Seeseite der Kirche Santa Croce, Riva San Vitale
aus: Schmid, 315.



Lage der Kirche in Riva San Vitale
aus: Vergani, 5.



Bergseite vor 1916, mit erhöhtem Tambour
aus: Schmid, 315.



Unterer Teil der Hauptfassade
aus: Vergani, 26.



Aufriss von Cino Chiesa, Lugano, 1938
aus: Schmid, 313.



Grundriss von Cino Chiesa, Lugano, 1938
aus: Schmid, 313.



Kirche Santa Croce, Riva San Vitale (1580–1594)


1. Einführung
2. Historischer Hintergrund
3. Architektonische Beschreibung

1. Einführung
Die in der Spätrenaissance am Dorfrand von Riva San Vitale erbaute Kirche Santa Croce ("heiliges Kreuz") sticht jedem Besucher des Dorfs von Weitem ins Auge. Doch sie hebt sich nicht nur durch ihre prominente Lage über dem Luganer See hervor, sondern überzeugt sowohl architektonisch als auch ikonografisch durch ihr einheitliches Erscheinungsbild und ihre opulente, aber durchdachte Innenausstattung. Diese war dem nagenden Zahn der Zeit leider so stark ausgesetzt, dass vom Kuppelfresko nur noch Reste erhalten sind.

2. Historischer Hintergrund
Riva San Vitale (ital. riva = "Ufer", dem Heiligen Vitalis von Mailand gewidmet) war schon lange Zeit vor der Erbauung der Kirche Santa Croce besiedelt und ist Ort des schweizweit ältesten vollständig erhalteten christlichen Gebäudes, des Baptisteriums San Giovanni. Die Kirche Santa Croce, die von den Einwohnern wegen ihrer monumentalen Bauweise auch "Il Tempio" (der Tempel) genannt wird, wurde von Giovanni Andrea Della Croce gestiftet, einem Mailänder Adligen und Erzpriester von Riva San Vitale. So entsteht eine doppelte Bedeutung des Namens: Er erinnert sowohl an das Kreuz Jesu als auch an den Stifter. Die Kirche war als Hauskapelle gedacht und wurde in der Verlängerung der Achse von Della Croces Wohnsitz errichtet; sie trägt mehrfach das Familienwappen.

Kontroverse um den Architekten
Nach heutigem Wissensstand ist lediglich belegt, dass Giovan Antonio Piotti aus Vacallo der ausführende Baumeister gewesen war, weshalb ihm oft auch der Entwurf zugeschrieben wird. Als Architekten ging die Kunstgeschichtsforschung lange Zeit vom bekannten Pellegrino Tibaldi (1527–1596) aus; beispielsweise wurde die Kirche mit seinem Tempio civico di San Sebastiano in Mailand verglichen, zuweilen wurde sie wegen ihrer Ähnlichkeit zur Fassade des Petersdoms in Rom sogar Donato Bramante zugeschrieben. Dem entgegengesetzt ist Heinz Horats These, dass es sich bei Santa Croce aufgrund stichhaltiger Hinweise um einen Entwurf des Riva-Bürgers und später römischen Architekten Carlo Maderno handelt. Dieser war Neffe und Lehrling des Domenica Fontana, weshalb ein Stilimport aus Rom glaubwürdig scheint. So ist die Kirche mit ihren deutlichen Verweisen auf Roms Architektur (Il Gesù) einerseits Legitimation des Della Croce, andererseits klares Indiz für einen Entwurf Madernos.

Baugeschichte und Restaurationen
Mit dem Bau wurde wahrscheinlich um 1580 begonnen, das Mauerwerk war 1591 beendet, und das Gesamtwerk inklusive Ausstattung wurde 1594 komplettiert. Die Weihe fand allerdings erst am Pfingstmontag 1599 statt, denn von Anfang an hatte die Kirche mit Schwierigkeiten zu kämpfen. 1604 schliesslich wurde das Kupfer der Kuppel bereits wieder entfernt und im Anschluss der Tambour erhöht und mit einem Zeltdach versehen, was dem Eindringen von Wasser aber nicht genügend Einhalt gebot. Ebenfalls wurde die Kirche mehrfach vom Bach überflutet, der an ihrer Südseite vorbeifliesst. Die Deckenfresken und Malereien wurden so bereits kurz nach ihrer Installation zu einem grossen Teil beschädigt oder gar zerstört. Glücklicherweise führte das Anfang des 20. Jahrhunderts wiedererwachte Interesse an der Kirche zu umfangreichen Restaurierungsarbeiten unter dem Architekten Augusto Guidini Sen. (1853–1928). In drei Restaurierungsphasen wurde zuerst der erhöhte Tambour abgebrochen und die Kuppel mit Ziegeln bedeckt (1915–1917), die Kuppel erneut mit Kupfer überzogen (1938–1947) sowie weitere Reparaturen vorgenommen (1978–1987).

3. Architektonische Beschreibung
Das kleine Baptisterium in Riva San Vitale erfuhr ebenfalls eine gründliche Gesamtrestaurierung von 1953 bis 1955. Zuvor von benachbarten Mauern eingeschlossen, steht es seither wie in seinem ursprünglichen Zustand freistehend, wodurch seine Würfelform heraussticht. Rund 300 Meter nördlich vom Baptisterium gelegen bäumt sich die Kirche Santa Croce auf einer ummauerten Terrasse auf und folgt einem ähnlich kompakten Entwurf als Zentralbau, wobei diese Verwandtschaft nicht zwingend Absicht sein muss, sondern einfach ein beliebtes Bauprinzip der Zeit spiegeln könnte, ganz nach dem Vorbild von Bramantes Tempietto in Rom.

Das Äussere
Wie bereits erwähnt ist die Kirche ein nahezu würfelförmiger Zentralbau mit quadratischem Grundriss. Prominent darüber sitzt, über dem Tambour, eine achteckige Trompenkuppel mit Rippen, die von einem Sprengring und einer Laterne abgeschlossen werden. Nördlich und südlich ragen die Seitenkapellen mit Giebeldächern hervor, westlich ist die Hauptkapelle mit Schrägdach sowie der Turm und die Sakristei angeschlossen, und frontal geostet prägt eine markante Hauptfassade das feudale Gesamtbild.

Die Hauptfassade wird von jeweils zwei Dreiviertelsäulen? links und rechts vom hohen Hauptportal und zwei Eckpfeilern an den Rändern gleichmässig in drei Risaslite gedrittelt. Auf ihnen liegt ein typisch dorischer Triglyphenfries mit profaner Stuckdekoration in den Metopen, doch sind die Säulen näher bei der römisch-dorischen Ordnung anzusiedeln (mit Basen und Halsringen statt Fugen). Zentral über den Säulen und dem Fries erhebt sich ein Segmentgiebel mit zwei weit geschwungenen Doppelvoluten, die mittig ein leeres Wappen und ein Maskaron (Fratzengesicht) fassen. Zwischen Fries und Portal durchstösst ein Thermenfenster die Fassade und wiederholt die Proportionen des Segmentgiebels; darüber ein Cherubimkopf, was durch die Flügel angezeigt wird. Alle drei holzgeschnitzten und von Fratzen (geschmückt mit Festons) übersähten Portale sind von rötlichem Arzomarmor gefasst, aber die seitlichen sind zum mittleren fast im Verhältnis 1:2, was das mittlere noch grösser erscheinen lässt und das Zentrum stark betont. Über den Seitenportalen ist die senfgelbe Fassade mit simplen eingetieften Quadraten ausgefüllt, die wegen ihrer Einfachheit (kein Gesims o. Ä.) höchstens gedanklich als Blendfenster gelten könnten.

Wie auch die Fassade ist die Trompenkuppel vertikal gegliedert; der Tambour mit Sprengring durch überdeutliche kropfartige Eckpfeiler, zwischen denen rechteckige Giebelfenster den Grossteil des Lichts hereinlassen; die Kuppelkrümmung durch Rippen, welche auf der Laterne als Pilaster auslaufen, welche hier im Verhältnis 1:1 von Rundbogenfenstern durchbrochen sind. Die Achtecksform zieht sich vom Tambour bis zur Laterne durch und endet erst in deren halbkugelförmigem Dach. Der dreigeteilte Turm, der an die Kuppel angeschlossen ist, trägt wiederum drei Glocken, gleicht sich in der Fensterform an die Kuppel an und hat an der Spitze eine nahezu identische Laterne.

Der Innenraum
Sobald man die Kirche betritt, wird der Blick durch das einfallende Licht direkt nach oben geführt und die vertikale Ausrichtung deutlich. Auch innen stehen römisch-dorische Dreiviertelsäulen in jeder Ecke des Achtecks, das sich auf der Höhe der Kapitelle nach den Trompen auftut. Auf diesen Säulen ruht die Trompenkuppel, die inwändig ebenso durch Pilaster gegliedert ist. Der Triglyphenfries wiederholt sich hier, allerdings mit liturgischen Symbolen ohne Fratzen. Der Mosaikfussboden betont die Achsen noch einmal und zeigt im Zentrum unter der Laterne die drei Symbole der Passion (Leiter, Säule, Nagel). Die Innenausstattung ist bedeutend vielfältig ausgefallen mit Fresken, zahlreichen Ölbildern und Dekorationen. Die Kuppelfresken sind durch die zahlreichen Wasserschäden leider nur noch fragmentarisch erhalten und in ihrer Pracht nur zu erahnen (was eine Erklärung dafür sein könnte, weshalb die Kirche nur noch im Sommerhalbjahr für die Öffentlichkeit zugänglich ist). Die insgesamt neun Ölbilder befinden sich in den hinter Marmorbalustraden abgesperrten Kapellen (jeweils drei) und zeigen: links (südlich) die Muttergottes, rechts (nördlich) den heiligen Bernhardin von Siena, in der Mitte (westlich) die Passion Christi. Die Kapellen erhalten Licht über ihr jeweils eigenes Thermenfenster über den Ölgemälden, welche von demselben Säulenstil mit hölzernem, goldbelegtem Fries und Architrav gerahmt sind. Sämtliche Gewölbe der Kapellen sind ebenfalls mit pastellfarbenen Fresken ausgeschmückt, die seitlichen etwas leichter und weniger prunkvoll.


Bibliografie
Vergani, Rossana Cardini und Laura Damiani Cabrini, "Riva San Vitale. Das Baptisterium San Giovanni und die Kirche Santa Croce", Serie Schweizerische Kunstführer, Nr. 800, herausgegeben von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK, Bern, 2006.
Schmid, Ernst, "Santa Croce in Riva Vitale: schweizerisches Nationaldenkmal", in: Schweizerische Bauzeitung, 128/1946, Heft 25, Zürich, 1946, S. 311–5.
Horat, Heinz, "Santa Croce in Riva San Vitale: ein Frühwerk von Carlo Maderno", in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, 49/1992, Heft 2, Zürich, 1992, pp. 151–164.
Comune di Riva San Vitale, Informationsblatt.
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