Elephants without Trunks (part 1)

Titelbild einer Neuausgabe von Elefanten ohne Rüssel

Chi Shuchang 迟叔昌 (1922-1997) is today one of the better-known science fiction writers of the socialist period. „Elephants without Trunks“ 割掉鼻子的大象 was Chi’s science fiction debut, but its focus on scientific discoveries established a narrative formula that Chi replicated in many of his subsequent works. Whilst in “Elephants without Trunks” a research center in the Gobi desert develops a method to breed elephant-sized pigs, other works of Chi center on more realistic technological discoveries such as a hair-growing serum in “The Marvelous Hair Growing Serum” 奇妙的生发油 and a lubricant extracted from eels in “The Secret of Swimmer No. 3” 3号游泳选手的秘密 (both 1956). The text that is translated here into German, was first published in 1956, but „Elephants without Trunks“ is today often read as a literary example of the large gap separating fiction and reality during the Great Leap Forward (a review of the short story from 1958 can be found here).1 After the end of the Cultural Revolution, Chi, like many other writers, did not continue to pursue a science fiction career and worked instead as a Japanese translator and as an advisor for Sony.

Die Elefanten mit den abgeschnittenen Rüsseln

Eine neue Stadt in der Wüste Gobi

Am achten August 1975 kam ich in einer neuen Stadt in der Wüste Gobi an, um über die Ernte des staatlichen Landwirtschaftsbetriebs zu berichten. Die Stadt hatte einen besonderen Namen, sie hiess nämlich „grüne Hoffnung“. Auf einer fünf Jahre alten Karte tauchte der Name noch nicht auf und trotzdem befand ich mich in einem Hotel mitten im Stadtzentrum ebendieser Stadt. Ein Angestellter des Hotels trug meine Koffer auf ein Zimmer, das zwar nicht gross, aber sehr sorgfältig eingerichtet war.

„Genosse, sie müssen müde sein von ihrer Reise, ruhen sie sie doch aus.“ Er bot mir ein Glas Wasser an und zog die Vorhänge auf.

„Ich bin kein bisschen müde, mit dem Flugzeug ist die Reise schnell und bequem. Ich habe in Peking zu Mittag gegessen und noch bevor die Sonne untergegangen ist, bin ich schon in der Wüste Gobi gelandet.“ Ich trat an das Fenster. „Wenn es ihnen nichts ausmacht, erzählen sie mir doch zuerst etwas über ihre Stadt!“

„Einverstanden, jetzt fällt es mir wieder ein, sie sind der Genosse Journalist aus Peking“, sagte er lachend. „Vor uns sehen sie den zentralen Stadtplatz. Das grosse weisse Gebäude gegenüber ist die Stadtverwaltung und daneben steht das Stadttheater, sehen sie es? Es ist das hellgelbe Gebäude, es wurde letztes Jahr zum Nationalfeiertag fertiggestellt! Auf der anderen Seite sind die Gebäude des Instituts für Agrarwissenschaft, dort auf dem kleinen Hügel. Einkaufszentrum, Jugendtreff und Arbeitertreff befinden sich hinter dem Hotel. Wenn sie aus dem Haupteingang heraustreten und nach rechts abbiegen, dann können sie sie nicht verfehlen.“

Ich stand am Fenster und schaute hinaus. Was war das nur für eine Stadt, sie glich geradezu einem Garten! Die Strassen waren breit und sauber und wurden von beiden Seiten von einer dichten, grünen Reihe Pappeln gesäumt. An jeder Kreuzung gab es ein Blumenbeet, das in den Farben der verschiedensten Blumen erstrahlte. Von weitem sahen die Bäume aus wie ein grünes Meer. Manche der brandneuen Gebäude ragten wie Inseln aus dem grünen Ozean hervor. Das sollte die Wüste Gobi sein? In einem alten Atlas hatte ich von endlosen, unbewachsenen Sanddünen gelesen. Wer hätte sich die Wüste Gobi von heute so ausmalen können?

Plötzlich riss mich Kindergeschrei aus meinen Gedanken.

„Lasst uns die Elefanten anschauen! Auf zu den Elefanten!“

Auf der Strasse hatte sich plötzlich eine grosse Gruppe von Kindern versammelt. Den rennenden und umherschreienden Kindern folgte eine lange Kolonne von Erwachsenen.

„Was? Elefanten? Wo hat sind Elefanten?“ fragte ich.

„Ich weiss es nicht. Ich habe hier noch nie Elefanten gesehen“, antwortete der Angestellte.

„Vielleicht kommen die hier in den Zoo“, sagte ich.

„Das kann nicht sein. Wir haben hier zwar eigentlich alles, aber einen Zoo haben wir noch nicht“, antwortete der Angestellte.

Auf der Strasse wurde das Gedränge immer grösser; Männer, Frauen, Alte und Junge zogen alle in dieselbe Richtung, sodass es fast einem Festtagsumzug glich. Was war hier bloss los?

„Das muss ich mir ansehen!“ sagte ich, während ich schon zu Tür hinausstürmte.

Die Elefanten mit den abgeschnittenen Rüsseln

Ich drängte mich in die Menschenmenge und hielt einen jungen Pionier an:

„Wohin gehen denn alle, junger Kamerad?“

„Zum Bahnhof! Da ist gerade eine grosse Herde Elefanten angekommen!“

„Elefanten? Woher kommen die denn?“

„Ich weiss es nicht, “ antwortete er mir im Gehen.

„Und was machen die hier?“

Er antwortete mir nicht, sondern zeigte nach vorne und rief:

„Schau doch! Schau! Da sind sie!“

Vorne machten die Menschen den Elefanten die Strasse frei und zogen sich auf den Bürgersteig zurück. Es war unfassbarer Anblick! Ein Dutzend Elefanten trottete an uns vorbei.

„Die Elefanten sind alle weiss!“ rief ein Kind aus.

„Tatsächlich, solche Elefanten hatte ich auch noch nie gesehen. Ihre Haut war weiss mit einem rötlichen Stich, wohingegen im Zoo von Peking alle grau waren. Ich sah, wie sie langsam näher kamen. Sie hatten breite Stummelbeine, die auf den Zement der Strasse donnerten und zwei grosse hin und her flatternde Ohren. Einige verschreckte Kinder drückten sich nun eng an die Beine von Erwachsenen.

„Ah, wie komisch!“ rief ein kleines Mädchen neben mir plötzlich überrascht aus. „Warum haben diese Elefanten keine Rüssel?“

Da fiel es mir auch plötzlich auf. Es schien, als hätte man diesen Elefanten die Rüssel abgeschnitten, sodass zwei grosse, schwarze Nasenlöcher zum Vorschein kamen. Und noch etwas anderes war sonderbar. Ich konnte nicht anders als zu lauthals zu fragen:

„Aber wo sind denn die Stosszähne dieser Elefanten?“

„Das müssen weibliche asiatische Elefanten sein. Im Lexikon der Tiere steht, dass weibliche asiatische Elefanten keine Stosszähne haben“, sagte ein Junge neben mir.

„Nein“, entgegnete das Mädchen. „Ich denke, das sind Zirkustiere und weil sie gefährlich werden könnten, hat man ihnen die Stosszähne und Rüssel abgeschnitten.“

„Wer sagt das sind Zirkustiere?“

Als ich mich wieder zu den Elefanten drehte, sah ich, dass die Stimme von einem Mann kam, der auf dem letzten Elefanten ritt. Mit einem Schwung seiner Peitsche fügte er an:

„Die gehören dem staatlichen Landwirtschaftsbetrieb.“

„Dem staatlichen Landwirtschaftsbetrieb? Wofür haben die denn Elefanten?“ fragte eine Frau, die ein kleines Kind in den Armen hielt.

Und so reihte sich eine Frage an die Nächste und als die Elefanten mit den abgeschnittenen Rüsseln vorbeigezogen waren und ich mich auf den Weg zurück zum Hotel machte, konnte ich einen ganzen Stapel davon mit mir nach hause tragen.

Eine Einladung

Vor der Zimmertür übergab der Angestellte mir einen Brief:

„Genosse, ein Brief für Sie.“

Ich setzte mich hin und öffnete den Briefumschlag. Darin befand sich eine Einladung:

An den Genossen Yue Sen:

Ich weiß, dass du gekommen bist, um über unseren staatlichen Landwirtschaftsbetrieb zu berichten und möchte dich herzlich willkommen heissen! Morgen früh habe ich etwas Besonderes für deine Begrüßung vorbereitet.

Li Wenjian, 23. August

 

Li Wenjian! Ich hatte nicht erwartet, dass er hier sein würde. Seit der Mittelschule hatten wir uns nicht mehr gesehen. Er war wirklich ein außergewöhnlicher Typ. Während der Mittelschule liebten wir beide Mathematik und Physik und waren Teil des Klubs der „kleinen Erfinder“. Damals verfolgten wir fast jeden Tag irgendeine neue Fantasie und manchmal konnten wir sie auch tatsächlich mit unseren eigenen Händen umsetzen. Zum Beispiel erfanden wir ein Transistorradio, das so groß wie eine Armbanduhr war und sich im Winter in den pelzigen Ohrenschützern tragen ließ. Damit konnte man bequem einer Übertragung lauschen, ohne sich dabei Frostbeulen an den Ohren einzufangen. Manche Fantasien mussten wir jedoch aufgeben. Einmal hatten wir uns gefragt: Kann man einen Motor an einem zweirädrigen Doppelpflug anbringen? Wir machten uns sogleich ans Werk und bauten ein gar nicht so kleines Modell, welches sogar fahren konnte. Aber als wir mit dem Pflug in den Schlamm gerieten, liefen die Räder im Leerlauf und er bewegte sich kein Stück mehr weiter.

Als wir kurz davor waren die Mittelschule abzuschließen, fragte ich ihn:

„Li Wenjian, hast du dir schon überlegt, was du an der Universität studieren möchtest?“

„Viehzucht!“ Er schien sich schon dafür entschieden zu haben.

„Viehzucht?“ Ich war erstaunt. „Ich dachte, du magst Mathematik und Physik?“

„Braucht man bei der Viehzucht etwa keine Mathematik und Physik?“ antwortete er darauf. „Was ist mit dir?“

„Publizistik!“ Auch ich hatte mich schon festgelegt.

„Publizistik? Na, dann wirst Du entweder Journalist oder Herausgeber. In dem Beruf sindMathematik und Physik nun wirklichnicht zu gebrauchen!“ sagte Li Wenjian enttäuscht.

„Das glaube ich nicht! Sieh dir die Zeitungen an, tauchen darin nicht immer mehr mathematische und physikalische Begriffe auf?“ antwortete ich.

Danach trennten sich unsere Wege, aber unser Gespräch war mir stets in Erinnerung geblieben. Was mich betraf, so bewahrheitete sich meine Prognose. Besonders wenn ich über Neuigkeiten in der Industrie berichtete, war mein mathematisches und physikalisches Wissen oft hilfreich. Doch benötigte man für Viehzucht nun wirklich Mathematik und Physik? Wenn ich ihn wiedersah, würde ich ihn danach fragen. Und gehörten die Elefanten von vorhin nicht dem staatlichen Landwirtschaftsbetrieb? Ich werde diesen schlauen Viehzuchtexperten über diese armen Elefanten ausfragen: Warum hat man ihnen den Rüssel, der für Elefanten so wichtig ist, zusammen mit den Stosszähnen einfach abgeschnitten? Ich kannte Wenjians Charakter gut und wusste, dass das bestimmt seine Idee gewesen war.

(part 2)

1 We worked with the following edition: Chi Shuchang 迟叔昌, “Gediao Bizi de Daxiang 割掉鼻子的大象 [Elephants without Trunks],” in Zhongguo Xin Wenyi Daxi 1949 – 1966: Ertong Wenxue Ji, ed. Chen Mo 陈模 (Beijing: Zhongguo wenyi daxi gongsi, 1987), 90–97.