Sebastiano Serlio, Tutte le opere d'architettura et prospettiva...diviso in sette libri, Venedig: Francesco de Franceschi, 1600, Titelblatt. ETH-Bibliothek Zuerich, Rar 460.

































Die Stadt als Bühne

Praktische Illusion
Serlios 1545 erstmals publizierte Dasrstellung der komischen Szene (hier in der Gesamtausgabe von 1600; siehe auch die Ausgabe von 1569) hat einen sehr spezifischen theoretischen Kontext: Sie erschien fast zeitgleich mit der Veröffentlichung des ersten humanistischen Kommentars zu Aristoteles Poetik: Im Laufe der 1540er Jahre hatten Giraldi Cintio, Francesco Robortello und andere in Vorträgen und Kommentaren die Poetik maßgeblich systematisiert – bekannt ist daher Aristoteles Forderung nach der Einheit von Raum und Zeit eines Stückes, der Serlios Bühnenbilder nachkommen.

Gedankenbilder
Architektur untermauert gesellschaftliche Unterschiede ebenso, wie sie Menschen durch Brücken und Straßen verbindet. Sie übt einen Einfluss auf die Gesellschaft aus und spiegelt sie gleichzeitig, indem sie sich ihren Bedürfnissen anpasst. Schließlich bildet Architektur (vereint mit Kunst und Bildhauerei) für jedermann sichtbar den Geschmack und damit den Zeitgeist einer Epoche ab. Ein Zeichen, wie politisch Architekten handeln, findet sich in den Metaphern aus der Sozialsphäre, mit denen ihre rein formalen Entscheidungen umschrieben werden: Über- und Unterordnung, Stütze, Last, Vereinzelung, Reihung, Gruppierung, Freiheit und Bindung. Außerdem ist Architektur durch direkte Verwendung eng mit den Bedürfnissen des Lebens verbunden und da Architekten stets versuchen Bequemlichkeit und Technik und Schönheit zu verbessern, werden sie gezwungener Maßen zu Beobachtern der Gesellschaft. Die Architektur bietet sich also an, eine Gesellschaft, eine Zeit oder einen Ort zu Evozieren. Soll eine Stadtdarstellung dann als Verkörperung einer Ideologie, Epoche oder eines Ortes verstanden werden, ist nach den Quellen der Künstler zu suchen, die ihnen und dem vorgestellten Betrachter das Gezeigte entschlüsseln. Interessanterweise fällt häufig die Dreizahl markanter Gebäude in den Szenerien auf, beispielsweise in der Architektonischen Perspektive 1480 in Baltimore oder auch bei Peruginos Christus übergibt Petrus die Schlüssel von 1481/82 in der Sixtinische Kappelle. Es ist zu überprüfen, ob diese Dreizahl ein ideales Gesellschaftsbild verkörpern soll, wie es beispielweise Aristoteles in seiner Abhandlung über Politik vorstellt: Er teilt die Gesellschaft teilt in drei Stände ein: Handwerker, Bauern und Krieger; das Land sollte dementsprechend unterteilt werden, einen ersten für den Kultur, den zweiten für öffentliche Zwecke, und der dritte Teil sollte zum Privateigentum bestimmt werden. (Aristoteles, Politik, II, 8 (1267b-1269a), S. 54 ff.) Früher finden wir diese Unterteilung schon bei Platon, der Gerechtigkeit nur mit einer Gesellschaftsgliederung in drei Ständen, Bürgern, Wächtern und Philosophen als Regenten verwirklicht sieht. (Politeia, Sämtliche Werke übersetzt von Friedrich Schleiermacher, neu v. Ursula Wolf, Bd. 2, S. 194 ff.) Vergleich der Darstellungen mit theoretischen Abhandlungen der Stadt bei Vitruv oder Alberti könnten aufzeigen in wie fern versucht wurde, den gelehrten Betrachter in eine bestimmte Szenerie zu versetzen.

Die Bühne der Moderne
Philip Ursprung bezeichnete interessanterweise die moderne Stadt als Bühne, da z.B. die Weltausstellungen den ganzen Globus in die Stadt bringen und neues testen. Seit Beginn der moderne, so meint er, ist es nicht mehr möglich die Stadt als Ansammlung statischer Objekte zu sehen. Auch literaturwissenschaftlichere Texte, wie beispielsweise «Transparency, Opacity and Status Presentation in the Early Modern City» von Ulrich Ufer sehen die Bühnenaftigkeit in der modernen Stadt: «Jerolimo enjoys freedom of performance in the opacity of the city, but at the same time he knows that his role play is also restricted to it.»




Bibliographie
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