Exkursion vom 12.03.2016
Dieses Jahr hat die “Tour de Suisse” mit einer Exkursion nach Genf gestartet. Die engagierten Studierenden aus Zürich und Fribourg hatten die Chance, sich schon im Zug kennenzulernen und während der Reise ihre Erwartungen und Pläne zu besprechen. Es sollte ein langer Tag werden aber mit vielen Entdeckungen.
Das erste Ziel war das Musée d’Art et d’Histoire. Die Gruppe wurde von der Kunstvermittlerin, Frau Isabelle Burckhalter, begrüsst. Sie hat eine Einführung in die Geschichte des Museums und den Aufbau der Sammlungen gemacht. Dabei ist insbesondere interessant, dass nur 1.5% der gesamten Sammlung momentan im MAH ausgestellt sind. Diese Frage ist sehr aktiv in den Medien und der Stadt diskutiert worden, weshalb nun geplant ist, nach dem kommenden Referendum diesen Jahres das ausgestellte Material zu verdreifachen. Diese Massnahme soll die bessere Zirkulation von Objekten für das Publikum ermöglichen, auch wenn damit einige Schwierigkeiten mit der Logistik, wie z.B. dem Transport von Objekten auf der Treppe einhergehen. Frau Burckhalter hat auch verschiedene Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche und Familien vorgestellt, die im Rahmen des Jahresprogramms im MAH stattfinden. Nach dieser Einführung waren die Studierende begeistert und konnten nicht mehr warten, mit der Sammlungsbesichtigung anzufangen. Dafür hatten zwei Studierende ein Kurzreferat zu in der Sammlung vertretenen Künstlern vorbereitet, die als Anregung zur Diskussion dienten und einen besseren Einblick in die Sammlungs- und Ausstellungspraktik des Museums gewährten.
Abb. 1: Konrad Witz, Der wunderbare Fischzug, 1443/44, Öl auf Tannenholz, 134.6×153.2, linker Flügel eines verschollenen Tryptychons, MAH.
Naemi Meier aus Zürich hat den Studierenden den Genfer Petrusaltar vorgestellt. Das Triptychon wurde 1444 in Basel von Konrad Witz erstellt, als Basel zu einer politisch und wirtschaftlich entscheidenden Handelsstadt wurde. Grund dafür war das Basler Konzil, in Zuge dessen die Stadt zu einem internationalen Zentrum wurde. So zog es verschiedenste Künstler, darunter auch den im deutschen Rottweil geborenen Maler Konrad Witz, in die Stadt Basel. Nach der Erschaffung des Petrusaltars wurde das Werk aus der Kirche entfernt. Die Rahmen der Flügel sind im MAH noch im Original erhalten, das grosse Mittelstück hingegen ging verloren. Auf der linken Flügeltür mit einer Darstellung des wunderbaren Fischzuges erkennt man die charakteristischen Merkmale der Kunst von Witz, wie z.B. die feinen Details, die Lichtbrechungen und Spiegelungen im Wasser, der weite Horizont oder die plastische Wiedergabe des Körpers. Alle diese Gestaltungs- und Stilelemente galten als Errungenschaften der niederländischen Malerei. Bei dem wunderbaren Fischzug handelt es sich um eine Simultanerzählung. So erscheint Petrus zweimal auf dem Bild. Bemerkenswert ist ausserdem die gemalte Landschaft im Hintergrund, die genau lokalisierter werden kann, was zur Entstehungszeit eine Sensation gewesen sein muss. Es handelt sich nämlich hierbei um einen südwärts gerichteten Blick auf die Stadt Genf und den Genfersee.
Abb. 2: Jean-Étienne Liotard, Autoportrait “Liotard à la barbe”, circa 1749, MAH.
Als nächstes wurde das Kabinett für die Grafischen Künste mit den Werken des Genfer Künstlers Jean-Étienne Liotard vorgestellt. Polina Chizhova aus Zürich wählte zwei Selbstporträts aus: Liotard mit 50 und mit 70 Jahren. Nach seinem Aufenthalt in der Türkei 1742 wird Liotard sich nur noch im “türkischen” Still kleiden. Obwohl dies ziemlich ungewöhnlich war, wurde es zu einer Art Selbstvermarktung und Hinweis auf seine international-beeinflusste und vernetzt Persönlichkeit. Diese exzentrische Kleidungsart geht einher mit der europäischem Faszination für den Orient und die Entwicklung eines vom Orient inspirierten Stils, der “Turquerie” genannt wurde. Die Nachahmung einer Kultur oder derer ästhetischer Eigenschaften basierte dabei meistens auf der westlichen Wahrnehmung derselben. Einen anderes Merkmal seines Aussehens war, dass Liotard im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen in Europa, einen langen Bart trug. In eine Zeit, als das Abrasieren als ein Zeichen des zivilisierten Fortschritts galt und wohingegen langes Barthaar fast mit Barbarei assoziiert war, könnte dieses Verhalten als mutig und selbstbewusst bezeichnet werden. Dieses Selbstbildnis soll folglich Liotard als einen Welten-Bürger zeigen. Auf dem zweiten Bild sind Liotards weisse Haare noch lang, jedoch hat er seinen Bart auf Wunsch seiner Frau abrasiert. Liotard zeigt sich mit Falten auf dem Gesicht und mit der Geste der ans Kinn greifenden Hand zeigt er, dass ihm der Bart fehlt. Er selbst zählte dieses Bild zu den wichtigsten seiner Werke und stellte es 1773 an der Royal Academy aus, was von Horace Walpole als “very bold” (sehr mutig) kommentiert wurde.
Abb. 3: Jean-Étienne Liotard, Autoportrait “Liotard à la barbe”, 1773, MAH.
Liotard arbeitet mit Pastellkreide, die im 18. Jahrhundert ziemlich “à la mode” war. Diese Technik erlaubte eine genauere Reproduktion von Farbe und Stoffen, da mehrere Farben überlagert werden konnten. Die genaue Wiedergabe der Stoffe war für Liotards Aufträge wichtig, da sie den hohen gesellschaftlichen Status der Porträtierten hervorhoben. Gleichzeitig sind die Pastelle sehr einfach zu transportieren und erlauben eine schnellere Arbeitsweise, da man zwischen den einzelnen Farbschichten nicht bis zur vollständigen Trocknung warten musste. Die Schnelligkeit des Mediums war einen Vorteil beim Porträtieren von ungeduldigen Kunden oder Kindern. Alle Porträts im Kabinett sind in dieser Technik ausgeführt. Die Anbringung des Selbstporträts Liotards im Raum ist ausserdem sehr interessant da es in einer diagonalen Achse zum Porträt von Jean-Jacques Rousseau[1], einem wichtigen Wegbereiter der Französischen Revolution, steht, was eine kuratoriale Strategie um zwei sehr wichtige Figuren aus Genf – Rousseau (Schriftsteller) und Liotard (Maler) – durch diese Achse in Verbindung zu setzen.
[1] Gemeint ist das Porträt von Maurice Quentin de la Tour (Abb.4).
Abb. 4: Maurice Quentin de La Tour, Portrait de Jean-Jacques Rousseau, 1753 (?), MAH.
Autorin: Julia Gogoleva
Musée d’art et d’histoire: http://institutions.ville-geneve.ch/fr/mah/