«Ichnographia Templi Divi Petri Romae, 1569» Michelangelo Buonarroti, aus: Speculum Romanae Magnificentiae Antonio Lafreri, Rom, 1574; in Bildindex der Kunst und Architektur (Foto Marburg).


'M. Vitruuii De Architectura'', hg. von Fra Giocondo, Venezia: Giovanni de Tridino, 1511.


Schnitt durch die Kirche St.Peter nach einem Modell von Antonio da Sangallo in einer Radierung von Antonio Labacco, Roma: 1548.




Kuppel Santa Maria del Fiore, Florenz, von Filippo Brunelleschi, aus «Geschichte der berühmtesten Architekten und ihre Werke», 1831. Und wie sie virtuell und digital betrachtet werden kann.





Vorzeichnung für ein Fresko um 1561 in den Uffizien von
Giorgio Vasari und ihre Ausführung als «Das Studio des Malers» in einem kunsthistorischen Beitrag zum Disgeno von Wolfgang Kemp.

Grundriss, Aufriss, Perspektive


Das wissenschaftliche Feld der Architekturzeichnung muss weit abgesteckt werden. Es dehnt sich zwischen Kunstwerk und Abfallprodukt aus ( Baus). Eine ihrer Wurzeln reicht zu Vitruvs «Zehn Bücher über die Architektur» zurück, wo er die Grundformen der Baukunst umschreibt.

1. Die Scaenographia
2. Vitruvs Grundbegriffe der Baukunst
3. Dispositio als Bauentwurf für Architekten
4. Theorie und ihre konkrete Anwendung
5. Die Perspektive in der Kunstgeschichte

1. Die Scaenographia
Hier kommen die Begriffe Grundriss, Aufriss und Perspektive zur Sprache. Unklare Übersetzungen vom Griechischen ins Lateinische, die wenig klar umrissenen Begriffe selbst – insbesondere jener der Scaenographia – und ihre späteren Interpretationen, liessen und lassen Spielraum offen für Diskussionen über die Architekturtheorie und die Architekturzeichnung im speziellen. Sind Grundrisse, Aufrisse und Perspektiven nur Hilfsmittel, um beim Zeichnen eine Idee zu skizzieren; wie beispielsweise die Radierung von Albrecht Dürer zeigt, oder sind sie – wie von Antonio Labacco in präzisen Linien gezogen – Plan, aufgrund dessen ein Gebäude entstehen soll? Können Skizzen, Entwürfe, Zeichnungen (disegni) oder Pläne der Malerei zugeordnet werden oder gehören sie bereits zur Architektur?

2. Vitruvs Grundbegriffe der Baukunst
Vitruv war sicherlich nicht der Erste, der über Architektur geschrieben hat, doch sind seine Schriften über Architektur die Einzigen, die sich bis in die Gegenwart halten konnten. Andere antike Traktate gingen dagegen verloren. Die «Zehn Büchern über die Architektur» thematisieren und beschreiben einzelne Bauten und die damit einhergehenden Probleme und sind somit unmittelbar an die Bauherren gerichtet. Gleichzeitig entwickelt er im 1. Kapitel des I. Buches ein ausführliches Berufsbild des Architekten, der gut zeichnen solle, schreibgewandt sein müsse und die Geometrie beherrschen sollte, um richtig entwerfen und perspektivische Darstellungen geben zu können. Im zweiten Kapitel widmet sich Vitruv den ästhetischen Grundbegriffen der Baukunst, die aus ordinatio, dispositio, eurythmia, symmetria, decor und distributio besteht.

3. Dispositio als Bauentwurf für Architekten
Für Vitruv ist die Dispositio die passende Zusammenstellung der Dinge und die durch die Zusammenstellung schöne Ausführung des Baus mit Qualitas. Die Formen der Dispositio sind folgende: Ichnographia, Orthographia, Scaenographia. Ichnographia ist der unter Verwendung von Lineal und Zirkel in verkleinertem Massstab ausgeführte Grundriss, aus dem (später) die Umrisse der Gebäudeteile auf dem Baugelände genommen werden. Orthographia ist das aufrechte Bild der Vorderansicht und eine den Massstäben des zukünftigen Bauwerks entsprechende gezeichnete Darstellung in verkleinertem Massstab. Scaenographia ferner ist die perspektivische (illusionistische) Wiedergabe der Fassade und der zurücktretenden Seiten und die Entsprechung sämtlicher Linien auf einen Kreismittelpunkt.1 Dispositio kann nach Vitruv also als Bauentwurf im Grundriss, Aufriss und der Perspektive bezeichnet werden, die Fra Giocondo mit Hilfe von Holzschnitten illustriert.Bild und Text in Architekturtraktaten Konkret zeigt sich diese Verbindung unter anderem in einer Illustration des Grundrisses der Basilika von Fano, welche von Vitruv im ersten Kapitel des fünften Buches beschrieben wird.
Eine Definition respektive prinzipielle Unterscheidung zwischen der Zeichnung des Malers und jener des Architekten liefert Leon Battista Alberti im zweiten Kapitel seines Architekturtraktats. Ausgabe 1565; Zeile 37ff. Diese Idee hatte aber schon vor Alberti ihren Bestand, wie es bei Wolfgang Lotz heisst. Fragen der Perspektive vollumfänglich in Architekturtraktate zu integrieren, vermeiden sowohl Vignola in seiner «Regola» als auch Daniele Barbaro in seinem Vitruvkommentar.2 Dies gilt sowohl für optische Täuschungen als auch für die von Barbaro als «pittura delle scene» genannte Bühnenbild-Malerei.

4. Theorie und ihre konkrete Anwendung
Bis anhin haben wir, von Vitruv ausgehend, lediglich die Möglichkeiten und Prinzipien einer theoretischen Vorstellung von Architektur betrachtet. Diese Schriften entsprachen vermutlich keineswegs den Bedürfnissen der Bauherren, welche sich in den meisten Fällen konkrete Anweisungen wünschten. In Bezug auf die Perspektive beispielsweise gab es durch die Traktate eines Alberti genügend theoretische Fundierungen und bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts finden wir bei Jacopo Bellini die konkrete Anwendung der Perspektive in der Malerei. Die Problematik der theoretischen Vorstellungen einerseits und der praktischen Machbarkeit andererseits wurde von Sebastiano Serlio in einem eigenen Architektur-Traktat angegangen. Seine Ausführungen beschränken sich auf die tatsächlich notwendigen Informationen, die ein Architekt brauchte. Somit sind Serlios Abhandlungen hinsichtlich den Themen dieses Kapitels sehr kurz gehalten. Wichtiger scheinen in seinem 1584 erschienenen Buch «Tutte l'opere d'architettura di Sebastiano Serlio Bolognese (Buch 1-7» die einzelnen Bilder zu sein, welche sich auf die Architektur beziehen.

5. Die Perspektive in der Kunstgeschichte
Die bildliche Darstellung wird mit der Zentralperspektive, die auf Filippo Brunelleschi zurückgeführt wird, auf eine berechenbare und nachprüfbare Grundlage gestellt und verändert auch über die Malerei die Sehgewohnheiten. 1709 zeigt Andrea Pozzo «wie man allergeschwindest und leichteste, alles was zur Architektur und Baukunst gehöret, in Perspektiv bringen solle». Für Leonhard Schmeiser ist die Zentralperspektive ein Ergebnis archäologischer Rekonstruktionsversuche und Erwin Panofsky sieht die Perspektive in einem Vortrag als «symbolische Form». Darin versucht er, die Raumvorstellung nicht als eine Entwicklung von der Antike zur wissenschaftlichen Renaissance zu erklären, sondern er zeichnet die Vorstellung des Raumes nach: Die Perspektive entsteht nicht nur auf der objektiven Grundlage, einer Spur auf der Retina, sondern basiert auch auf der Weltanschauung des Menschen. Kunst drückt sein Verhältnis zu seiner Umwelt aus.

Anmerkungen

1. Fensterbusch 1991, S. 37-38
2. Oechslin 1984, S. 40ff






Bibliographie
Baus, Ursula, «Zwischen Kunstwerk und Nutzwert. Die Architekturzeichnung, gesehen von Kunst- und Architekturhistorikern seit 1850», Stuttgart, 1999.
Fensterbusch, Curt, Zehn Bücher über Architektur / übers. und mit Anm. versehen, 5. Auflage, Darmstadt, 1991.
Frommel, Christoph Luitpold, «Sulla nascita del disegno architettonico» in «Rinascimento da Brunelleschi a Michelangelo la rappresentazione dell’ architettura», Milano, 1994.
Kruft, Hanno-Walter, Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart (1985), 3., durchges. u. erg. Aufl., München: Beck, 1991.
Lotz, Wolfgang, Das Raumbild in der italienischen Architekturzeichnung der Renaissance in: «Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz», 7. Bd., H. 3/4, Jul., 1956.
Oechslin, Werner, «Architektur, Perspektive und die hilfreiche Geste der Geometrie», in: Daidalos, 11, 1984, S. 38–54.
Panofsky, Erwin, «Perspektive als "symbolische Form"», in: «Vorträge 1924 – 1925» der Bibliothek Warburg, hrg. von Fritz Saxl, Kraus Reprint Limited, Nendeln, 1967.
Wittkower, Rudolf, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus (engl. 1949/1962), München: DTV, 1983.
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