Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini d'architettura, Rom, 1607, Titelblatt. ETH-Bibliothek Zürich


Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini d'architettura, Rom, 1607, Taf. VI: Ionische Säulenordnung. ETH-Bibliothek Zürich

Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini d'architettura, Rom, 1607, Taf. XXV: Korinthisches Kapitell. ETH-Bibliothek Zürich

Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini d'architettura, Rom, 1607, Taf. XXX: Komposites Kapitell. ETH-Bibliothek Zürich


Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini d'architettura, Rom, 1607, Taf. XXXI: Konstruktion Salomonische Säule. ETH-Bibliothek Zürich


Vignolas "Regola delli cinque ordini d'architettura"


1. Jacopo Barozzi da Vignola
2. Regola delli cinque ordini d'architettura
3. Titelblatt
4. Inhalt
5. Proportionenlehre und Modul

1. Jacopo Barozzi da Vignola
Jacopo Barozzi da Vignola wurde am 1. Oktober 1507 in Vignola, Modena, geboren und verstarb am 7. Juli 1573 in Rom. Vignola wuchs in Bologna auf und absolvierte dort eine Ausbildung als Maler, bevor er sich wenig später dem Studium der Klassik und der Architektur widmete. 1538 begab sich Vignola nach Rom, wo er der 1542 gegründeten Accademia del Virtù beitrat und sich intensiv mit dem Studium von Vitruvs Werk auseinandersetzte. Nach längeren Arbeitsaufenthalten in Bologna und Fontainebleau liess sich Vignola 1550 dauerhaft in Rom nieder und arbeitete fortan als Architekt für Papst Julius III. und die Familie Farnese. In dieser Zeit entstanden auch Vignolas wichtigste Bauten, unter anderem die päpstliche Villa Giulia in Rom, Kardinal Alessandro Farneses Sommerresidenz Palazzo Farnese in Caprarola und die Kirche Il Gesù in Rom. Sein Architekturtraktat, die „Regola delli cinque ordini d’architettura“, verfasste Vignola vermutlich bereits während den 1550er Jahren, obwohl dessen Publikation erst später erfolgte.1

2. Regola delli cinque ordini d'architettura
Vignolas “Regola delli cinque ordini d’architettura” wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit zum ersten Mal 1562 in Rom publiziert. Da auf dem Titelblatt keine Jahreszahl oder sonstige Informationen zur Publikation vermerkt sind, liess sich dieses Datum nur anhand eines 1562 datierten Briefes, in welchem Vignola Herzog Ottavio Farnese ein Exemplar des Werkes zukommen liess, ermitteln.2 Vignolas „Regola“ besteht in seiner ursprünglichen Form aus 32 systematisch geordneten Kupferstichen, welche vom Autor nur knapp kommentiert sind. In dieser Form unterscheidet es sich stark von seinen Vorläufern, beispielsweise dem Traktat Serlios, da Vignola weitgehend auf Erklärungen verzichtet und die Illustrationen im Vordergrund stehen. Er präsentiert in diesem Traktat, welches prinzipiell eher als Regelbuch anzusehen ist, eine praxisnahe und auf Anwendbarkeit bedachte Architekturtheorie. Die Regola war bis ins 19. Jahrhundert eines der erfolgreichsten Lehrbücher der Architektur und von ihr gibt es mehr als 250 Ausgaben in neun Sprachen. Entgegen der ursprünglichen Intention des Autors, der mit der Regola eine Grundlage vermitteln wollte, welche praktizierenden Architekten kreativen Freiraum ermöglicht, wurde Vignolas Regola im Laufe der Zeit eher als dogmatisch rezipiert.

3. Titelblatt

Da Vignolas Traktat sich auf eine weitgehend bildliche Informationsvermittlung stützt, ist bereits die Gestaltung des Titelblattes von besonderer Signifikanz. Dieses wurde nicht von Vignola selbst, sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit von Federico Zuccari, der als Freskenmaler für Vignola tätig war, gestaltet. Im Gegensatz zu früheren und auch späteren Traktaten unterscheidet sich dieses Titelblatt vor allem durch die Präsenz des Architekten, der prominent in der Bildmitte aus einer kompositen Ädikula herausschauend dargestellt wird. In der Hand hält Vignola einen Zirkel, das Attribut seines Berufstandes, und blickt dem Betrachter entgegen. Seitlich von Vignola befinden sich die Personifikationen von Theorie und Praxis der Architektur, dargestellt in Frauenform. Vom Betrachter aus links, die Theorie, welche in der einen Hand einen Quadranten zur Messung des Sonnenstandes und in der anderen eine Tafel mit geometrischen Formen hält. Rechts, die Praxis, abgebildet mit Zirkel, Messlatte und Winkel. Interessant ist des Weiteren das gänzliche Fehlen eines Verweises auf die Autorität der römischen Baukunst, welche sonst oft in Form von römischen Ruinen dargestellt wird. Dies lässt schon erahnen, dass in Vignolas Traktat nicht die Antike im Vordergrund steht, sondern deren neue Interpretation durch den Architekten. Das Titelblatt enthält weiter klare Verweise auf die Familie Farnese. Oberhalb des Giebelfeldes halten zwei Putti das Wappen von Kardinal Alessandro Farnese. Darunter, auf den Seiten des Giebelfeldes, sind weitere Impresen der Familie zu finden. Auf der linken Seite sieht man einen Pfeil, der eine Schiessscheibe trifft, zusammen mit dem griechischen Schriftzug „Triff weiter so“. Auf der rechten Seite zeigt die Abbildung das Argonautenschiff auf der Fahrt nach Kolchis begleitet vom griechischen Schriftzug „Wir werden durchkommen“. Im Ovalschild unter dem Giebelfeld befindet sich die Imprese von Papst Paul III., dem Grossvater von Alessandro Farnese, „die Lilie der Gerechtigkeit“ welche ebenso auf griechisch betitelt ist.3

4. Inhalt
Im Hauptteil stellt Vignola die fünf seit Sebastiano Serlio etablierten Säulenordnungen einzeln in folgender Reihenfolge vor: toskanisch, dorisch, ionisch, korinthisch und komposit. Jede Ordnung wird mit ihren einzelnen Elementen vorgestellt und gliedert sich wiederum in fünf Abschnitte: Kolonnade, Arkade, Arkade mit Piedestal, Einzelformen von Piedestal und Basis, Einzelformen von Kapitell und Gebälk. Auf dies folgen Tafeln zu Sonderfällen der dorischen und kompositen Ordnung, Konstruktionsanweisungen für die Verjüngung der Säule und die Konstruktion der gedrehten Säule, sowie ein von Vignola entworfenes Kranzgesims. Auf dieser 32. Tafel, die eigentlich als letzte gedacht war, findet sich am Ende des kurzen Textes der Satz „il resto si vede“, der bezeichnend für das Werk Vignolas steht, welches sich nur auf die Vermittlung des Wesentlichen konzentriert. Auf die ursprünglichen 32 Tafeln folgen je nach Ausgabe 4 oder 5 nicht nummerierte Tafeln mit eigenen Entwürfen für Portale aus Caprarola und Cancellaria sowie ein Kamin. Diese gehören nicht zum ursprünglichen Konzept Vignolas und waren möglicherweise für eine erweiterte spätere Ausgabe gedacht. Ein späterer Zusatz ist auch die vergleichende Darstellung der verschiedenen Ordnungen, die in späteren Ausgaben den Tafeln vorangestellt wird.

Dem Hauptteil mit seinen Illustrationen sind lediglich zwei Seiten mit zusammenhängendem Text vorangestellt. Auf Seite II befindet sich das von Papst Pius IV. erlassene Druckprivileg, auf Seite III die Widmung an Alessandro Farnese gefolgt vom Vorwort „ai lettori“, welches sich an die Leser richtet.

In seinem Vorwort beschreibt Vignola seine Bestrebungen in dieser Publikation eine „breve regola facile“ einem breiteren Publikum vorzustellen. Er sieht als sein Publikum „quelli que habbino qualche introduttione nell’arte“, also Personen, die bereits über einige grundlegende Kenntnisse der Architektur verfügen und hat deshalb nur die jeweils essentiellen Informationen vermerkt, „...e per questo non haveva scritto il noma a niuno de’ membri particolari di questi cinque ordini presuponendoli per noti“4 In einem später hinzugefügten Absatz adressiert er jedoch auch einen höfischen Rezipientenkreis mit den Worten: „visto poi per esperienza come l'opera piace anco assai a molti Signori mossi dal gusto di poter intendere con pochissima fatica, l'intiero dell'arte intorno questi ornamenti.."5. Die Masse für die verschiedenen Ordnungen hat Vignola in empirischen Messungen erarbeitet, hat diese aber nach seinem Gutdünken verbessert und präsentiert nun „...quelli all quidicio comune appaiano piu belli“6, also die, welche allgemein als schön erachtet werden. Trotz seiner intensiven Auseinandersetzung mit Vitruv, propagiert Vignola hier nicht eine strikte Einhaltung bestimmter Regeln sondern ebnet in gewisser Weise den Weg für die Architektur der Moderne, in dem er den Architekten einen Leitfaden zur Seite stellt, der als Basis für individuelle und kreative Arbeiten genutzt werden kann.

5. Proportionenlehre und Modul
Die Regola präsentiert einen allgemein gültigen Proportionenkatalog, der laut Vignola auch von „mediocri ingeni“ , also durchschnittlichen Geistern, verstanden werden kann. Vignolas Proportionenkatalog waren zahlreiche andere Proportionenlehren (z.B. Serilos) vorangegangen, die jedoch alle durch komplizierte Zahlenangaben und Aufteilungen schwer in die Praxis umzusetzen waren. Dies wollte Vignola ändern, indem er bei der Gewinnung der Proportionen von der gesamten Dimension des Bauwerks ausging. Seiner Proportionslehre liegt das festgelegte Verhältnis zwischen Piedestal, Säulenhöhe und Gebälk zugrunde. Diese werden im Verhältnis 3:12:4 angegeben, sodass bei allen Ordnungen das Piedestal einen Drittel und das Gebälk einen Viertel der Säulenhöhe ausmacht. Vignola unterteilt die Gesamthöhe einer Ordnung in 19 Einheiten, beziehungsweise in 15 wenn das Piedestal weggelassen wird. Die Proportionierung der Ordnungen lässt sich mit Hilfe der jeweiligen Säulenhöhen errechnen. Vignola legt die Nenner für die Säulenhöhe der Ordnungen fest: toskanisch 14, dorisch 16, ionisch 18, korinthisch und komposit 20. Das zweite revolutionäre Konzept in der Regola ist die Massangabe in Modulen. Vignola macht als erster Gebrauch vom Modul als „misura arbitraria“ oder universell anwendbares Mass, anstatt sich auf die regional wechselnden Masssysteme von „palmi“, „braccia“ oder „piedi“ zu stützen. Dies förderte den allgemeinen Gebrauch der Regola für architektonische und bildende Zwecke, da es ihren Benutzern ein leichtes Umrechnen der Angaben in ihr jeweiliges, lokales Masssystem ermöglichte.7




Anmerkungen
1 Tuttle, 1998, S. 199-202.
2 Thoenes, 1983, S.349.
3 Thoenes, 1983, S.360-373.
4 Vignola, 1562, S.III (römisch 3)
5 Vignola, 1562, S.III
6 Vignola, 1562, S.III
7 Thoenes, 1983, S. 354.


Bibliographie
Kruft, Hanno Walter, Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, 3., durchgesch. u. ergänzte Aufl., München: Beck, 1991.
Thoenes, Christoph, Vignolas Regola delli cinque ordini, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte, 20, 1983, S. 345–398.
Thoenes, Christoph (Einf.): Architekturtheorie von der Renaissance bis zur Gegenwart, Köln:Taschen 2006, S.198-218.
Tuttle, Richard, On Vignola's Rule of the Five Orders of Architecture in: Paper Palaces. The rise of the Renaissance Architectural Treatise, New Heaven/London 1998.
Vignola, Jacopo Barozzi, Regola delli cinque ordini d'architettura, Roma: Giovanni Marco Paluzzi, 1562 [zweiter Zustand].
Vignola, Jacopo Barozzi Regola delli cinque ordini d'architettura, Romae, Andreas Vaccarius, 1607.
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