Exkursion vom 06.03.2018
Nach dem Besuch im Cabinet d’arts graphiques führte uns die Reise ins Musée d’art et d’histoire, wo wir die Dauerausstellung besichtigten und uns insbesondere mit zwei Werken vertieft auseinandersetzten.
Abbildung 1 Konrad Witz, Der wunderbare Fischzug, 1444, Mischtechnik auf mit Leinwand kaschiertem Tannenholz, 132 x 154 cm, Genf, Musée d’art et d’histoire. |
Der erste Schwerpunkt lag auf den insgesamt noch vier erhaltenen Altartafeln von Konrad Witz. Ursprünglich befand sich das 1444 entstandene Triptychon in der Genfer Kathedrale St. Pierre, bis es während des Bildersturmes zur Zeit der Reformation verschwand. Erst 1696 tauchten vier die Altartafeln wieder auf und wurden im Arsenal in Genf verwahrt. Diese archivarische Zwischenstation des Altares in einer Bibliothek zeugt von der Wiederentdeckung der nordalpinen Malerei in der Romantik. Der Erhalt der vier Altartafeln kann somit auf eine Kontextverschiebung des Werkes zurückgeführt werden. Nicht die biblischen Szenen sind nun ausschlaggebend, sondern die Gestaltung der Landschaft im Hintergrund des Werkes. Die Altartafel Der wunderbare Fischzug zeigt detailliert und realistisch das Ufer des Genfersees, die anliegenden Stadtbauten und die Alpen. Diese geographisch exakte Landschaftsabbildung, in welche die biblische Szene eingebettet ist, mitunter Grund für die mögliche Verschiebung von einem sakralen Altarbild zu einem historischen Zeugnis dieser Zeit.
Konrad Witz scheint auch dem Altarbild Der wunderbare Fischzug eine übergeordnete Bedeutung im Altar zugewiesen zu haben, da es als einziges von ihm signiert wurde. Die Szene zeigt das Schlusskapitel des Johannesevangeliums. Dieses beschreibt den vorerst erfolglosen Fischzug der Jünger um Petrus, bevor Jesus zuvor unerkannt erschien und ihnen durch einen Rat zu einem ausgiebigen Fang verhalf. Die Bibelszene wurde von Konrad Witz textnah umgesetzt und sehr detailreich inszeniert. Jesus wird zwar nicht zentriert und auch nicht in Frontalansicht in der Szene positioniert. Doch durch den massigen roten Mantel und die direkte Verlängerung Jesus’ zur Bergspitze wird ihm eine dramatische Heldenhaftigkeit zugewiesen. Ausserdem wird am Bild deutlich, dass sich Konrad Witz für die Perspektivenlehre interessierte. Der schwimmende Körper von Petrus wird aufgrund der Brechung durch den Wasserspiegel verkürzt darzustellen. Des Weiteren fällt bei der Betrachtung auf, dass Petrus in der Szene doppelt abgebildet ist. Dies wird als simultane Erzählung bezeichnet und verleiht dem Werk eine besondere Dynamik, die durch die wechselnden Bewegungsmuster der Wasserkreise, Spiegelungen im Wasser und die symbolische Wiederholung der Steine unterstützt wird.
In einem zweiten Referat wurde der kosmopolitische Genfer Künstler Jean-Étienne Liotard anhand zweier Selbstporträts diskutiert. In Anbetracht seiner internationalen Ausrichtung und seines Interesses an der orientalischen Kultur, bezeichnet sich Liotard einerseits selbst als „le peintre turque“. Anderseits ist auch der Ausdruck „le peintre de la vérité“ treffend für seine realistische Malweise. Diese beiden Bezeichnungen zeigen aber auch auf, dass es sich bei Liotard um einen vielschichtigen Künstler handelt, der sich selbst und andere inszeniert aber dabei penibel an der realistischen Abbildung festhält. Vor allem die exakte, makellose und glatte Gestaltung der Oberflächen seiner Werke sowie die fein präparierten Leinwände sind ausschlaggebend für das Verständnis dieses Künstlers.
Das Selbstporträt Liotard à la barbe gilt zu dieser Zeit als sein grösstes Pastell, wobei es aus einzelnen Papierstücken zusammengestellt wurde. Der Akzent des Werkes liegt dabei auf der ausführenden Hand des Künstlers. Die mimetische Ausgestaltung der Oberflächen zeigt sich in den Haaren und der Haut sowie dem Samt und Satin bei der Kleidung. Wobei durch das Pastell in der Haut feine Verläufe möglich werden. Das Pastellmalen kann als Modephänomen der damaligen Zeit bezeichnet werden, da das Pudern und Schminken der Adligen während des Ancien Régime für Eleganz und Macht sprach. Ausserdem bedingt das Pastell eine spontane und schnelle Malweise, die den Abgebildeten sehr lebendig erscheinen lässt. Als Widerspruch zur Eleganz und Feinheit des Pastells steht der wuchtige Bart Liotards, der mit der Makellosigkeit der Oberflächen bricht.
Abbildung 2 Jean-Étienne Liotard, Liotard à la barbe, 1749, Pastell auf Papier, 97 x 71 cm, Genf, Musée d’art et d’histoire. |
Im Selbstporträt La main au menton hingegen fehlt der präsente Bart. Bekannt ist, dass sich Liotard nach seiner Hochzeit bartlos zeigte. Nicht nur das Fehlen des Bartes unterscheidet sich vom vorigen Werk. Liotard inszeniert sich bedeutend intimer, melancholischer und die Oberflächen scheinen unebener und detailarmer. Er zeigt sich auch nicht mehr mit einer Malergeste, sondern hält seine Hand ans Kinn. Dabei stellt sich die Frage, ob er seine Identität als Denker oder verliebter Mann konstruiert oder die Geste der Hand eine Imitation des Bartes beziehungsweise die Symbolisation von dessen Verlust darstellt. Auch die Wahl der Kleidung, ein weisses Rüschenhemd und ein Kaftan, unterstützt die These der hybriden Identitäten und Maskenhaftigkeit. Die Kostümierung Liotards in beiden seiner Selbstporträts kann im Zeichen der Globalisierung und dem damit verbundenen Kulturaustausch gedeutet werden. Wobei Gutbetuchte die exotische Kleidung als Ausdruck von Weltgewandtheit und Luxus nutzten. Liotard inszeniert sich dabei bewusst in unterschiedlichen Rollen, nutzt exotische Güter zur persönlichen Maskerade und bedient sich der Technik makelloser Oberflächen und des Pastells, um sich durch die mediale Reflexion eine zweite Haut zu konstruieren.
Autorin: Tiziana Rentsch