Juni, in: Duc de Berry, Les très riches heures (um 1410).


Ansicht von Rom, in: Hartmann Schedel, Liber chronicarum (1493), Augsburg 1497, fol. 61r (München, Bayerische Staatsbibliothek).


Plan mit der Kette, Florenz im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, nach Francesco Rosselli (?) Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin.


Florenz, Fresco im Palazzo Vecchio um 1561 – 1562, von Giovanni Stradano.


Ansicht von Zürich, in: Matthäus Merian, Topographia Helvetiae (1642).


Prospetto della Chiesa di S. Simeone Appostole, Mitte 18. Jahrhundert, von Giovanni Antonio Canale genannt Canaletto.


Ansicht des Priorates in Rom nach Giuseppe Vasi, 1771, gebaut von Giovanni Battista Piranesi.



Nuovo Teatro, G.B. Falda, 1665.



Treppe in die Papstkapelle, die unter Alexander VII. entstanden ist in einem Stich von G.B. Falda, 1665.



Lavierte Federzeichnung des Papstpalastes von G.B. Falda, 1665.

Veduten


Persönliche Erfahrungen und Eindrücke allein prägen unser Verhältnis zur Stadt nicht. Vielmehr sind es auch Darstellungen von Städten, die von ihnen über Generationen in Büchern, Bildern oder Graphiken skizziert und entworfen wurden. «Städteporträts», Stadtansichten, Veduten und «Prospekte» eignen sich ideal, gebaute Wirklichkeit abzubilden, zu dokumentieren, aber auch Stadträume zu erdenken, welche die Realität nicht bieten kann, so auch ein Panorama, eine Rundsicht von 360 Grad.

1. Die Absicht, naturgetreu abzubilden
2. Das neue Weltbild – von Herodot zu Ptolemäus
3. Städtebücher
4. Piranesi – Rembrandt der Architektur
5. Faldas Veduten von Rom im 17. Jahrhundert unter Alexander VII
6. Verkörperung, Wiedererkennung, Historiographie

1. Die Absicht, naturgetreu abzubilden
Schon jetzt ist ersichtlich, dass terminologische Ungereimtheiten auftauchen, fliessende Übergänge wie sie das Reallexikon der deutschen Kunst beschreibt, vorhanden sind. Hans Meyer seinerseits gliedert und versteht die Vedute als «Darstellung, die in der Absicht entstanden ist, Städte, Stadtteile, Strassen und Plätze bis in die Einzelheiten naturgetreu wiederzugeben». Der «Prospekt» hingegen sei die kunstvolle, perspektivische und architektonische Konstruktion und Komposition.
Behringer / Roeck klassifizieren die Stadtdarstellungen aufgrund der Ansicht. Sie sprechen von der perspektivischen Vedute, die von einem realen Standpunkt aus entstanden ist, von der Profilansicht, bei der der Beobachter meist auf dem Boden platziert ist, von der Vogelschauansicht, die von einem imaginären Punkt am Himmel aus realisiert wurde. Als vergleichbare Begriffe werden Descriptio, Prospekt und iconografia angesehen. Und schliesslich, so Behringer / Roeck gebe der Plan Stadtpläne in der Ebene alle Gebäude durch Orthogonal- oder Zenitalprojektion wieder. Die Masse von Gebäuden, Strassen und Plätzen stehen im exaktem Verhältnis zueinander.

2. Das neue Weltbild – von Herodot zu Ptolemäus
Im Mittelalter gaben Stadtpläne nur annähernd die Topographie wieder. In den Stadtansichten waren die Konvention, der Glaube, die Religion, der Gottesstaat im Zentrum, die Interpretation kam vor der Information. Städte erschienen als Symbole. Sie standen für eine Idee oder einen speziellen Ort. Das mittelalterliche Lob der Stadt als Himmelsstadt, als himmlisches Jerusalem, wehrhaft und mit Türmen versehen, hat noch wenig mit der gemauerten Wirklichkeit aber viel mit Metaphysik zu tun. Mit den neuen bildlichen, weniger symbolhaften Darstellungen wird ab Mitte des 15. Jahrhunderts der Handel, die Geschichte und der Reichtum der dargestellten Stadt gepriesen. Die städtischen Gesamtansichten dienen nun als analytisches Instrument der Erkenntnis. Die Natur scheint vom Menschen gezähmt. Die Stadt ist nicht mehr Organismus, sondern Werk des wissenschaftlichen Geistes: Das Weltbild des Astronomen und Geographen Ptolemäus rangiert neu vor jenem des «Geschichtenerzählers» Herodot. Die auf Filippo Brunelleschi zurückzuführende, revolutionäre «Erfindung» der Zentralperspektive ermöglicht es, reale Wiedergaben zu schaffen: topographisch zuverlässige Städtedarstellungen als Resultat der Synthese von Kunst und Wissenschaft, wie Stecher und Verleger Hans Hürner in der Radierung «Anleitung zur Konstruktion einer Zentralperspektive» (1601 – 1700) zeigt.
Stadtansichten in Stundenbüchern oder Handschriften sowie Fresken und Tafelbilder des Mittelalters mit Städteporträts bilden den Anfang einer grossen Welle an Veduten, die bis zum 18. Jahrhundert anschwillt und sich zur eigenständigen Disziplin der «Topographie» entwickelt. Dieser rasante Fortschritt wird nochmals beschleunigt durch die Erfindung des Buchdrucks, gepaart mit neuen Vervielfältigungstechniken wie der Holzschnitt und der Kupferstich. Letzterer steht denn auch am Anfang der Reihe von idealen Stadtansichten, wie sie auch von Sebastiano Serlio bekannt sind, in denen auch Die Stadt als Bühne anklingt.

3. Städtebücher
Für den Historiker Bernd Roeck gibt ein Holzschnitt aus Florenz aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, der sogenannte «Plan mit der Kette», den Startschuss für die neuzeitliche Stadtvedute. Er bleibt nicht lange allein. Einzelne Veduten werden in sogenannten «Städtebüchern» zusammengefasst: Hartmann Schedels verlegerisches Grossprojekt die Weltchronik mit 1800 Holzschnitten, darunter viele Stadtdarstellungen, verlässt 1493 in Nürnberg die Druckerpressen. Vorbild sind die 1486 in Venedig gedruckte, erste illustrierte Ausgabe des «Supplementum chronicarum» des Jacopo Philippo Foresti da Bergamo (1434 – 1530) mit 44, wenn auch mehrheitlich fiktiven Stadtansichten und das Pilgerreisebuch «Peregrinatio in sanctam terram» des Bernhard von Breydenbach. Die naturgetreue Abbildung mit perspektivischer Darstellung wird im 16. Jahrhundert zur vorherrschenden Form der Stadtdarstellung. 1548 erscheint die aus Schweizer Sicht aufschlussreiche «Eidgenössische Chronik» des Johann Stumpf (1500 – 1576). Sie stellt laut Zeitgenossen die 1537 erschienene «Cosmographia» des Humanisten Sebastian Münster illustrationstechnisch in den Schatten. Der Basler reagiert mit einer Neuausgabe seiner Cosmographia und übertrifft in visueller Hinsicht alle früheren Publikationen. Kupferstecher und Verleger Matthäus Merian, der das Titelblatt der letzten Ausgabe der «Cosmographie» entwarf, gehört wohl zu den berühmtesten Verlegern des 17. Jahrhunderts. Seine Topographien mit bis zu 2000 Abbildungen markieren den Höhepunkt unter den europäischen Stadtbüchern.

4. Piranesi – Rembrandt der Architektur
Die steigende Mobilität der Gesellschaft und die immer grösser werdenden Pilgerströme nach und von Rom spielten bei der Stadtbildproduktion eine Rolle, – bei der Nachfrage als auch bei der Produktion. Albrecht Dürer (1471 – 1528), der Kontakt pflegte zu Hartmann Schedel, aquarellierte wohl Landschaften, doch hatten sie zu Beginn eher experimentellen Charakter. Joris Hoefnagel (1542 – 1600) gehörte zu den ersten weitgereisten Zeichnern, die sowohl im Auftrag Skizzen von Städten anfertigten, als auch – wie Matthäus Merian – auf eigene Rechnung arbeiteten und ihre Produkte Verwaltungen oder Verlegern anboten. Als Vater der neuzeitlichen Vedute gilt der niederländisch-italienische Maler Gaspar van Wittel (Vanvitteli), der in Holland malen lernte, sein Leben aber grossmehrheitlich in Rom verbrachte und die Stadt auch «porträtierte». Durch ihn wurde die camera obscura als Arbeitsgerät in die italienische Vedutenmalerei eingeführt. Dieses Hilfsmittel nutzte unter anderen Giovanni Antonio Canale, genannt Canaletto (1697 – 1768) sowie sein Neffe Bernardo Bellotto. Als Rembrandt der Architektur wird schliesslich Giovanni Battista Piranesi bezeichnet. Er bediente im 18. Jahrhundert die Italien-Reisenden mit phantastisch-antiken Ansichten und überzeugte mit verschiedenen Perspektiven und dem Spiel von Licht und Schatten. Piranesi zeigte in den 1750er Jahren die römische Antike in einer übersteigerten Sehweise. Seine Welt war eine unbedingt römische. 1761 erschien sein Werk «Della Magnificenza ed Archittettura de’Romani». Darin vertritt Piranesi die Ansicht, die Römer, als direkte Nachfahren der Etrusker, hätten künstlerische Priorität, nicht die Griechen. Der zeitgenössische Kunstschriftsteller Johann Joachim Winckelmann – und insbesondere Jean Pierre Mariette in einem Brief in der «Gazette Littéraire de l’Europe» – stellten dies in Frage.

5. Faldas Veduten von Rom im 17. Jahrhundert unter Alexander VII
Jörg Garms fasst den Begriff der «Vedute» weiter als die blosse Abbildung von grösseren räumlichen Einheiten. Er bezeichnet zudem die Geschichte der römischen Vedute im Vergleich zu jenen anderer Städte als reicher und artikulierter. Dies vor allem aufgrund der aussergewöhnlichen Vielfalt von Motiven und der künstlerischen und historischen Bedeutsamkeit, welche ihnen in ganz Europa zugeschrieben werden.
Rom blieb bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts die meistdargestellte Stadt. Seit dem späteren 15. Jahrhundert waren nämlich ununterbrochen zahlreiche Künstler vor Ort, um die Stadt zu zeichnen und später zu malen. Deshalb könne, so Garms weiter, eine grössere Zahl von Entwicklungsstadien erkannt und unterschieden werden.
So spricht Garms in der Darstellung der Stadt Rom von einer Wende in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Stand bisher fast ausschliesslich die Antike im Mittelpunkt des Interessens, wandelte sich dieses hin zum umfassenden Bild der Stadt. Eines der bedeutendsten Werke, welches das neue Bild Roms verbreitete, war jenes von Giovanni Battista Falda aus dem Jahr 1665. Die Kupferstichsammlung trug den Titel Nuovo Teatro delle Fabbriche ed Edificii in prospettiva di Roma moderna, sotto il felice pontificato di Alessandro VII und wurde vom Stichhändler und Roms berühmtesten Verleger Gian Giacomo de Rossi herausgegeben. In den beiden unter Alexander VII entstandenen Werken (1665 und 1667) konstruierte Falda eher einfache perspektivische Kastenräume, die das Hauptobjekt hervorhoben, es aber zugleich auch in seine Umgebung einband. Das im Titel vorkommende Wort «teatro» behauptete sich als Schlüsselwort. Die moderne Stadt Rom fungierte als rhetorisches Instrument, um die Besucher im Rahmen der «Grand Tour» von der religiösen Macht der katholischen Kirche und deren Oberhaupt Alexander VII zu überzeugen. (Siehe hierzu auch Die Stadt als Bühne).
Faldas Kupferstiche waren nämlich durch die enge Zusammenarbeit mit dem Papst und Roms berühmtesten, einflussreichsten und somit mächtigsten Verleger de Rossi mehr als nur eine zufällige Zusammenstellung von Abbildern der Stadt Rom. Vielmehr waren sie Ausdruck für den Wandel Roms unter Alexander VII und der Repräsentation sowohl der Stadt, als auch des Papstes selbst, respektive seiner Macht und seinem Einfluss. Faldas Aufmerksamkeit in seinen Veduten gilt klar nur denjenigen Bauten, welche unter Alexander VII gebaut, umgebaut oder rennoviert wurden - obwohl sein umfangreiches Oeuvre viel mehr zu bieten gehabt hätte.
In Faldas Stichen liegt laut Wilson der Schwerpunkt immer auf der Komposition der Elemente zu einem Ganzen. Wie bei einem Theater, oder eben einem «teatro» entsteht der Inszenierungseffekt nur, wenn ein Zusammenspiel zwischen Kulissen, Akteuren und Publikum stattfindet. Faldas Nuovo Teatro würde somit auf seinen gedruckten Seiten das Theater der ganzen Stadt Rom präsentieren.

6. Verkörperung, Wiedererkennung, Historiographie
Stadtansichten dienten nicht nur der Verkörperung der Macht, wie sie unter Sixtus V. mittels des Baugesetzes in Rom umgesetzt wurde. In diesen Stadträumen entwickelten sich auch die Vorstellungen und Ideologien einer Stadt, wie sie die Maler und Szenographen zur Darstellung brachten. Die Stadt war Platz der Repräsentation, der Besitz ihrer Ansichten davon Zeichen des Bürgertums. Veduten dienten aber auch der allgemeinen geographischen Anschauung, waren Reiseandenken und Mittel für die Reisevorbereitung. Graphiken von Venedig, Jerusalem und Florenz gehörten zudem in den Haushalt eines jeden humanistisch Gebildeten, wie der Nachlass des 1600 verstorbenen Octavian Secundus Fugger zeigte. Der Besitz der Rom-Ansicht war oberstes Gebot: Die Stadt war nicht nur Zentrum der katholischen Kirche, sondern auch Hauptort der antiken Überlieferung.
Schliesslich können Ansichten auch zur Historiographie einer Stadt – wie beispielsweise der Plan von Jos Murer von 1576 für Modelle von Zürich – herangezogen werden. Veduten geben nicht nur Auskunft über die Entwicklung von Gebäuden oder Stadtteilen in der Vergangenheit. Sie zeigen das zeitgenössische wirtschaftliche, wissenschaftliche, politische und soziale Leben einer Stadt und geben – sofern er nicht beschönigt wurde – einen Einblick in die Produktion, Technik, den Handel oder Verkehr. Mit Stadtporträts können auch Kulturvergleiche zwischen einzelnen Ländern angestellt werden. – Stadtansichten sind die einzigen Quellen, die optisch erschliessbar sind, sofern sie mit den schriftlichen wie archäologischen im Einklang sind. Tun sie dies, können sie auch Grundlage oder Hilfsmittel zur Erarbeitung von zukünftigen Stadtentwicklungskonzepten sein.








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