Militärarchitektur und radialer Stadtplan



Palmanova, in: Vincenzo Scamozzi, Idea della Architettura Universale, Bd. 1, Venezia 1615, S. 166 (Universitätsbibliothek Heidelberg).


| Ryff, in: Walter Hermenius Ryff, Der furnembsten, notwendigsten, der gantzen Architectur angehörigen Mathematischen vnd Mechanischen künst, eygentlicher bericht, vnd vast klare, verstendliche vnterrichtung, zu rechtem verstandt der lehr Vitruuij, in drey furneme Bücher abgetheilet, Buch 2, Bd. 5, Nürnberg 1547, Johann Petreius, S. 408 (Staats- und Universitätsbibliothek Dresden).


Grand pavillon royale, in: Iaques Perret, Des fortifications et artifices. Architecture et perspective de Iaques Perret, gentilhomme savoysien, Paris 1601, (École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Paris).






















1. Einleitung
2. Traktate über den Festungsbau

1. Einleitung
Bei einer erneuten Betrachtung der bereits mehrfach angesprochenen Werke von Alberti, Filarete oder eines Francesco di Giorgio fällt eines sehr deutlich auf: der Festungsbau und die damit verbundenen Abhandlungen über technologische Neuerungen im Bereich der Artillerie sind gerade am Ende des 15. Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil der Architektur. Der Einsatz von Schiesspulver führte zu einer Anpassung des Festungsbaus, dessen bisherige Form den neuen Waffentechniken nicht mehr standhalten konnte. Dieser Umbruch bedingte eine Spezialisierung auf Seiten der Architektur und des Ingenieurswesen. Eine Trennung zwischen Militär- und Zivilarchitektur wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts nötig und führte dazu, dass der Festungsbau weitgehend von der Kunstgeschichte ignoriert wurde. In den folgenden Traktaten zeigt sich jedoch eindrucksvoll, dass Befestigungen durchaus in einer ästethisch ansprechenden Form realisiert wurden und nicht nur eine reine Schutzfunktion inne hatten.


2. Traktate über den Festungsbau
In der Frührenaissance besass der spätantike Traktat "Epitoma rei militaris" (um 400) des Flavius Vegetius Renatus vergleichsweise eine ähnliche Verbreitung wie Vitruv. Insbesondere sein 4. Buch beschäftigt sich in den ersten sechs Kapiteln eingehend mit Stadtbefestigungen.
Die Arbeit "De re militari libri XII" des Roberto Valturio zeigt, dass man sich im 15. Jahrhundert hauptsächlich auf antike Autoren, wie der eben genannte Renatus oder Vitruv, berief. Valturios Traktat scheint das erste gedruckte (1472) Werk zur Militärarchitektur zu sein. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts veröffentlichte Albrecht Dürer den ersten Traktat, der sich auschliesslich mit dem Festungsbau auseinandersetzt. In seiner Widmung an den König von Ungarn wird die Bedrohung durch die vorückenden Türken thematisiert und als Grund für die Entstehung seines Traktats deutlich gemacht. Die Entwicklung neuer Schutzmechanismen bereits bestehender Städte ist ein wichtiger Teil dieser Schrift. Andererseits wird uns ein Entwurf einer Städteutopie geliefert, wobei die Befestigungen lediglich der Auslöser für seine Ideen einer innerhalb der Städte möglichen sozialen Struktur sind. Die zumeist plolygonalen oder sternförmigen Anlagen italienischer Architekturtheoretiker sind im quadratischen Stadtentwurf von Dürer nicht erkennbar. Vielmehr waren wahrscheinlich die Briefe von Hernandes Cortes an den Kaiser Karl V. über die Eroberung Mexikos und ein Holzschnitt mit einer Darstellung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan eine mögliche Inspirationsquelle für Dürer (Siehe Artikel). Die Verbindung einer Befestigungslehre mit den Ideen einer Idealstadtutopie zeigt, dass der Festungsbau ein integraler Teil der damaligen Architekturtheorien war. Obwohl Nicolo Tartaglia mit seinem Werk La Nova Scientia kein eigentlicher Traktat über Befestigungen verfasste, war er durch sein Wissen über die Ballistik wichtig für seine Zeit. Als weiteres Beispiel für die Zusammenkunft von Festungsbau und Ingenieurwesen soll an dieser Stelle der 1564 veröffentlichte Traktat Delle Fortificationi von Girolamo Maggi thematisiert werden. Aus einem Konglomerat an technischen Angaben formte Maggi einen humanistischen Beitrag zum sonst eher trocken gehaltenen Text über den Festungsbau. Die Funktion der Autorschaft erfährt in der Person von Maggi eine sehr ehrliche Seite: die gesammelten und nachher veröffentlichten Texte sind namentlich immer gekennzeichnet und daher auf ihren Ursprung zurückzuführen. Seit dem Traktat von Dürer sind im deutschsprachigen Raum keine nennenswerte Beiträge zum Festungsbau geleistet worden. Eine Ausnahme könnte am Ende des Jahrhunderts der Strassburger Stadtbaumeister Daniel Speckle gewesen sein. Die Architectura von Vestungen war durch die immer wiederkehrenden Veröffentlichungen bis in das 18. Jahrhundert ein grosser Erfolg. Wiederum war einerseits die Gefahr einer Invasion der Türken eine mögliche Motivation für seinen Text; andererseits wird in seiner Vorrede seine Abkehr von den damals dominierenden Werken der italienischen Theoretikern deutlich: die vorherrschende Meinung der angeblichen Einfallslosigkeit der Deutschen sollte widerlegt werden. Selbstverständlich benutzt er dabei die deutsche Sprache. Seine Vorgabe einer idealen Stadtanlage basiert auf einer Radialanlage. Zentral gelegen sind die weltlichen und religiösen Institutionen. Dadurch greift er gewissermassen einem Idealstadtprojekt, wie jenem in Palmanova, vor und thematisiert gleichzeitig die Neuplanung einer Anlage von Francesco Laparelli in La Valletta.

Eine ganze Reihe von Entwürfen an Festungstypen werden uns von Jacques Perret vorgelegt, der wiederum auf radiale Raster zurückgreift. Sein Denken wird in seinen Entwürfen deutlich gemacht: geometrische Muster und Raster bestimmen das Bild seiner Stadt; die Funktion scheint in den Hintergrund zu treten. Seine Faszination für architektonische Utopien zeigt sich auch in seinen kühnen Pavillons, die einem Hochhaus ähnlich sehen. Dabei scheint ihm das kreative Element seiner Entwürfe wichtiger als die konstruktive Machbarkeit gewesen zu sein. Trotzdem zeigt sich, zusammenfassend betrachtet, dass der eigentliche Festungsbau immer mit einer auf die damaligen gesellschaftlichen Probleme angelegten Architekturtheorie korrespondierte. Andererseits muss festgehalten werden, dass die meisten Pläne und Skizzen in der Realität nie umgesetzt wurden. Vielmehr erscheinen mit der Gegenwart und der Fiktion zwei parallel verlaufende Dimensionen, die auch in manchen Abbildungen zu sehen sind. Die immer wieder kehrenden Muster und geometrischen Formen, gesteigert bis ins Unermessliche, zeigen sehr deutlich, dass die Militärarchitektur in der Theorie weit mehr als nur eine reine Festungslehre ist.







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