Carlo Borromeo, Instructiones fabricae, 1577, Titelseite.

Grundriss Il Gesù, Rom, Mutterkirche der Jesuiten.

S.Maria in Vallicella, Mutterkirche der Ortorianer und mögliches Vorbild für Carlo Borromeos Aussführungen zur Fassade.

Antoine Lafréry, Le Sette Chiese di Rome 1575, zeigt sowohl Kirchen mit Atrium, Säulenhalle und Vordach

Santa Maria Maggiore, Lieven Cruyl, Eighteen Views of Rome: View of Santa Maria Maggiore, 1665.

Sant Agostino, Nach P.M. Letarouilly, Plan of Sant'Agostino, Rome.

San Fedele, Pellegrino Tibaldi, San Fedele, Milan 1569-1835.



































Kardinal Carlo Borromeo


Für viele gilt Carlo Borromeo, Erzbischof von Mailand, als einer der wichtigsten Begründer der Barrocken Architektur. Mit seinen Instructiones fabricae et supellectilis ecclesiasticae, die in Folge des Konzils von Trient erschienen sind, lieferte er (obwohl er selbst nicht als Verfasser, sondern als Herausgeber gilt) ein Werk, das bis knapp vor 100 Jahren noch immer grossen Einfluss auf den Kirchenbau hatte. Für die Architektur der Gegenreformation ist besonders das erste Buch der Instructiones von Bedeutung, in dem er ausführlich auf die Konstruktion des Aussen- und des Innenraumes eingeht. Robert Sénécal befasst sich in seinem Aufsatz «Carlo Borromeos's Instructiones fabricae et supellectilis ecclesiasticae and its origins in the Rome of his time» mit Borromeos Werk.

1 Aussenraum
1a Standort
1b Grundriss
1c Fassade
1d Atrium, Säulenhalle, Vordach
2 Innenraum
Bibliographie

1 Aussenraum:

Standort

Im ersten Kapitel seiner Instructiones wendet sich Carlo Borromeo dem Bauplatz der Kirche zu. Er hat dazu genaue Vorstellungen: Wenn möglich soll die Kirche auf einem erhobenen Grundstück platziert werden. Wenn sie jedoch in einer vollkommen ebenen Gegend errichtet wird, sollte sie zumindest auf einem Sockel erbaut werden, so dass der Eingang über drei bis fünf Stufen erreicht wird. Ein Vorbild könnte beispielsweise Il Gésu gewesen sein. Durch die Erhöhung der Kirche soll die Ehrfurcht der Kirchgänger gestärkt werden und das Officio Divinum soweit als möglich von Lärm befreit sein. Die erhöhte Bauweise bietet Schutz vor Überschwemmungen und Dreck. Die Kirche sollte ohnehin möglichst fern von jeglicher Art Schmutz errichtet werden. Auch vor dem Bau an Hügeln und Hängen, bei denen Sturzfluten auftreten könnten, wird gewarnt. Gibt es keine Ausweichmöglichkeiten, müssen zumindest Vorsichtsmassnahmen getroffen werden. Die Kirche soll frei stehen und durch einige Schritte von den umliegenden Bauten getrennt sein, wie es sich schon in der Antike bewährt hatte.

Grundriss

Der Grundriss in Form eines Kreuzes ist zu bevorzugen, da diese Tradition laut Borromeo bis fast zur apostolischen Zeit zurück geht und auch in den grössten Basiliken Roms umgesetzt wurde. Die runde Form hingegen ist eher zu vermeiden, da sie an heidnische Tempel erinnert und in der christlichen Tradition weniger verbreitet war. Daher sollten die Kirchen, bei denen eine imposante Erscheinung gefordert ist, in Kreuzform erbaut werden. Wenn immer möglich sollte ein Grundriss in der Form des lateinischen Kreuzes verwendet werden. Wenn auf Grund des Geländes eine andere Bauform verwendet werden muss, kann der Architekt über eine geeignete Form entscheiden, diese muss jedoch vom betreffenden Bischof akzeptiert werden. Borromeo hat nicht nur eine klare Vorstellung, wie der Grundriss aussehen soll, er gibt auch konkrete Anweisungen, wie dieser erstellt werden könnte: Zwei Kapellen, an jeder Seite der Hauptkapelle eine, die ausserhalb zu deren Eingang liegen. Je nach ihrer Grösse können diese zwei Seitenkapellen von aussen her gesehen werden. Wie ausgebreitete Arme sollen sie das Gebäude schützen. Sénécal (2000) bezeichnet diese Form als „pseudo-transept“ und weist darauf hin, dass eine solche Bauweise bis zu Borromeos Zeit in Rom nicht angewandt wurde. Die Mutterkirchen der Jesuiten Il Gésu und der Oratorianer Santa Maria in Vallicella die ungefähr zu der Zeit entstanden, weisen jedoch eine ähnliche, wenn auch leicht abweichende, Form auf. Es kann gut sein, dass Borromeo, der mit diesen beiden Kirchen vertraut war, durch sie inspiriert wurde. Die Architekten schienen aber an den Formen der Renaissance festzuhalten, indem sie zumindest keine von aussen sichtbare Kreuzform errichteten, obwohl sich Borromeo klar dafür aussprach, dass die christliche Form gut erkennbar sein sollte.

Fassade

Borromeo scheint viel Wert auf die Gestaltung der Fassade zu legen, denn in diesem Kapitel der Instructiones wird im Gegensatz zu den meisten anderen klar gesagt, welche Normen der Wände strikt eingehalten werden müssen. Es gilt zu befolgen, dass weder die Seitenwände, noch die Rückwand der Kirche mit Bildern geschmückt werden dürfen. Die Fassade soll in Übereinstimmung mit der Form und der Grösse der Kirche errichtet werden. Es ist die Aufgabe des Architekten darauf zu achten, dass auf der Fassade keinerlei profane Motive auftreten. Dafür soll die Fassade aber möglichst reich an Heiligenbildern und Bibeldarstellungen sein, da sie dadurch feierlicher und ansprechender wirkt. Der Architekt hat zudem dafür Sorge zu tragen, dass dieser Part des Baus so gut wie möglich vor jeder Witterung geschützt ist. Es darf nicht vergessen werden, dass an der Fassade jeder Kirche, im Speziellen bei einer Pfarrkirche, das Bild der heiligen Jungfrau Maria, die ihren Sohn hält, dekorativ und fromm aussen über dem Haupteingang in gemalter oder geschnitzter Form angebracht ist. Das Bildnis des Heiligen, dem die Kirche gewidmet ist, soll zu ihrer Rechten dargestellt werden und zu ihrer Linken soll der Heilige, dem sich die Gemeindebewohner besonders hingeben, platziert sein. Wenn es aus Kostengründen nicht möglich ist, alle drei abzubilden, beschränkt man sich auf das Bildnis des Heiligen, dem die Kirche gewidmet ist. Sollte die Kirche einem Fastentag zugedacht sein oder sollte sie der Verkündigung an die Jungfrau, der Marien Himmelfahrt oder der Geburt Marias zustehen, soll das Abbild der gesegneten Jungfrau in einer Art und Weise dargestellt sein, welche dem offenbarten Mysterium würdig ist. Die anderen festlichen und schicklichen Skulpturen, Gemälde und Ornamente, welche zum feierlichen und majestätischen Erscheinungsbild der Kirche beitragen, können durch den Bischof festgelegt werden. Dieser kann den Architekten zu Rate ziehen. Voelker (1977) hat in ihrer Übersetzung der Instructiones notiert, dass es gut möglich ist, dass Filippo Neri Borromeos Ansichten zur ikonografischen Gestaltung der Fassade beeinflusst hat. Da Borromeo St. Philip beim Bau der Kirche Santa Maria in Vallicella unterstützte und die rechte Chorkapelle ihm gewidmet wurde, darf man annehmen, dass er mit der Fassade dieser Kirche vertraut war. Im Bogen des Hauptportals sollte ein Gemälde der Jungfrau Maria mit Kind, flankiert von zwei Engeln, eingearbeitet sein. In der linken Nische befand sich eine Statue des Heiligen Gregori des Grossen und in der Rechten St. Jerome. Auch wenn die Fassade erst 1605 fertiggestellt wurde, entstanden die Pläne dafür schon drei Jahre bevor Borromeos Instructiones veröffentlicht wurden. Die Übereinstimmung mit der in der Instructiones beschriebenen Fassade dürfte kaum ein Zufall sein.

Atrium, Säulenhalle, Vordach

Je nachdem wie der Architekt im Bezug auf den vorhandenen Platz vor der Kirche und der Form des Kirchenbaus rät, soll vor dem heiligen Gebäude ein Atrium angebracht sein, welches an allen Seiten von Säulengängen umgeben sein soll und durch weitere passende architektonische Elemente geschmückt wird. Wenn wegen Platzmangels oder unangemessener Kosten das Atrium nicht erbaut werden kann, sollte zumindest dafür gesorgt werden, dass eine Säulenhalle vor die Kirche gesetzt wird. Die aus Marmorsäulen, aus Stein-oder Birkenpfeilern gebildete Säulenhalle wird so lang, wie die gesamte Gebäudefassade. Höhe und Breite sollen in optischer Proportion zu ihr stehen. Idealerweise sollte jede Gemeindekirche eine solche Säulenhalle aufweisen. Wenn wegen Mangels an Geldern nicht einmal dies möglich ist, sollte immerhin ein rechteckiges Vordach errichtet werden. Dieses soll durch zwei von der Tür entfernt angebrachten Pfeilern oder Säulen gestützt werden. Es ist etwas breiter zu konstruieren, als der Eingang zur Kirche. Die Anbringung einer dieser Konstruktionen hat laut Sénécal (2000) vorwiegend den Zweck, die Würde und die Distanz der Kirche zur Aussenwelt zu wahren. Dass zu Borromeos Zeit solche Konstruktionen in Rom Verwendung fanden, ist auf Antoine Lafrérys Le Sette Chiese di Rome (1575) zu sehen.

2 Innenraum:

Kapitel fünf bis dreiunddreissig der Instructiones fabricae et supellectilis ecclesiasticae von Carlo Borromeo behandeln die Ausgestaltung des Innenraums von Kirchen. Es werden Vorschläge für die Platzierung von Kapellen, Gräbern, Beichtstühlen, aber auch Anweisungen zum verwendeten Material abgegeben. Die Anweisungen sind sehr ausführlich, aber dennoch sehr stark an die liturgischen Abläufe und die bestehenden Bauten angepasst. Voelker (1977) fasst die Kapitel sehr prägnant zusammen. Borromeo scheint es ein Anliegen zu sein, Rücksicht auf Grösse, Platzierung und Anordnung der bestehenden Bauten, wie auch zur Verfügung stehende finanzielle Mittel zu nehmen. Er gibt jeweils den optimalen Zustand an, erweist sich dennoch als pragmatisch und zeigt viele Kompromisse auf. Borromeo legt grossen Wert auf einen ungehinderten Ablauf der Messe, wozu er mit seinen Anleitungen zur Innenausstattung der Kirchen beitragen möchte. Die Kapitel gehen vom Grossen ins Detail. Werden in den ersten Kapitel zur Innenausstattung noch Dach und Türen, sowie die Verwendung von Marmor für den Boden thematisiert, so dringt der Kardinal immer weiter in die Details der Kirchenräume ein und gelangt schliesslich vom Weihwasserbehälter über die Anzahl Glocken, bis zu den Heiligengräbern.

Pellegrino Tibaldi ist laut Sénécal (2000) einer der ausführenden Architekten von Borromeos Instruktionen. Borromeo legte grossen Wert auf ein Gewölbe über dem Altar, was Tibaldi in San Fedele in Milan umsetzte. Borromeo gab auch Anweisungen zu den Kapellen. Die Hauptkapelle sollte gegen Süden ausgerichtet sein, die Nebenkapellen hingegen, konnten beidseits der Kirche angebaut werden. Dass Borromeos Instruktionen teils sehr schwierig umzusetzen waren zeigt sich am Beispiel von Santa Maria Maggiore, die eine der drei seiner tituli (Sénécal 2000) war. Hier sind Kapellen so gut als möglich nach Borromeos Anweisungen angebaut worden. Er erlaubte Kapellen in den Querschiffen, solange sie die Messe durch ihre Nähe zum Hauptaltar nicht störten, wie es Sénécal (2000) in Sant' Agostino umgesetzt sieht. Auch die Umsetzung der verbundenen Kapellen wie im Gésu, stehen nicht im Konflikt mit den Vorstellungen Borromeos.


Bibliographie
Alexander, John, «Shaping Sacred Space in the Sixteenth Century: Design Criteria fort he Collegio Borromeo’s Chapel», in: Journal of the Society of Architectural Historians, 63, 2000, S. 164–179.
Borromeo, Carlo, Instructiones fabricae et supellectilis ecclesiasticae, Mailand: Pacificus Pontius, 1577.
Hecht, Christian, «Die Instructionum fabricae et supellectilis ecclesiae libri duo – Karl Borromäus und die Architekten», in: Architekt und / versus Baumeister, Siebenter Internationaler Barocksommerkurs 2006, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln, Zürich: gta Verlag, 2009, S. 18–29.
Sénécal, Robert, «Carlo Borromeo’s Instructiones fabricae et supellectilis ecclesiasticae and its Origins in the Rome of his time», in: Papers of the British School at Rome, 68, 2000, S. 241–267.
Voelker, Evelyn C., «Charles Borromeo’s Instructiones fabricae et supellectilis ecclesticae, 1577: a Translation with Commentary and Analysis», Diss., Syracuse University, 1977.
Voelker, E. Cecilia, «Borromeo’s Influence on Sacred Art and Architecture», in: Headley, John M. und Tomaro, John B. (Hg.), San Carlo Borromeo: Catholic Reform and Ecclesiastical Politics in the Second Half of the Sixteenth Century, Washington: The Folger Shakespeare Library/London and Toronto: Associated University Presses, 1988, S. 172–187.
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