.2018].
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 (Beitragsbild): Der Antonipark auf St. Pauli mit dem Kunstprojekt Park Fiction1, 28. Juni 2006, Foto: öffentlich. Aus: URL https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hh-parkfiction.jpg (abgerufen am 19. Juni 2018).